Warum fühlen sich die Menschen in Ostdeutschland eigentlich abgehängt?

Warum sich Ostdeutschland abgehängt fühlt | Markus Lanz vom 29. August 2024

Ist die AfD ein Phänomen des “Ostens” oder ist der “Osten” eher eine Erfindung des “Westens”? Darüber diskutieren die Gäste im Video bei Markus Lanz. Sie versuchen einen Überblick darüber zu geben, warum die Menschen im Osten des Landes eine andere Wahrnehmung ihres Lebens nach der Wiedervereinigung haben, als die alten Bundesländer. Und ist der “Osten” im internationalen Vergleich mit Italien, den USA und England ein Sonderfall, wenn es um das Aufstreben populärer Kräfte geht? Oder ist es eher der “Westen”, der nicht ganz zu den aktuellen, internationalen Entwicklungen passt?

Die aktuellen Herausforderungen im Osten Deutschlands sind tief in der Geschichte verwurzelt und spiegeln sich in den sozioökonomischen Ungleichheiten wider, die seit der Wiedervereinigung bestehen. Der Osten hat auf seine Weise erheblich für die Verbrechen des Dritten Reichs bezahlt, und die Unterschiede zum Westen sind nach wie vor spürbar. Während der Westen erst ab 1990 begann, sich intensiver mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, war der Osten bereits seit 1933 betroffen. Die Wiedervereinigung brachte immense Veränderungen und Herausforderungen, die den Osten besonders hart trafen. Viele Menschen mussten ihre Berufe und Lebensumstände völlig neu gestalten, was zu weitreichender sozialer und wirtschaftlicher Unsicherheit führte.

Der Westen, der in der Vergangenheit von der DDR profitiert hat, ist ökonomisch besser aufgestellt. Die Eigentumsverhältnisse zeigen eine klare Dominanz westdeutscher Investoren im Osten, was zu erheblichen Ungleichgewichten führt. In Städten wie Leipzig gehören 90% des Wohnungsbestands Westdeutschen, und ähnliche Verhältnisse finden sich auch in anderen ostdeutschen Städten. Diese ungleiche Verteilung von Vermögen und Eigentum verstärkt das Gefühl der Benachteiligung und trägt zur Entfremdung bei.

Im internationalen Vergleich ist der Osten weniger singulär als oft dargestellt. Die sozialen und politischen Spannungen, die wir im Osten beobachten, sind vergleichbar mit denen in anderen Ländern, wo Populismus und gesellschaftliche Polarisierung zunehmen. Die AFD im Osten ist ein Ausdruck dieser breiteren internationalen Tendenzen und spiegelt die Unzufriedenheit mit der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Lage wider.

Besonders auffällig ist, wie die sozialpolitischen Reformen der letzten Jahrzehnte, insbesondere die Hartz-Gesetze, den Osten härter getroffen haben als den Westen. Diese neoliberalen Maßnahmen haben die soziale Kluft weiter vergrößert und zu einem Gefühl der Ungerechtigkeit beigetragen. Der Osten hat auch unter dem schnellen und oft ungleichen Transformationsprozess gelitten, der viele Menschen in unsichere Arbeitsverhältnisse stürzte.

Die ökonomischen und sozialen Ungleichheiten sind auch durch den Zustand der Infrastruktur und des Sozialstaats in der heutigen Zeit verschärft worden. Der aktuelle Zustand zeigt, dass die Wiedervereinigung nicht alle Probleme gelöst hat und dass es notwendig ist, den Osten mit mehr Respekt und Verständnis zu behandeln, um die bestehenden Ungleichheiten abzubauen und eine gerechtere Gesellschaft zu fördern.

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