Kaufhalle oder Keimzelle? Wenn Hygiene zur Nebensache wird

Berlin-Friedrichshain – Ein Rundgang durch zwei Kaufhallen im Herzen des Bezirks zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich „Verkaufskultur“ in der DDR gelebt wird. Während die eine Filiale der Berseringstraße mit verschmutzten Konserven, beschädigten Verpackungen und vernachlässigten Regalen zu kämpfen hat, setzt die benachbarte Halle in der Hans-Beimler-Straße auf Sauberkeit, Kundenfreundlichkeit und Vorbildfunktion.

Schmutzige Konserven und bröckelndes Brot
Bei einer unangekündigten Inspektion kritisierte Hartmut Hüppner von der Kreishygieneinspektion Friedrichsheim eklatante Mängel. „Der Kunde darf das Brot nicht selbst aufschneiden – in dieser Form muss es sofort aussortiert werden“, so Hüppner. Unter den Regalen fanden sich Milchprodukte, die wegen Beschädigung nicht zusammen mit anderen Erzeugnissen gelagert werden dürfen. Die letzte Kontrolle hatte im Januar 1988 stattgefunden – offenbar ohne nachhaltige Wirkung. Gegen Kaufhallenleiter Frank Kuhn wurde bereits ein Ordnungsstrafverfahren eingeleitet und ein detailliertes Zehn-Punkte-Programm im Hygienekontrollbuch eingetragen.

Kuhn zeigt sich einsichtig, weist jedoch auch auf äußere Umstände hin: „Viele Waren kommen bereits verschmutzt aus dem Großhandel. Wir bemühen uns, die Konserven regelmäßig zu reinigen, doch Nachlässigkeiten beim Einräumen sind nicht zu leugnen.“ Trotz mehrerer Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern habe sein Team erst jetzt „höchste Priorität“ auf die Beseitigung der Mängel gelegt.

Vorbild Hans-Beimler-Straße
Nur wenige Hundert Meter entfernt demonstriert die Kaufhalle in der Hans-Beimler-Straße, wie es besser geht. Hier räumt die Hallenleiterin jeden Morgen selbst Regale ein, wischt Böden und inspiziert die Auslagen. „Ich will mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt sie, „denn zufriedene Kunden sind die beste Werbung.“ Dieser Einsatz motiviere das Personal spürbar: Ein aufgeräumtes Sortiment, gepflegte Böden und freundliche Beratung sind hier gelebte Verkaufs- und Servicekultur.

Kundinnen und Kunden bestätigen: „Man geht gern hier einkaufen – weil man merkt, dass auf Sauberkeit geachtet wird.“

Zwischen Mangelwirtschaft und Eigenverantwortung
Der Kontrast zwischen den beiden Filialen verdeutlicht ein zentrales Dilemma: Mangelhafte Infrastrukturen und personelle Engpässe kennzeichnen das System, zugleich fehlt es bisweilen an Eigeninitiative und konsequenter Kontrolle. Die Kreishygieneinspektion kündigt an, künftig in hartnäckigen Fällen öfter unangemeldet zu prüfen und verbindliche Maßnahmenpläne einzufordern.

Ob Behördenvorgaben allein ausreichen, um flächendeckend Verbesserungen zu erzielen, bleibt fraglich. Klar ist jedoch: Eine funktionierende „Verkaufskultur“ – definiert als gelungene Mischung aus Organisation, technischer Ausstattung und fachlicher Kompetenz – lebt von der Identifikation aller Beteiligten. Und sie hängt nicht zuletzt am Engagement einzelner, die mit Putzlappen und persönlichem Einsatz dafür sorgen, dass der Einkauf zum Kulturgenuss wird – und nicht zum hygienischen Warnfall.

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