Zehn Wochen nach der Landtagswahl in Thüringen zeichnet sich ab, wie die künftige Landesregierung aussehen könnte. CDU, Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und SPD haben sich in intensiven Klausurverhandlungen auf die Grundzüge eines Koalitionsvertrags verständigt. Die Gespräche fanden in der Abgeschiedenheit des Berg- und Spa-Hotels Gabelbach im Ilm-Kreis statt, einem früheren DDR-Erholungsheim. Die Wahl des Ortes sollte offenbar für eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre sorgen.
Am Dienstagabend wurde das Fundament des rund 100 Seiten umfassenden Vertrags gelegt, der konkrete Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wirtschaft, Migration, Staatsmodernisierung, Soziales und kommunale Entwicklung umfasst. Die Details des Papiers sollen der Öffentlichkeit jedoch erst am Freitag vorgestellt werden. Ursprünglich war die Präsentation für Donnerstag geplant, doch die sogenannte „Vierer-Runde“ – bestehend aus CDU-Chef Mario Voigt, SPD-Vorsitzendem Georg Maier sowie den beiden BSW-Vorsitzenden Katja Wolf und Steffen Schütz – will zuvor noch eine abschließende Prüfung vornehmen.
Der Weg zur Entscheidung
Obwohl die inhaltlichen Verhandlungen als weitgehend abgeschlossen gelten, ist der Weg zur tatsächlichen Regierungsbildung noch nicht vollständig geebnet. Innerhalb der CDU wird ein Landesausschuss, bestehend aus Vorstandsmitgliedern, Kreisvorsitzenden und weiteren Funktionären, über den Vertrag entscheiden. Bei der BSW soll ein Parteitag am 7. Dezember darüber abstimmen. Die SPD plant, ihre Mitglieder in einem zweiwöchigen Verfahren über den Koalitionsvertrag entscheiden zu lassen.
Nach aktuellem Zeitplan soll der Thüringer Landtag im Dezember einen neuen Ministerpräsidenten wählen. Wer das Amt übernehmen wird und wie die Landesregierung künftig personell und organisatorisch aufgestellt ist, war jedoch während der Verhandlungen kein Thema.
Streitpunkte und Einigungen
Die Verhandlungen gestalteten sich intensiv, doch konnten wesentliche Streitpunkte bereits in den ersten Verhandlungsrunden geklärt werden. So einigte man sich etwa bei der Besteuerung von Agrardiesel im Bereich Landwirtschaft. Auch bei sensiblen Themen wie Demokratiebildung und -förderung wurden bis Dienstagabend offene Fragen ausgeräumt.
Die Zusammenarbeit zwischen den Parteien war nicht immer reibungslos. Vor allem Interventionen der BSW-Bundesvorsitzenden Sahra Wagenknecht sorgten in den letzten Wochen für Spannungen. Ihre Forderungen nach einer klaren Positionierung der Partei in Fragen von Krieg und Frieden sowie einem deutlichen Nein zur Stationierung von Mittelstreckenraketen stießen bei CDU-Vertretern teilweise auf Unmut.
Bildung und Wirtschaft als zentrale Themen
Ein zentraler Schwerpunkt des Vertrags ist die Bildungspolitik. Die Koalitionspartner planen verpflichtende Deutschtests vor der Einschulung, um sicherzustellen, dass kein Kind sprachlich benachteiligt ins Schulleben startet. Zudem soll der Thüringer Bildungsplan weiterentwickelt und die Unterrichtsqualität durch die Einstellung zusätzlicher Lehrkräfte verbessert werden.
Wirtschaftspolitisch setzen die Parteien auf eine Neuausrichtung der Förderpolitik, die durch regelmäßige Erfolgskontrollen effizienter gestaltet werden soll. Neue Transformations-, Technologie- und Innovationsfonds sollen Mittelstand und Industrie zukunftsfähig machen. Zudem ist geplant, die Meisterausbildung kostenfrei anzubieten und gezielt ausländische Fachkräfte anzuwerben, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Um den hochverschuldeten Landesetat zu stabilisieren, sollen Doppelhaushalte mit ressortübergreifender Prioritätensetzung beschlossen werden. Die Schuldenbremse soll angepasst, und Tilgungsfristen sollen verlängert werden. Eine Reform des Kommunalen Finanzausgleichs, die bereits in der vergangenen Legislaturperiode angestrebt wurde, wird ebenfalls in Angriff genommen.
Migration und Sicherheit
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Migrationspolitik. Die Koalition plant, die Erstaufnahmeeinrichtungen in Suhl und Eisenberg zu schließen und alternative Lösungen für die Unterbringung von Migranten zu finden. Kommunen sollen durch eine Erhöhung der Landeskapazitäten entlastet werden. Asylverfahren sollen beschleunigt und straffällige Ausländer konsequenter ausgewiesen werden.
Zur Verbesserung der Sicherheitslage in Thüringen sind zudem die Einstellung von 1.800 neuen Polizisten innerhalb der nächsten fünf Jahre und eine Modernisierung der Sicherheitsinfrastruktur geplant.
Ausblick: Ein Regierungsbündnis mit Signalwirkung?
Die Einigung zwischen CDU, BSW und SPD könnte ein Novum in der Thüringer Landespolitik darstellen. Das Bündnis aus einer traditionellen Volkspartei, einer linken Bewegung und der SPD könnte überregionale Signalwirkung entfalten. Doch ob die Zusammenarbeit langfristig erfolgreich ist, bleibt abzuwarten – insbesondere angesichts der noch ausstehenden internen Abstimmungen in den jeweiligen Parteien.
Klar ist, dass die potenziellen Koalitionäre vor großen Herausforderungen stehen. Die Balance zwischen Haushaltskonsolidierung, wirtschaftlicher Transformation, sozialen Anliegen und sicherheitspolitischen Maßnahmen wird eine anspruchsvolle Aufgabe. Der Koalitionsvertrag legt hierfür jedoch ein klares Fundament, das die künftige politische Ausrichtung Thüringens prägen könnte.
BSW entscheidet auf Parteitag über Koalitionsvertrag
Nach der Präsentation des ausgehandelten Koalitionsvertrags müssen die Parteigremien der beteiligten Parteien noch zustimmen. „Wir sind zuversichtlich, dass der Kompromiss eine breite Mehrheit finden wird“, hieß es aus Parteikreisen. Die CDU plant, den Vertrag durch einen Landesausschuss bestätigen zu lassen, während die SPD eine zweiwöchige Mitgliederbefragung durchführen will. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat für den 7. Dezember einen Parteitag angesetzt, auf dem die Abstimmung über den Vertrag erfolgen soll.
Im Vorfeld gab es Irritationen, da die Bundesführung unter Sahra Wagenknecht eigenmächtig 20 neue Mitglieder aufgenommen hatte, ohne den Thüringer Landesverband einzubeziehen. Nach MDR-Informationen wurde eine Einigung erzielt, wonach künftig auch die Regionalverbände Neumitglieder vorschlagen können, die der Bundesvorstand bestätigt. Wagenknecht selbst hatte sich kritisch zu einem ersten Entwurf des Koalitionsvertrags geäußert. Sie bemängelte, dass die friedenspolitischen Positionen ihrer Partei nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. In der ARD-Sendung Maischberger erklärte sie am Abend: „Der geplante Koalitionsvertrag unterscheidet sich meines Wissens nach deutlich vom Sondierungspapier.“
Aus der Landtagswahl in Thüringen im September ging die AfD mit 32,8 Prozent als stärkste Kraft hervor. Alle anderen Parteien schlossen Koalitionen mit der AfD jedoch aus. Die CDU erreichte 23,6 Prozent, das BSW 15,8 Prozent, die SPD 6,8 Prozent und die Linkspartei unter Ministerpräsident Bodo Ramelow 13,1 Prozent. Grüne und FDP scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Die geplante Koalition aus CDU, BSW und SPD verfügt über 44 von 88 Sitzen im Landtag. Damit ist die neue Regierung auf Stimmen aus der Opposition angewiesen, um Gesetze zu verabschieden.