Bleiben oder Gehen? Wie Menschen mit und ohne Migration die AfD sehen

Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) hat in einer neuen Kurzstudie mit dem Titel „Ablehnung, Angst und Abwanderungspläne – Die gesellschaftlichen Folgen des Aufstiegs der AfD“ alarmierende Befunde veröffentlicht. Die jüngsten Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen markieren den vorläufigen Höhepunkt einer gesellschaftlichen Spaltung, die das Land zunehmend in Unsicherheit versetzt. Die Studie wirft Licht auf die Meinungen der Bevölkerung zu den Zielen der AfD und auf die Konsequenzen, die viele Menschen für sich persönlich daraus ziehen. Eine wesentliche Erkenntnis der Studie ist, dass viele Bürgerinnen und Bürger, sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund, ernsthaft über eine Auswanderung aus Deutschland oder den Umzug in ein anderes Bundesland nachdenken. Dies betrifft besonders Menschen, die Angst vor einer politischen Machtübernahme der AfD haben.

Die Studie zeigt, dass die AfD keine breite ideologische Unterstützung hat. Extreme Positionen, etwa zur ‚Remigration‘, stoßen auf deutliche Ablehnung. Die bürgerlichen Parteien sollten sich also klar von der AfD abgrenzen. Um gravierende Folgen für Demokratie, Zusammenhalt, aber auch die Wirtschaft abzuwenden, sollten sie Lösungen bieten und jene ernst nehmen, die den Aufstieg der Partei mit Sorge sehen.

Prof. Dr. Sabrina Zajak, Leiterin der Abteilung Konsens und Konflikt

Bei den Landtagswahlen in Thüringen erreichte die AfD den Status als stärkste Kraft, in Sachsen verfehlte sie diesen nur knapp hinter der CDU. Der kontinuierliche Zuwachs der AfD in den vergangenen Jahren, besonders bei Europawahlen und Kommunalwahlen in ostdeutschen Bundesländern, zeigt eine besorgniserregende Tendenz.

Die DeZIM-Studie, die von Forscherinnen wie Prof. Dr. Sabrina Zajak und anderen renommierten Wissenschaftlern wie Prof. Dr. Andreas Zick und Prof. Dr. Matthias Quent durchgeführt wurde, basiert auf der Befragung von rund 3000 Personen und liefert klare Ergebnisse: Fast ein Viertel der Menschen mit Migrationshintergrund erwägt aufgrund des AfD-Aufstiegs, Deutschland zu verlassen. Unter den Menschen ohne Migrationshintergrund ist es immer noch jeder Zehnte. Bei vielen von ihnen sind diese Überlegungen nicht nur hypothetisch: Rund 10 % der befragten Menschen mit Migrationshintergrund und 2 % der Befragten ohne Migrationshintergrund haben bereits konkrete Abwanderungspläne.

Diese Analyse zeigt deutlich die Spaltung in der Gesellschaft. AfD-Sympathisanten stimmen im klaren Gegensatz zu allen anderen demografischen und politischen Gruppen dem rechtsradikalen Konzept der ‚Remigration‘, welches massenhaft Menschen umsiedeln will, eher zu. Die Stimmung erzeugt Angst und Auswanderungsgedanken bei Andersdenkenden. Zugleich zeigen die Daten, dass sich AfD-Anhänger für normal und nicht radikal halten.

Prof. Dr. Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld

Zusätzlich zeigt die Studie, dass viele Menschen überlegen, innerhalb Deutschlands den Wohnort zu wechseln, falls die AfD an der Landesregierung beteiligt wird. Ein Drittel der Befragten mit Migrationshintergrund denkt in einem solchen Szenario an einen Wegzug aus dem Bundesland. Auch bei der Gesamtbevölkerung sind diese Zahlen hoch, was die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen solcher Abwanderungen besonders in Ostdeutschland verschärfen könnte.

Die Studie zeigt auch, dass die Angst vor den Plänen der AfD zur „Remigration“ – einem zentralen Punkt ihres Parteiprogramms – weit verbreitet ist. Unabhängig von der Herkunftsregion fürchten rund 60 % der Befragten die Konsequenzen solcher Politik. Ein Großteil der Bevölkerung, rund 80 %, stuft die AfD zudem als extremistisch und rassistisch ein.

Wenn fast jeder Fünfte bei einem Sieg der AfD darüber nachdenkt, sein Bundesland zu verlassen, bedeutet dies gerade für Ostdeutschland einen kaum verkraftbaren Verlust an Wissen, Know-how und Wirtschaftskapazität. Zudem dürfte eine Gewinnung von Fachkräften bei einem solchen Image faktisch unmöglich werden.

Prof. Dr. Gert Pickel, Professor für Kirchen- und Religionssoziologie an der Universität Leipzig

Die Forscher warnen vor den weitreichenden gesellschaftlichen Folgen, die der Aufstieg der AfD nach sich ziehen könnte: Ein Verlust an Fachkräften, eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft und eine Destabilisierung des demokratischen Systems werden als potenzielle Risiken genannt. Prof. Dr. Gert Pickel betont insbesondere die dramatischen Auswirkungen auf Ostdeutschland, das mit einer weiteren Abwanderung von Wissen und Arbeitskraft zu kämpfen hätte.

Zentrale Ergebnisse zusammengefasst:

  • Auswanderungspläne: Erhebliche Teile der Bevölkerung denken angesichts des AfD-Aufstiegs über Auswanderung nach oder haben sogar bereits derartige Pläne: Fast jede vierte befragte Person mit Migrationshintergrund erwägt zumindest hypothetisch, Deutschland zu verlassen. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund trifft das immerhin noch auf mehr als jede*n zehnte*n zu (11,7 %). Der Anteil derer, die bereits konkrete Pläne gemacht haben, beträgt bei Befragten mit Migrationshintergrund 9,3 Prozent – also fast ein Zehntel. Bei Befragten ohne Migrationshintergrund trifft dies nur auf wenige zu (1,9 %).
  • Abwanderungspläne: Die Werte sind höher, wenn nach Überlegungen und Plänen für den Wegzug in ein anderes Bundesland gefragt wird – im Falle einer Regierungsbeteiligung der AfD im eigenen Wohnbundesland: Mehr als ein Drittel (33,8 %) der Befragten mit Migrationshintergrund spielt mit dem Gedanken, das Bundesland zu wechseln. Konkrete Pläne haben 12,5 % von ihnen, wobei dies für Menschen mit Herkunft aus dem arabischen Raum (24,1 %) und aus europäischen Nicht-EU-Staaten (15,3 %) besonders häufig zutrifft. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund denkt fast jede*r siebte (14,2 %) über einen Wegzug nach, ein geringer Teil (3,4 %) hat dazu konkrete Pläne.
  • Angst: Die meisten Befragten (84,9 %) lehnen die AfD-Pläne zur „Remigration“ ab. Sogar knapp drei von zehn AfD-Anhänger*innen (28,9 %) stehen diesen Plänen kritisch gegenüber. Die Ergebnisse zeigen, dass die Debatte um „Remigration“ bei knapp 60 % aller Befragten – unabhängig von der Herkunftsregion – Angst auslöst.
  • Ablehnung: Eine klare Mehrheit der Befragten stuft die AfD als demokratiefeindlich (72,4 %), rassistisch (80,0 %) und extremistisch (76,9 %) ein. Rund 71 % der Befragten sehen sie nicht als eine Partei „wie jede andere“ (70,8 %). Diese Einschätzungen sind weitgehend unabhängig von Faktoren wie Herkunft oder politischer Einstellung. Einzig AfD-Anhänger*innen bewerten dies anders.
FA-6191

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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