Das Jahr 2010: Günter Schabowski im Interview mit Peter Hahne

Bereits 2010 sprach Günter Schabowski, eine der zentralen Figuren der Wendezeit, in einem Interview mit Peter Hahne offen über die dramatischen Ereignisse rund um den 9. November 1989. Damals, als eine unfreiwillige Pressekonferenz die innerdeutsche Grenze öffnete, erkannte Schabowski selbst noch nicht die Tragweite seines Handelns – ein Schritt, der letztlich das Ende der DDR einleitete.

Ein historischer Moment und seine Folgen
Schabowski erinnert sich: „Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz war ich noch nicht imstande zu sagen, dass ich mit diesem Schritt das Ende der DDR bewirken wollte.“ Er räumt ein, dass er sich in den darauffolgenden Tagen und Wochen selbst Vorwürfe machte, er hätte – gestützt auf die damals gewonnenen Unabhängigkeitsgefühle und den dynamischen politischen Wandel – eventuell früher handeln können. Diese Selbstkritik zeigt, wie komplex und ambivalent der Prozess des Wandels für die Akteure war.

Politisches Engagement – Vergangenheit und Gegenwart
Auch Jahrzehnte nach der Wende blieb Schabowski politisch skeptisch. Zwar engagierte er sich 2001 in Berlin zugunsten der CDU, doch er sieht in der aktiven Parteipolitik der Bundesrepublik nichts mehr für sich.
„Die Zeit, in der man noch politischen Einfluss nehmen konnte, ist vorbei“, so seine klare Aussage. Für ihn zählen vielmehr die lehrreichen Erkenntnisse aus der Geschichte und die Rolle als Zeuge der Vergangenheit.

Kritik an gegenwärtigen politischen Strömungen
Ein zentrales Thema des Interviews war Schabowskis kritische Haltung gegenüber der Linkspartei. Er bemängelt, dass sich – so seine Einschätzung – im Kern der Partei noch Überreste der SED-Vergangenheit verbergen.
Auch die Beziehung zu Persönlichkeiten wie Joachim Gauck spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Schabowski betont, dass er Gauck durchaus als geeigneten Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten gesehen hätte. Für ihn verkörpere Gauck den nötigen Brückenschlag zwischen Ost und West, während gleichzeitig kritische Stimmen aus dem linken Spektrum, die Gauck ablehnten, sich zu sehr mit alten Systemidentitäten identifizieren würden.

Überwachung, Misstrauen und der Preis der Veränderung
Ein weiterer Aspekt, den Schabowski beleuchtet, ist das allgegenwärtige Klima der Überwachung in der DDR. Selbst innerhalb der Führungsetagen war das Misstrauen groß – ein System, in dem jeder bespitzelt wurde und politische Veränderungen mit argwöhnischer Vorsicht betrachtet wurden. Diese Erfahrungen prägen ihn noch heute und geben Einblick in die Mechanismen eines repressiven Regimes.

Schuld, Scham und der Blick in die Vergangenheit
In einem eindringlichen Moment gesteht Schabowski, sich für seine frühere Verbundenheit mit dem DDR-Staat zu schämen. „Ich schäme mich, dass ich damals all jene negativen Entwicklungen billigte“, erklärt er. Gleichzeitig macht er sich die Anerkennung bewusst, die ihm als öffentliche Figur auch in späteren Jahren zuteilwurde – eine ambivalente Mischung aus Kritik, Dank und manchmal auch Vergeltung.

Deutsche Einheit – Ein Erfolg trotz aller Widersprüche
Abschließend zieht Schabowski Bilanz: Die deutsche Einheit sei letztlich gelungen, auch wenn der Weg dorthin von Schwierigkeiten und widersprüchlichen Gefühlen geprägt war. Für ihn war die Wiedervereinigung nicht nur politisch notwendig, sondern auch ein Ausdruck des tiefen Bedürfnisses der Menschen nach Zusammengehörigkeit und Sicherheit.

Die Reflexionen des ehemaligen Politbüromannes zeigen eindrucksvoll, wie tief die Ereignisse der Wende auch nach zwei Jahrzehnten noch nachwirken – sowohl in der persönlichen Geschichte als auch in der politischen Landschaft Deutschlands. Schabowski bleibt dabei ein Mahnmal dafür, dass historische Umbrüche immer auch mit persönlichen Opfern, Fehlentscheidungen und der ständigen Herausforderung verbunden sind, die eigene Vergangenheit kritisch zu hinterfragen.

Autor/Redakteur: Arne Petrich
Für Anregungen, Verbesserungen oder Hinweise zum Beitrag schreiben Sie einfach eine Mail an coolisono@gmail.com! Bei Interesse an der Veröffentlichung eines Gastbeitrages ebenso!

Am meisten gelesene Beiträge