Das Automobilwerk Eisenach (AWE) ist ein Symbol für die Geschichte der Fahrzeugproduktion in der DDR. Es ist untrennbar mit der Stadt Eisenach verbunden, die nicht nur für ihre historische Bedeutung, sondern auch als bedeutende Industriestadt in der DDR bekannt wurde. Das Werk selbst war über Jahrzehnte hinweg ein bedeutender Arbeitgeber und prägte das Leben der Eisenacher. Die Geschichte des Werkes reicht bis ins Jahr 1896 zurück, als die Fahrzeugfabrik Eisenach gegründet wurde, aber die eigentliche Blütezeit begann erst mit der Übernahme durch BMW 1928 und später mit der Verstaatlichung nach dem Zweiten Weltkrieg. 1953 erhielt das Werk schließlich den Namen VEB Automobilwerk Eisenach, der bis zur Schließung 1991 bestehen blieb.
Eine Stadt im Werk
Das AWE war mehr als nur eine Produktionsstätte – es war eine Stadt in der Stadt. Die Fabrik beschäftigte bis zu 9.800 Menschen, und das in einer Stadt mit nur 45.000 Einwohnern. In vielen Familien war mindestens ein Mitglied im Werk tätig oder in irgendeiner Form direkt oder indirekt davon abhängig. Es gab kaum jemanden, der sich fragte, ob er im Werk eine Anstellung finden würde. Die Frage war vielmehr, in welcher Abteilung man arbeiten würde. Besonders begehrt war der Werkzeugbau, der als besserer Arbeitsplatz galt.
Die Arbeitsbedingungen im AWE waren typisch für die DDR, vor allem die so genannte „soziale Planwirtschaft“, die die Unternehmen dazu zwang, ihre Produktionsziele zu erfüllen, egal welche Schwierigkeiten dabei auftauchten. Dies führte zu einer ständigen Mangelwirtschaft, die das tägliche Leben im Werk und die Produktion prägte. Trotzdem schaffte es das Werk, die Menschen in Eisenach zu beschäftigen und auch internationale Anerkennung zu erlangen. Der Wartburg 353, eines der bekanntesten Fahrzeuge, das im AWE produziert wurde, wurde nicht nur in der DDR verkauft, sondern auch in viele andere Länder exportiert, darunter auch westliche Staaten wie Dänemark, Finnland, Spanien und Griechenland.
Der Alltag im AWE
Für viele junge Eisenacher war das Automobilwerk ein natürlicher Karriereweg. Olaf Börner, der 1979 seine Lehre zum Zerspannungsfacharbeiter begann, erinnert sich an die Ungewissheit, welche Abteilung er einmal übernehmen würde. „Die Frage, ob man übernommen wird, stellte sich nicht. Die Frage war eher, in welche Abteilung man kommt“, sagt er. Wer im Werkzeugbau landete, hatte es besonders gut. Der Werkstattbetrieb, das Schweißen, das Reparieren von Maschinen, all das war für viele eine Möglichkeit, sich zu qualifizieren und beruflich aufzusteigen.
Die Bedingungen in den ersten Jahren waren jedoch alles andere als einfach. Wie viele andere junge Arbeiter mussten auch sie eine vor-militärische Ausbildung in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) absolvieren, was für viele eine unangenehme, aber verpflichtende Erfahrung war. Trotzdem betont Börner, dass er den Lkw-Führerschein während dieser Zeit erwarb, was damals ein echter Vorteil war. „Ein Lkw-Führerschein im DDR-Markt war damals Gold wert“, so Börner, der diesen Vorteil bis heute zu schätzen weiß.
Die Arbeitsbedingungen im AWE waren nicht nur von Mangelwirtschaft geprägt, sondern auch von einem starken Gemeinschaftsgefühl. Viele der Arbeiter, die dort tätig waren, beschrieben das Werk als eine Familie. Es gab eine starke Solidarität, die sich in der Unterstützung während einer Hochwasser-Katastrophe Anfang der 1980er Jahre zeigte, als viele Fahrzeuge des Werks überschwemmt wurden. „Wir haben alle zusammengehalten, die Autos wurden geborgen, repariert und wieder aufbereitet“, erinnert sich Börner.
Die Mangelwirtschaft und die Folgen
Obwohl das AWE in seiner Blütezeit über eine hohe Produktionstiefe verfügte – man stellte Motoren, Karosserien und fast alles, was für die Fahrzeugproduktion nötig war, selbst her – litt das Werk unter den finanziellen Engpässen der DDR. Das Werk konnte oft keine modernen Maschinen oder Materialien einkaufen. Alles, was gebraucht wurde, musste im Werk selbst hergestellt werden, was zu einem enormen Druck auf die Ingenieure und Arbeiter führte. „Wir mussten aus nichts etwas machen“, sagt ein ehemaliger Ingenieur des Werkes. Besonders frustrierend war es für junge Ingenieure, die sich mit modernen Fahrzeugen identifizieren wollten, aber oft nur mit kleineren Verbesserungen und Reparaturen beschäftigt waren.
Die sozialen und politischen Missstände der DDR spiegelten sich auch in der Struktur des Werkes wider. Während die Arbeiter alles selbst produzierten, hatten die Führungskräfte in Berlin das letzte Wort, wenn es um Investitionen und Modernisierungen ging. Dies führte dazu, dass das Werk in den späten 1960er Jahren die Chance verpasste, sich langfristig mit modernen Fahrzeugtechnologien weiterzuentwickeln. Zwar war der Wartburg 353 in den 1960er Jahren ein modernes Auto, aber es fehlte an kontinuierlicher Weiterentwicklung, um mit internationalen Fahrzeugherstellern Schritt zu halten. Besonders ärgerlich war, dass andere sozialistische Staaten wie die Sowjetunion in den 1970er Jahren bereits modernere Fahrzeuge wie den Lada produzierten.
Die Konsequenz war, dass das AWE nicht nur auf die Produktion von Wartburgs angewiesen war, sondern auch mit den begrenzten Möglichkeiten kämpfte, die die DDR-Wirtschaft bot. Das führte dazu, dass das Werk zunehmend hinter den Erwartungen zurückblieb und sich schließlich in den späten 1980er Jahren auf den Ruinen einer einst florierenden Automobilproduktion wiederfand.
Der Übergang zu Opel
Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende der DDR im Jahr 1989 musste sich das Werk der neuen Marktwirtschaft anpassen. Die Wende brachte das Aus für viele ostdeutsche Unternehmen, auch für das AWE, das 1991 seine Produktion einstellte. Doch die Eisenacher Automobiltradition blieb nicht ganz verloren. Im Jahr 1992 wurde das Opel-Werk in Eisenach gegründet, das bis heute erfolgreich Fahrzeuge produziert.
Es ist eine bittersüße Erinnerung, dass viele der Arbeiter, die einst im AWE tätig waren, nun bei Opel arbeiteten, aber die große Tradition und die Eigenständigkeit des AWE verloren gingen. Ein wichtiger Teil der Eisenacher Industriegeschichte wurde durch die neuen wirtschaftlichen Bedingungen ausgelöscht, und die soziale und kulturelle Bedeutung des Werkes verblasste.
Das Erbe des AWE
Heute sind die meisten Gebäude des ehemaligen AWE entweder abgerissen oder verfallen. Doch ein Teil des Erbes des Automobilwerks lebt weiter. Die Stiftung Automobile Welt Eisenach, gegründet von Matthias Doth, dem ehemaligen Bürgermeister von Eisenach, hat einen Teil des Werkes als Museum erhalten. Besucher können dort die Geschichte der Fahrzeugproduktion in Eisenach nacherleben und einen Einblick in die Zeit des AWE erhalten.
Das AWE bleibt ein Symbol für die Herausforderungen und den Erfolg der Automobilproduktion in der DDR, aber auch für die Mangelwirtschaft und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die das Werk und seine Mitarbeiter durchlebten. Das Werk hat es geschafft, trotz der schwierigen Umstände erfolgreich zu produzieren, doch die fehlende Modernisierung und die politischen Fehlentscheidungen führten schließlich zum Ende der langen Tradition des AWE.