Schiffshebwewerk Niederfinow – Seltene Aufnahmen aus dem Jahr 1934

Niederfinow – Es ist ein Anblick, der staunen lässt: Ein gewaltiger Trog, gefüllt mit tausenden Tonnen Wasser und Lastkähnen, steigt oder sinkt lautlos in nur fünf Minuten 36 Meter empor oder herab. Das Schiffshebewerk Niederfinow, ein Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst, verbindet seit fast einem Jahrhundert die Stromgebiete von Oder und Havel und ist eine entscheidende Brücke im Wasserstraßennetz zwischen Oder und Elbe. Dieses Bauwerk ist nicht nur ein Denkmal technischer Brillanz, sondern auch ein Zeuge bewegter Geschichte.

Von mühsamen Schleusen zu gigantischen Liften
Die Notwendigkeit einer effizienten Überwindung des 36 Meter hohen Höhenunterschieds zwischen den Flusssystemen der Havel und der Oder prägte die märkischen Wasserstraßen seit Jahrhunderten. Bereits vor über 250 Jahren wurde auf Befehl Friedrichs des Großen mit dem Bau des Finowkanals begonnen, der die Havel mit der Oder verband. Doch dieser Kanal war schmal, kurvenreich und flach, und der Transport konnte Wochen dauern, da 19 Kanalschleusen zwischen Berlin und Hohensaaten passiert werden mussten – jede Schleusung bedeutete erheblichen Zeitverlust.

Die stetig wachsende Schifffahrt erforderte zur Jahrhundertwende eine leistungsfähigere Lösung. Der Hohenzollernkanal wurde gebaut, und eine vierstufige Schleusentreppe sollte den Höhenunterschied bewältigen. Damals als „ungeheurer Fortschritt der Wasserbaukunst gefeiert“, konnten hier immerhin vier Lastkähne von je 600 Tonnen gleichzeitig die Treppe nutzen. Doch die Durchleitung dauerte immer noch über zwei Stunden, und die Anlage litt unter ungünstigen Bodenverhältnissen und erheblichen Bauschäden. Schon 1928 reichte ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr aus; Frachtkähne warteten tagelang auf die Durchfahrt, selbst bei ununterbrochenem Tag- und Nachtbetrieb.

Die Geburt eines gigantischen Fahrstuhls
Die Antwort der Ingenieure war revolutionär: Statt eines erneuten Schleusenbaus, der höhere Kosten und größeren Wasserbedarf bedeutet hätte, entschied man sich für einen „richtigen Fahrstuhl für die Lastschiffe“. Im Sommer 1928 begannen die eigentlichen Bauarbeiten für das Schiffshebewerk Niederfinow. Die Errichtung der Stützpfeiler für die 157 Meter lange Kanalbrücke, die den Oberhafen mit dem Hebewerk verbindet und allein 4000 Tonnen Stahl erforderte, erwies sich als besonders kompliziert. Mehr als 20 führende Industrieunternehmen aus dem gesamten Deutschen Reich, darunter namhafte Firmen wie Krupp, die Gutehoffnungshütte, Siemens-Schuckert und AEG, beteiligten sich an diesem Großprojekt.

Nach siebenjähriger Bauzeit war es am 21. März 1934 soweit: Das Schiffshebewerk Niederfinow wurde feierlich eröffnet. Mit Kosten von 28 Millionen Reichsmark wurde es stolz als „weitaus größtes Schiffshebewerk der Welt“ und „einzigartige Glanzleistung deutscher Technik“ bezeichnet.

Ein Wunderwerk der Technik
Das 55 Meter hohe Bauwerk, das das Brandenburger Tor um rund 30 Meter überragen würde, ist eine Meisterleistung der Mechanik. Ein 85 Meter langer Schiffs-Trog, dessen mächtiges Tor allein 23 Tonnen wiegt, nimmt die Schiffe auf. Der Hubvorgang beginnt: Eine Schraubenspindel verankert den Trog mit dem Gerüst, während Stahlseile von 52 Millimetern Durchmesser die Last halten. Ausgleichsgewichte, die das gleiche Gewicht wie der Trog selbst haben – beeindruckende 4200 Tonnen –, sorgen für die präzise Bewegung. Unabhängig von der Anzahl oder Größe der Schiffe im Trog bleibt das Gesamtgewicht von Trog und Wasser immer konstant bei 84.000 Zentnern (ca. 4200 Tonnen), da jedes Schiff Wasser verdrängt, das seinem eigenen Gewicht entspricht. Mit einer Geschwindigkeit von 12 Zentimetern pro Sekunde steigt der Trog empor oder senkt sich herab, geführt von vier Rotoren mit Zahnrädern, die in sogenannte „Zahnstocher“ eingreifen.

Von Propaganda bis Denkmalschutz
Das Schiffshebewerk Niederfinow war schon zu NS-Zeiten ein beliebtes Ausflugsziel und wurde von der Propaganda überschwänglich als „Wunder deutscher Technik“ gepriesen. Selbst während des Zweiten Weltkriegs blieb das Hebewerk unbeschädigt, obwohl die Wasserstraßen durch Trümmer versperrt und Brücken zerstört waren. Der Betrieb wurde sofort nach Kriegsende fortgesetzt, nun unter sowjetischer Leitung.

In der DDR-Zeit setzte sich die Anziehungskraft fort: Jährlich kamen über 300.000 Ausflügler. Eine Besuchergalerie trug weithin sichtbar die Buchstaben „Den Sozialismus stärken den Frieden sichern“, doch das Fotografieren der Anlage war verboten. Die Havel-Oder-Wasserstraße blieb eine wichtige Ost-West-Wasserstraße. Das Hebewerk wurde und wird mit größter Sorgfalt gewartet, unter anderem von der VGB Elektrotechnik Magdeburg zu DDR-Zeiten. In 60 Jahren seines Bestehens gab es keine Havarien oder schweren Unfälle, und nur 36 Tage Ausfallzeit wurden verzeichnet, meist wetter- oder strombedingt.

Heute passieren jährlich etwa 19.000 Güterschiffe, vor allem polnische Frachter, das Hebewerk. Der Verkehr auf dieser Wasserstraße hat entgegen dem allgemeinen Trend zugenommen und zeigt weiterhin eine steigende Tendenz. Auch wenn das Schiffshebewerk in Zukunft rund um die Uhr betrieben werden soll, stößt es bald an seine Leistungsgrenze. Daher wird bereits eine noch größere Anlage geplant, wobei die genaue technische Lösung – ob ein neues Hebewerk, ein Aufzug oder eine Schleusentreppe – noch offen ist.

Der „kolossale Schiffsfahrstuhl“ von Niederfinow steht heute unter Denkmalschutz. Er bleibt als ingenieurtechnisches Zeugnis der Wasserbaukunst erhalten und wird so lange wie möglich weiterarbeiten – ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Technik und Geschichte Hand in Hand gehen.