Sachsenring, Herbst 2020. Edles Blech und Chrom glänzen im herbstlichen Licht auf dem kühlen Sachsenring. Ein außergewöhnliches Treffen zieht die Blicke auf sich: 23 ehemalige Regierungsfahrzeuge der DDR haben ihren großen Auftritt. Unter ihnen zahlreiche Volvos, wie der Volvo 270 von Wolf-Michael, der seit seiner Jugend eine Faszination für diese Fahrzeuge hegt und sich 1985 schwor, eines Tages selbst solch ein Auto zu besitzen. Doch warum setzte der DDR-Staatsapparat überhaupt auf teure West-Limousinen, statt auf heimische oder sowjetische Modelle? Eine Spurensuche.
Luxus auf Rädern: Warum der Westen? Die Antwort auf diese Frage ist vielschichtig. Björn Herrmann, Autor des Buches „Autos in der DDR“, erklärt, dass die sowjetischen Fahrzeuge, wie der Chaika, technisch nicht mehr weiterentwickelt wurden. Sie galten oft als „technisch abgängig“ und waren zudem „verbrauchsintensiv“. Auch der in der Tschechoslowakei entwickelte Tatra 613 konnte die Führung nicht überzeugen; ein Minister soll kritisiert haben, er „klingt [und] beschleunigt wie in der Kabelnuss“, womit er aus dem Rennen war. Westliche Staatskarossen waren zudem schlichtweg repräsentativer. So deckte sich die Partei- und Staatsführung mit harten Devisen im neutralen Schweden mit Volvo-Fahrzeugen und in Frankreich bei der Firma Citroën ein.
Hinter den Kulissen: Wartung und Privilegien Der Umgang mit diesen Luxuswagen war ein Privileg weniger. Erich Honeckers ehemaliger Bodyguard und Chauffeur, Bernd Brückner, nahm an Fahrsicherheitstrainings teil, bei denen extra angeschaffte Übungsfahrzeuge „vorsätzlich im Jargon verschrottet“, also kaputt gefahren wurden – ein Anblick, der selbst für die involvierten DDR-Bürger schmerzlich gewesen sein muss. Die Wartung der West-Karossen oblag der hauseigenen Fahrbereitschaft. Da der Service und die Durchsicht nicht aus dem Westen vorgegeben wurden, mussten sich die Mechaniker, Meister und Ingenieure der Fahrbereitschaft selbst in die Fahrzeuge einarbeiten. Wolfgang Bessler, der seit den 70er Jahren in Honeckers Fahrbereitschaft arbeitete und dort seine Ausbildung zum KFZ-Schlosser absolvierte, war fasziniert von der Technik.
Für den jungen Mechaniker aus Oranienburg bot sich kurz nach seiner Hochzeit 1979 eine unglaubliche Chance: Er und drei Kollegen durften ins westliche Ausland reisen. Sie wurden für zwei Wochen nach Paris geschickt, um sich mit französischer Autotechnik vertraut zu machen. Die Eindrücke waren für den damals 26-Jährigen überwältigend – vom Eiffelturm über den Arc de Triomphe bis hin zu Fahrten mit der Metro und Abenden in kleinen Etablissements. Danach ging es weiter zum Lehrgang ins weniger aufregende Schweden, bevor die Männer auf dem Rückweg die neuesten Volvo-Modelle für den Partei- und Staatsratsvorsitzenden selbst überführten.
Komfort für die Bonzen, Rumpeln für das Volk Obwohl der Großteil des Polit-Fuhrparks aus Volvos bestand, entwickelte sich Erich Honecker in den 80er Jahren zum Fan der französischen Citroëns. Besonders die hydropneumatische Federung dieser Fahrzeuge bot ein unvergleichliches Fahrgefühl – „fahren wie Gott in Frankreich“, selbst auf den mangelhaften Straßen der DDR. Dies stand im krassen Gegensatz zur Realität der meisten DDR-Bürger, die sich mit Trabanten und Wartburgs begnügen mussten. Der ehemalige Honecker-Bodyguard Bernd Brückner erinnert sich an den Unterschied: „Wir haben es mitbekommen, wir sind im Trabant dann, wenn wir frei hatten, die gleiche Strecke land gefahren und der Trabant verhält sich anders beim Durchfahren von Schlaglöchern“. Diese Diskrepanz führte zu Frust in der Bevölkerung. Garrett Kaul, Oldtimer-Fachmann, berichtet, dass hinter vorgehaltener Hand oft zu hören war: „Die Bonzen fahren solche ganzen Autos, wir müssen diese Therapieform des Grab zu holen“.
Vom Hassobjekt zum Kultobjekt: Der Wandel der Wahrnehmung Doch die Zeiten haben sich geändert. Waren die „Bonzen-Autos“ vor 20 Jahren noch Zielscheibe von Wut und Zerstörung, freuen sich heute die Menschen. Regelmäßige Treffen der heutigen Besitzer dieser Staatskarossen, wie 2017 in Dresden, stoßen auf große Freude bei den Passanten. Für Rolf Marke, einen der heutigen Besitzer, ist es mehr als nur Ostalgie: „Diese Fahrzeuge waren für den Normalbürger unerreichbar. Und heute ist es so, dass wir an so einem Tag ganz einfach nur zum Spaß mit diesen Autos herumfahren“. Die Fahrzeuge, einst Symbole der unerreichbaren Macht, sind nun „im wahrsten Sinne des Wortes in Volkes Hand“, stiften Freude und schaden niemandem mehr. Selbst wenn 2020 viele Aktionen pandemiebedingt ohne großes Publikum stattfinden mussten, genießen die Besitzer die Spritztouren mit ihren liebevoll gepflegten DDR-Staatskarossen. Die ehemaligen Luxus-Liner des Politbüros sind heute ein Stück gelebte Geschichte auf vier Rädern, das Faszination statt Groll weckt.