Die letzten Zeugen: Erinnerungen an Krieg und Zerstörung in Chemnitz

Ursula und Gottfried Heiner sind Zeitzeugen, deren Erinnerungen ein lebendiges, wenngleich schmerzhaftes Bild der Kriegs- und Nachkriegszeit in Chemnitz zeichnen. Ihre Schilderungen aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs und der unmittelbaren Nachkriegszeit geben Einblicke in den Alltag unter Bombenangriffen, die Zerstörung der Stadt und die Herausforderungen des Wiederaufbaus.

Beide wurden in Chemnitz geboren. Gottfried wuchs auf der Fürstenstraße 30 in einem großen Eckhaus auf. Ursula wurde in dem Bereich von Chemnitz geboren, der heute noch zum Sonnenberg zählt, am Thomas-Mann-Platz, Sachsenallee auf der Palmstraße. Gottfried erinnert sich an das Spielen auf dem Kronplatz in seiner Kindheit. Kennengelernt haben sich Ursula und Gottfried erst 1957/58, als Gottfried den Chor des Fritz-Heckert-Auslandes besuchte, dem auch Ursulas Zwillingsschwester und älterer Bruder angehörten. Sie verlobten sich 1960 und heirateten 1961.
Die schwierigste Zeit ihres Lebens war die Kriegszeit. Besonders die Jahre 1943/44 und 1944/45 waren von Angst geprägt. Nachrichten über die Bomberverbände, die auf Chemnitz zusteuerten, erhielten sie über das Radio der Eltern, auf das diese stolz waren.

Leben im Keller
Ein Großteil der Kriegszeit, besonders während der Angriffe, verbrachten die Familien im Keller. Bei Fliegeralarmen, die meist abends oder nachts kamen, wurden die Kinder geweckt. Man zog sich so viel wie möglich an. Jedes Kind hatte ein Schild mit Namen, Adresse und Benachrichtigungsperson im Notfall, das manchmal unter dem Mantel versteckt wurde. Ein kleiner Koffer mit dem Nötigsten, wie Zwieback und Spielsachen, wurde in den Keller mitgenommen. Ursulas Mutter richtete den Keller häuslich ein, mit Korbsessel, Kinderstühlen und Tischen. Der Keller wurde zur „zweiten Wohnung“.

Die Zustände in den Kellern waren schwierig: Es war dunkel, stickig und feucht. Das Licht fiel oft aus. Man wartete dort, bis Entwarnung gegeben wurde, um nach Hause zu können. Manchmal wurden Schulkinder von der Schloßstraße über den Schillerplatz nach Hause geschickt, was in der damaligen Situation äußerst gefährlich war. Ursula erinnert sich, wie ihre Mutter zu Hause in Todesangst wartete, wenn sie nicht gleich zurückkam.

Der Bombenangriff vom 5. Februar
Ein besonders einschneidendes Ereignis war der Bombenangriff am Nachmittag des 5. Februar. Eine Sprengbombe schlug in das gegenüberliegende Haus Palmstraße 7-9 ein. Als Kinder gingen sie hinüber und hörten, dass Menschen verschüttet waren. Sie wurden schnell wieder weggeschickt, doch die Schreie und der Gedanke an die Verschütteten sind Ursula bis heute im Gedächtnis geblieben.

Beim eigentlichen großen Bombenangriff am 5. März (gemeint ist vermutlich der 5. März 1945, der Hauptangriff auf Chemnitz) suchte Ursula Schutz unter einem Tisch, den sie für sicher hielt. Sie zog sich eine Decke über den Kopf. Als sie aufstehen wollte, konnte sie den Kopf nicht heben – sie war von einem Brett oder Ähnlichem bedeckt. Die Sorge, verschüttet zu sein, hat sie bis heute nicht vergessen.

Während eines Angriffs in der Nachbarschaft wurde die dortige Kirche bombardiert und stürzte ein; der Druck der Detonation drückte die Menschen in einem großen Einraum-Luftschutzraum nach hinten.

Zerstörung und Flucht
Die Zerstörung nach den Angriffen war immens. Ursulas Opa stellte fest, dass ihr Haus kein Zuhause mehr war – die halbe Wand war weggebrochen, Dielen und Möbel heruntergefallen. Man konnte vom Keller aus durch die fehlenden Türen und Fenster den blutroten Himmel über dem zerstörten Stadtzentrum sehen. Im gegenüberliegenden Haus, in dem ein Freund von Ursula wohnte, gab es Weihnachten 1944 ebenfalls Zerstörungen.

Nach der Zerstörung ihres Hauses mussten sie es räumen. Man hatte im Hinterhaus ein Loch im Dach entdeckt, aber da es keine Explosion gab, vermutete man einen Blindgänger. Sie packten das Notwendigste in einen Handwagen: Koffer mit Kleidung, vor allem warme Sachen, Decken und Betten. Sie wanderten im Finstern und in der Kälte nach Hartmannsdorf. Dort fanden sie zunächst Unterschlupf bei Freunden und später ein Zimmer.

Der Weg war beschwerlich. Sie zogen mit dem Handwagen weiter. Später führte ihr Weg von Hartmannsdorf über Gutensborn und schließlich zurück in Richtung Chemnitz, über die Uhlandstraße und den Lessingplatz ins Chemnitztal. Dort gerieten sie in den nächsten Angriff und suchten Schutz in einem Luftschutzraum. Der Keller war voll. Sie wurden immer weiter nach hinten gedrückt. Sie entkamen dem Angriff, indem sie über Höfe Richtung Chemnitztal flohen.

Ihre Flucht führte sie weiter über Großolbersdorf zu einem Bauernhof, wo sie in der Scheune Unterschlupf fanden, versorgt wurden und dort übernachteten. Nach mehreren Tagen unterwegs kamen sie im Schlosshof an, der ebenfalls zerstört war. Von dort wurden sie nach Rathendorf vermittelt, wo sie ein Zimmer fanden und die restliche Kriegszeit verbrachten. Ursulas Vater, der als Schneider arbeitete, konnte dort weiter seinen Beruf ausüben und erhielt Lebensmittel statt Geld. Trotzdem war die Situation materiell schwierig.

Rückkehr und Wiederaufbau
Die Rückkehr nach Chemnitz erfolgte 1947. Ihre Wohnung im zweiten Stock war beschädigt, Wände mussten hochgezogen werden. Erst Jahre später stürzte dort noch einmal etwas ein.

Auf ihrem Weg aus Chemnitz heraus, auf der damaligen Dresdner Straße (heute Hainstraße), sahen sie zwei zugedeckte Leichen im Vorgarten liegen. Das war das erste Mal, dass Ursula tote Menschen sah – ein schlimmes Erlebnis.

Die Rolle der Frauen
Ursula Heiner betont besonders das Leiden der Frauen in dieser Zeit. Während die Männer im Krieg waren oder gefallen, mussten die Frauen allein die Kinder großziehen und versorgen. Sie hatten oft nichts zu essen, aber wenn sie zurückkamen, hatten sie es geschafft, die Wohnung wieder herzurichten und Möbel zu besorgen. Die Frauen waren die „heimlichen Helden“.

Nach der Zerstörung beteiligten sich die Frauen aktiv am Wiederaufbau. Ursula erinnert sich, dass ihre Mutter mit anderen Frauen Putz von Ziegeln kratzte, die dann wiederverwendet wurden. Sie reparierten die Eingänge und das Waschhaus hinten im Hof. Sie arbeiteten gut zusammen. Auch die Beschaffung von Lebensmitteln über Lebensmittelkarten war eine ständige Herausforderung. Frauen standen Schlange vor Bäckereien und teilten sich auf, um an Brot zu gelangen.

Trotz all der Schwierigkeiten und der Angst gab es auch Momente, in denen das kindliche Spiel möglich war, wie im Sandkasten auf dem Kronplatz oder das Anmalen des Kriegerdenkmals.

Die Erinnerungen von Ursula und Gottfried Heiner sind ein wichtiges Zeugnis der Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung und der Widerstandsfähigkeit der Menschen in Chemnitz. Sie gehören zu den „letzten Zeugen“, deren Berichte die Geschichte lebendig halten.