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Fährhafen-Bahnhof Warnemünde: Ein Kapitel deutscher Eisenbahngeschichte

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Der Bahnhof Warnemünde liegt fast direkt am Ostseestrand und prägt seit jeher das Bild des gleichnamigen Ortsteils der Hansestadt Rostock. Heute ist er Endpunkt der Linien S1, S2 und S3 der S-Bahn Rostock – doch bis April 1995 war er weit mehr: Ausgangspunkt der berühmten Fährverbindung nach Gedser in Dänemark.

Als um 04:48 Uhr die Schlepper die „Warnemünde“ rückwärts aus dem alten Fährhafen manövrierten, endete eine Ära, die 1963 mit der Indienststellung dieses legendären Eisenbahn-Fährschiffs begann. Vier Dieselmotoren aus Halberstadt leisteten knapp 10.000 PS und katapultierten das 317 Meter lange Schiff auf bis zu 21 Knoten. Im Bauch des Rumpfs lagen drei Gleise bereit – Platz für bis zu elf D‑Zug‑Wagen oder 31 Güterwagen. Zwischen Lok und Achterdeck drängten sich Eisenbahnwaggons und Automobile auf engstem Raum, ein Schauspiel, das Technikfans und Fotografen gleichermaßen fesselte.

Für die Lübeck-Büchener Eisenbahn (LBE) war der Museums-Doppelstockzug ein Markenzeichen dieser Verbindung: Seine Bauart nach dem Krieg diente als Vorbild für spätere Doppelstock-Reisezüge der Deutschen Bundesbahn. Zu den letzten großen Transporten im Frühjahr 1995 gehörte die Verschiffung des SVT 175, den wir damals ausführlich für unsere Aufnahmen begleitet haben. Der Schnelltriebwagen, kunstvoll auf die Fähre rangiert, war Sinnbild des Abschieds.

Wirtschaftliche Gründe führten schließlich zur Einstellung der Route: Größere Frachtschiffe und spezialisierte Logistikzentren machten das kombinierte Eisenbahn‑Fährkonzept unwirtschaftlich. Während die Fähren nach Gedser seltener wurden, wuchs das Angebot am nahegelegenen Rostocker Seehafen: Heute starten von dort Linien nach Schweden, Dänemark, Finnland, Estland und Lettland, und Rostock zählt mit vier Hafenbecken zu den größten deutschen Umschlagplätzen.

2003 wurde die „Warnemünde“ abgewrackt – ihre Maschinen und Stahlträger fanden im Schrotthandel ein neues Leben. Doch die Erinnerung an diese Pionierleistung bleibt lebendig: Eisenbahn-Enthusiasten lassen die alten Gleise des Fähranlegers bei Sonderfahrten wieder erklingen, und Historiker würdigen das logistische Feingefühl jener Zeit.

Der Bahnhof Warnemünde mag heute vor allem als S‑Bahn-Terminus dienen, doch seine Geschichte ist weit mehr als ein Haltepunkt am Ostseestrand. Sie ist ein Mahnmal für ein Kapitel deutscher Verkehrsentwicklung, in dem Schiene und Schiff zu einer untrennbare Einheit verschmolzen – und deren Nachhall noch immer in den sanften Wellen der Warnow liegt.

Sabotage oder Unfall? Die ungeklärte Kollision der MS Magdeburg

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Die Kollision der MS Magdeburg mit der Yamashiro Maru bleibt ein faszinierendes Mysterium des Kalten Krieges, das zahlreiche Aspekte beleuchtet – von den unmittelbaren Ereignissen des Unglücks bis hin zu Spekulationen über geopolitische Intrigen.

Kontext der Kollision
Am 27. Oktober 1964 stieß die MS Magdeburg, ein Frachter der DDR, auf seiner Reise von London nach Havanna mit der japanischen Yamashiro Maru in der Themsemündung zusammen. Geladen mit britischen Leyland-Bussen für Kuba, war die Magdeburg ein Symbol des Handels zwischen sozialistischen Staaten und dem Westen, insbesondere angesichts des US-Embargos gegen Kuba.

Die Yamashiro Maru, die auf der falschen Seite der Themse fuhr, rammte die Steuerbordseite der Magdeburg. Trotz der massiven Schäden konnten alle 57 Besatzungsmitglieder der Magdeburg das Schiff verlassen, bevor es sank.

Technische und logistische Herausforderungen
Die Bergung des Wracks wurde zu einem deutsch-deutschen Projekt. Ein riesiger Schwimmkran der Hamburger Firma Harms und ein Team aus DDR-Experten waren beteiligt. Die komplizierte Operation unterstrich den technologischen und logistischen Aufwand, der in Zeiten getrennter Systeme eine seltene Zusammenarbeit zwischen BRD und DDR erforderte.

Trotz der erfolgreichen Bergung war das Schiff schwer beschädigt und wurde letztendlich in einem Sturm vor der französischen Küste endgültig zerstört, während es zum Verschrotten unterwegs war.

Ungereimtheiten und offene Fragen
Die Untersuchungen der DDR-Seekammer kamen zu einem klaren Ergebnis: Die Yamashiro Maru war für den Unfall verantwortlich. Doch die Ergebnisse der britischen Hafenbehörde blieben geheim, und widersprüchliche Aussagen der Lotsen trugen zur Verwirrung bei.

Spekulationen über eine CIA-Beteiligung verschärften die Debatte. Im Kontext des Kalten Krieges wurde vermutet, dass die Kollision inszeniert wurde, um die Lieferung nach Kuba zu sabotieren. Berichte des US-Journalisten Jack Anderson sowie Hinweise auf ähnliche Vorfälle stützten diese Theorie, auch wenn offizielle Stellen sie stets dementierten.

Symbol der Ära
Die Geschichte der MS Magdeburg steht sinnbildlich für die Spannungen des Kalten Krieges. Sie zeigt, wie wirtschaftliche Interessen, Geheimhaltung und geopolitische Konflikte die Wahrheitsfindung erschwerten. Die widersprüchlichen Berichte und das Verschwinden von Dokumenten verstärken den Eindruck eines Ereignisses, das in den Nebeln der Geschichte verborgen bleibt.

Die Ereignisse um die MS Magdeburg illustrieren die Schwierigkeit, historische Wahrheiten im Spannungsfeld von Propaganda und geopolitischer Rivalität zu entschlüsseln. Sie laden dazu ein, die Komplexität dieser Zeit und die menschlichen wie politischen Dimensionen solcher Unglücke genauer zu betrachten.

Auf den Spuren Goethes: Der Luisenturm am Hummelsberg in Thüringen

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Ein sanfter Morgennebel legt sich über die weitläufigen Wälder und Felder der Ilm-Saale-Platte, als Wanderer den Pfad hinauf zum Hummelsberg einschlagen. Auf 514 Metern erhebt sich hier, weithin sichtbar, der 18 Meter hohe Luisenturm – ein steingewordener Zeuge romantischer Landschaftsbegeisterung im Herzen Thüringens.

Ein Denkmal der Spätromantik
Errichtet 1864 zur Erinnerung an Luise Freiin von Stein, Enkelin von Goethes Vertrauter Charlotte von Stein, wurde der Luisenturm von James Patrick von Parry gestiftet. Mit seinen burgartigen Zinnenmauern verleiht er dem Hummelsberg eine mittelalterliche Atmosphäre und erinnert an die enge Verbindung zwischen Weimarer Klassik und aristokratischer Landschaftspflege.

Architektur und Aussichtsplattform
Eine schmale Wendeltreppe mit 78 Stufen führt hinauf zur Aussichtsplattform. Wer den Aufstieg meistert, wird mit einem atemberaubenden Panorama belohnt: Das Saaletal breitet sich aus, weiter hinten erheben sich die Höhenzüge von Frankenwald und Thüringer Wald. An klaren Tagen reicht der Blick sogar bis zum Brocken im Harz und lässt die Silhouette Weimars am Horizont ahnen.

Landschaft und Lage
Der Hummelsberg dominiert als höchste Erhebung die Umgebung zwischen Groß- und Kleinkochberg und gehört zur Gemeinde Uhlstädt-Kirchhasel im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Während das Gelände im Norden in eine sanfte Hochfläche übergeht, fallen die Südhänge steil ins Tal ab – perfekte Bedingungen für abwechslungsreiche Wanderungen und faszinierende Ausblicke.

Goethe-Wanderweg und Kulturlandschaft
Der Luisenturm liegt direkt am Goethe-Wanderweg Weimar–Großkochberg, der Etappe für Etappe Orte miteinander verbindet, in denen Goethe weilte oder die sein Freundeskreis prägte. Dieser kulturhistorische Pfad verwebt Naturgenuss mit literarischer Spurensuche und zieht jedes Jahr zahlreiche Kulturliebhaber an. In Großkochberg lädt zudem das Schloss Hirschhügel, einst Wohnsitz Luise von Steins, zu einem weiteren Abstecher in die weimarische Geschichte ein.

Engagement der Region
In den späten 1970er-Jahren drohte der Turm dem Verfall zu verfallen. 1979 gründeten engagierte Bürger den „Freundeskreis Luisenturm“, der sich seither um Erhaltungsmaßnahmen kümmert. Besonders aufwendig gestalteten sich die Mauerwerksfugenarbeiten 2006 – realisiert ganz ohne öffentliche Fördermittel. Heute sorgt die lokale Initiative dafür, dass der Luisenturm auch künftigen Generationen als historisches Denkmal und Aussichtspunkt erhalten bleibt.

Besuch und Ausblicke
Ein Besuch des Luisenturms ist nahezu kostenlos: Für eine kleine „Kasse des Vertrauens“ von etwa 0,50 Euro kann jeder die Plattform besteigen. Die Öffnungszeiten richten sich nach Witterung und Jahreszeit – im Winter ist auf vereiste Stufen zu achten. Ob zum Sonnenaufgang oder in der goldenen Abendstimmung, auf einfachen Sitzbänken entfaltet sich hier ein Naturschauspiel, das Besucher in seinen Bann zieht.

Der Luisenturm auf dem Hummelsberg vereint Architektur, Literaturgeschichte und Naturerlebnis auf wenigen hundert Metern Höhe. Mehr als nur ein Aussichtspunkt, ist er ein lebendiges Denkmal romantischer Landschaftssehnsucht und ein stiller Begleiter auf den Spuren Goethes – ein Ort, an dem sich Thüringens grüne Weiten aus ungewohnter Perspektive erschließen.

Rostocker Stadthafen: Von mittelalterlichem Handelsplatz zum lebendigen Kulturforum

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Rostock. Als sich im 12. Jahrhundert die ersten deutschen Kaufleute an der Ostseeküste niederließen, ahnten sie kaum, dass sie den Grundstein für einen der bedeutendsten Seehäfen Norddeutschlands legen würden. Heute, fast tausend Jahre später, ist der Rostocker Stadthafen weit mehr als ein Umschlagplatz für Waren: Er ist ein pulsierendes Kulturzentrum, Treffpunkt für Einheimische und Touristen und Bühne für eine lebendige maritime Wirtschaft.

Historische Entwicklung: Aufstieg und Fall im Wandel der Zeiten
Im Hochmittelalter galt Rostock dank seines Hafens als einer der wichtigen Handelsplätze der Hanse. Bis 1870 wuchs die Rostocker Flotte auf 369 Segelschiffe an – damals die größte Anzahl im gesamten Ostseeraum. Doch der Siegeszug der Dampfschiffe und das wirtschaftliche Gefüge im neugegründeten Deutschen Reich führten zu einem überraschenden Paradox: Während die Stadt selbst florierte, ging der Anteil Rostocks am gesamtdeutschen Güterumschlag zurück.

Um den Anschluss nicht zu verlieren, baggerte man um 1900 die Fahrrinne auf fünf Meter Tiefe aus und schuf neues Kai- und Lagerareal durch Zuschüttungen im Fischer- und Christinenhafen. Bis 1927 entstanden moderne Fischereihallen und eine verlängerte Kai-Linie bis zur Neptunwerft, die den Hafen in seiner Struktur prägten.

Während der NS-Zeit verlagerte sich der Warenverkehr hin zu Rüstungsmaterialien. Getreideexporte wurden 1934 untersagt, stattdessen dominierten Eisen und Treibstoff für Heinkel-Flugzeugwerke. Die Bombardements im Frühjahr 1942 zerstörten zwar große Teile der Stadt, verfehlten den Hafen jedoch weitgehend – dennoch bedeutete die Zerstörung von Straßen und Infrastrukturen eine massive Belastung für das Hafengelände.

Sowjetische Ära: Reparationen und Sperrgebiet
Unmittelbar nach Kriegsende stand der Stadthafen im Fokus sowjetischer Reparationen. Bereits im Frühjahr 1946 begann die Demontage von Industrieanlagen, und der Hafen diente fast ausschließlich dem Abtransport dieser Güter in die UdSSR. Erst 1953 kehrte die Kontrolle offiziell in DDR-Hand zurück, doch blieb das Gelände Sperrgebiet – eingezäunt, bewacht und für die Bevölkerung nur begrenzt zugänglich. Zeitzeugen erinnern sich, wie Segelvereine auf der Warnow dennoch zwischen Wachtürmen ihre Bahnen zogen und die Kinder heimlich die großen Zauntore umschifften, um das Wasser zu genießen.

DDR-Expansionspläne und Neubeginn
In den späten 1950er Jahren entschied die DDR-Führung, Rostock zum Zentrum des Überseehandels zu machen. Ein neuer Überseehafen auf der Ostseite der Warnow wurde geplant und 1960 eröffnet. Seither verstand man unter „dem Rostocker Hafen“ vor allem dieses moderne Umschlagterminal, während der alte Stadthafen als Importhafen für Versorgungsgüter der sowjetischen Armee weiterlief.

Nach der Wende: Vom Wirtschaftsmotor zum kulturellen Herzstück
Mit dem Fall der Mauer begann auch für den Stadthafen eine neue Phase: Die wirtschaftliche Bedeutung schrumpfte, Gewerbe verlagerten sich, Lagerhallen verwaisten. Doch die historischen Kai-Anlagen und Silhouetten eigneten sich hervorragend als Kulisse für städtebauliche Visionen. Seit 1992 diskutiert die Hansestadt über Konzepte für eine Nachnutzung – vom Archäologischen Landesmuseum bis hin zur Bundesgartenschau (BUGA).

Heute ist der Stadthafen ein Aushängeschild Rostocks: Traditionssegler liegen hier ebenso vor Anker wie Ausflugsschiffe, und jedes Jahr zieht die Hansa Sail tausende Besucher an die Kaimauer. Cafés und Gastronomiebetriebe beleben die alten Backsteinbauten, Kunstinstallationen und Open-Air-Veranstaltungen machen das Areal zu einem lebendigen Quartier.

Zukunftsausblick: Zwischen Denkmalpflege und Innovation
Die bevorstehende Bundesgartenschau wirft ihre Schatten voraus: Geplante Grünflächen, temporäre Pavillons und eine neue Promenade sollen den Hafen weiter öffnen und für noch mehr Besucher attraktiv machen. Gleichzeitig mahnen Denkmalschützer, die historische Substanz nicht dem Kommerz zu opfern.

Rostocks Bürgermeister betont, dass der Stadthafen „nicht nur Erinnerung, sondern Auftrag“ sei. Er könne einen Beitrag leisten zur Identität der Stadt, indem er Geschichte erlebbar macht und Raum für Kreative, Nachbarn und Besucher bietet. Die Herausforderung wird darin bestehen, urbane Entwicklungsimpulse mit Respekt vor der historischen Hafenstruktur zu verbinden.

Vom mittelalterlichen Handelsplatz über Sperrgebiet und Industriehafen bis zum heutigen Kulturmagneten: Der Rostocker Stadthafen erzählt die wechselvolle Geschichte einer Stadt im Wandel. Und auch in Zukunft wird er, zwischen Backsteinromantik und maritimer Lebendigkeit, ein Ort bleiben, an dem Rostocker und Gäste gleichermaßen die Seele der Hansestadt unmittelbar am Wasser spüren.

Wenzel & Band “Lebensreise” – Gemeinschaft, Kreativität und Engagement am Hafen von Kamp

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Am frühen Morgen, immer jedes Jahr zum Sommerbeginn, öffnet sich an der mecklenburgischen Küste ein Tor zu einer fast utopischen Welt: Der kleine Hafen von Kamp, unweit der Insel Usedom, erwacht zum Klang von Gitarren, Trompeten und Schlagzeug. Hier, zwischen knarrenden Bootskufen und Möwenschreien, hat Wenzel, einer der profiliertesten Liedermacher Deutschlands, gemeinsam mit seiner Band und dem lokalen Hafenverein ein Festival geschaffen, das weit mehr ist als nur ein Konzert – es ist ein lebendiges Beispiel für gelebte Gemeinschaft.

Musik als soziale Utopie
„Eine Band ist für mich eine soziale Utopie“, erklärt Wenzel im Film von Lutz Kretschmann. Aufnahmen im heimischen Tonstudio in Berlin-Prenzlauer Berg, die gemeinsame Arbeit an über 30 Alben mit seinem Produzenten Tommi und das intensive Proben am Lagerfeuer in Kamp verdeutlichen, wie sehr er Musik als kollektiven Prozess versteht. „Nur in so einer Gruppe… erlebt man, wie Zuhören und Verstehen funktionieren“, so Wenzel – und gerade in einer Zeit, in der gesellschaftlicher Zusammenhalt oft brüchig erscheint, wirkt dieses Ideal umso kraftvoller.

Der Hafenverein: Herzstück des Festivals
Hinter dem Festival steckt kein kommerzielles Großprojekt, sondern ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder seit einem Vierteljahrhundert unermüdlich arbeiten. „Wir haben den Hafen gekauft, Benefizkonzerte organisiert und ein Dach für unser Vereinshaus geschaffen“, berichtet Wenzel. Bis zu 400 freiwillige Helferinnen und Helfer mähen Wiesen, spülen Gläser und bauen Bühnen auf. Ihre Motivation: Den schlechten Ruf der Region in ein positives Licht zu rücken und einen kulturellen Treffpunkt zu etablieren.

Neun Stunden Musik und hundert Songs
Die Jahresbilanz des Festivals ist beeindruckend: neun Stunden Live-Musik an einem Abend, Sets mit rund 108 Liedern und eine treue Fangemeinde, die Jahr für Jahr wiederkehrt. Wenzel selbst bricht scheinbar mühelos jeden Abend den physischen Rekord – und zeigt damit eine künstlerische Ausdauer, die nur wenige erreichen. „Früher reichte der Sonntag zur Erholung, heute brauche ich bis Dienstag“, gibt er augenzwinkernd zu.

Zwischen Poesie und Sozialkritik
Wenzels Liedtexte pendeln zwischen zarter Naturlyrik und scharfer Gesellschaftsanalyse. Zeilen wie „Wer immer auch die guten Freunde sagen, ist auch das Leben leichter zu ertragen“ oder die surreal-ironischen Bilder in „Der Irren und Idioten“ spiegeln die Ambivalenz unserer Gegenwart. Im Film lassen sie den Zuschauer eintauchen in eine Welt, in der Kunst und Realität untrennbar sind.

Heimat und Freiheit
Abseits der Bühne gewährt der Film intime Einblicke in Wenzels Alltag auf dem Land: der Blick von der Terrasse bei Sonnenuntergang, das spontane Recording bis in die frühen Morgenstunden, Spaziergänge mit Wein und Loop-Playback im Wald. Dieser Rückzugsort dient ihm als Quelle kreativer Freiheit und als Gegenpol zum Großstadttrubel. „Wenn ich deprimiert bin, setze ich mich hier hin und denke: Die Welt ist schön“, sagt er.

Mit “Lebensreise” ist Lutz Kretschmann ein Porträt gelungen, das weit über ein reines Konzert- bzw. Bandportrait hinausgeht. Es zeigt, wie viel Kraft in lokalem Engagement, in künstlerischer Verbundenheit und in der Beharrlichkeit einer kleinen Gemeinschaft an der mecklenburgischen Ostseeküste stecken kann – selbst in stürmischen Zeiten.

Der einzige Spielabbruch in 40 Jahren DDR-Oberliga am 29. September 1990

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Der einzige Spielabbruch in der DDR-Oberliga ereignete sich am 29. September 1990 beim Spiel zwischen Sachsen Leipzig und Carl Zeiss Jena. Dieses denkwürdige Ereignis markierte einen einzigartigen und turbulenten Moment in der Geschichte des ostdeutschen Fußballs und spiegelte die sozialen und politischen Umbrüche wider, die die DDR kurz vor ihrer Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland erlebte.

Der Hintergrund
Im Jahr 1990 befand sich die DDR in einer Phase des dramatischen Wandels. Der politische Umbruch und die bevorstehende Wiedervereinigung Deutschlands hatten auch tiefgreifende Auswirkungen auf den Sport, insbesondere den Fußball. Die DDR-Oberliga, einst eine der führenden Fußballligen des Landes, erlebte eine Saison, die von Unsicherheit und Spannung geprägt war. Vereine und Spieler standen vor einer ungewissen Zukunft, da die Liga in das gesamtdeutsche Fußballsystem integriert werden sollte.

Das Spiel und der Abbruch
Das Spiel zwischen Sachsen Leipzig und Carl Zeiss Jena am 29. September 1990 begann wie jedes andere Oberliga-Spiel. Es war ein hart umkämpftes Match, geprägt von intensiver Stimmung auf und neben dem Platz. Die Fans beider Mannschaften waren zahlreich erschienen, und die Atmosphäre war elektrisierend.

Doch im Verlauf des Spiels spitzte sich die Lage zu. Schon früh kam es zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen den Spielern, die sich in rüden Fouls und hitzigen Wortgefechten äußerten. Die Schiedsrichter hatten alle Hände voll zu tun, um die Kontrolle über das Spiel zu behalten.

Der Moment des Abbruchs
In der zweiten Halbzeit eskalierte die Situation. Ein umstrittenes Foul führte zu heftigen Protesten seitens der Spieler und des Trainerstabs von Carl Zeiss Jena. Die Fans, ohnehin schon angespannt, begannen, auf das Spielfeld zu stürmen. Die Sicherheitskräfte konnten die Massen nicht mehr zurückhalten, und es kam zu Tumulten auf dem Spielfeld.

Schiedsrichter Manfred Roßner sah sich gezwungen, das Spiel abzubrechen, um die Sicherheit der Spieler und der Zuschauer zu gewährleisten. Es war eine dramatische und beispiellose Entscheidung, die das Ende einer Ära im DDR-Fußball markierte.

Die Folgen
Der Spielabbruch führte zu heftigen Diskussionen und Nachwirkungen. Der Deutsche Fußball-Verband der DDR (DFV) musste sich mit den Konsequenzen dieses Ereignisses auseinandersetzen. Es wurde beschlossen, dass das Spiel nicht wiederholt wird und keine Punkte vergeben werden. Dies war ein symbolischer Akt, der die chaotische und instabile Situation im Land widerspiegelte.

Für die beteiligten Vereine und Spieler war der Abbruch ein einschneidendes Erlebnis. Viele Spieler wechselten später in westdeutsche Vereine oder beendeten ihre Karrieren. Die Fans erinnerten sich noch lange an diesen denkwürdigen Tag, der die Unruhe und den Wandel der Wendezeit einfing.

Fazit
Der Spielabbruch am 29. September 1990 zwischen Sachsen Leipzig und Carl Zeiss Jena bleibt ein markantes Kapitel in der Geschichte des DDR-Fußballs. Er symbolisiert die tiefen Umbrüche und Unsicherheiten einer Zeit, die von politischem Wandel und sozialer Unruhe geprägt war. Dieser einzige Spielabbruch in der Geschichte der DDR-Oberliga ist ein Zeugnis dafür, wie der Sport oft die größeren gesellschaftlichen und politischen Dynamiken widerspiegelt, die sich um ihn herum abspielen.

Lothar Tautz über Aufbruch, Ernüchterung und Verantwortung

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Am 15. April 1950 wurde Lothar Tautz in Erfurt geboren. Seine Erfahrungen als Jugendlicher in der DDR, die traumatischen Eindrücke des Prager Frühlings 1968 und die unverhoffte Begegnung mit dem Mauerfall machen ihn zu einem lebendigen Zeugnis für die Umbrüche der deutschen Zeitgeschichte.

Bereits Mitte der 1960er‑Jahre verspürte Tautz eine starke Unlust gegenüber der staatlich verordneten Einheitskultur. Die FDJ-Propaganda und das Pioniersystem wurden von ihm und seinen Mitschülern als Repression empfunden, westliche Musik‑Bands galten als übermächtiges Symbol individueller Freiheit – und waren in der DDR offiziell verboten. Entgegen dem gängigen Bild des linientreuen SED‑Jugendlichen trat Tautz mit 18 Jahren in die Partei ein – voller Idealismus und in der Hoffnung auf einen „Sozialismus mit Menschenrechten“, der Rede‑ und Reisefreiheit zuliese.

Der emotionalste Einschnitt erfolgte jedoch im Spätsommer 1968. Tautz reiste wiederholt nach Prag, um dort das Lebensgefühl der Reformkommunisten zu teilen. In den Tagen rund um den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts erlebte er hautnah den Zusammenbruch dieser Hoffnung. „Seitdem war mir klar: Sozialismus mit Menschenrechten passt nicht zusammen“, erinnert er sich. Dieser Bruch war für ihn kein rein intellektueller Prozess, sondern eine zutiefst emotionale Erfahrung, die ihn für immer desillusionierte.

Mehr als zwei Jahrzehnte später folgte ein zweiter Wendepunkt: der 9. November 1989. Tautz spielte in einer Rockband, als er erfuhr, dass der Schlagzeuger über die Grenze geflüchtet war – nur um wenig später von einem Bandkollegen zu hören: „Diesen Umweg hätte er sich sparen können. Die Mauer ist auf.“ Dieses fast komödiantisch anmutende Ereignis verknüpfte sich in seinem Bewusstsein mit einer tiefen Ambivalenz: Überwältigende Erleichterung über die gewonnenen Freiheiten – und traurige Einsicht, dass viele Reformträume nun im Sog der deutschen Wiedervereinigung untergehen würden.

In den Jahren nach 1990 engagierte sich Tautz leidenschaftlich für einen behutsamen demokratischen Neuanfang. Ab Mitte der 1990er‑Jahre beobachtete er mit Sorge, wie sich in Ost und West ein verfälschtes, nostalgisch verklärt­es Bild der DDR verbreitete. Die wachsende Ostalgie führte seiner Ansicht nach zu einer einseitigen Erinnerungskultur, die weder den Zwängen noch den Grausamkeiten des Staatssozialismus gerecht wurde.

Um dem entgegenzuwirken, beteiligt sich Lothar Tautz seit vielen Jahren an Schulprojekten der Stiftung Aufarbeitung. Bei Workshops und Zeitzeugen­gesprächen vermittelt er Jugendlichen ein vielschichtiges, auf persönlichen Erlebnissen beruhendes Bild der DDR: „Es gibt nicht DIE eine Geschichte“, betont er. Sein Ziel ist es, jungen Menschen die Ambivalenz jener Epoche nahe­zubringen – mit all ihren Hoffnungen, Enttäuschungen und Zwängen.

Lothar Tautz steht damit beispielhaft für die Generation jener Ostdeutschen, die als Jugendliche idealistisch in das Regime einstiegen, durch persönliche Brüche radikal desillusioniert wurden und sich nach 1990 nachhaltig darum bemühten, eine kritische und verantwortungsbewusste Aufarbeitung ihrer Vergangenheit zu fördern. Seine Erfahrungen sind Mahnung und Ansporn zugleich: Die Bewahrung einer offenen, differenzierten Erinnerungskultur bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Gera 1990: Ein einzigartiges Zeitzeugnis in der ersten Phase der Währungsumstellung

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Gera, die Metropole Ostthüringens mit ihren etwa 140.000 Einwohnern, erstreckt sich malerisch in einem Talkessel entlang der Weißen Elster, umgeben von einer bergigen Landschaft. Diese geographische Lage prägte die Stadt ebenso wie ihre wechselvolle Geschichte, die von wirtschaftlichem Aufschwung, Krieg, sozialistischem Wandel und postsozialistischer Transformation gezeichnet ist.

Ursprünge und industrielle Blütezeit
Bereits im Mittelalter entwickelte sich Gera zu einem bedeutenden Zentrum des Handwerks und Handels. Tuchmacher und Bierbrauer bildeten einflussreiche Zünfte, die über Jahrhunderte das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben der Stadt bestimmten. Mit der Industrialisierung erlebte Gera im 19. Jahrhundert einen erneuten Aufschwung. Die Textilindustrie, später ergänzt durch Werkzeugmaschinenbau und optische Technologien, machte die Stadt zu einem der wirtschaftlichen Motoren der Region.

Die Zeit der DDR: Wirtschaft und Stadtbild im Sozialismus
Während der DDR-Zeit wandelte sich Gera zu einer typischen Arbeiterstadt. Betriebe wie der VEB Modedruck, Unternehmen der optischen Industrie und der Werkzeugmaschinenbau prägten die Wirtschaft. Zudem spielte der Uranbergbau, betrieben von der Wismut, eine entscheidende Rolle. Der Uranabbau diente hauptsächlich den sowjetischen Atomprogrammen und hinterließ sowohl wirtschaftliche als auch ökologische Spuren.

Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und die sozialistische Baupolitik formten das Stadtbild nachhaltig. Ganze Straßenzüge wurden abgerissen, um Platz für Neubauten in Plattenbauweise zu schaffen. Besonders die Neubausiedlung Lausanne galt als Vorzeigeprojekt des sozialistischen Wohnungsbaus. Hier lebte ein Drittel der Einwohner Geras, doch die technokratische Gestaltung der Plattenbauten ließ wenig Raum für soziales und kulturelles Zusammenleben. Erst in den 1970er Jahren begann man, historische Bauten wiederzuentdecken und zu rekonstruieren.

Die Wende: Wirtschaftlicher und sozialer Umbruch
Mit der politischen Wende 1989/90 stand Gera wie die gesamte DDR vor einer radikalen Transformation. Die Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 markierte den Beginn der wirtschaftlichen Neuordnung. Betriebe, die jahrzehntelang in einem planwirtschaftlichen System operiert hatten, mussten sich nun auf die Marktwirtschaft umstellen. Viele von ihnen, darunter die Wismut und das Zeisswerk, sahen sich mit drastischen Einschnitten konfrontiert. Die Schließung von Unternehmen und der damit verbundene Verlust von Arbeitsplätzen führten zu einer hohen Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Frauen und älteren Arbeitnehmern.

Der Wandel brachte auch tiefgreifende soziale Veränderungen mit sich. Die Preise für Grundnahrungsmittel stiegen rapide, während die Einkommen vieler Bürger hinter den Lebenshaltungskosten zurückblieben. Die Menschen mussten sich an eine neue Realität anpassen, in der sie nun eigenverantwortlich für Versicherungen und die Zukunft ihrer Kinder sorgen mussten.

Gesellschaftliche Spannungen und politische Neuordnung
Die politischen Veränderungen spiegelten sich in den Wahlergebnissen der Kommunalwahl wider: CDU, SPD und PDS etablierten sich als dominierende Parteien. Doch die neue Parteienlandschaft brachte nicht nur Hoffnungen, sondern auch Unzufriedenheit. Finanzielle Probleme zwangen die Stadtverwaltung, Kredite aufzunehmen, während soziale Sicherungsmaßnahmen wie die Kinderbetreuung in Gefahr gerieten.

Die gesellschaftliche Unsicherheit führte zu Spannungen. Hausbesetzungen durch alternative Gruppen und die Zunahme rechter Gewalt verdeutlichten die Polarisierung. Rechtsradikale Skinheads nutzten die Instabilität, um ihre nationalistischen und ausländerfeindlichen Einstellungen zu propagieren. Die Polizei, die sich im Umbruch befand, hatte Schwierigkeiten, der wachsenden Gewaltbereitschaft Herr zu werden.

Ein Blick auf die Zukunft
Die Jahre nach der Wiedervereinigung waren für Gera von Herausforderungen und Hoffnungen geprägt. Während viele Menschen von der neuen Reisefreiheit und den Möglichkeiten der Marktwirtschaft begeistert waren, blieb die Unsicherheit über die Zukunft ein ständiger Begleiter. Dennoch zeigten der ungebrochene Wille zur Anpassung und die Suche nach neuen Perspektiven, dass Gera auch in schwierigen Zeiten resilient bleibt.

Geras Geschichte ist ein Spiegelbild der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert: Von der Blütezeit der Industrialisierung über die Zäsur des Zweiten Weltkriegs und die sozialistische Transformation bis hin zum Umbruch der Wiedervereinigung. Die Stadt hat stets gezeigt, dass sie in der Lage ist, sich neu zu erfinden. Heute steht Gera vor der Herausforderung, die Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden und sich als lebenswerte Stadt in Ostthüringen neu zu positionieren.

Die grausamen Verbrechen des Henkers von Buchenwald

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Buchenwald – ein Name, der untrennbar mit den dunkelsten Kapiteln der Menschheitsgeschichte verknüpft ist. Auf dem malerischen Ettersberg bei Weimar verbarg sich ein Ort, an dem unerträgliches Leid, systematische Unterdrückung und unfassbare Grausamkeiten den Alltag bestimmten. Unter den vielen Akteuren dieses Schreckensregimes ragt ein Name besonders hervor: Martin Sommer, bekannt als „der Henker von Buchenwald“. Sein Leben und Wirken verkörpern den extremeren Wahnsinn und Sadismus, der das NS-Regime prägte.

Ein unscheinbarer Anfang – Der Weg in die Finsternis
Martin Sommer wurde am 8. Februar 1915 in einer kleinen thüringischen Gemeinde als Sohn einfacher Bauern geboren. Bereits in jungen Jahren war sein Charakter von einer rauen Strenge geprägt. Der Bauernhof, die harten körperlichen Arbeiten und der disziplinierte Erziehungsstil seines Vaters hinterließen ihre Spuren. In einer Zeit politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen offenbarte sich bald seine Verbannung in die Ideologien, die damals Deutschland erfassten.

Mit 16 Jahren trat er 1931 in die NSDAP ein – ein Schritt, der sein gesamtes Leben radikal verändern sollte. Zwei Jahre später folgte der Eintritt in die SS. Die nationalsozialistische Propaganda, die in Organisationen wie der Hitlerjugend und später der NSDAP allgegenwärtig war, formte nicht nur seine politischen Überzeugungen, sondern auch die brutalen Neigungen, die Sommer in den folgenden Jahrzehnten ausleben sollte.

Vom Bauernsohn zum sadistischen Vollstrecker
Die SS-Totenkopfverbände, zu denen Sommer 1935 kam, wurden zum Synonym für skrupellose Brutalität. Diese Eliteeinheiten, deren Hauptaufgabe es war, Konzentrationslager zu bewachen, boten ihm nicht nur Aufstiegschancen, sondern auch den Freiraum, seine bereits vorhandene Neigung zur Gewalt in schockierender Intensität auszuleben.

Innerhalb kürzester Zeit entwickelte er sich vom unauffälligen Bauernsohn zu einem gefürchteten Blockführer in Buchenwald. In dieser Position war er verantwortlich für die Überwachung und Bestrafung von Häftlingen – eine Aufgabe, in der er immer wieder neue, grausame Methoden der physischen und psychischen Folter einsetzte. Berichten zufolge zählte sein Repertoire unter anderem das Einfrieren von Menschen in Eiswasser sowie die sogenannte „Fahlhängefolter“, bei der Gefangene furchtbare Schmerzen durch gewaltsame Aufhängungen erlitten.

Buchenwald – Zwischen Kultur und Horror
Der Bau des Konzentrationslagers Buchenwald, der im Juli 1937 begann, stand in einem makabren Kontrast zur Kultur der Region. Der Ettersberg, ein Symbol der natürlichen Schönheit und der Nähe zur historischen Stadt Weimar, wurde zur Kulisse eines Grauens, das weit über die Landesgrenzen hinaus Schlagzeilen machte. Hier, inmitten des idyllischen Thuringens, entwickelte sich ein grausamer Ort der Vernichtung und Unterdrückung.

Sommer stieg in den Rängen weiter auf, erhielt 1937 die Leitung des sogenannten Bunkers – eines Arresttrakts, der zur systematischen Isolation und Demütigung der Häftlinge diente. In den 26 kleinen Zellen des Bunkers wurden körperliche und seelische Qualen zur täglichen Kost. Trotz regelmäßiger interner Untersuchungen wegen Korruption und Machtmissbrauch blieb sein sadistisches Handeln lange Zeit ungebremst.

Justiz und die späte Abrechnung
Gegen Ende der Kriegsjahre geriet Martin Sommer vermehrt ins Visier interner Ermittlungen. Vorwürfe der geheimen, eigenmächtigen Ermordungen und massenhaften Menschenrechtsverletzungen wurden laut, als auch aus der SS-Führung selbst Schritte zur Aufklärung eingeleitet wurden. 1943 endete zunächst sein Wirken in den Lagern, als er nach frontnahen Verwundungen und einer Gefangennahme der amerikanischen Streitkräfte in die Kriegsgefangenschaft gelangte.

Doch die Abrechnung mit seinen Taten verzögerte sich nicht – in den 1950er Jahren wurde er von einem ehemaligen Häftling in Berlin wiedererkannt, und ein neues Ermittlungsverfahren leitete letztlich den Prozess in Bayreuth ein. 1957 fand das Urteil statt: Sommer wurde wegen der Ermordung von mindestens 25 Häftlingen zu lebenslanger Haft verurteilt und verlor seine bürgerlichen Rechte.

Nach über drei Jahrzehnten in Haft endete sein Leben am 17. Juni 1988. Sein Name blieb ein Synonym für das Ausmaß menschlicher Grausamkeit, das in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches zur Tagesordnung wurde, und erinnert eindrücklich daran, wohin ungezügelter Sadismus und Machtmissbrauch führen können.

Ein Mahnmal an die Menschlichkeit
Die Geschichte von Martin Sommer, dem Henker von Buchenwald, illustriert eindrucksvoll die Abgründe, in die der menschliche Geist zu sinken fähig ist. Sie mahnt uns, nie zu vergessen, dass das Versäumnis von Gerechtigkeit und das Verharmlosen totalitärer Systeme den Nährboden für derart unfassbare Verbrechen bereiten können.

Buchenwald und die damit verbundenen Grausamkeiten sind nicht nur Kapitel in Geschichtsbüchern, sondern ein immerwährender Appell an die Verantwortung einer jeden Generation, sich für die Bewahrung der Menschenwürde und Freiheit einzusetzen.

Dieser Beitrag wurde im Rahmen einer Dokumentation erstellt, die sich der umfassenden Aufarbeitung der Verbrechen des NS-Regimes widmet. Die Erinnerung an die Opfer und das kritische Innehalten vor den Taten der Vergangenheit sollen als ewige Mahnung dienen: Wir müssen verhindern, dass sich solche Schatten wieder über unsere Geschichte legen.

Der Große Zapfenstreich der NVA zum 40. DDR‑Jubiläum

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Am 7. Mai 1989 versammelten sich Hunderte Berliner und Gäste der Hauptstadt auf der Prachtallee Unter den Linden, um dem Großen Zapfenstreich der Nationalen Volksarmee (NVA) 1989 zum 40. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik beizuwohnen. Der Schauplatz, die Neue Wache von Karl Friedrich Schinkel, diente seit Jahrzehnten als Mahnmal für die Opfer von Faschismus und Militarismus und bildete den würdigen Rahmen für eine Zeremonie, die in ihrer pathetischen Strenge und ritualisierten Ästhetik die Geschichte und Selbstinszenierung der DDR widerspiegelt.

Pünktlich um 20:00 Uhr ertönte der erste Hornstoß, als das Ehrenbataillon des Wachregiments „Friedrich Engels“ in makelloser Formation auf den Vorplatz trat. Gewehrschulter, Marsch! Die Schritte klangen präzise auf dem Kopfsteinpflaster, während das zentrale Orchester der NVA gemeinsam mit dem Stabsmusikkorps und dem Spielmannszug der Stadtkommandantur den Abend eröffnete. Im Scheinwerferlicht traten Armeegeneral Heinz Kessler und weitere hochrangige Repräsentanten der SED sowie Vertreter der Sowjetarmee hervor, um die Soldaten zu begrüßen.

In einer knappen Ansprache würdigte Kessler die Verdienste der Truppe: „Genossen Soldaten und Matrosen, Unteroffiziere und Fähnriche, ich beglückwünsche Sie zum 40. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik.“ Die Worte hallten in der stillen Fassade der Neuen Wache wider, bevor das Gewehr abgelegt und die Musik erneut ansetzte. Mit einem feierlichen Fanfarenstoß begann der traditionelle Teil der Gedenkzeremonie: Präsentiert das Gewehr! Augen rechts! Fahnenkommando, im Exerzierschritt Marsch!

Die akustische Dramaturgie wogte zwischen Militärmarsch und sinfonischer Elegie. Mal steigerte sich das Tempo zu aufrüttelnden Rhythmen, mal senkten sich die Töne zu getragenen Trauermusiken, die den Opfern des Faschismus und Militarismus gedenken sollten. Ein Glockenschlag markierte den Übergang zum stillen Teil, in dem die Flaggen gesenkt und die Gewehre zum Salut emporgehoben wurden.

Den Höhepunkt bildete der Vorbeimarsch des Ehrenbataillons: In strengem Takt rückten die Uniformierten an den Ehrengästen vorbei, deren Blicke von Würde und Staatsraison zeugten. Unter ihnen sah man Günter Schabowski, Inge Lange und Berlins Oberbürgermeister Erhard Krack. Die sowjetischen Militärdelegierten, angeführt von Generaloberst Meussier, erinnerten an die enge Bündnistreue zur UdSSR.

Gegen 20:45 Uhr endete das Zeremoniell mit dem letzten klangvollen Takt des Musikkorps. Applaus erfüllte den Platz, ehe sich die Reihen lösten und die Besucher in die Abendluft strömten. Der Große Zapfenstreich der NVA 1989 zum 40. Jahrestag der DDR wurde so zum historischen Schauspiel: Ein Ritual aus Disziplin und Symbolik, das an die Glanzzeiten der DDR erinnerte und zugleich die Widersprüche eines Systems vor Augen führte, das nur wenige Monate später politisch ins Wanken geriet.