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Der Bogensee: Wo die Macht tanzen und die Jugend marschieren lernte

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Versteckt 30 Kilometer nördlich von Berlin, nahe Wandlitz, liegt ein abgeschiedenes Gewässer: der Bogensee. Seine Ufer säumen keine belebten Badestrände oder auffälligen Gebäude, doch die Gegend birgt geheimnisvolle Geschichten von Macht und Einfluss. Hier, wo Reichspropagandaminister Joseph Goebbels einst seine düsteren Pläne schmiedete, entstand später eine Kaderschmiede der Freien Deutschen Jugend (FDJ), die Jugendschule „Wilhelm Pieck“ – ein Ort, an dem zwei gegensätzliche politische Systeme ihre deutlichen Spuren hinterließen.

Goebbels‘ Refugium und der „Totale Krieg“
Die Geschichte des Bogensees als Schauplatz der Macht beginnt in der Zeit des Nationalsozialismus. 1936 erhielt Joseph Goebbels, Gauleiter von Berlin und Reichspropagandaminister, von der Stadt Berlin den Bogensee und eine kleine Hütte als Geschenk zum Geburtstag. Goebbels empfand diesen Ort als Refugium, einen Rückzugsort zum Denken, Arbeiten und Lesen. Doch seine Eitelkeit und sein Repräsentationsbedürfnis als Propagandachef ließen ihn nicht bei einer Blockhütte bleiben. Er ließ sich eine pompöse Landvilla mit 30 privaten Zimmern, einem Filmsaal und 40 Diensträumen bauen, finanziert durch die Ufa, für 2,3 Millionen Reichsmark. 1939 war die Villa bezugsfertig. Goebbels nutzte sie nicht nur für repräsentative Zwecke, sondern auch für amouröse Abenteuer, darunter eine Affäre mit der tschechischen Schauspielerin Lída Baarová. Adolf Hitler selbst beendete diese Liaison, da er einen verliebten Propagandachef ablehnte und stattdessen eine deutsche Vorzeigefamilie benötigte.

So zog Magda Goebbels mit den sechs gemeinsamen Kindern an den Bogensee, wo Joseph Goebbels seine Propagandaauftritte plante, Artikel und Reden verfasste, darunter seine berüchtigte Sportpalastrede, in der er den „totalen Krieg“ forderte. Als Berlin im April 1945 in der Apokalypse versank, zog Goebbels mit seiner Familie in den Führerbunker und beging am 1. Mai 1945 Selbstmord, nachdem er seine Kinder vergiftet hatte. Seine Villa am Bogensee fiel unbeschädigt in die Hände der Roten Armee und diente einige Monate als Lazarett, bevor das gesamte Areal der FDJ übergeben wurde.

Von der demokratischen Jugendbewegung zur Kaderschmiede der SED
Die Vorgeschichte der FDJ-Jugendhochschule „Wilhelm Pieck“ begann im Frühjahr 1946. Erich Honecker, damals frisch gewählter Vorsitzender der am 7. März 1946 gegründeten Freien Deutschen Jugend, und sein Freund Heinz Keßler, späterer DDR-Verteidigungsminister, suchten nach einem Domizil für eine Jugendschule. Sie fanden die leerstehende Goebbels-Villa, die ihnen von der sowjetischen Militärverwaltung übergeben wurde. Anfänglich herrschte eine lockere Atmosphäre, in der Diskussionen frei geführt werden konnten, und die FDJ war noch eine demokratische Organisation, in der Christen, Kommunisten und Sozialdemokraten gleichberechtigt zusammenarbeiteten. Zeitungen aller Parteien standen zur Lektüre bereit, und die Schüler, durchschnittlich 19 Jahre alt, hatten sich in der Jugendarbeit bewährt und ein gewisses Bildungsniveau nachgewiesen.

Doch nach der Gründung der DDR 1949 änderte sich der Ton. Christen wurden aus der FDJ gedrängt, und fortan galt einzig die SED-Ideologie. Die kleine, nette Schule wandelte sich zu einem „reglementierten Zentrum“, einer Parteijugend der SED, die stalinisiert wurde. Am 14. September 1950 erhielt die Schule den Namen des ersten DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck.

Der Bau der Jugendschule entwickelte sich zu einem der aufwendigsten und teuersten Bauvorhaben der frühen DDR. Obwohl Stararchitekt Hermann Henselmann sich eine in die Natur eingebettete Waldschule aus Holz vorstellte, griff Parteichef Walter Ulbricht massiv in die Planungen ein. Er verlangte ein „Denkmal des Sozialismus“ im Maßstab der Sowjetunion, mit der Stalinallee in Berlin als Vorbild. Die Kosten für die monumentale Architektur liefen aus dem Ruder, doch Mitte der 1950er Jahre waren mehrere Bettenhäuser, eine große Mensa und ein Lektionsgebäude entstanden, die über 500 Studenten pro Jahr aufnehmen konnten. Der Bogensee wurde zum Sprungbrett für FDJ-Karrieren, da viele den Wunsch hegten, in höhere Funktionen oder sogar zum ersten Sekretär einer Kreisleitung aufzusteigen.

Das „Rote Kloster“ und seine internationalen Schüler
Die Jugendhochschule am Bogensee entwickelte sich zur höchsten Kaderschmiede der FDJ, auch bekannt als „Rotes Kloster“. Hier sollten nur die besten FDJler studieren; Linientreue war eine Grundvoraussetzung. Die Studenten, oft ein Jahr lang dort, absolvierten politische Vorlesungen und Schulungen, und die meisten waren Mitglieder der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).

Ab den 1960er Jahren erhielt die Schule einen internationalen Anstrich, wenn auch innerhalb klar umrissener propagandistischer Grenzen. Junge ausländische Studenten, vorwiegend aus der Dritten Welt, sollten hier politisch geschult werden. Sie kamen aus sozialistischen und befreundeten Staaten, und kommunistische Parteien Westeuropas entsandten Kader. Auch Aktivisten aus Befreiungsbewegungen aus aller Welt, etwa Sandinisten aus Nicaragua oder Kämpfer aus Südafrika, wurden konspirativ in die DDR geschickt. Ab den 1970er Jahren drückten junge Leute aus der ganzen Welt gemeinsam mit DDR-Studenten die Schulbank, paukelten Marxismus-Leninismus, politische Ökonomie des Kapitalismus und Philosophie. Highlights waren Prominentenbesuche, wie die des amerikanischen Sängers Dean Reed oder des DDR-Kosmonauten Sigmund Jähn.

Trotz der strengen ideologischen Ausrichtung genossen die Studenten innerhalb des eingezäunten und von Volkspolizisten bewachten Areals eine bemerkenswerte Freizügigkeit. Sie aßen zusammen, feierten und tanzten in der Mensa, die zu einem der internationalsten Orte der DDR wurde. Es entstanden Freundschaften, Lieben und sogar Kinder. Ehemalige Studenten und Lehrer wie Helmut Steinbach, der bereits in den 50er Jahren Philosophie lehrte, erinnern sich gerne an die Zeit des Aufbruchs und des Neuanfangs nach dem Zweiten Weltkrieg, an die Suche nach einer neuen Identität für Deutschland.

Doch es gab auch Einschränkungen und Merkwürdigkeiten. Die Schule vergab kein Diplom, sondern ein Zertifikat – ein „Etikettenschwindel“, wie Dagma Enkelmann, die bis 1985 Geschichte lehrte, es nannte. Weststudenten, wie Adrian Geiges, der in geheimer Mission zur Ausbildung geschickt wurde, stießen auf DDR-Rituale wie Aufmärsche und die „Spalierbildung“ für hochrangige SED-Politiker wie Egon Krenz, die ihnen aus ihren antiautoritären Traditionen im Westen fremd waren. Auch enge Beziehungen zu westlichen Studenten waren unerwünscht, um eine Rückkehr der Weststudenten in ihre Heimatländer und den Kampf für den Kommunismus dort nicht zu gefährden. Viele Studenten, wie der junge Guerillero Héctor Martínez aus Nicaragua, träumten von einer besseren Welt und sind noch heute in ihren Heimatländern in einflussreichen Positionen tätig. Das Zusammenleben mit dem internationalen Lehrgang wird von vielen Absolventen als ihr prägendstes Erlebnis am Bogensee beschrieben.

Feuerproben und ein Bundeskanzlerbesuch
Die Studenten der FDJ-Schule waren längst zur „Kampfreserve der SED“ mutiert. Eine besondere Feuerprobe kam im Juni 1953, als die SED nach der Niederschlagung der Arbeiterunruhen die Studenten vom Bogensee zur Stabilisierung ihrer Macht bei organisierten Gegendemonstrationen einsetzte.

Ein weiteres Schlüsselereignis war der geplante Besuch des Bundeskanzlers Helmut Schmidt in der DDR im Sommer 1980, der sich auf der Jugendhochschule in Bogensee präsentieren sollte. Die Schule verfügte über die größte Simultandolmetscheranlage der DDR und lag abgeschieden im Wald, fernab der Bevölkerung und neugieriger Journalisten. Da die Schule sich jedoch in einem katastrophalen Zustand befand, wurden innerhalb weniger Wochen 11 Millionen Mark investiert, um sie für den Westbesuch vorzeigbar zu machen – eine Art „Potemkinsches Dorf“. Ein weiteres Problem war ein geheimes militärisches Objekt in unmittelbarer Nachbarschaft: Honeckers Führungsbunker für den Atomkrieg. Die Vorstellung, dass der Bundeskanzler des „Klassenfeindes“ mit Hunderten von Journalisten quasi nebenan einfallen würde, war ein Albtraum für die geheimen Genossen im Bunker. Dennoch kam es im Dezember 1981 zum Besuch. Zimmer für Schmidt und Honecker wurden vorbereitet, Mensa und Lektionsgebäude umgebaut, Fernsehstudios eingerichtet. Der internationale Lehrgang musste verlegt werden, um keine unerwünschten Kontakte der Journalisten zu ermöglichen. Am 13. Dezember fand die Pressekonferenz statt, allerdings ohne Honecker.

Niedergang und ungewisse Zukunft
Nach dem Großereignis kehrte der Alltag an den Bogensee zurück. Bis zum Ende der DDR wurde die reine Lehre des Sozialismus verkündet, Ereignisse außerhalb der umzäunten Welt blieben ausgeblendet. Im September 1989 begann noch wie geplant ein neuer Lehrgang, und am 6. Oktober fuhren die Studenten als „Jubelkommando“ zu einem Fackelumzug nach Berlin – ihr letzter großer Einsatz. Mit dem baldigen Ende der DDR folgten das Aus für die FDJ und die Schule am Bogensee. Am 31. März 1990 zogen die letzten Volkspolizisten ab, Lehrgänge wurden abgebrochen, Mitarbeiter entlassen.

Der Internationale Bund für Sozialarbeit übernahm die Gebäude, investierte und verwandelte sie in Tagungsräume, Hotels und Gaststätten, bildete bis 1999 Jugendliche aus. Doch diese Pläne scheiterten, als das Land Berlin das Areal zurückerhielt und sich nicht über die Pachtsumme einigen konnte. Seit Jahren wird der gesamte Komplex erfolglos zum Verkauf angeboten.

Heute ist das Gelände verlassen und verwaist. Nur Hausmeister Roberto Müller, der schon zu DDR-Zeiten als Techniker an der Jugendhochschule arbeitete, kämpft allein gegen Schimmel, Rost und Regenwasser – ein aussichtsloser Kampf. Der Zustand der Gebäude bereitet ihm schlafloose Nächte; er fühlt sich verantwortlich und denkt gern an die DDR-Zeit zurück, als hier noch voller Leben war. Wie ihm geht es vielen ehemaligen Studenten und Lehrern, die sich gern an die Zeit der Jugendhochschule erinnern.

Das riesige Areal steht unter Denkmalschutz, doch es verfällt zusehends. Ein finanzstarker Investor ist nicht in Sicht, und allein für den Erhalt wären jährlich Millionen aufzubringen. Für ein Museum ist die Anlage zu groß und vielleicht zu abgelegen. Doch ein Nutzer ist geblieben, der auf die Abgeschiedenheit setzt: In die Wirtschaftsgebäude von Goebbels‘ ehemaligem Anwesen zog vor einigen Jahren die Waldschule des Berliner Forsts ein, wo Kindergruppen und Schulklassen die Natur erleben können.

Der Bogensee und das umgebende Areal kehren langsam zu ihren Ursprüngen zurück: ein verschwiegenes Naturparadies. Doch es bleibt auch ein verborgener Ort, an dem wie fast nirgendwo sonst in Deutschland zwei politische Systeme ihre deutlichen Spuren hinterlassen haben.

Der größte Skandal im Ost-Fußball: Als Hütte und Pumpe zu Bauernopfern wurden

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Im Sommer 1970 erschütterte ein beispielloser Skandal den Fußball der DDR. Die Betriebssportgemeinschaft (BSG) Stahl Eisenhüttenstadt, damals erstklassig und sogar mit Ambitionen auf den Europapokal, wurde mitten in der laufenden Saison eine Spielklasse tiefer versetzt. Der Vorwurf: Profifußball – „kapitalistische Anwendungen“ wurden dem Verein unterstellt. Ein ähnliches Schicksal ereilte die BSG Aktivist Schwarze Pumpe aus Hoyerswerda. Was im Westen hellhörig machte, sollte in der DDR möglichst geheim gehalten werden, obwohl die Öffentlichkeit trotz ausführlicher Urteilsbegründung kaum Einzelheiten erfuhr.

Amateur-Ideal trifft Profi-Realität Der DDR-Fußball um 1970 war eine seltsame Mischung aus sozialistischer Sportgemeinschaft und Profisport „nach Vorschrift“. Offiziell galten die Kicker von Aue bis Rostock als Amateure, die außerhalb ihrer Arbeitszeit zu trainieren hatten. Zwar waren Freistellungen für Oberligaspieler von 20 Stunden pro Woche und für Ligaspieler von fünf Stunden genehmigt, doch in der Realität entwickelte sich längst profiähnliche Strukturen. Der damalige Vorsitzende des Turn- und Sportbundes, Rudi Hellmann, gab offen zu: „Ich habe zu groß hier gedacht. Ich war so ein bisschen Bayern-München-Präsident. Das vorgeschriebene Amateur-Tun außer Kraft gesetzt“.

Eisenhüttenstadt und die Verlockungen des Geldes Eisenhüttenstadt, 1950 als erste sozialistische Großstadt der DDR am Reißbrett entworfen und zunächst Stalinstadt genannt, diente primär als Wohnstadt für die Arbeiter des Eisenhütten-Kombinats Ost (EKO), einem 16.000 Mann Betrieb. Um die Belegschaft zu unterhalten, gab es eine Fußballmannschaft. Die BSG Stahl war 1969 in die höchste Spielklasse aufgestiegen und wollte sich verstärken.

Siegfried Noffke, der erst Mannschaftsleiter und später Sektionsleiter war, agierte nebenbei als eine Art „Chefeinkäufer“ – eine Funktion, die es im sozialistischen Ost-Fußball eigentlich gar nicht gab. Er bot neuen Spielern Anreize, die weit über das Übliche hinausgingen: „Die erste Wohnung, eine Gage, neue Gardinen, die Frauen haben immer gesagt, ich muss ja der neue Laden kaufen und der Teppich passt auch nicht mehr. Das konnte ich alles bieten, aber kein Handgeld, das war mir streng verboten“. Auch DDR-Nationalspieler Hans-Jürgen Kreische wurde kontaktiert und erinnert sich an die „Summen“, die genannt wurden. Es war bekannt, dass in Eisenhüttenstadt „es nur über Geld“ ging, wie der einstige Abwehrspieler Hermann Müller, der von Wismut Aue wechselte, bestätigte.

Hoyerswerda und die „Sportler-Brigade“ Ähnliche Zustände herrschten im Lausitzer Braunkohlerevier in Hoyerswerda, bei der BSG Aktivist Schwarze Pumpe, der Betriebssportgemeinschaft des gleichnamigen Gaskombinats. Obwohl gerade erst in die zweithöchste Spielklasse aufgestiegen, boten sie erstklassige Bedingungen: „Wir haben auf den Sportplatz gearbeitet als so genannte Sportler Brigade und konnten in dieser Zeit auf alle Fälle nachmittags trainieren, teilweise auch vor gedacht. Also so gesehen haben wir schon recht ordentliche Verhältnisse gehabt“.

Im gesamten DDR-Spitzenfußball war es ein offenes Geheimnis, dass fast überall deutlich mehr als die vorgeschriebenen 800 bis 1200 Mark gezahlt wurden, besonders bei den gerade eigenständig gewordenen Fußballclubs.

Das Urteil unter Druck Im Sommer 1970 gerieten die „verkappten Profistrukturen“ ins Visier der Staatsführung. Spione des Turn- und Sportbundes wurden ausgeschickt, um den Trainingsalltag der Vereine penibel zu dokumentieren und festzustellen, ob während der Arbeitszeit trainiert wurde. Brandenburg, der damalige BDST-Vorsitzende, soll sogar persönlich Trainings beobachtet haben.

Der Verband stand unter enormem Druck. Der drohende Protest der Niederländer, die zufällig in der EM-Qualifikation auf die DDR trafen, zwang den Ost-Verband zu schnellem Handeln. Das Hauptziel war, die angestrebte Medaille der „Staatsamateure“ bei den Olympischen Spielen 1972 nicht zu gefährden.

Im September 1970, nach dem zweiten Spieltag, fiel das Urteil: Über Nacht wurden Pumpe und Eisenhüttenstadt herabgestuft. Die Vorwürfe gegen beide Vereine lauteten annähernd gleich: „Finanzielle Fonds ihrer Trägerbetriebe für sportfremde Zwecke verausgabt, ungerechtfertigte Zuwendungen gezahlt und die gesetzlichen Arbeitszeitregelungen gröblichst missachtet zu haben“.

Bauernopfer und das Erbe Hütte und Pumpe wurden zu „Bauernopfern“. Die etablierten Clubs, in deren Reihen sich Nationalspieler befanden, durften weitermachen. Eine Bestrafung aller Vereine war für die Führung offenbar keine Alternative, denn „dann hätte man den DDR-Fußball zu schließen müssen“. So aber klappte es mit der Olympia-Teilnahme und der angestrebten Medaille: Der Dresdner Kreische schoss die DDR-Auswahl 1972 zu Bronze.

Heute heißt der Nachfolgeverein der BSG Stahl FC Eisenhüttenstadt und kämpft in der Brandenburg-Liga gegen den Abstieg in Liga sieben. Gespielt und trainiert wird ausschließlich nach Feierabend – alles echte Amateure.

Erich Mielke: Vom „Meister der Angst“ auf die Anklagebank

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Berlin – Jahrzehntelang stand er an der Spitze des gefürchtetsten Geheimdienstes der Deutschen Demokratischen Republik: Erich Mielke, der „Meister der Angst“. Seine Handschrift trug die systematische Überwachung der DDR-Bürger. Doch nach dem Fall der Mauer fand sich der einstige Machtmensch, der als ältester Häftling Deutschlands galt, auf der Anklagebank des Landgerichts Berlin wieder. Ein tiefer Fall für den Mann, der 32 Jahre lang Minister für Staatssicherheit war.

Kindheit und politisches Erwachen Geboren am 28. Dezember 1907 im Berliner Wedding, wuchs Erich Mielke in beengten Verhältnissen auf und schämte sich für sein Zuhause. Er beschrieb sich selbst als einen ängstlichen, überempfindlichen Jungen, geprägt von Kontaktmangel und Selbstunsicherheit. Seine Eltern traten bereits 1919 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei, und Mielke selbst wurde mit 14 Mitglied im Kommunistischen Jugendverband. Er wollte die Verhältnisse der Weimarer Republik verändern und die Unterdrückung der Arbeiterklasse beenden.

Seine wahre Bestimmung fand Mielke im Parteiselbstschutz, einer paramilitärischen Gruppe der KPD. Dort radikalisierte er sich schnell. Am 9. August 1931 war Mielke zusammen mit Erich Ziemer mutmaßlich an der Ermordung zweier Polizisten am Bülowplatz beteiligt. Die Attentäter gaben aus nächster Nähe Schüsse auf die Beamten Franz Lenck und Paul Willig ab. Mielke brüstete sich später in seinem Stammlokal mit den Morden und zeigte die Tatwaffe, was ihm den Spitznamen „Pistolen-Erich“ einbrachte. Von manchen wurde er als „trivialer Mörder“ wahrgenommen, der sich hinter Ideologien versteckte. Nach der Tat floh Mielke nach Moskau, wo er die Internationale Lenin-Schule besuchte und unter dem Decknamen Paul Bach lernte. Sein großes Vorbild war Stalin, den er als „Lehrer“ und „Vater“ verehrte.

Der Architekt der Angst: Mielkes Stasi-System Nach seiner Rückkehr ins zerstörte Berlin 1945 machte Mielke in der sowjetischen Besatzungszone schnell Karriere in der Volkspolizei und später in der neu entstehenden Staatssicherheit. Er knüpfte Kontakte zu den Mächtigen wie Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht und genoss die Anerkennung, nach der er sich so lange gesehnt hatte. Als Minister für Staatssicherheit etablierte Mielke ein umfassendes System der Überwachung. Die Stasi schürte bewusst Angst, um Unsicherheit zu verbreiten und den Bürgern das Gefühl zu geben, verfolgt zu werden. Mielke repräsentierte dieses System, von den hauptamtlichen Offizieren bis zu den inoffiziellen Mitarbeitern (IM). Sein Misstrauen gegenüber dem eigenen Volk war immens, doch gleichzeitig sehnte er sich nach dessen Liebe – eine Paranoia, die er unter dem Mantel der Volksnähe verbarg.

Mielke war ein Mann mit einem starken Willen zur Macht, geprägt von den Kämpfen der 1920er und 30er Jahre. Er lebte asketisch, rauchte und trank nicht und war der Partei bis zu seiner Haft treu ergeben. Sein Kontrollzwang reichte bis in den Sport, wo er Fußballmannschaften abhören und Schiedsrichter bestechen ließ. Er sah die Welt in Freunden, Feinden und Verrätern, wobei er die „Verräter“ am meisten hasste. Unter seiner Führung entwickelte sich die Stasi sogar zu einer härteren Kontrollinstanz als der sowjetische KGB. Mielke war überzeugt, dass Angst die wirkungsvollste Triebfeder menschlichen Handelns sei, „stärker als Ehrgeiz, als Hoffnung und alles zusammen“.

Der Fall des Ministers: 1989 und das Ende der DDR In den späten 1980er Jahren geriet Mielkes System ins Wanken. Er widersetzte sich vehement den Reformen Michael Gorbatschows in der Sowjetunion, die er als „Anfang vom Ende des Sozialismus“ betrachtete. Die Kommunalwahlen im Mai 1989, die traditionell mit Zustimmungswerten von bis zu 99 Prozent endeten, wurden zu einem Wendepunkt. Trotz Mielkes anfänglicher Anweisung, „keine Manipulation“, wurden die Ergebnisse massiv gefälscht, um eine höhere Zustimmung vorzugaukeln.

Die Fälschungen führten zu wachsendem Protest und Demonstrationen. Mielke, der die Massenproteste als „neue Phase des Klassenkampfes“ sah, forderte drastische Maßnahmen, wie die Verhaftung von fast 14.000 „staatsgefährdenden Elementen“. Er verglich die Situation mit dem Mauerbau 1961, doch die Zeiten hatten sich geändert. Die Sowjetunion, einstiger „Waffenbruder“, erklärte, die DDR nicht mehr schützen zu können. Dies war ein „Verrat“, der Mielke und viele Genossen tief traf.

Mielkes Macht schwand zusehends. Wenige Tage nach dem 40. Jahrestag der DDR war er maßgeblich an der Absetzung Erich Honeckers beteiligt. Doch auch Honeckers Nachfolger, Egon Krenz, hörte nicht mehr auf Mielkes Ratschläge. Der „Meister der Angst“ erteilte schließlich den Befehl zur Aktenvernichtung, um die operativen Methoden der Stasi vor dem „Klassenfeind“ zu verbergen. Seine letzte Rede vor der Volkskammer wurde mit Lachen quittiert – ein Symbol für das Ende seiner Ära und die Überwindung der Angst durch die Bevölkerung.

Der Prozess und das Erbe Nach der Wende wurde Erich Mielke inhaftiert. Er sah sich als Märtyrer, der sein ganzes Leben lang die DDR gegen „Klassenfeinde“ verteidigt hatte, und gab an, wenn es nach seinem Willen gegangen wäre, gäbe es die DDR noch heute. Im Gerichtssaal schwieg er oft stundenlang. Mediziner stellten seine Haftfähigkeit fest.

Im Jahr 1993 wurde Erich Mielke wegen des Doppelmordes an den Polizisten im Jahr 1931 zu sechs Jahren Haft verurteilt. Alle weiteren Verfahren gegen ihn als Minister für Staatssicherheit der DDR wurden wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt. Ende 1995 wurde er auf Bewährung entlassen.

Mielkes Leben ist untrennbar mit dem System der DDR-Staatssicherheit verbunden. Er glaubte fest an die Überlegenheit seiner Methoden, doch am Ende scheiterte er an der Entschlossenheit der Bürger, die sich von der Angst befreiten und friedlich auf die Straße gingen. Seine Geschichte ist eine Mahnung an die zerstörerische Kraft der Angst und die Möglichkeit, sie zu überwinden.

Die Legenden der Straßen: Eine Zeitreise zu den Kultautos der DDR

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In der Deutschen Demokratischen Republik war ein Auto nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern oft ein halbes Leben lang Wartezeit – ein Versprechen auf individuelle Freiheit und einen Hauch von Luxus, der selten war. Doch einige dieser Fahrzeuge wurden zu wahren Legenden, schneller, exklusiver oder einfach begehrter als manches Westauto. Sie prägten das Straßenbild und die Geschichten ihrer Besitzer. Begleiten Sie uns auf eine Fahrt zu fünf unvergesslichen Autos, die nur diejenigen kennen, die das Leben in der DDR miterlebt haben.

1. Der Trabant 601: Die „Rennpappe“ als Lebensgeschichte auf Rädern Sein heiseres Knattern war unverwechselbar, ein Zweitakter, der sich durch die Plattenbausiedlungen fräste. Der liebevoll „Rennpappe“ genannte Trabant 601, ab 1964 in Zwickau vom VWB Sachsenring gebaut, war für fast jeden im Osten mehr als nur ein Auto – er war eine Lebensgeschichte auf Rädern. Wer einen bestellte, wartete oft 15 Jahre, manchmal hieß es: bestellen Sie heute, bekommen Sie es 2040. Trotzdem waren die Menschen stolz und pflegten ihren „Trabbi“ wie ein Familienmitglied.

Technisch simpel mit einem Zweizylinder-Motor, 600 Kubikzentimetern Hubraum und 26 PS, erreichte er maximal 100 km/h, wenn der Wind von hinten kam. Die Heizung war ein Gerücht, Sicherheitsgurte fehlten – denn die Karosserie bestand aus Duroplast, einem Material aus Baumwollresten und Phenolharz, das weder rostete noch glänzte, aber Charakter hatte. Der „Trabbi“ war federleicht, daher der Spitzname „Rennpappe“. Er symbolisierte Freiheit, ermöglichte Reisen bis nach Ungarn, ans Meer, zur Verwandtschaft. Ersatzteile? Man bastelte mit Gummiband, Draht und Hoffnung. Nach der Wende fast vergessen, ist der Trabant heute Kult, begehrt als Oldtimer, Hochzeitswagen oder Touristenattraktion, und gut erhaltene Exemplare erzielen Preise von über 20.000 Euro.

2. Der Wartburg 353: Der „große Bruder mit Verantwortung“ War der Trabant ein Symbol für Geduld, so war der Wartburg 353 der „große Bruder mit Verantwortung“. Er war das Auto für Familien, für mehr Gepäck, für mehr Wünsche. Zwischen 1966 und 1988 in Eisenach gebaut, galt er für DDR-Verhältnisse fast als Luxus im Vergleich zum Trabant. Der Wartburg war lang, breit und souverän, seine kantige Karosserie und das weiche Fahrverhalten brachten ihm den Spitznamen „Sofa auf Rädern“ ein. Im Fond konnte man sich strecken und ausruhen.

Unter der Haube knatterte ein Dreizylinder-Zweitakter mit 50 PS, der auch fünf Personen, zwei Koffer, drei Fahrräder und einen Bollerwagen transportierte. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 130 km/h. Lehrer, Ärzte, LPG-Vorsitzende und Familienväter, die nicht 15 Jahre auf einen Trabi warten wollten, wählten oft den Wartburg. Später wurde sogar ein leiserer und saubererer VW-Motor als Viertakter eingebaut – fast ein Abschiedsgeschenk. Besonders begehrt war der Kombi, offiziell „Tourist“ genannt, in den alles passte. Heute ist der Wartburg seltener als der Trabant, aber solider und ruhiger, und lässt auf Oldtimertreffen an lange Urlaubsfahrten ohne Klimaanlage erinnern.

3. Der Barkas B1000: Das „Rückgrat des Sozialismus auf Rädern“ Der Barkas B1000 war nie ein Auto zum Angeben, aber stets ein treuer Begleiter, der von der Baustelle bis zum Bäcker unermüdlich seinen Dienst verrichtete. Von 1961 bis 1991 lief er in Karl-Marx-Stadt vom Band. Er war ein wahres Multifunktionstalent: Bus, Krankenwagen, Feuerwehrfahrzeug, Polizeiwagen, Verkaufsstand oder Kindergartentransport – der Barkas konnte alles sein. Sein Design war rundlich und freundlich, die Frontantriebskonstruktion ermöglichte einen flachen Einstieg und einen niedrigen Laderaum.

Technisch war er ein verlässlicher Kumpel mit einem Dreizylinder-Zweitaktmotor und knapp 45 PS, der unbeladen etwa 95 km/h schaffte. Sein Klang war kein Knattern, sondern ein sonores Ringen mit der Last, als würde er kurz durchatmen und dann weitermachen. Der Barkas war das „Rückgrat des Sozialismus auf Rädern“, unverzichtbar für den Transport von Material und Menschen. Viele DDR-Kinder erlebten ihre ersten Fahrten im Barkas, sei es im Kindergartenbus oder im Krankenwagen. Selbst nach der Wende wurde er weiter genutzt, umgebaut zu Wohnmobilen oder Marktständen. Heute ist der Barkas auf Oldtimertreffen ein Relikt aus einer Zeit, in der Zweckmäßigkeit Ehrensache war.

4. Der Melkus RS 1000: Der „rote Blitz der Republik“ Der Melkus RS 1000 war ein Auto wie ein Gerücht, der „rote Blitz der Republik“. Er wurde nicht in einem großen Werk, sondern in einer kleinen Garage in Dresden von Heinz Melkus gebaut, einem Mann, der Rennen fuhr, baute und träumte. Es war keine Massenproduktion; nur 101 Stück wurden handgefertigt, individuell für Rennfahrer, Parteifunktionäre und Technikfreaks mit Verbindungen. Der Melkus war der einzige Sportwagen der DDR, ausgestattet mit Flügeltüren und einem schnittigen Design.

Ein Dreizylinder-Zweitakter mit 70 PS, der sich beim Gasgeben wie ein Wespennest im Rausch anhörte, ermöglichte eine Spitze von 165 km/h – eine beeindruckende Leistung in einer Zeit, in der die meisten Trabis auf der Autobahn rechts blinkten. Die Karosserie bestand aus GFK (glasfaserverstärktem Kunststoff), leicht und futuristisch. Der Melkus war ein Wagen für Träumer mit Zugangsberechtigung, ein Mythos, den die meisten DDR-Bürger nie im Alltag sahen. Trotzdem dominierte er Rennen in der DDR-Serie Formel Easter. Er war ein Beweis dafür, dass auch im Osten Visionen auf vier Rädern möglich waren. Heute ist er ein echtes Sammlerstück, das ausgestellt wird und Geschichten vom letzten echten Sportwagen der DDR erzählt.

5. Der IFA F9: Das „erste Familienauto der Republik“ Die Nachkriegsjahre waren grau und kalt, doch dann erschien der IFA F9 – ein Fahrzeug, das nicht nur fuhr, sondern Hoffnung verkörperte. Ab 1949 in Zwickau gebaut, basierte er auf dem geplanten DKW F9, der kriegsbedingt nie auf die Straße kam. Er wurde zum Symbol des Aufbruchs in der DDR, sah nicht nach Notbehelf aus, sondern wie ein Statement mit stromlinienförmigem Design und glänzender Oberfläche.

Unter der Haube arbeitete ein Dreizylinder-Zweitakter mit knapp 28 PS, ausreichend für 110 km/h. Der F9 war das „erste Familienauto der Republik“ und fuhr sich erstaunlich gut, mit Frontantrieb – damals fast revolutionär. Er war robust und hatte einen Innenraum, der wie eine kleine Lounge wirkte. Beliebt war er bei Ärzten, Ingenieuren und Parteifunktionären – kein Auto für jedermann, aber für all jene, die sich etwas Eigenes aufgebaut hatten. Es gab ihn als Limousine, später als Kombi und selten sogar als Cabrio-Prototyp. Er prägte das Straßenbild der frühen 50er Jahre und war der Großvater des Wartburg 311, ein technologisches Bindeglied zwischen Vor- und Nachkriegszeit. Heute ist der IFA F9 eine Rarität, die nur wenige überlebt und wirklich gekannt haben.

Diese fünf Fahrzeuge sind mehr als nur alte Autos; sie sind Symbole einer vergangenen Ära, Zeugen des Alltags, von Mangelwirtschaft und Erfindungsreichtum, aber auch von Freiheit und Stolz. Sie sind die Legenden, die die Straßen der DDR erzählten.

Die Waldsiedlung Wandlitz: Macht, Privilegien und der Untergang der DDR

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Die Waldsiedlung Wandlitz, etwa 30 km nördlich von Berlin und nahe Wandlitz im Wald gelegen, war der streng abgeschirmte Wohnsitz der mächtigsten Persönlichkeiten der DDR, darunter Walter Ulbricht, Erich Honecker und Erich Mielke. Sie wurde zu einer Projektionsfläche für viele Widersprüche und Probleme der DDR-Gesellschaft und gilt als einer der „Sargnägel“ für das SED-Regime und den Untergang der DDR.

Bau und Abschottung Der Bau der Waldsiedlung begann im Mai 1958 unter höchster Geheimhaltung im 1,5 km² großen Waldgebiet bei Wandlitz in der Nähe von Bernau. Die Bauarbeiten wurden von der Stasi überwacht. Gerüchte über den Bau, darunter die Annahme, dass die sowjetische Militär-Administration dort bauen würde, machten schnell die Runde, doch es wurde rasch klar, dass die DDR-Regierung der Bauherr war, da viele Handwerker aus der Umgebung dort arbeiteten. Einige dieser Handwerker setzten sich nach West-Berlin ab und versorgten die westliche Presse mit Informationen und Gerüchten über eine luxuriöse Siedlung für die SED-Prominenz. Es gab Berichte über die Verwendung edelster Materialien, wie Marmor aus Italien, was auch Teil der ideologischen Auseinandersetzung und Propaganda im Kalten Krieg war.

Die Waldsiedlung war von Anfang an ein Stasi-Objekt. Heinz Gläske, Deckname Hegl, ein Stasi-Mann und Chef des Sonderbaustabes 10, leitete die gesamten Bauplanungen. Er war ein vertrauenswürdiger Mann, da er sich aufgrund seiner Vergangenheit – der Tötung eines Antikommunisten im Auftrag der Staatssicherheit – nicht in den Westen absetzen konnte. Gläske koordinierte die Bauplanungen mit 100 Fremdfirmen und 650 Bauarbeitern, die alle streng von der Staatssicherheit kontrolliert wurden.

In nur zwei Jahren entstand ein „Städtchen im Wald“ mit einem Innen- und Außenring, umgeben von einer 2 Meter hohen Mauer mit Stacheldraht und zwei Drähten (einer stromführend, einer ohne Strom). Im Inneren gab es keine Wege- oder Straßennamen; die Häuser der Funktionäre waren von 1 bis 23 nummeriert, während Dienstboten Postfachnummern in Bernau hatten. Niemand durfte ohne speziellen Ausweis oder Besuchserlaubnis hinein. Das gesamte Personal, das die 23 Familien versorgte (650 Mitarbeiter), waren Mitglieder des Personenschutzes der Staatssicherheit, alle mit Schweigegelübde und militärischem Rang. Sie trugen Berufsbekleidung, hatten aber Uniformen in ihren Schränken für militärische Einsätze und absolvierten regelmäßig militärische Übungen und Schießtraining. Personenschützer mussten sogar bei Staatsempfängen ihre Pistolen bei sich tragen, aus Angst vor Attentaten.

Der Umzug der Partei-Elite aus dem Pankower Städtchen, dem Majakowskiring, im Spätsommer 1960 wurde als notwendig erachtet, da es dort zu eng und zu gefährlich geworden war, insbesondere im Hinblick auf die Ereignisse des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953. Auch wenn es keine direkten Beweise dafür gibt, dass der 17. Juni der alleinige Grund war, so wollte man doch in einen Bereich ziehen, der unter Sicherheitsaspekten besser geschützt werden konnte. Das Politbüro wollte sich aus der „Schusslinie des Kalten Kriegs“ nehmen und den vielen betagten Genossen eine naturnahe Umgebung garantieren. Ulbricht persönlich gab sein Okay für Wandlitz, da es abgeschottet und mitten in der Natur lag – eine wahre „Enklave der Macht“.

Lebensstil und Privilegien Die Häuser in der Waldsiedlung, obwohl von außen als „relativ bescheiden“ wahrgenommen, waren in Wirklichkeit anspruchsvolle Bauten mit Grundtypen in verschiedenen Variationen, angepasst an die Bedürfnisse der Bewohner. Die Miete von 400 bis 800 DDR-Mark beinhaltete alles: Um-, An- und Sonderbauten, die Nutzung selbst ausgewählter, oft teuer gebauter Möbel, sowie die Kosten für das Dienstpersonal wie Putzfrauen, Köche, Kellner, Schneider oder Friseure. Auch private Tankfüllungen wurden von der Stasi bezahlt, die für den Schutz und die komplette Rundumversorgung zuständig war. Jeder Wunsch war Befehl; ein „Nein“ war nicht möglich.

Die Wünsche hielten sich anfangs noch in den Grenzen des Ostens, so gab es für Lotte Ulbricht Äpfel aus Bulgarien. Lothar Herzog, der 23 Jahre lang als Kellner im Klubhaus und als persönlicher Steward Honeckers arbeitete, erinnerte sich an solche Details. Der Funktionärsclub (F-Club) im Zentrum der Siedlung bot Annehmlichkeiten wie eine Gaststätte, Sauna, Kegelbahn, Schwimmhalle und einen Kinosaal. Hier wurden selbst um 6 Uhr morgens Mineralwasserwünsche von Minister Mielke erfüllt.

Mit dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker im Jahr 1971 begann eine Zeitenwende in der Waldsiedlung. Das sichtbarste Zeichen war das „Ladenkombinat“, das ein Warenangebot für jährlich bis zu 8 Millionen D-Mark bereitstellte, mit allem, was im Alltag der DDR nicht zu kaufen war. Schon in den 1960ern gab es West-Waren in kleinerem Umfang. Nach dem Grundlagenvertrag mit der Bundesrepublik 1972 mussten die West-Waren anders beschafft werden; die Stasi gründete 1965 dafür die Handelsfirma LETEX, die über Stasi-Mann Alexander Schalck-Golodkowski West-Produkte speziell für die Waldsiedlung einkaufte. Spezielle Wünsche, wie Kostüme für Margot Honecker oder Babyausstattung für Tochter Sonja, wurden an Sigrid Schalck-Golodkowski gerichtet, deren „Gruppe Schlegelstraße“ ab 1977 als Privatleute getarnt zum Ku’damm fuhr und einkaufte. Das Ladenkombinat machte Miese, da der Umtauschkurs für die Bewohner bei 1,5 Ostmark für eine Westmark lag, während für normale DDR-Bürger inoffiziell 1:10 üblich war.

Politische Machtkämpfe und Isolation Die Waldsiedlung wurde zum Sinnbild der Kluft zwischen Volk und Herrschaft, da sich die SED-Führung zunehmend von den wirklichen Problemen der DDR-Gesellschaft und ihren proklamierten politischen Zielen entfernte. Es war eine doppelte Abschottung: durch den Zaun und die Bewachung sowie durch die Distanz zur Gesellschaft. Die Funktionäre nahmen die DDR-Wirklichkeit nur noch aus den Fenstern ihrer Limousinen wahr, und Begegnungen waren hochgradig inszeniert.

Die Siedlung war auch ein Ort des Misstrauens und der sozialen Kälte. Konrad Naumann, der Berliner SED-Chef, der 1976 in Haus 16 zog, empfand die Waldsiedlung als „hässliches Ghetto“ und sah seine Nachbarn wie Erich Mielke und Günter Schabowski als fremd an. Es herrschte Angst vor Verrat durch ein falsches Wort, und man isolierte sich gegenseitig. Obwohl sich keine Belege dafür gefunden haben, dass die Waldsiedlung systematisch von der Staatssicherheit mit Abhöranlagen überwacht wurde, war die Stasi mit ihren Bediensteten und dem Bewachungspersonal, deren oberster Chef Erich Mielke war, schon vor Ort, was zu einem Klima des Misstrauens führte.

Machtkämpfe fanden auch innerhalb der Siedlung statt. Erich Apel, Leiter der Staatlichen Plankommission, versuchte Wirtschaftsreformen (NÖSPL) durchzusetzen, sah sich aber Boykott von Erich Honecker und Günter Mittag gegenüber. Nach einer kritischen Diskussion seiner Plan-Entwürfe am 2. Dezember 1965 wurde Apel am nächsten Morgen tot in seinem Berliner Büro gefunden, mit einem Kopfschuss und der Pistole in der Hand. Obwohl offiziell als Unglücksfall infolge einer Kurzschlusshandlung deklariert, gab es Zweifel am Suizid, da der Tatort verändert und eine volle Patronenschachtel gefunden wurden. Seine Frau Christa Apel musste die Waldsiedlung mit ihrer Tochter verlassen, und kein Genosse des Politbüros meldete sich bei ihr, auch nicht Apels „bester Freund“ Günter Mittag, der stattdessen Karriere machte.

Günter Mittag übernahm Apels Jagdhütte und fand einen neuen Jagdfreund in Erich Honecker. Beide nutzten gemeinsame Jagdausflüge, um Strippen gegen Walter Ulbricht zu ziehen. Honecker sicherte sich zudem langfristig die Unterstützung des Kreml-Chefs Leonid Breschnew, indem er sich seit 1965 mit ihm in der Schorfheide traf. Obwohl Ulbricht Breschnew bereits 1969 mitgeteilt hatte, dass er nicht mehr lange als Erster Sekretär tätig sein könne, bat Breschnew ihn zu bleiben. Doch mit Moskaus Unterstützung gelang es Honecker, Ulbricht zu entmachten. Am 3. Mai 1971 trat Ulbricht offiziell zurück und zog freiwillig aus der Waldsiedlung aus.

Jagd war ein Statussymbol der Macht. Honecker und Mittag nutzten die Jagd in Honeckers Refugium „Wildfang“ in der Schorfheide als heimliche Machtzentrale, wo wichtige Themen besprochen wurden. Mielke hatte sogar ein höheres Sicherheitsbedürfnis als Honecker; wenn er ankam, wurde die Schorfheide von etwa 80 Mitarbeitern umzingelt, im Vergleich zu 13-14 Mann bei Honecker. Es wurde auch berichtet, dass Honecker und Mittag bei einer Jagd in anderthalb Stunden vier bis fünf Hirsche erlegten, indem sie die Tiere mit dem Jagdwagen umfuhren, sodass diese nicht entkommen konnten.

Das Ende der Ära und das Erbe Am 17. Oktober 1989 wurde Erich Honecker von allen Ämtern zum Rücktritt gezwungen, unter anderem von seinem Jagdfreund Günter Mittag und Stasi-Chef Erich Mielke. Am 8. November erlegte Honecker seinen letzten Hirsch, und am 9. November fiel die Mauer. Danach gingen in der Waldsiedlung nach und nach die Lichter aus.

Im März 1990 arbeitete Paul Bergner, ein ehemaliger Bereitschaftspolizist, als Gärtner in der Waldsiedlung. Er musste die oft fluchtartig verlassenen Häuser ausräumen, um Platz für die Patienten der Reha-Klinik zu schaffen. Das zurückgelassene Erbe der Bewohner wurde wochenlang auf einem Brandplatz verbrannt, was Bergner als „barbarischen Umgang mit der Geschichte“ empfand. Er selbst rettete Gemälde, Skulpturen, Plattensammlungen und Bücher.

Die Geschichte des Ortes umfasst auch Bunker, wie den früheren Stabsbunker, der ab 1968 gebaut wurde und im Kriegsfall bis zu 135 Personen sieben Tage lang Schutz bieten sollte. Paul Bergner bemühte sich jahrelang darum, dass die Häuser, Skulpturen, Bunker und die gesamte Anlage als Zeitzeugnis unter Denkmalschutz gestellt würden, doch in den 1990ern wollte niemand einen „Wallfahrtsort für eine Diktatur“. Erst langsam setzte sich das Bewusstsein für die historische und politisch-analytische Bedeutung solcher Orte durch. Heute stehen viele der wertvollen Skulpturen, die einst die Waldsiedlung zierten, aufwendig restauriert im Kunstraum Bernau. Einzelne Häuser und der Funktionärsclub wurden erst 2017 unter Schutz gestellt, doch der Charakter der Waldsiedlung war da bereits von der größten Reha-Klinik Brandenburgs überformt.

Heute erinnern nur noch Stelen an die einstigen Bewohner und die frühere „Landschaft der Macht“. Die Waldsiedlung Wandlitz bleibt ein offener Ort für die Auseinandersetzung mit der Geschichte. Sie macht deutlich, wie Macht dazu verleiten kann, Privilegien zu sichern und sich von den Bedürfnissen des Volkes zu entfernen. Sie ist ein Symbol für den Missbrauch von Macht und die Angst der Mächtigen, vom Volk bei diesem Missbrauch entlarvt zu werden.

Wandlitz Waldsiedlung: Das verborgene Paradies der DDR-Elite

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Die Wandlitz Waldsiedlung, einst das streng abgeschirmte Wohngebiet der DDR-Regierungsspitze, ist heute größtenteils als Brandenburgklinik bekannt und für die Öffentlichkeit zugänglich. Doch wer die Anlage betritt, begibt sich auf eine Reise in eine Zeit, in der hier die mächtigsten Männer und Frauen des Staates lebten – abgeschirmt von der Mangelwirtschaft, die den Alltag der normalen Bürger prägte.

Ein Leben abseits der Realität Bis zur Wende war der Zugang zur Waldsiedlung für normale Bürger undenkbar. Hier residierten Persönlichkeiten wie Erich und Margot Honecker, Walter und Lotte Ulbricht, Gerhard Schürer, der Chef der staatlichen Plankommission, der Sicherheitschef Erich Mielke und Erich Honeckers Nachfolger Egon Krenz. Obwohl die Häuser heute saniert und teils anders aussehen als damals, zeugen Informationsschilder an einigen ehemaligen Wohnhäusern, etwa dem von Erich und Margot Honecker, von der einstigen Prominenz der Bewohner.

Die Kinder der DDR-Führung gingen zwar in Wandlitz mit bürgerlichen Kindern zur Schule, doch selbst hier gab es einen bemerkenswerten Unterschied: Ihre Brotboxen waren „anders bestückt“, und es fanden sich darin „die eine oder andere Banane oder Orange zum Vorschein“, was für Normalbürger ein seltener Luxus war.

Luxus im Mangelstaat Das markanteste Zeichen des privilegierten Lebens in der Waldsiedlung war jedoch der exklusive Einkaufsladen. Dieser war ausschließlich den Bewohnern der Siedlung vorbehalten und bot „ausschließlich nur Westprodukte“ an. Während Bananen und andere Artikel für die breite Bevölkerung „Luxusware“ und oft nur als „Bückware“ oder durch spezielle Informationen im Betrieb erhältlich waren, war in Wandlitz alles verfügbar, was anderswo rar war. Diese massive Diskrepanz zwischen dem Überfluss der Elite und der allgemeinen Mangelwirtschaft prägte die Wahrnehmung der DDR.

Erinnerungen und Einblicke Der heutige Besucher kann sich ein Bild von diesem ehemaligen „Paradies“ machen. Einige Häuser sind mit Tafeln versehen, die über die früheren Bewohner informieren, auch wenn der Ersteller eines YouTube-Videos, der kürzlich die Waldsiedlung besuchte, anmerkt, dass nicht an jedem Haus Schilder zu finden sind, sondern nur bei den „gehobenen Persönlichkeiten“.

Interessante Anekdoten aus jener Zeit bleiben in Erinnerung, wie etwa Erich Mielkes berühmter Satz aus seiner letzten Rede: „Aber ich liebe doch ich liebe doch alle Menschen, ich liebe sie doch alle“. Oder die Bemerkung über Egon Krenz, der, obwohl bereits älter, in einer Reportage noch „die kleinsten Details“ über die damalige Zeit berichten konnte.

Die Waldsiedlung in Wandlitz ist somit nicht nur ein ehemaliger Wohnort, sondern ein Symbol für die internen Widersprüche der DDR und eine faszinierende Momentaufnahme einer vergangenen Ära. Das Gelände, das einst das Herzstück der DDR-Regierung darstellte, bietet heute einen seltenen Einblick in das Leben derer, die den „Mangelstaat“ von oben lenkten.

Wie die DDR-Nationalelf 1989 die Qualifikation verpasste

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Leipzig, 9. November 1989. In der Sportschule des DDR-Fußballverbandes bereitet sich die Nationalmannschaft um Stars wie Matthias Sammer und Ulf Kirsten auf die vielleicht wichtigste Partie seit Jahren vor. Es geht um die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1990 in Italien. Überraschend war das Team nach einem Heimsieg gegen den Vize-Europameister UdSSR Wochen zuvor noch im Rennen. Doch das bevorstehende entscheidende Qualifikationsspiel in Österreich stand im Schatten der Montagsdemonstrationen und des politischen Zusammenbruchs der DDR. Auch in der Sportschule lief nicht mehr alles nach Plan.

Trainer Eduard Geyer, der sich mit den ungewöhnlichen Bedingungen abfinden musste, wollte die Mannschaft auf das Spiel vorbereiten wie auf jedes andere auch. Doch statt Training wurde der Fernsehraum zum zentralen Punkt. „Rein in den Fernsehraum, da wieder geschaut“, erinnert sich Geyer. Die politischen Ereignisse waren dominant; die Spieler konzentrierten sich nicht auf Fußball, sondern auf das DDR-Fernsehen. Nie war der Fernsehraum der Sportschule interessanter als am Tag des Mauerfalls. Die wichtigsten Informationen kamen jedoch aus anderen Quellen, es gab „Horrormeldungen“ und Spieler, die verbotenerweise West-Radio hörten. Geyer beschreibt die Situation als etwas, das es „eigentlich in der Welt noch nie gab“, unnachspielbar und ohne Präzedenzfall.

Dennoch reiste die Mannschaft mit großer Zuversicht nach Linda Brunnen in der Nähe von Wien. Nur noch ein Punkt in Österreich trennte die Ost-Kicker von ihrer zweiten WM-Teilnahme nach 1974, und ein Unentschieden schien machbar. „Wir waren eigentlich sehr zuversichtlich, dass wir das Spiel gewinnen, zumindest den Punkt holen“, so Geyer. Das Team hatte eine sehr gute Mannschaft, vom Leistungspotenzial her sogar besser als die österreichische.

Zwei Tage vor dem Spiel stellten die Journalisten die Fragen, die sich Spieler und Trainer längst selbst stellten: Wie sieht die Zukunft des DDR-Fußballs aus? Welche Möglichkeiten eröffnet die offene Grenze für Sammer & Co.?. Spieler wie Matthias Sammer äußerten sich offen: „Ja klar, wenn ich irgendwann in der Bundesliga spielen kann, gehe ich dahin“.

Das Spiel in Wien wurde dank der nun geöffneten Grenze auch zum Ziel unzähliger ostdeutscher Fans. Fußballfan Gerd Zimmermann aus Dresden reihte sich mit seinem Wartburg in die Blechlawine gen Westen ein – nicht wegen Begrüßungsgeld oder Verwandtschaftsbesuch, sondern um das Länderspiel zu sehen. Im Nachhinein sei es „ohne nachzudenken“ gewesen, mit 80 Litern Sprit im Tank durch die Gegend zu fahren, aber „Wien musste sein“. Erstmals durften und konnten 5000 ostdeutsche Fans im ausverkauften Praterstadion ein Spiel der DDR-Auswahl im Westen live erleben. Sie waren beeindruckt vom Stadion und hatten patriotische Erwartungen an ein 1:1 oder 2:1.

Die Erwartungen wurden auch durch die Probleme des Gegners genährt: Österreich musste gewinnen, Trainer Josef Hickersberger stand in der Kritik, und Torjäger Toni Polster hatte seit Wochen Ladehemmung. Doch ausgerechnet Polster dämpfte nach nur zwei Minuten die großen WM-Hoffnungen der DDR-Kicker mit dem Führungstreffer.

Das Praterstadion war an diesem Abend voller Spione aus der Bundesliga. Trainer Christoph Daum vom 1. FC Köln und ein Mitarbeiter von Bayer Leverkusen, geschickt von Manager Reiner Calmund, beobachteten die DDR-Spieler. Alle wollten nur eines: Kontakt zu Sammer & Co. – am besten schon während des Spiels. Spieler mit West-TV-Erfahrung wunderten sich kaum noch. „Vielleicht geht dann irgendwann doch was Richtung Bundesliga“, dachten viele. Wolfgang Ahnert von Calmunds Mitarbeiter angesprochen: „Ich bin hier von Bayer Leverkusen von einem Calmund beauftragt mit zu gucken“.

Am Ende blieb es beim 3:0 für Österreich, das damit zur Weltmeisterschaft nach Italien fahren durfte. DDR-Trainer Eduard Geyer hadert bis heute mit dem Schicksal und den außergewöhnlichen Rahmenbedingungen des Spiels: „Aufgrund der Umstände hat man keine Chance“. Er sagte stets: „Die Mauer ist sechs, acht Wochen zu früh geöffnet worden“. Ohne diese Ablenkung wäre die volle Konzentration da gewesen, und die Qualifikation hätte erreicht werden können.

Das Nichterreichen der WM bewahrte die Fußballwelt vor einem Kuriosum, denn am selben Abend qualifizierte sich die Bundesrepublik mit einem Last-Minute-Sieg gegen Wales ebenfalls für die WM. Was wäre passiert, wenn nur wenige Wochen vor der Wiedervereinigung zwei deutsche Teams in Italien gespielt hätten?. Die DDR-Elf existierte noch bis September 1990, bestritt nur noch Freundschaftsspiele – stets ungeschlagen – und verhandelte fleißig mit den Bundesliga-Klubs.

In der Sportschule Leipzig wurde nun offen über die West-Zukunft der Stars diskutiert. Sammer, Kirsten und Thom sollten laut Calmunds Vorstellungen zu Bayer Leverkusen wechseln. Doch in Matthias Sammers Fall spielte die Politik möglicherweise eine Rolle: Er landete nicht in Leverkusen, sondern in Stuttgart. Angeblich intervenierte Bundeskanzler Helmut Kohl, um zu verhindern, dass alle Top-Spieler aus der DDR bei Bayer Leverkusen landeten.

Vom Sandmännchen erklärt: So arbeitete ein Gas-Wasser-Installateur in der DDR

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Ein faszinierender Einblick in den Alltag eines Handwerkers in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wird uns durch die Augen der kleinen Grit und authentische Arbeitsbeschreibungen gewährt. Basierend auf Aufnahmen des DDR-Abend-Fernsehens aus dem Jahr 1978 in der Sendung „Das Sandmännchen“ sowie einem Transkript des YouTube-Videos „Wie in der DDR ein Gas-Wasser-Installateur arbeitete“ erhalten wir ein lebendiges Bild des Berufs eines Gas-Wasser-Installateurs.

Die kleine Grit erklärt den Beruf ihres Vaters als Gas-Wasser-Installateur und schildert, wie er oft „defekt“ nach Hause kommt. Ihr Vati ist nicht nur ein Meister seines Faches, sondern auch Ausbilder: Er bildet in seiner Werkstatt Lehrlinge aus, die ebenfalls Gas-Wasser-Installateur werden möchten. Oft nimmt er seine Schützlinge sogar zu Reparaturarbeiten mit, um ihnen praktische Erfahrungen zu vermitteln.
Die Arbeit eines Gas-Wasser-Installateurs in der DDR war vielfältig und erforderte den Einsatz verschiedener Werkzeuge und Techniken. Zu den grundlegenden Werkzeugen, die der Vater von Grit benutzt, gehören eine Rohrzange, ein Hammer, eine Säge, ein Schraubenzieher und Gewinnemaschinen.

Ein konkretes Beispiel seiner Arbeit wird detailliert beschrieben: Wenn ein Rohr kaputt ist, schneidet der Lehrling bereits ein neues Rohr zu. Grits Vater hingegen sägt das undichte Teil heraus und beseitigt das Gewinde. Manchmal benötigt er auch eine heiße Flamme, um zum Beispiel ein Plaste-Rohr zu erwärmen und das Verbindungsstück zum Waschbecken wieder zu befestigen. Eine solche Reparatur hat einen direkten Nutzen für die Gemeinschaft: Grit und alle anderen Schülerinnen können ihren Waschraum anschließend wieder benutzen.

Über seine handwerkliche Tätigkeit hinaus wird Grits Vater auch als jemand beschrieben, der in der Schule „Geschichten erzählen von Freude und Fleiß“, Geschichten, „die noch keiner weiß“. Dies unterstreicht die Rolle des Handwerkers nicht nur als technischen Problemlöser, sondern auch als einen Menschen, der Wissen und Lebenserfahrung teilt.

Die damaligen Medien, wie „Das Sandmännchen“, spielten eine wichtige Rolle dabei, Kindern die verschiedenen Berufe näherzubringen und ein Verständnis für die Arbeitswelt zu vermitteln. Die vorliegenden Quellen geben uns einen authentischen Einblick in einen essentiellen Beruf in der DDR, der sowohl handwerkliches Geschick als auch soziale Verantwortung umfasste.

Eine Reise in die Welt von Minol und dem Tanken in der DDR

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Ein tiefrotes und leuchtend gelbes Logo, ein lustiger Vogel als Maskottchen und feste Preise, die sich kaum änderten – das war Minol, der VEB Minol, der am 1. Januar 1956 gegründet wurde und das Tanken in der Deutschen Demokratischen Republik prägte. Doch die Geschichte von Minol ist weit mehr als nur Benzin und Öl; sie ist ein Spiegelbild einer vergangenen Ära mit ihren Eigenheiten, Herausforderungen und überraschenden Innovationen.

Farbstreit und feste Preise Die charakteristischen rot-gelben Farben von Minol führten nach der Wende zu einer rechtlichen Auseinandersetzung mit Shell, die ein ähnliches Farbschema nutzte. Minol änderte daraufhin 1993 ihr Design zu Lila. Eine weitere Besonderheit der Minol-Ära waren die festen Preise für Kraftstoffe, die so stabil waren, dass sie auf gedruckten Preislisten vermerkt werden konnten. Ein Liter Vergaserkraftstoff VK88 kostete beispielsweise konstant 1,50 Mark.

Tankprobleme am Wochenende und die „Nachttankautomaten“ In den 1950er und 60er Jahren waren Minol-Tankstellen nachts und am Wochenende geschlossen. Dies führte zu dem bekannten Werbespruch des Minol-Piroles: „Zum Wochenende ist alles klar, für den, der freitags tanken war“. Um dieser Einschränkung entgegenzuwirken, kündigte der „Minolratgeber“ – die hauseigene Zeitung von Minol – 1963 den ersten Nachttankautomaten an. Kunden konnten unter der Woche einen speziellen Schlüssel für 7,50 Mark (entspricht 5 Litern) erwerben. Dieser Schlüssel passte zu allen Nachttankboxen, die im ganzen Land verteilt waren. Im Inneren der Box befand sich ein 5-Liter-Kanister an einem Stahlseil, den man nach dem Befüllen des Autos wieder ordnungsgemäß zurückstellte. Für größere Mengen konnten entsprechend mehr Schlüssel erworben werden, was jedoch, insbesondere für Frauen, physisch anspruchsvoll sein konnte, da die Kanister schwer waren.

Das Öl-Dilemma und der Minol-Pirol Da viele Fahrzeuge mit Gemisch betrieben wurden, benötigte man zusätzlich Öl. Zunächst gab es das Mischöl MZ22 in Automatenflaschen für 80 Pfennig. Diese Automaten, die mit 1 Mark der Deutschen Notenbank gefüttert wurden und kein Wechselgeld gaben (was bedeutete, dass pro Flasche Öl 20 Pfennig Wechselgeld übrig blieben), waren jedoch anfällig für Aufbrüche. Kriminelle entnahmen das Bargeld, ließen aber das Öl zurück. Dies führte zu erhöhten Instandhaltungskosten, weshalb Minol das Öl schließlich direkt in die Zapfsäule integrierte, sodass man das gewünschte Gemisch direkt einstellen konnte.

Das Maskottchen des VEB Minol, der Minol-Pirol, wurde ebenfalls 1956 geboren. Seine Form war einer sogenannten Mischkanne nachempfunden, mit der man früher Öl und Benzin selbst mischte. Der Minol-Pirol, oft als „Dicker“ beschrieben, war das ostdeutsche Pendant zu Arals „Bert“, der im Westfernsehen Werbung machte.

Nachhaltigkeit und überraschende Kooperationen Bereits zu DDR-Zeiten legte Minol Wert auf Nachhaltigkeit: Alte, verbrauchte Zündkerzen konnten zur Regenerierung abgegeben werden, wofür man 90 Pfennig pro defekter Kerze erhielt. Eine regenerierte Kerze kostete dann 2,50 Mark. Nach der Wende kam es zu einer bemerkenswerten Marketingaktion: Begleitend zur Designänderung 1993, die aufgrund des Rechtsstreits mit Shell erfolgte, veranstaltete Minol eine große Tombola. Werbeträger hierfür war kein geringerer als Michael Schumacher, damals noch mit Benetton unterwegs. Er ist der einzige Weltmeister, der jemals Reklame für einen Ostkonzern gemacht hat, wobei sein Logo auf der Brust und dem Helm zu sehen war.

Von der Apotheke zur Zapfsäule: Die frühe Geschichte des Tankens Die Geschichte des Tankens reicht weit vor die Ära von Minol zurück. Die erste Autofahrt Deutschlands fand 1888 statt, durchgeführt von Bertha Benz. Sie borgte sich das Benz 3irad ihres Mannes aus und fuhr 100 km von Karlsruhe nach Pforzheim. Unterwegs musste sie zwölfmal tanken – in der Apotheke, denn dort gab es damals das Leichtbenzin Ligroin. Das mühsame und langwierige Befüllen in Apotheken führte zur Erfindung der ersten mechanischen Tanksäulen um 1915-1920. Damals wurde man noch vom Tankwart mit „Gnädiger Herr“ begrüßt, der das Benzin literweise in einen Zylinder pumpte, bevor es ins Fahrzeug abgelassen wurde.

Das Tankstellenmuseum: Ein Erbe wird bewahrt Die Faszination für die Tankstellengeschichte mündete 2006 in der Gründung des Tankstellenmuseums, welches nun seit 18 Jahren existiert. Der Gründer, über 30 Jahre im Dienst einer Mineralölgesellschaft und viele Jahre in den alten Bundesländern tätig, sammelte zahlreiche technische Gegenstände und Dokumente, die er zuvor im Osten Deutschlands nicht gesehen hatte. Nachdem die Sammlung zunächst in einer Scheune gelagert wurde, fand sie schließlich ein Zuhause in einem über 150 Jahre alten, historischen Gebäude, das 2005 erworben und vor dem Verfall gerettet wurde. Heute ist das Tankstellenmuseum eine wichtige Einrichtung, die die Geschichte des Tankens und der Minol-Ära lebendig hält und den Besuchern einen einzigartigen Einblick in ein Stück deutscher Technik- und Wirtschaftsgeschichte bietet.

Verlust und Erwartung: Ein Rückblick auf die DDR-Führung und die Wendejahre

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In einer bemerkenswerten Buchvorstellung in Berlin präsentierte Egon Krenz, einst Staatsratsvorsitzender der DDR, seinen dritten Memoirenband mit dem Titel „Verlust und Erwartung“. Das Gespräch, moderiert von Holger Friedrich, dem Verleger der Berliner Zeitung, versprach von Anfang an mehr als ein herkömmliches Interview zu sein: Es sollte ein „Gespräch zwischen einem leidenschaftlichen Zeitungsmann und einem leidenschaftlichen Sozialisten“ werden. Diese ungewöhnliche Begegnung bot tiefe Einblicke in Krenz’ persönliche Reflexionen und die komplexen Entscheidungsprozesse am Ende der DDR.

Die persönliche Perspektive des Egon Krenz
Für Egon Krenz sind seine Memoiren, darunter die Bände „Aufbruch und Aufstieg“ und „Gestaltung und Veränderung“, vor allem seine Biografie. Er betont, dass die DDR „viele Facetten“ hatte und dass er sich entschieden hat, seine Erfahrungen nicht dem „Verludern“ zu überlassen. Krenz, 1937 in Kolberg geboren und somit ein Kriegskind, hat Hunger und die Zerstörung seiner Heimatstadt erlebt. Das zentrale Wort seines Lebens und seiner Bücher sei „Frieden“. Er erinnert an ein Treffen zwischen Erich Honecker und Helmut Kohl 1985 in Moskau, bei dem beide Seiten schworen: „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen.“ Krenz äußert die Sorge, dass dieses Erbe heute in Gefahr sei, insbesondere angesichts der aktuellen deutschen Rüstungspolitik und der Debatten um Waffenlieferungen, die Deutschland in einen Krieg gegen Russland ziehen könnten. Er sieht darin das Gegenteil dessen, was die Bürger der DDR im Herbst 1989 einforderten, als die NVA sogar reduziert wurde.

Die Mauer und die Last der Entscheidungen
Ein zentraler, emotionaler und historisch belasteter Punkt der Diskussion war die Gewalt an der innerdeutschen Grenze. Holger Friedrich konfrontierte Krenz mit dem Tod von Chris Gueffroy im Februar 1989 und Krenz‘ Verantwortung für die Sicherheit als Politbüromitglied. Krenz bedauerte jeden Todesfall an der Grenze und erklärte, sich dafür „vor Gericht entschuldigt“ zu haben. Er beleuchtete die historischen und geopolitischen Hintergründe der Grenze, die als „Systemgrenze“, „militärische Grenze“ zwischen Warschauer Pakt und NATO sowie als „Staatsgrenze“ zwischen DDR und BRD fungierte. Er widersprach der westlichen Propaganda, dass die DDR-Führung sich über Tote gefreut hätte. Nach Gueffroys Tod sei im Politbüro festgelegt worden: „Es wird an der Grenze nicht mehr geschossen“, was auch im Urteil über ihn enthalten sei und seitdem zu keinem weiteren Todesfall führte.

Krenz räumte ein, dass die Frage der Reisefreiheit 1989 eine der Hauptfragen war und dass man sie hätte früher lösen sollen. Er erklärte die damalige Sichtweise, dass die Reisefreiheit auch eine Frage der Ökonomie war, da Reisende von Verwandten oder dem BRD-Staat abhängig wurden. Ein weiteres Problem war die Nicht-Respektierung der DDR-Staatsbürgerschaft durch die Bundesrepublik, was die Entscheidungen der DDR-Führung erschwerte.

Emanzipation und die Wende von 1989
Trotz der starken Abhängigkeit von der Sowjetunion gab es Momente der Emanzipation. Krenz erinnerte an Honeckers öffentlichen Widerstand gegen die Stationierung von Raketen auf deutschem Boden, was zu einer Auseinandersetzung mit der sowjetischen Führung, insbesondere mit Gorbatschow, führte. Obwohl Honecker dies ohne Gorbatschows Zustimmung tat, sieht Krenz es im Nachhinein als Fehler an.

Holger Friedrich beschrieb die offensichtliche Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Bevölkerung und der Reaktion der politischen Führung im Sommer 1989. Krenz bestätigte, dass das Politbüro – insbesondere er selbst, Siegfried Lorenz, Bernhard Felfe, Gerhard Schürer und Harry Tisch – diskutierte, dass Honecker nach 18 Jahren an der Spitze abgelöst werden müsste. Krenz‘ eigene Illusion war es, Honecker dazu zu bewegen, die notwendigen Fragen selbst zu stellen, doch dieser lehnte Reformen ab und legte Vorschläge von Krenz in den Panzerschrank.

Ein Wendepunkt war der 7. Oktober 1989, der 40. Jahrestag der DDR, an dem es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten kam. Krenz berichtete von einer Beratung am 8. Oktober mit allen Verantwortlichen für die Sicherheit der DDR, bei der er eine sechsseitige Erklärung zur politischen Lage verlas. Der letzte Satz: „Politische Probleme müssen politisch gelöst werden, es darf keine Gewalt geben“. Die Generäle, die für die Sicherheit der DDR zuständig waren, hätten daraufhin Beifall geklatscht. Krenz betonte, dass seit dem 8. Oktober keine gewaltsamen Zusammenstöße mehr zwischen Demonstranten und Staatsmacht in der DDR stattfanden. Er führte diese kollektive Bereitschaft, nicht in die Konfrontation zu gehen, auf die „humanistische Erziehung“ in der DDR-Schule zurück. Holger Friedrich lobte dies als „zivilisatorische Großtat“.

Die Zeit nach der Wende: Persönliche Bilanz und Appell zur Versöhnung
Nach seinem Rücktritt Anfang Dezember 1989 und der Machtübergabe an Hans Modrow und später Lothar de Maizière, sah sich Krenz mit Hausdurchsuchungen, Enteignungen und Gerichtsprozessen konfrontiert. Er wurde zu 6,5 Jahren Haft verurteilt und saß vier Jahre. Er kritisierte das rückwirkende Gesetz, das im wiedervereinigten Deutschland angewandt wurde, und die Zeugenaussagen im Honecker-Prozess, die seiner Meinung nach nicht die tatsächliche Situation des sowjetischen Einflusses auf das Grenzregime widerspiegelten.

Krenz beschrieb den Moment der Vereinigung der beiden deutschen Staaten als den Verlust seines Vaterlandes, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Dennoch sah er darin auch etwas Großes: die Beseitigung der Möglichkeit, dass zwei deutsche Staaten Krieg gegeneinander führen könnten. Er zeigte sich erstaunlich gelassen im Rückblick auf die ihm zugefügten Ungerechtigkeiten, was Holger Friedrich tief beeindruckte.

Holger Friedrich lenkte die Diskussion auch auf die „Ausgrenzung der ostdeutschen Eliten“ nach der Wende, die nicht ausreichend aufgearbeitet worden sei. Er sprach von tragischen Schicksalen, darunter Bilanz-Suizide von Menschen, die ihre Arbeit verloren hatten oder sozial ausgegrenzt wurden. Krenz bekräftigte, dass es an der Zeit sei, dass sich die „altbundesdeutsche Elite“ bei den Ostdeutschen entschuldigt. Sein größter Wunsch ist, dass seine Kinder, Enkel und Urenkel den Frieden erleben und „nie wieder einen Krieg haben“.

Das Gespräch zwischen Egon Krenz und Holger Friedrich bot somit nicht nur einen Einblick in die Vergangenheit, sondern auch eine Mahnung für die Gegenwart, die Mechanismen von Macht und Propaganda kritisch zu hinterfragen und die Lehren aus der deutschen Geschichte zu ziehen, um eine friedliche Zukunft zu gestalten.