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Kontroverser Windpark in Brandenburg: Klimaschutz gegen Naturschutz im Kiefernwald

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In Brandenburg entfaltet sich ein tiefgreifender Konflikt um die Zukunft eines Waldes zwischen Teupitz und Halbe. Dort plant die Firma Energiequelle den Bau von 55 Windrädern, die jeweils mehr als doppelt so hoch wären wie die 100 Meter hohe Halle von Tropical Islands. Dieses Vorhaben, das Deutschlands größten Windpark direkt im Wald entstehen lassen könnte, stößt auf entschlossenen Widerstand einer Bürgerinitiative und wird von Naturschutzexperten kritisch hinterfragt.

Die Perspektive der Planer und Befürworter
Die Firma Energiequelle, deren Hauptsitz nur 15 Kilometer vom geplanten Standort entfernt ist, argumentiert mit der Effizienz und den bereits vorhandenen Gegebenheiten. Ein Hauptgrund für die Wahl dieses Kiefernwaldes ist die direkte Nähe zu einer Höchstspannungsleitung zur Einspeisung des erzeugten Stroms. Zudem gehört der gesamte Wald einem einzigen Eigentümer, und es existieren bereits zahlreiche Wirtschaftswege, die von Feuerwehren und Forstfahrzeugen genutzt werden. Dies würde bedeuten, dass für den Windradbau keine neuen Schneisen geschlagen werden müssten, da die bestehenden Wege nur sehr bedingt ausgebaut werden müssen. Die Firma betont, man habe sich mit der lokalen Forst abgestimmt, um die genauen Standorte zu finden und den Eingriff so minimal wie möglich zu halten, indem die Anlagen an den Wegen orientiert werden. Auf Wunsch der Anwohner wurde die Planung bereits um 20 Anlagen reduziert und der Abstand zum nächsten Wohnhaus auf 1.600 Meter erweitert.

Aus rechtlicher Sicht sei der Bau von Windenergieanlagen an diesem Standort nach aktueller Bundesgesetzgebung möglich. Mario Hecker, Stadtverordneter von Teupitz, sieht im Windpark eine Chance für die notorisch unterfinanzierte Kommune. Er weist auf die Möglichkeit der Gewinnbeteiligung hin, die Investitionen in Schulen, den Straßenausbau in den Ortschaften und die Förderung von Vereinen ermöglichen könnte. Sollte die Genehmigung erteilt werden, könnte das erste Windrad bereits 2028 entstehen.

Der Widerstand der Bürger und Umweltexperten
Die Mitglieder der Bürgerinitiative gegen den Windpark kämpfen entschlossen gegen das Projekt. Für sie ist der Blick über die weite Waldlandschaft des Naturparks Dahme-Heideseen einmalig, und sie können sich die Dimensionen der geplanten 250 Meter hohen Windräder inmitten des Waldes kaum vorstellen. Sie betonen, dass es um die Landschaft und Natur geht, in der sie leben. Während sie anerkennen, dass Naturschutz manchmal zugunsten des Klimaschutzes zurückgestellt werden muss, sehen sie in diesem Fall eine „Gefährdung von Artenvielfalt, von Natur, die überhaupt nicht nötig ist“, da „Brandenburg genug Fläche“ habe. Anwohner kritisieren zudem, dass die Firma „über die Köpfe der Leute hinweg plant“, obwohl sie im Genehmigungsverfahren beteiligt werden und Stellungnahmen abgeben können.

Professor Pierre Ibisch, Experte für Sozialökologie und Waldökosysteme an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, teilt die Bedenken aus ökologischer Sicht. Er hebt hervor, dass die Wälder in Deutschland bereits stark gestresst sind, hauptsächlich durch den Klimawandel (Erwärmung, Dürren) und die Existenz von Monokulturen. Ein weiteres Problem sei die starke Zersplitterung der deutschen Waldlandschaft, mit fast 2 Millionen Waldfragmenten, von denen 98 Prozent kleiner als ein Quadratkilometer sind. Ibisch fragt kritisch, ob es eine gute Idee sei, diese „letzten kleinen Wälder und Forsten noch weiter zu zerschneiden“.

Er warnt vor konkreten Schädigungen durch Windräder im Wald:
• Schädigung von fliegenden Vögeln und Fledermäusen.
• Stärkere Erwärmung der Flächen: Durch zusätzliche Freiflächen, Schwerlast-Trassen, möglicherweise ökosystemfremdes Material und die notwendigen freien Plattformen um die Windräder erwärmt sich die Oberfläche an heißen Tagen deutlich stärker. Kiefernforste, die sonst 25-26 Grad Oberflächentemperatur aufweisen, könnten mit Windrädern über 30 Grad erreichen, was den Stress für das Ökosystem erhöht und zum Klimawandel beiträgt.

Ibisch bezeichnet den Konflikt als „tragisch“. Er betont, dass Wälder selbst einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten, insbesondere wenn sie von Kiefernplantagen zu naturnahen Beständen entwickelt werden, da sie die Landschaft kühlen und zum Landschaftswasserhaushalt beitragen – Aspekte, die angesichts zunehmender Trockenheit und Hitze dringend benötigt werden. Seine Schlussfolgerung ist klar: Erneuerbare Energien müssen produziert werden, aber „doch bitte dort, wo sie gebraucht wird und intelligenter. Und nicht jetzt die allerletzten Fragmente von halbwegs naturnahen Flächen auch noch zerstören“.

Der geplante Windpark in Brandenburg verdeutlicht das zentrale Dilemma der Energiewende: die notwendige Expansion erneuerbarer Energien steht hier im direkten Konflikt mit dem Schutz sensibler Naturräume und der Artenvielfalt. Die Entscheidung der Genehmigungsbehörde wird zeigen, welche Prioritäten in diesem speziellen Fall gesetzt werden.

Die tragischen Unglücke der DDR und die Mauer des Schweigens

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Die Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik ist nicht nur eine Erzählung von Aufbau und sozialistischem Leben, sondern auch eine von tragischen Unglücken, deren Hintergründe und wahre Ursachen oft im Verborgenen blieben. Für die Staatsführung waren solche Ereignisse politisch brisant, da sie das Bild eines funktionierenden Systems gefährden konnten. Das Ergebnis war eine Politik des strengsten Stillschweigens und der gezielten Informationskontrolle, die die Öffentlichkeit und insbesondere die Hinterbliebenen in quälender Ungewissheit zurückließ.

Die Grube als tödliche Falle: Das Zwickauer Bergbauunglück von 1960
Am Morgen des 22. Februar 1960 ereignete sich im Zwickauer Steinkohlewerk „Karl Marx“ eine Katastrophe, die sich tief in das kollektive Gedächtnis einprägte. In rund 1000 Metern Tiefe kam es zu einer Explosion, gefolgt von einer schnellen Ausbreitung von Feuer. Panik brach aus, und die Grube wurde zur tödlichen Falle für 178 eingeschlossene Bergleute. Trotz des mutigen und aufopferungsvollen Einsatzes der Grubenwehren, die sich selbst verbrannten, um Überlebende zu retten, und des Eilens von Ministerpräsident Otto Grotewohl zum Unglücksort, starben 123 Kumpel in der brennenden Hölle.

Besonders hervorzuheben ist die Ablehnung westdeutscher Hilfsangebote – inklusive Grubenwehren und einer speziellen Rettungskapsel – durch die DDR-Regierungskommission. Im Kontext des Kalten Krieges und des „systemischen Systemkampfes“ wollte die DDR vermitteln: „Wir schaffen das alleine, wir sind stark genug, wir brauchen den Westen nicht“. Diese politische Haltung führte dazu, dass angeforderte ostdeutsche Grubenwehren erst zwei Tage nach dem Unglück eintrafen.

Die Tragödie wurde schnell zu einem innerdeutschen Politikum. Während westdeutsche Zeitungen über mangelnde Arbeitssicherheit und den unbedingten Willen zur Planerfüllung spekulierten, konterte die DDR-Presse mit scharfen Tönen. Erst nach der Wende wurden geheime Stasi-Berichte zugänglich, die zeigten, dass die Katastrophe durch einen Sprenghauer und grobe Vergehen gegen Sprengstoffvorschriften verursacht worden war. Die Bevölkerung erfuhr davon jedoch nichts; offiziell wurde eine Schlagwetter- und Methan-Kohlenstaubexplosion als Ursache angegeben.

Die tödliche Spritztour: Das Panzerunglück am Rietzsee 1965
Fünf Jahre später, im Sommer 1965, geschah ein weiteres tragisches Unglück, das die gefährliche Nähe zwischen Volk und Militär in der DDR offenbarte. Am Rietzsee in Brandenburg nahmen Soldaten eines Militärstützpunktes Kinder aus einem Ferienlager zu Spritztouren auf einem Schwimmpanzer mit. Trotz klarer Vorschriften, die dies untersagten, geschah das Unfassbare: Der Panzer kenterte etwa 100 Meter vom Ufer entfernt, und sieben Jungen ertranken. Eines der Opfer war der siebenjährige Frank Peter Smolka, der nicht schwimmen konnte.

Die Militarisierung der Gesellschaft war in der DDR politisch gewollt. Kinderbesuche bei der NVA waren üblich, und selbst in Vorschulen wurden Soldatenlieder gesungen. Kinderbücher mit Titeln wie „Wenn die Haubitzen schießen“ prägten das Bild. Nach dem Unglück versuchten die Staatsorgane den Vorfall einzudämmen: Das Gebiet wurde abgeriegelt, Telefone abgestellt, und für die Öffentlichkeit wurde eine schwammige Meldung formuliert, die das Militärfahrzeug als „Motorfahrzeug der Nationalen Volksarmee“ umschrieb und die tatsächliche Kinderzahl verschleierte. Interne Diskussionen in der Armee belegten jedoch die Mitschuld der Vorgesetzten, doch am Ende wurden nur „kleine Fische“ verurteilt.

Der Flammeninferno von Langenweddingen 1967
Im Juli 1967 ereignete sich in Langenweddingen, Bezirk Magdeburg, das schlimmste Eisenbahnunglück der DDR-Geschichte. Ein Personenzug kollidierte an einem Bahnübergang mit einem Tanklastwagen, der 15.000 Liter Leichtbenzin geladen hatte. Die Unfallstelle verwandelte sich in ein Flammeninferno. Von den 94 Todesopfern waren 44 Kinder und Schüler. Viele Überlebende trugen schwerste Verbrennungen davon.

Die Rekonstruktion der Ereignisse durch eine Regierungskommission machte zunächst den Fahrdienstleiter und den Dienstvorsteher des Bahnhofs verantwortlich. Doch es waren auch gravierende technische Mängel im Spiel: Ein unzulässiges Telefonkabel über dem Bahnübergang dehnte sich bei Wärme aus, verfing sich in der Schranke und verhinderte deren Schließung. Die DDR-Führung erkannte die strukturellen Probleme und änderte nach dem Unglück zahlreiche Vorschriften; Ende 1967 trat eine neue Transportordnung in Kraft. Dies zeigte, dass man sich bewusst war, dass es nicht nur um menschliches Versagen, sondern auch um technische Mängel ging.

Bitterfeld 1968: Der größte Chemieunfall der DDR-Geschichte
Nur ein Jahr später, im Juli 1968, erschütterte eine gewaltige Detonation das Elektrochemische Kombinat Bitterfeld. Die PVC-Fabrik, in der 14.000 Menschen arbeiteten, flog in die Luft. Es war wie Krieg. 42 Leichen wurden geborgen, rund 270 Menschen teils schwer verletzt.

Die Ursache lag in maroder Technik und katastrophalen Sicherheitsmängeln: Die Fabrik nutzte Rollautoklaven aus den 1930er Jahren, die nicht immer einwandfrei funktionierten. Wenn der Druck zu hoch wurde, wurde das hoch explosive Vinylchloridgas direkt in die Fabrikhalle abgelassen – eine Praxis, die jahrelang gut ging, aber diesmal zu einer Entzündung führte. Bereits sechs Jahre zuvor hatte es einen ähnlichen Unfall gegeben, doch die damals beschlossenen Schutzmaßnahmen, wie der Bau von Abgasleitungen, wurden nicht umgesetzt. Zeugen berichteten von Materialmangel und fehlendem Geld. Dieser Unfall war ein typischer Effekt der Mangelwirtschaft, die fehlende Investitionen und Modernisierungen zugunsten der Produktionsziele duldete.

Die Öffentlichkeit wurde diesmal ausführlich informiert, doch der Fokus der Berichterstattung lag auf dem Einsatz der Helfer und der medizinischen Versorgung. Dennoch gab es keine gesamtdeutsche Trauerbeflaggung, was die verhärtete innerdeutsche Situation verdeutlichte.

Der Absturz des „Weißen Riesen“: Königs Wusterhausen 1972
Eine der schwersten Flugzeugkatastrophen auf deutschem Boden ereignete sich im August 1972. Eine moderne Il-62 der Interflug, liebevoll „der weiße Riese“ genannt, stürzte kurz nach dem Start vom Flughafen Schönefeld über Königs Wusterhausen ab. Alle 156 Insassen starben, darunter 48 Kinder. Nur 60 Opfer konnten identifiziert werden.

Der Pilot bemerkte, dass die Hecksteuerung nicht mehr funktionierte, und das Heck fing Feuer. DDR-Experten ermittelten, dass der Brand im Heckgepäckraum aufgrund gravierender Konstruktionsmängel entstanden war: Eine 300° heiße Heißluftleitung verlief in unmittelbarer Nähe von Elektrokabeln, was zu einer Lichtbogenzündung und einem Brand von Magnesiummaterial führte. Zudem fehlten Feuerwarn- und Löschanlagen im Gepäckraum.

Doch die Moskauer Flugzeugspezialisten wiesen das Ergebnis der DDR-Experten zurück. Erich Honecker, der kurz zuvor Walter Ulbricht abgelöst hatte, stimmte zu, die Sache ruhen zu lassen, um Kritik an sowjetischer Technik zu vermeiden und das „Freundschaftsdienst“ zum „großen Bruder“ aufrechtzuerhalten. Die Hinterbliebenen erfuhren nichts von den wahren Ursachen und blieben in quälender Ungewissheit zurück.

Das Opfer des Piloten: Cottbus 1975
Im November 1975 stürzte ein Jagdflieger der NVA in einen Plattenbau in Cottbus. Fünf Frauen kamen ums Leben, zwölf Menschen wurden schwer verletzt. Der 33-jährige Pilot Peter Makovik starb ebenfalls. Er hatte sich entgegen der Anweisung, den Schleudersitz zu benutzen, offenbar geopfert, indem er das mit Hunderten Menschen besetzte Textilkombinat und einen Kindergarten überflog, um eine freie Fläche (einen Friedhof) zu erreichen.

Die Ursache war eine unzureichend befestigte Klappe am Rumpf, die sich im Fahrwerksschacht löste und zum Triebwerksausfall führte. Der zuständige Wartungsmechaniker gab zu, die Luke „nur angeheftet“ zu haben. Das Gebiet wurde sofort abgeriegelt, das Flugzeug schnell abtransportiert, und das Loch in der Fassade binnen eines Tages geschlossen. Feuerwehrleuten wurde das Sprechen über den Vorfall untersagt.

Die Zeitungsberichte waren spärlich und verschwiegen die Beteiligung eines Militärflugzeugs. Obwohl die Zeichen auf Entspannung zwischen Ost und West standen, wollte die DDR nach außen hin Stärke und eine funktionierende Luftwaffe demonstrieren, weshalb Defizite vertuscht wurden. Die Staatssicherheit sammelte Stimmungsberichte der Bevölkerung, da eine freie Presse zur Reflexion der öffentlichen Meinung fehlte.

Ein Muster des Schweigens
Diese tragischen Unglücke zeigen ein wiederkehrendes Muster in der DDR: Umfassende Informationskontrolle und Geheimhaltung, insbesondere wenn die Ereignisse politisch sensibel waren oder das Bild des sozialistischen Staates oder seiner Verbündeten trüben könnten. Häufig wurde die Verantwortung auf Einzelpersonen abgewälzt, anstatt strukturelle Ursachen wie Mängelwirtschaft, veraltete Technik oder Planerfüllungsdruck zu benennen. Für die Betroffenen und Hinterbliebenen bedeutete dies neben dem tiefen Leid auch eine „Ohnmacht“, da es niemanden gab, den man fragen konnte, und die Wahrheit oft erst Jahrzehnte später ans Licht kam.

Wie die Stadt Halle die DDR und darüber hinaus erhellte

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Vergessen Sie das Klischee einer grauen und düsteren DDR. Denn in Halle an der Saale leuchtete der Osten in allen Farben, und die Stadt wurde zum „zentralen Lichtschalter der Republik“. Reklamespezialisten und Lampendesigner aus Halle tauchten nicht nur die DDR, sondern auch Moskau, Prag und Budapest in buntes Licht und hinterließen so Leuchtspuren der Sozialistischen Moderne.

VEB Neontechnik Halle: Künstler des Lichts
Im Herzen dieser Lichtrevolution stand der VEB Neontechnik Halle, der größte Hersteller für Leuchtwerbung im gesamten Ostblock. Hier wurde der Sozialismus „bunt gemacht“. Für jedes Geschäft dachten sich Grafiker individuelle Designs aus, mit besonderen Schriftarten, Formen und Glasfarben. Die alten Neonanlagen waren wahre Kunstwerke, gefertigt von Handwerkern, die Thomas Joost, ein ehemaliger Mitarbeiter, als „kleine Künstler“ mit „goldenen Händen“ beschreibt.

Das Unternehmen war nicht nur für seine Produktion, sondern auch für seine umfassende Wartung bekannt. Zwei Mann starke Teams kümmerten sich um die Leuchtreklamen in der ganzen Stadt, und Thomas Joost erinnert sich an die manuellen Einstellungen der Schaltuhren für Sommer- und Winterzeit. Diese Neontechniker waren unentbehrlich und nutzten in Zeiten der Mangelwirtschaft oft ihren persönlichen Draht zu Verkäufern, um an begehrte Dinge zu gelangen.

Die hallischen Neontechniker prägten nicht nur das Stadtbild, sondern sorgten auch für den internationalen Glanz des Ostblocks. Ihre Leuchtreklamen flimmerten in Prag und Budapest. Ab den 1970er Jahren erstrahlten sie auch in Moskau, mit einem Großauftrag für die Olympischen Spiele 1980, an dem 110 Beschäftigte zwei Jahre lang arbeiteten. Im Jahr 1987, zum 750. Jahrestag der Gründung Berlins, war es ein „Staatsauftrag“, Berlin zum Leuchten zu bringen – ein direkter „Wettbewerb zu Westberlin“, um dem Westen zu zeigen: „Berlin ist vielleicht sogar noch besser als ihr“. Besonders hervorzuheben ist die umfassende Werbung am ehemaligen Zentrum Warenhaus und der Flughafen Berlin Schönefeld, der für Tausende Reisende die Visitenkarte des Ostens war.

Vom Heizstrahler zum Verkaufsschlager: Der VEB Metalldrücker Halle
Parallel zur Leuchtwerbung etablierte sich Halle als Hotspot des Leuchtenbaus. Der VEB Metalldrücker Halle, einst auf Heizstrahler spezialisiert, wurde Anfang der 1960er Jahre zum größten Exporteur für Wohnraumleuchten aus Metall in Europa. Mit der Anwerbung junger Designer begann die Geburtsstunde zahlreicher Leuchtenklassiker, die sich „aus dem üblichen Trotteln Bommeln und Borden doch sehr heraus“ ragten.

Diese Designlampen waren „Sterne am nächtlichen Himmel des Sozialismus“. Sie wurden zu Verkaufsschlagern, nicht nur in der DDR, sondern auch im Westen. Schon 1974 hingen Metalldrücker-Leuchten in der ersten deutschen Ikea-Filiale und machten Halle zu einem wichtigen Lampenzulieferer für das schwedische Möbelhaus. Der ehemalige Chefdesigner lobt die „Designschmiede der Leuchtenindustrie in der DDR“. Die kontinuierliche Zusammenarbeit mit Ikea, auch nach der Wende, war ein Beleg für die Qualität und den Ruf der hallischen Produktion. Jährlich verließen eine Million Leuchten aus Halle in Richtung Westen und brachten so dringend benötigte Devisen in die DDR. Die Produkte des VEB Metalldrücker Halle wurden vielfach mit dem Prädikat „Gutes Design“ ausgezeichnet, insgesamt 30 Mal, fünf davon in den sieben Jahren unter dem ehemaligen Chefdesigner. Trotz ihrer Beliebtheit bei den „Werktätigen“ und in den Exportmärkten fanden sie oft nur eingeschränkt den Weg in die DDR-Lampenläden, da die Handelsorganisationen den „Designlinien“ nicht immer wohlgesonnen waren.

Das Lichtstudio Halle: Konzepte für öffentliche Räume
Ein weiterer Licht-Hotspot entstand 1970 mit dem Lichtstudio Halle. Dieses Studio war einzigartig im gesamten Ostblock. Hier entwickelten Techniker und Designer Lichtkonzepte für große öffentliche Bauvorhaben, darunter die Beleuchtung des Hallenser Boulevards, des Gewandhauses in Leipzig und sogar der Museumsinsel Berlin. Es wurde auch geforscht, wie sich Kunstlicht auf die Arbeit auswirkt und wie Energie eingespart werden kann – ein wichtiges Thema angesichts von Energiekrisen in den 1960er und 1970er Jahren.

Das Gewandhaus in Leipzig, der einzige Konzertneubau der DDR, ist ein leuchtendes Denkmal hallischer Lichtplanung. Besonders herausfordernd war das Foyer, wo das größte Deckengemälde Europas hängt und eine eigens dafür entwickelte Beleuchtung die Wirkung des Gebäudes von innen und außen verstärken sollte.

Halles Las Vegas des Ostens: Leipziger Straße und Riebeckplatz
Die Leipziger Straße in Halle wurde 1964 zur ersten Fußgängerzone der DDR umgestaltet und 1974 mit den ersten Kugelleuchten und individueller Leuchtwerbung zu einem der „schönsten Altstadtboulevards der DDR“. Mit einer einheitlich abgestimmten Werbekonzeption und Lichtwerbeanlagen „aus einer Hand“ vom VEB Neontechnik Halle wurde sie zum „Las Vegas des Ostens“. Wechselnde Lichtwerbung, heute in historischen Städten kaum noch angesagt, war damals ein Zeichen für „Aufbruch, für Leben in der Innenstadt, für Dynamik“.

Auch der Riebeckplatz, einst der größte Verkehrsknotenpunkt der DDR, wurde zu einer Herausforderung für die Lichtplaner. Hier, wo alle wichtigen Fernverkehrsmagistralen der Chemieregion zusammenliefen, entwarf das Lichtstudio Halle die erste Hochmastbeleuchtung der Republik ab 1965. Die monumentalen Neonanlagen auf den Hochhäusern, die das „Tor nach Halle-Neustadt“ bildeten, strahlten weit über die Region hinaus. Doch diese Gigantomanie hatte ihren Preis: enorm hohe Stromkosten und der Bedarf an Reparaturen alle fünf Jahre, wofür ab den 1980er Jahren sogar Fassadenkletterer und Bergsteiger zum Einsatz kamen.

Ein Erbe lebt weiter: Rettung, Sammlung und Neubeginn
Heute sind viele dieser Werbeanlagen verschrottet, doch dank engagierter Personen und Initiativen leben die Zeugnisse von Halles leuchtender Vergangenheit weiter. Thomas Joost setzt sich leidenschaftlich dafür ein, die alte DDR-Neonwerbung wie die des leerstehenden Möbelhauses Reineke und Andack zu retten. Auch der legendäre Schriftzug des Flughafens Berlin Schönefeld, an dem Joost 1986 selbst gearbeitet hatte, wurde auf einem Bauhof entdeckt und für die Nachwelt gesichert.

Sammler wie Claudia und Günther Höhne bewahren seit vielen Jahren Alltagsgegenstände der DDR, darunter auch die begehrten Metalldrücker-Leuchten, die sie dem Grassi Museum Leipzig für Ausstellungen zur Verfügung stellten. Das Buchstabenmuseum in Berlin, weltweit einzigartig, lagert unter S-Bahn-Bögen 2500 Leuchtschriftzüge, darunter legendäre wie „Plaste und Elaste aus Schkopau“ oder „Minol“, die einst aus Halle stammten.

Obwohl der VEB Neontechnik nach der Wende in Konkurs ging, lebt die Geschichte des Lichts aus Halle weiter. Im Oktober 1993 gelang die Gründung einer neuen Neontechnik GmbH, die heute unter dem Namen Alpha Science firmiert und mit 120 Mitarbeitern zu den Marktführern in Deutschland gehört. Das Fachwissen der damaligen Mitarbeiter lebt weiter und wird im gesamten Bundesgebiet weitergegeben.

Die hallischen Lichtplaner, Designer und Lampenbauer haben Spuren hinterlassen, die längst Eingang in die Museen gefunden haben, denn ihre Leistung war keine Sternschnuppe, sondern ein leuchtendes Denkmal am nächtlichen Himmel des Sozialismus.

Vergessene Genialität: Wie DDR-Erfindungen unseren Alltag bis heute prägen

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Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) war ein Ort voller Einfallsreichtum. Oftmals aus Notwendigkeit heraus entstanden hier Lösungen, die nicht nur das tägliche Leben der Menschen veränderten, sondern auch heute noch Produkte beeinflussen, die wir überall finden. Von technologischen Wundern bis hin zu praktischen Alltagshelfern – jede Erfindung erzählt eine eigene Geschichte und zeugt vom Einfallsreichtum und der Kreativität ihrer Zeit. Sie legten die Grundlage für viele Dinge, die wir heute als selbstverständlich ansehen.

Alltagshelden aus Notwendigkeit
Ein herausragendes Beispiel für langlebige Alltagshilfen ist das Spülmittel „fit“. Es stand in nahezu jeder Küche und wurde oft jahrelang in der gleichen Flasche verwendet. „Fit“ war weit mehr als nur ein Spülmittel: Es diente zum Fensterputzen, Fleckenentfernen oder sogar zum Schuhe Reinigen – ein wahrer Alleskönner, der ohne Duftmarketing und leere Versprechen auskam, dafür aber mit echter Wirkung überzeugte. Das Erstaunlichste: „Fit“ gibt es noch heute und wird weiterhin in Sachsen produziert, ein stiller Sieger der Einheit, der bewies, dass Qualität keine Verblendung, sondern Verlässlichkeit braucht.

In vielen DDR-Küchen brummte ein weiteres Arbeitstier: der RG28 Handrührer. Dieses Gerät war pure Mechanik in einem robusten Gehäuse, das fast wie ein Werkzeugkoffer aussah. Der RG28 konnte rühren, kneten, mixen und sogar Dosen öffnen. Er war so unverwüstlich, dass viele dieser Geräte noch heute laufen, ohne Updates oder geplante Obsoleszenz. Er war kein Lifestyle-Produkt, sondern ein Versprechen auf Verlässlichkeit, Langlebigkeit und echte Ingenieurskunst.

Auch die DDR-Wäscheschleuder war ein fester Bestandteil vieler Haushalte. Oben befüllt, Klappe zu, Knopf gedrückt – und dann folgte das markante Röhren. Effizient und robust schleuderte sie die Wäsche halbtrocken. Manche dieser Maschinen laufen heute noch, andere stehen im Museum, erzählen aber alle vom DDR-Alltag: Technik ohne Show, nur Funktion.

Kreativität im Mangel: Süßes, Stoffe und mobile Kommunikation
Als Mandeln Mangelware waren, entstand eine clevere Lösung für Süßes: Resipan und Persipan. Statt Mandeln kamen feingemahlene Aprikosenkerne zum Einsatz, etwas herber, aber genauso zartschmelzend. Diese Idee fand ihren Weg in Dominosteine, Kuchenfüllungen und Konfekt und war ein süßes Beispiel für die Erfindungskraft der DDR – regional, ressourcenschonend und überraschend lecker.

Auch bei Getränken gab es eine Ost-Antwort: Vita Cola. Hergestellt in Thüringen, wurde sie im ganzen Land geliebt für ihren leicht zitronigen, herben Geschmack. Nach der Wende verschwand sie fast, erlebte aber ein echtes Comeback und ist heute in Ostdeutschland Marktführer, sogar vor Coca-Cola.

Der Trabant, oft liebevoll „Trabi“ genannt, war mehr als nur ein Fortbewegungsmittel; er war ein Wunder auf Rädern. Sein Geheimnis lag im Duroplast-Gehäuse, einer Mischung aus Baumwollfasern und Harz. Diese Karosserie rostete nicht, wog kaum etwas und war erstaunlich robust. Was heute nach Recycling-Revolution klingt, war damals pure Notwendigkeit, aber auch ein genialer Schachzug in Zeiten von Metallmangel. Der Trabi war unkaputtbar und wurde nach der Wende vom Spottobjekt zum Kultfahrzeug.

Der Osten hatte kein Nylon, entwickelte aber einfach sein eigenes Pendant: Dederon. Robust, bunt und kaputtbar (im Sinne von unkaputtbar). Aus Dederon wurden Schürzen, Einkaufstaschen, Kittel und Putzlappen gefertigt – Dinge, die nicht hübsch sein mussten, aber für Jahrzehnte hielten. Heute wird Dederon als Retroware verkauft, früher war es schlicht notwendig und ein Zeichen von Zweckmäßigkeit durch Mangel.

Noch bevor im Westen das erste Mobiltelefon denkbar war, funkte in der DDR bereits die Blaumeise 3. Dieses mobile Funktelefon war so groß wie ein Aktenkoffer und wog rund 10 kg. Ursprünglich für entlegene Regionen in Ländern wie Mexiko oder Afrika gedacht, konnte die Blaumeise 3 über Dutzende Kilometer funken. Sie war kein Spielzeug, sondern ein Werkzeug für Menschen ohne Festnetzanschluss und funktionierte jahrelang zuverlässig – ein echtes Stück Zukunft „made in DDR“.

Wissenschaftliche Exzellenz und unsichtbare Genies
Die DDR war auch Vorreiter in der Ressourcenschonung. Unter dem Namen „Zero Sekundärrohstofferfassung“ sammelte die DDR Flaschen, Altpapier, Blechdosen und Gläser – nicht aus Umweltromantik, sondern aus Pragmatismus. Kinder und Schulklassen sammelten eifrig, und das System war organisiert, effizient und gemeinschaftlich. Was im Westen erst Jahre später als Recycling beworben wurde, lebte der Osten längst vor.

Ein stiller Tüftler der DDR war Dieter Mosemann, dessen modulare, wartungsarme und nahezu unverwüstliche Kühltechnik in Kantinen, Kaufhallen und Großküchen zum Einsatz kam. Viele seiner Geräte laufen heute noch, nicht aus Nostalgie, sondern weil sie besser sind als manches Neue.

Das Zentralinstitut für Schweißtechnik der DDR (ZIS) war unsichtbar, aber essentiell. Ingenieure wie Werner Gilde meldeten hier über 100 Patente an. Ihre leise, effiziente und weltklasse Arbeit steckte in Lokomotiven, Schiffsrümpfen und Turbinen – sie „schweißten“ die DDR im wahrsten Sinne zusammen.

Wenn in der DDR von Präzision die Rede war, dachte man sofort an Carl Zeiss. Ob Mikroskope, Ferngläser oder Kameralinsen – aus diesen Werkstätten kamen Geräte, die weltweit Maßstäbe setzten. Trotz Embargos lieferte die DDR feinste Optik in den gesamten Ostblock, nach Indien und sogar heimlich in westliche Labore. Ein Zeiss-Gerät war nicht nur Werkzeug, sondern ein Statussymbol und Beweis, dass auch hinter dem Eisernen Vorhang Weltklasse entstehen konnte.

Der Osten klingt anders: Synthesizer und Raumfahrt
Der Tiracon 6V aus Karl-Marx-Stadt war in den 80er Jahren ein Paukenschlag aus dem Osten. Als polyphoner, analoger Synthesizer mit Midi-Anschluss baute die DDR ihren eigenen Weg in die Klangwelt. Nur wenige Exemplare wurden gebaut, die heute rar gesucht und von Sammlern und Klangkünstlern geliebt werden. Ein weiteres akustisches Wunderwerk war das Supercord, ein DDR-Synthesizer der Superlative, der fremdartige, sphärische Klänge erzeugte und unter anderem in DEFA-Produktionen verwendet wurde.

Eine bahnbrechende Innovation im Textilbereich war Malimo, entwickelt von Heinrich Mauersberger. Diese Maschine verband zwei Stofflagen mit einem dritten Faden, was schneller, sparsamer und stabiler war als alles zuvor. Die DDR exportierte Malimaschinen als echte Hightech-Textiltechnik in die halbe Welt.

Das Programmat war kein gewöhnliches Radio. Es hörte zu, suchte selbstständig nach Sendern, speicherte sie ab und schaltete sich zur gewünschten Uhrzeit ein. Für viele ein technisches Wunder, für andere ein Politikum, denn das Programmat konnte auch Westsender empfangen – ganz automatisch. Dies machte es dem System suspekt, und es wurde leise aus dem Verkehr gezogen, da es als zu modern, zu frei und zu wenig kontrollierbar galt.

Und schließlich gab es noch Sigmund Jähn, einen bescheidenen Friseursohn aus dem Vogtland, der am 26. August 1978 als erster Deutscher ins All flog. Er verbrachte sieben Tage schwerelos im Kosmos und wurde zum Volkshelden. Nach seiner Rückkehr blieb er bescheiden, freundlich und volksnah, was bewies, dass Herkunft keine Grenze ist – nicht einmal bis zur Umlaufbahn.

Viele dieser DDR-Erfindungen sind heute vielleicht aus dem Alltag verschwunden, doch sie leben weiter – in Erinnerungen, auf Flohmärkten und vor allem in den Geschichten, die wir über sie erzählen. Diese Geräte, Materialien und Ideen waren nicht einfach nur Produkte; sie waren Zeugnisse von Kreativität im Mangel und von Einfallsreichtum ohne Überfluss.

Das Zugunglück von Trebbin 1962 – Ein DDR-Geheimnis wird enthüllt

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Jahrelang schlummerte in den Archiven von Jüterbog ein dunkles Geheimnis. Eine Geschichte, über die niemand sprechen sollte. Es ist die Geschichte eines verheerenden Zugunglücks, das sich am 1. März 1962 in der Nähe von Trebbin ereignete und die DDR-Bevölkerung nie erfahren sollte. Erst jetzt, über 60 Jahre später, wird im MDR-Fernsehen erstmals über diese Katastrophe berichtet.

Kalter Krieg und militärische Präsenz
Die Tragödie ereignete sich zur Hochzeit des Kalten Krieges, einer Zeit, in der die sowjetische Armee eine immense militärische Präsenz in der DDR unterhielt. Die Region um Jüterbog galt als das Gebiet mit der größten Militärkonzentration in ganz Deutschland. Tausende sowjetische Soldaten und Kriegsgerät waren hier stationiert, um im Ernstfall, etwa für eine Besetzung West-Berlins, bereit zu sein.

Offiziell galten sie als Freunde der DDR, doch die ostdeutsche Bevölkerung empfand sie oft als rigoros auftretende Besatzungstruppe, die mit Verkehrsbehinderungen, Kriminalität und allgemeinem Stress verbunden war.

Im Frühjahr 1962 fand ein großes Manöver statt, an dem über 40.000 Sowjetsoldaten teilnahmen. Am 1. März befand sich ein Panzerbataillon des 248. Schützenregiments auf dem Rückweg in seine Kaserne bei Potsdam. Die Panzer wurden auf einen Sonderzug verladen, während die russischen Soldaten in Holzwaggons im Stehen reisen mussten.

Die Katastrophe nimmt ihren Lauf
Am frühen Abend, gegen 19 Uhr, war die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten. Ein vollbesetzter Schnellzug der Deutschen Reichsbahn, auf dem Weg von Berlin nach Leipzig, raste mit 120 Kilometern pro Stunde durch die Nacht. Der sowjetische Sonderzug mit Dampflok, beladen mit 300 Soldaten und 30 T-55 Panzern, fuhr nur halb so schnell. Das Unglück geschah, weil einer der auf dem Güterzug verladenen Panzer seinen Turm in Richtung des entgegenkommenden Zuges gedreht hatte.

Das Kanonenrohr des Panzers schlitzte die Seite des Schnellzuges auf, tötete einen Passagier sofort, der gerade auf dem Gang eine Zigarette rauchte, und verletzte weitere. Die Insassen des Schnellzuges bemerkten lediglich einen Knall und das Verschwinden des Mannes. Weitaus schlimmer traf es die Soldaten im sowjetischen Zug. Der Aufprall des Kanonenrohrs auf den Panzer führte dazu, dass dieser rückwärts vom Güterwagen kippte und genau in die Lücke zwischen seinem Wagen und dem folgenden fiel. Die Kupplung riss ab, und alle anderen Wagen schoben sich auf diesen Panzer zu, bildeten einen Trümmerberg, der von Feuerwehrleuten später auf 10 bis 15 Meter Höhe geschätzt wurde.

Retter kämpfen in der Dunkelheit und gegen Widerstände
In Trebbin bereitete man sich gerade auf den Feierabend vor, als die Nachricht vom schweren Unglück über das Telefon kam. Otto Schneedecke, damals 30 Jahre alt und Mitglied der Trebbiner Feuerwehr, erinnert sich noch heute an diese Nacht. Das größte Problem für die eintreffenden Retter war die absolute Dunkelheit, da nur Pechfackeln zur Beleuchtung zur Verfügung standen. Hinzu kam ein weiteres Hindernis: Russische Aufpasser wollten die deutschen Retter zunächst nicht an die Unglücksstelle lassen. Erst nachdem die Deutschen hörten, wie Verwundete schrien und um Hilfe riefen, und sie darauf bestanden, helfen zu dürfen, wurden sie beiseite genommen und durften weiterfahren.

Der Anblick vor Ort war furchtbar. Panzer hatten die Waggons zerdrückt, es war ein einziges Chaos. Eine der wenigen positiven Nachrichten war, dass der Schnellzug nicht entgleist war. Doch die sowjetischen Soldaten hatten es schlimm getroffen. Viele waren in den Radachsen und Holzverschlägen eingeklemmt. Immer mehr tote Soldaten wurden entdeckt. Der 17-jährige Dieter Reichardt, der damals bei seinem ersten Einsatz war, stand wie viele erfahrene Feuerwehrleute vor der größten Herausforderung seines Lebens. Die Retter zogen immer wieder Soldaten aus den Trümmern, auch wenn sie bereits tot waren.

Lazarett der Verzweiflung: Krankenhäuser am Limit
Verletzten konnte nur der schnelle Transport in ein Krankenhaus helfen. Doch es gab viel zu viele Verletzte und viel zu wenige Rettungswagen. Alles, was an Fahrzeugen zu mobilisieren war, wurde requiriert. Vorbeifahrende Autos wurden angehalten und ihre Fahrer gebeten, Verletzte ins Krankenhaus zu bringen. Dies war für viele die einzige Chance auf schnelle ärztliche Hilfe, da schon der posttraumatische Schock lebensgefährlich sein konnte. Die meisten Apathischen Soldaten wurden in die Kliniken des Umlandes, besonders nach Luckenwalde, gebracht.

Im Klinikum Luckenwalde war Ursula Köhler eine von 30 Schwesternschülerinnen. Es war ein Glücksumstand für die Soldaten, dass die jungen Frauen in ihrer zweijährigen Ausbildung durch verpflichtende Katastrophenübungen in den Ferien auf schwerste Fälle vorbereitet worden waren. Sie übten das Suchen und Erstversorgen von Verwundeten, das Bergen und das Einrichten von Sanitätslagern.

Der Katastrophenfall trat am 1. März 1962 ein. Laufend kamen Fahrzeuge mit Verwundeten an. Ein Arzt sortierte die Patienten, je nachdem, ob sie sofort operiert werden mussten oder Zeit hatten. Ungefähr 70 Verletzte mussten versorgt werden, wofür keine Betten vorhanden waren. Die jungen Soldaten, viele um die 20 Jahre alt, lagen auf Matratzen auf dem Flur. Die Schwestern beschrieben die Zustände später als „nach einer Schlacht im Krieg“. Ein weiterer glücklicher Umstand war, dass viele Ärzte wegen einer Konferenz vor Ort waren und fast rund um die Uhr operieren konnten.

Sowjetische Einmischung und das Schweigen danach
Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Sowjetische Offiziere kamen und holten die frisch operierten Soldaten einfach ab. Sie stellten Chefarzt Dr. Dietrich vor vollendete Tatsachen. Der Chirurg erlitt einen „energischen Tobsuchtsanfall“ und forderte, dass die noch zu operierenden Soldaten bleiben. Ursula Köhler und die anderen Schwesternschülerinnen sollten aufpassen und den Chefarzt alarmieren, falls die Offiziere zurückkämen. Die jungen Frauen waren gleichzeitig Aufpasserinnen, Pflegerinnen und Seelsorgerinnen. Fünf Schülerinnen saßen Wache am Bett jedes Soldaten, dokumentierten und versuchten, sich mit ihren spärlichen Russischkenntnissen zu verständigen. Besonders in Erinnerung blieb Ursula Köhler ein junger Soldat, der seinen rechten Arm verloren hatte und immer um Bleistift und Papier bat, um mit links an Mutter und Mädchen zu schreiben.

Das Unglück, die Erlebnisse und die wohl über 100 Toten durften zu DDR-Zeiten nicht angesprochen werden. Das sowjetische Regime wollte das Geheimnis wahren. Die plausible Erklärung für das Unglück kam erst vor Kurzem von einem Mann, der im Oberkommando der Sowjetarmee in Wünsdorf tätig war: Soldaten sollen während der Fahrt mit der Panzerkanone „Übung“ gemacht haben, indem sie mit dem Rohr Häusern oder Autos am Straßenrand folgten. Dabei sollen sie den Überblick verloren und nicht bemerkt haben, dass sich ein Zug mit hoher Geschwindigkeit näherte, was zur Kollision führte.

Die Narben der Erinnerung
Die sowjetischen Streitkräfte haben Deutschland 1994 endgültig verlassen, womit die fast 50-jährige Stationierung auf deutschem Boden Geschichte ist. Doch die Ruinen ihrer Baracken bleiben, und vor allem die Retter von damals haben die Schicksalsnacht nie vergessen. Für viele war es ein „schlimmer Schrecken“, der immer wieder zurückkehrt und Alpträume verursacht. Der Einsatz war für viele Feuerwehrleute der schlimmste in ihrer gesamten Tätigkeit. Die Erinnerung an diese verborgene Tragödie beschäftigt sie bis heute.

Die verlorene Jugend von Stassfurt: Ein DDR-Experiment zwischen Utopie und Tragödie

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Stassfurt, DDR. Im August 1982 wurde die beschauliche Kleinstadt Stassfurt in der Nähe von Magdeburg zum Schauplatz eines ambitionierten, aber letztlich katastrophalen Bildungsprojekts: der „Schule der Freundschaft“. 900, später sogar 1200 afrikanische Kinder und Jugendliche, vor allem aus Mosambik und später aus Namibia, sollten hier im Geiste sozialistischer Brüderlichkeit zu Fachkräften ausgebildet werden – ein politisches Prestigeprojekt, das für viele jedoch in einem Albtraum endete.

Ein Traum von Bildung und Solidarität
Die Initiative basierte auf einem Regierungsabkommen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Mosambik. Für die jungen Mosambikaner, die zwischen 10 und 14 Jahre alt waren und als die Besten ihrer Klassen galten, war die Entsendung in die DDR eine einmalige Chance auf eine gute Schulausbildung, die ihnen in ihrer Heimat verwehrt geblieben wäre, wo über 90% der Bevölkerung nicht lesen und schreiben konnten. Paulino Miguel, einer der Schüler, träumte davon, sein Land zu helfen, während Titos Sitoi sich anfangs „wie ein Präsidentensohn“ fühlte.

Hinter den feierlichen Appellen und der gelebten Solidarität standen jedoch handfeste politische und wirtschaftliche Interessen. Die DDR investierte 37 Millionen DDR-Mark in den Internatskomplex, um die künftigen Facharbeiter auszubilden, die später in Mosambik Fabriken finanzieren und günstige Importe von Textilien, Steinkohle und Futtermais sichern sollten.

Alltag der Reglementierung und Kontrolle
Die Realität für die mozambikanischen Schüler in Stassfurt war jedoch fernab eines Präsidentenlebens. Ihr Alltag war extrem straff organisiert: sieben Stunden Unterricht, Hausaufgaben, Arbeitseinsätze und Parteiprogramm ließen kaum Raum für Freizeit. Das Schulgelände durfte zunächst nur unter Aufsicht verlassen werden, und die Schüler wurden ständig kontrolliert und reglementiert. Ehemalige Schüler und Erzieher empfanden diese ständige Kollektivierung als Entmenschlichung, da Jugendliche, die sich in der Pubertät befanden, keine Möglichkeit hatten, sich zurückzuziehen oder eigene Entscheidungen zu treffen.

Noch gravierender war die fehlende Selbstbestimmung bei der Berufswahl. Viele Schüler wurden in Berufe gezwungen, die sie nicht wollten. Franziska Raposo etwa, die Ärztin werden wollte, musste Bekleidungsfacharbeiterin lernen und weinte darüber, weil es nicht das war, was sie sich vorgestellt hatte. Für viele war die Zeit in der DDR eine „verlorene Jugend“, da ihre hohen Erwartungen an eine qualifizierte Ausbildung oft enttäuscht wurden. Kontakte zu den Familien in Mosambik waren meist nur über Briefe möglich, die von der Staatssicherheit überwacht wurden.

Neid, Hass und eine Tragödie
Das Zusammenleben mit der lokalen Bevölkerung gestaltete sich zunehmend schwierig. Trotz offizieller Beteuerungen, dass den Stassfurtern nichts weggenommen würde, entstand Neid und später Hass, weil die mosambikanischen Schüler vermeintlich bevorzugt wurden, etwa bei der Verteilung von knappen Gütern wie modischer Kleidung oder Bananen. Ab Mitte der 1980er Jahre häuften sich die Konflikte zwischen deutschen und afrikanischen Jugendlichen. In Diskotheken sollte eine 50/50-Regelung zur Trennung beitragen, was jedoch oft zu Spannungen führte. Rassistische Beschimpfungen nahmen zu. Die Lage eskalierte im Mai 1987, als 50 bis 80 Jugendliche auf jeder Straßenseite einander gegenüberstanden und eine größere Schlägerei nur durch die Polizei verhindert werden konnte.

Wenige Monate später kam es zu einem tödlichen Vorfall: Bei einem Streit in einer Diskothek wurde Carlos Conessao über ein Brückengeländer gestoßen und stürzte fünf Meter in die Tiefe. Er ertrank in der Bode, während deutsche Jugendliche rassistische Bemerkungen machten und ihm nicht halfen. Offiziell wurde Carlos‘ Tod als tragischer Unfall eines Einzelnen dargestellt, und Rassismus in der DDR wurde nicht offen diskutiert, da dies nicht ins Selbstverständnis des Staates passte. Viele Schüler, die selbst tägliches Mobbing und rassistische Vorfälle erlebten, glaubten dieser Version nicht.

Das namibische Kapitel und das bittere Ende
Ab 1985 wurde das Projekt ausgeweitet: Zusätzlich zogen 300 namibische Kinder, Kinder von SWAPO-Kämpfern, in die Schule der Freundschaft ein. Viele von ihnen waren Waisen oder hatten Gewalt und Misshandlungen in ihrer Heimat miterleben müssen. Lehrer wie Monika Steht bemühten sich, ihnen ein neues Zuhause zu geben und ließen sie „Kind sein“. Die namibischen Kinder, die ihre Lehrerinnen oft liebevoll „Memme“ (Mutter) nannten, besuchten auch deutsche Schulen und verbrachten Sommer in Pionierferienlagern.

Für die mosambikanischen Schüler kam 1988 das abrupte Ende: Die DDR schickte die ausgelernten Lehrlinge zurück in ihre Heimat, obwohl dort ein Bürgerkrieg tobte. Die Regierungen hielten an den Verträgen fest, da die DDR nach außen Solidarität demonstrieren konnte und Mosambik froh war, die Jugendlichen nicht eingliedern und versorgen zu müssen. Viele Schüler wussten durch heimliches Westradio längst über die wahre Lage in ihrer Heimat Bescheid.

Bei ihrer Rückkehr wurden die mosambikanischen Heimkehrer oft direkt in die Armee eingezogen und für ihre Zeit in Deutschland diskriminiert. Ihre in der DDR erworbenen Bildungsabschlüsse wurden von der mosambikanischen Regierung nie anerkannt. Nur ein kleiner Teil der 900 Schüler konnte beruflich Fuß fassen; viele mussten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten und empfanden die Armeezeit als „Hölle“. Franziska Raposo fasst zusammen: „Wir haben unsere Jugend verloren, sie wurde uns gestohlen“.

Auch die namibischen Kinder wurden 1990, als die DDR-Institutionen sich auflösten, plötzlich zurückgeschickt, oft ohne ihre Ausbildung beenden zu können. Für viele war es ein Schock, da sie die DDR als ihre zweite Heimat ansahen. Obwohl der Neuanfang schwierig war und viele Kinder sich von ihren Familien entfremdet hatten, fanden überraschend viele, oft mit Unterstützung deutscher Pflegefamilien, einen guten Weg und sind heute in verschiedenen Berufen erfolgreich.

Ein zwiespältiges Erbe
Die „Schule der Freundschaft“ bleibt ein Projekt mit einem zwiespältigen Erbe. Während einige wie Paulino Miguel die Ausbildung nutzen und heute in der politischen Bildung arbeiten, sehen viele ehemalige mosambikanische Schüler ihre Jugend als gestohlen und ihre beruflichen Chancen als vertan an. Die Regierung habe sie verraten und ihre Ausbildung nie akzeptiert. Es war ein gewagtes Experiment, das nach Ansicht vieler ehemaliger Beteiligter und Forscher unter ideologischem Starrsinn litt und in einer Tragödie für viele der jungen Menschen endete.

Wie die Wiedervereinigung zum Kampf um Grund und Boden wurde

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Im Jahr nach dem Mauerfall, als die Euphorie der wiedererlangten Freiheit auf ihren Höhepunkt zusteuerte, kippte die Stimmung vielerorts dramatisch. Was als „Ende der deutsch-deutschen Brüderlichkeit“ begann, entwickelte sich schnell zu einem erbitterten Kampf um Grund und Boden. Rund eine Million Westdeutsche forderten ihre Grundstücke zurück, die sie in der DDR-Zeit verlassen oder verloren hatten. Für viele Ostdeutsche, die oft Jahrzehnte in den Häusern gelebt, sie saniert und aufgebaut hatten, war dies der Beginn einer tiefen Verunsicherung und existentiellen Angst.

Das Prinzip „Eigentum ist Eigentum“ trifft auf DDR-Realität
Das Kernproblem lag in den fundamental unterschiedlichen Eigentumsvorstellungen von Ost und West. Während in der Bundesrepublik das Grundbuch die maßgebliche Wissensressource für den Eigentümer war, konnten in der DDR Grundstücke eigentlich nicht gekauft werden – nur die Häuser darauf. Dies entsprach der staatsozialistischen Eigentumsideologie, die keine Kapitalmehrung zulassen sollte. Viele DDR-Bürger hatten von der kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) Nutzungsrechte für Grundstücke erhalten und darauf Häuser gebaut, oder sie hatten Häuser gekauft, ohne das Land zu besitzen.

Die Altbesitzer aus dem Westen hingegen sahen die Lage klar: „Eigentum ist Eigentum und wenn sie es nicht erworben haben dann ist es nicht ihr Eigentum“. Für sie zählten die alten Besitztitel und Erbscheine, die plötzlich zu Kostbarkeiten wurden. Dieses Aufeinandertreffen führte oft zu unfreundlichen Begegnungen und dem Gefühl, als „Sklaven“ behandelt zu werden.

Einige exemplarische Schicksale:

• Familie Türke aus Falkensee: Lebte seit 1965 in einem Haus zur Miete und hatte es 25 Jahre lang wie ihr Eigentum behandelt, alle Reparaturen ausgeführt und sogar Garagen gebaut. Der Altbesitzer, der in Westberlin lebte, forderte sein Eigentum zurück. Trotz getätigter Investitionen von den Türkes, mussten sie ausziehen und erhielten 60.000 D-Mark Entschädigung für die Umbauten und Garagen. Sie bauten sich mit 60 Jahren ein neues Haus, um nie wieder einen Eigentümer zu haben.

• Familie Klucke aus Rangsdorf: Zog 1973 in ein Haus und kaufte es 1988 von der Stadt, inklusive eines unbefristeten Nutzungsrechts für das Grundstück. Sie investierten rund 70.000 Mark in Sanierungen, da die kommunale Wohnungsverwaltung sich außer Stande erklärte, dies zu tun. Der Brief des alten Eigentümers aus Osnabrück traf sie hart, besonders der Vergleich mit Enteignungen in der NS-Zeit empörte sie.

• Klaus-Jürgen Warnick aus Kleinmachnow: Kaufte 1971 einen Garten mit Holzschuppen und baute diesen sukzessive zu einem Einfamilienhaus um. Sein Kaufvertrag von 1971 war „völlig formlos“ und wurde plötzlich für wertlos erklärt. Er musste schließlich 300.000 Mark zahlen, um das Grundstück zu kaufen, das er seit 30 Jahren bewohnte und in das er seine gesamte Arbeitskraft und sein Geld gesteckt hatte. Er nahm dafür das erste Mal in seinem Leben einen Kredit auf.

Bürokratisches Chaos und emotionale Zerrissenheit

Die Klärung der Eigentumsverhältnisse war eine Sisyphusarbeit:

• Überfüllte Grundbuchämter: Überall im Land kam es zu einem Run auf die Liegenschaftsämter. Die Grundbücher waren teils in einem „erbärmlichen Zustand“, mit fehlenden Seiten, Zersetzungen und Schwärzungen, die die ursprünglichen Eigentümer unkenntlich machten. Die Mitarbeiter arbeiteten mit Karteikarten, ohne Computer oder Kopiertechnik.

• Gesetzliche Unsicherheit: Die sogenannten Modrow-Gesetze vom März 1990 sollten DDR-Bürgern ermöglichen, ihre Grundstücke vor der Wiedervereinigung preiswert zu erwerben. Doch die Immobilienpreise stiegen am Berliner Stadtrand so schnell an, dass ein Vorkaufsrecht oft utopisch und unbezahlbar war.

• Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“: Diese Regelung, von westdeutscher Seite favorisiert und von der Sowjetunion mitgetragen (insbesondere für Enteignungen vor 1945, wie die Bodenreform, bei der Adlige und Großgrundbesitzer über 100 Hektar verloren hatten), bedeutete, dass das Eigentum an die Altbesitzer zurückgegeben wurde, bevor die aktuellen Bewohner eine Entschädigung erhielten.

• Die Brandstiftung: Im April 1993 wurde das zentrale Grundbucharchiv in Barby an der Elbe, wo sich 14,5 Kilometer Akten stapelten, in Brand gesetzt. 400 laufende Meter Akten wurden beschädigt; die Täter wurden nie ermittelt.

Die Unsicherheit war immens. Der Finanzdezernent von Leipzig beschrieb die Situation als „Wildost – jeder kann machen was er will“, da niemand genau wusste, wem die Stadt gehörte. Auch die internationale Presse interessierte sich für das Thema.

„Ossi“ gegen „Wessi“: Eine tiefe Spaltung
Die Auseinandersetzungen um die Immobilien trugen maßgeblich zur Entstehung der Narrative von „Jam Ossi“ und „Besserwessi“ bei. Westdeutsche Altbesitzer wurden oft als arrogant und überheblich wahrgenommen. Das Gefühl, dass Ostdeutsche nichts zu sagen hätten, weil sie aus dem Osten kamen, war weit verbreitet. Die Bürger beklagten, dass man ihnen das Wenige, was ihnen geblieben war, auch noch wegnehmen wollte. Dies führte zu Wut und dem Gefühl, wieder benachteiligt zu werden und keine Rechte zu haben. Manche empfanden die Methoden der Altbesitzer als „stalinistisch“.

Insgesamt gingen bei den zuständigen Ämtern über 2 Millionen Anfragen auf Rückübertragung ein. Doch nur etwa 22% dieser Anträge hatten letztlich Erfolg. Für viele der betroffenen Hausbesitzer in der ehemaligen DDR waren die Monate nach dem Mauerfall eine „schwerste Zeit ihres Lebens“, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind. Es war ein Prozess, der die deutsch-deutsche Einigkeit auf eine harte Probe stellte und tiefe Wunden hinterließ.

Der eisige Kampf der DDR: Eine Nation im Griff des Winters

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Die Winter in der Deutschen Demokratischen Republik waren oft eine unerbittliche Prüfung für Mensch und Maschine, ein fortwährender Kampf gegen Eis und Schnee. Besonders in Regionen wie dem Erzgebirge herrschten arktische Temperaturen von bis zu -25°C und Schneeverwehungen, die bis zu 5 Meter hoch wurden, was Orte über 200 Tage im Jahr von der Außenwelt abschnitt. Doch die DDR nahm den Kampf gegen die Elemente an, nicht zuletzt, um ihre Überlegenheit zu demonstrieren.

Von Muskelkraft zu Maschinen: Der Wandel des Winterdienstes
Vor den 1960er Jahren war der Winterdienst in der DDR weitgehend improvisiert und basierte auf reiner Muskelkraft. Es war normal, dass Orte nach starken Schneefällen erst am nächsten Tag wieder erreichbar waren, da die Bewohner Gänge durch den Schnee gruben oder einfach nicht zur Arbeit gingen. Wolfgang Schlegel, ein Technologe bei der Deutschen Reichsbahn, beschrieb, wie über 130 Weichen allein in seinem kleinen Stellwerksbezirk Wustermark bei Berlin 24 Stunden am Tag vor Vereisung geschützt werden mussten. Dies war ein Mammutprogramm, das viele Helfer erforderte, wobei die Sicherungsposten oft nicht ausreichten, was auch zu tödlichen Unfällen führen konnte.

Doch Mitte der 60er Jahre begann eine neue Ära. Die DDR hatte große Pläne für den Fichtelberg – ein „St. Moritz des Ostens“ sollte entstehen, erreichbar für Zehntausende Touristen, sobald alle Straßen befahrbar waren. Dies führte zu einem organisierten Winterdienst, der einen enormen Fortschritt darstellte. Der Rat des Bezirks, quasi der Generalstab, konnte zusätzliche Arbeitskräfte und Fahrzeuge aus der Industrie anfordern. Bei Einsatzstufe 3 bedeutete dies einen „großen Befehl“: Alles stehen und liegen lassen und alles, was zur Verfügung steht, dem Winterdienst zur Verfügung stellen, „koste es, was es wolle“.

Die „Große Winterschlacht“ und ihre Helden
Die 60er Jahre waren geprägt von Schlagzeilen über Schneechaos auf Straßen, Schienen und in Tagebauen. Nahezu jeden zweiten Winter lieferten sich Bevölkerung und Truppenteile der Nationalen Volksarmee (NVA) eine mehrtägige Schlacht gegen den Schnee. Das DDR-Fernsehen verkündete wiederholt den Ausnahmezustand. Tausende zogen mit Schippe, Filzstiefeln und Wattejacken in diese „große Winterschlacht“.

Seit den 60ern wurden jährlich „Wochen der Winterbereitschaft“ als Trockenübungen anberaumt, um die Einsatzbereitschaft zu überprüfen und das Einsatztempo des Straßenwinterdienstes zu erhöhen. Diese Überprüfungen, obwohl manchem übertrieben erscheinend, waren notwendig und funktionierten fast immer.

Anfang der 70er Jahre investierte die DDR massiv in Schneeräumtechnik, insbesondere in sowjetische Bauart. Maschinen wie die russische Zielfräse, mit einem halben Panzermotor unter der Haube, waren Kraftprotze ohnegleichen, robust, widerstandsfähig und kräftig. Die Fahrer dieser Schneepflüge und -fräsen waren regelrecht „heiß darauf“, mit diesen Geräten hinauszufahren und galten im Erzgebirge als „King of the Road“. Ein entscheidender Faktor war die DDR-Winterordnung, die gesetzlich festlegte, dass Straßen innerhalb von zwei Stunden nach einem Schneefall geräumt und gestreut sein mussten. Im Gegensatz zu heute hatten die Bürger einen Rechtsanspruch darauf, was den Stolz der DDR auf ihren Winterdienst unterstrich, da man „besser sein wollte als der West“. Jährlich wurden die Zahlen der Winterflotte präsentiert: über 9.000 Schneepflüge, 175 große Schneefräsen und 36.000 Menschen im Straßenwinterdienst, sowie bis zu 20.000 bei der Reichsbahn.

Die Katastrophe von 1978/79: Eine Bewährungsprobe
Der Jahreswechsel 1978/79 brachte eine gewaltige Herausforderung. Wolfgang Schlegel erfuhr, wie plötzlich Meldungen von 2 Meter hohen Verwehungen und zum Erliegen gekommenem Bahnverkehr in Stralsund aufkamen, während ein Nordsturm mit 100 km/h auf Wustermark zuraste. Seine Bitte, Einsatzstufe 3 auszulösen, wurde brüsk abgewiesen. Innerhalb von Stunden sanken die Temperaturen um 30 Grad.

Die Katastrophe offenbarte Schwachstellen: Der Diesel für den Meiningen-Schneepflug, den die Reichsbahn gebaut hatte, flockte bei den tiefen Temperaturen aus, was den Motor unbrauchbar machte. Schlegel improvisierte, baute sich selbst ein Kabel, um Strom von einer Lok zu zapfen, da sich Elektriker weigerten, eine „verbotene“ Verbindung zu erstellen. Viele ausgebildete Schneepflugführer meldeten sich krank aus Angst vor den gefährlichen Bedingungen und der Unkenntnis der Strecke. Schlegel musste den Schneepflug selbst bedienen, obwohl er nur Bahntechnologe und nicht ausgebildet war. Er fuhr mit 60 km/h, doppelt so schnell wie vorgeschrieben, da der Schneepflug sonst keine Chance gehabt hätte. „Wenn irgendwas passiert wäre, mich hätten sie wahrscheinlich eingesperrt“, so Schlegel.

Auf Rügen, wo die Insel faktisch abgeschnitten war, mussten Schneepflüge erst im Schnee gesucht werden. Heinz Mittelbach, aus der Karl-Marx-Städter Zentrale entsandt, beschrieb die Ankunft auf Rügen nach einem Tag Fahrt durch den Schnee, wo man ihnen sagte, sie seien zu langsam gewesen. Ein riskantes Experiment der NVA mit einer Fräse kostete ihn einen halben Tag und fast die ganze Maschine. Mittelbach entwickelte eine neue „Fräsen-Kampfsporttechnik“ – das „Wehen reiten“, bei dem sie auf Schneeverwehungen fuhren, um voranzukommen. Dies führte zum Durchbruch und ermöglichte Hilfstransportern, die seit Tagen isolierten Orte zu erreichen.

Doch auch dabei kam es zu Unfällen. Ein NVA-Hauptmann, der als Ersatz für einen ermüdeten Fahrer einsprang, beschädigte mit dem Schnee einer Fräse eine Fensterscheibe eines Hauses. Die eingesetzten Räumpanzer gruben „unterwegs noch ganz andere Sachen auf“.

Spätere Jahre: Überalterung und Verfall
Anfang der 80er Jahre zeigte das Winterkatastrophenmanagement zunehmend Schwächen. Die Fahrzeugflotte des Straßenwinterdienstes war überaltert und marode, der Reparaturaufwand hoch und der Verschleiß machte es immer schwieriger, Fahrzeuge am Laufen zu halten. Hinzu kamen Beschwerden über Streusalz, das die Straßen zerstörte und zu immer größeren Schlaglöchern führte. Mit nur 10% des früher eingesetzten Bitumens konnten Straßenbauer im Wesentlichen nur Löcher flicken.

Die massive Zunahme sozialistischer Straßenhindernisparcours führte zu kuriosen Protesten: Bürger pflanzten kleine Fichten in die Schlaglöcher, was zu einem „echten Politikum“ wurde und die Staatsmacht irritierte. Diese „charmanten Provokationen“ erzwangen immerhin ein paar zusätzliche Reparaturen. Das wahre Ausmaß des Verfalls wurde erst 1990 publik: Über die Hälfte der 120.000 km öffentlichen Straßen der DDR befand sich in desolatem Zustand.

Trotz dieser internen Probleme hielt die DDR bis zuletzt an ihrem Stolz auf den Winterdienst fest. Regelmäßig wurden Verkehrskollapse im Westen thematisiert, um die eigene Leistungsfähigkeit hervorzuheben. Auch wenn selbst im Erzgebirge „Wunder“ nicht möglich waren und eine zugeschneite Straße manchmal monatelang gesperrt blieb, war der Anspruch, bis zum letzten Meter zu räumen, omnipräsent. Der Winter war in der DDR nicht nur eine Jahreszeit, sondern eine fortwährende Herausforderung, die mit enormer Anstrengung und vielerorts mit großer Hingabe gemeistert wurde.

Wie die deutsche Teilung zwei Freundinnen auseinanderriss

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Berlin. Die Teilung Deutschlands und der Bau der Berliner Mauer haben unzählige Menschen auseinandergerissen – Familien, Freunde und geliebte Menschen wurden über Jahrzehnte getrennt. Über 40 Jahre lang waren die Bundesrepublik Deutschland und die DDR durch eine Grenze getrennt, die rücksichtslos Familien und Freunde voneinander isolierte. Besonders im Osten waren die Jahre von Abschottung und Überwachung durch die Stasi geprägt, wobei viele dramatische Fluchtversuche in den Westen unternahmen, die oft in Gefangenschaft oder gar tödlich endeten.

Als im Jahr 1989 die Mauer fiel, war die Freude auf beiden Seiten Deutschlands grenzenlos. Viele Menschen erinnern sich an diesen Tag als den „schönsten Tag in unserem Leben“, da sie nie damit gerechnet hatten, dass die Mauer auf friedlichem Wege fallen würde. Doch auch nach dem Mauerfall blieb es für viele Menschen bis heute unmöglich, ihre geliebten Angehörigen und Freunde wiederzufinden. Die Berliner Mauer und die fast 1400 Kilometer lange innerdeutsche Grenze trennten nicht nur Familien und Verwandte, sondern auch Freunde über Jahrzehnte hinweg.

Eine verschwundene Freundin aus der Schulzeit
Eine dieser Geschichten ist die von Christine, die ihre Schulfreundin Christine Ruhland nach fast 60 Jahren aus den Augen verloren hatte. Die beiden Mädchen lernten sich 1949 in der noch jungen DDR kennen und wurden innerhalb kürzester Zeit beste Freundinnen. Sie trafen sich täglich auf dem Schulweg, verbrachten den Unterricht und die freien Nachmittage miteinander. Christine beschreibt diese Jahre als „unvergesslich“, mit einer Freundschaft, an die man immer wieder gerne zurückdenkt und die sie nie vergessen würde.

Nach ihrem Schulabschluss im Jahr 1957 verabredeten sie sich wie immer, doch dann war Christine Ruhland nicht mehr da. Ihre ganze Familie war „von heute auf morgen verschwunden“. Christine war geschockt, als sie zum Elternhaus ihrer Freundin ging und sah, dass alles ausgeräumt war. Sie befragte alle Stellen, auch den Bürgermeister, bekam aber keine Antworten. Später vermutete sie, dass es sich um eine Zwangsumsiedlung gehandelt haben könnte, da sie in einer Sendung über solche Fälle in der DDR gehört hatte. Trotz der langen Trennung blieb Christine Ruhland tief in ihrem Herzen ihre beste Freundin.

Die Suche nach Christine Ruhland
Julia Leischik nahm sich des Falls an, nachdem die suchende Christine sich in einem anrührenden Telefonat an sie gewandt hatte. Die Suche begann mit Recherchen bei verschiedenen Ämtern rund um Christines damaligen Wohnort. Mithilfe einer 60 Jahre alten Schülerkarte, auf der Geburtsdatum und Geburtsort vermerkt waren, konnte herausgefunden werden, dass Christine Ruhland geheiratet hatte und danach Christine Scheil hieß.

Mit diesem neuen Namen führte die Suche Julia Leischik quer durch Deutschland. Zunächst wurden mehrere Adressen im Raum Köln überprüft. Ein erster Versuch in einem ländlichen Stadtteil Kölns endete erfolglos. Auch eine weitere Adresse in Aachen, etwa 80 Kilometer entfernt, führte nicht zum Erfolg; niemand in der Nachbarschaft kannte die gesuchte Christine Scheil. Schließlich reiste Julia Leischik weiter in den Landkreis Ludwigsburg, wo eine weitere Christine Scheil gemeldet war.

Das Wiedersehen nach 60 Jahren
In Ludwigsburg konnte Julia Leischik endlich die gesuchte Christine Scheil finden. Die Wiedersehensfreude war riesig. Christine Scheil, die gesuchte Freundin, erinnerte sich sofort an ihre Schulfreundin Christine als „wie eine gleichaltrige gute Schwester“ und ihre „einzige Freundin“. Sie erklärte, dass ihr Leben sich sehr verändert hatte. Sie hatte im Westen gute Freunde und entschloss sich 1957 während eines Besuchs, dort zu bleiben, nachdem sie die Schule beendet hatte. Damals war es noch möglich, mit einem Ausweis in den Westen zu reisen, doch nur drei Monate später durfte niemand mehr aus der DDR in den Westen reisen. Ihre Mutter sei dann auch weggegangen, und über die Umstände sei nie gesprochen worden – es sei ein „großes Grab“ gewesen.

Die Emotionen waren überwältigend, als Christine Scheil von der Suche ihrer Jugendfreundin erfuhr. Beide Freundinnen wurden zum Brandenburger Tor gebracht, dem Symbol der Teilung und Wiedervereinigung. Nach 60 Jahren, in denen sie durch die deutsche Teilung voneinander getrennt wurden, sahen sich die beiden Christines endlich wieder. Es war ein „toller Tag an einem tollen Ort“, und obwohl 60 Jahre vergangen waren, verstanden sich die Schulfreundinnen auf Anhieb, „fast als wären sie nie getrennt gewesen“. Dieses emotionale Wiedersehen ist ein Zeugnis der tiefen menschlichen Verbindungen, die selbst Jahrzehnte der Trennung überdauern können.

Der „Diebstahl der Kindheit“: Wie die DDR Familien auseinanderriss

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Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) verstand sich als Erziehungsstaat, der seine Bürger im Sinne der sozialistischen Ideologie formen wollte. Dies betraf auch die intimste Sphäre des Lebens: die Familie. Die Kindererziehung war im DDR-Recht als oberste Elternpflicht verankert, doch wer sich dem System widersetzte oder als „nicht konform“ galt, riskierte das Schlimmste: den staatlich verordneten „Diebstahl der Kindheit“ durch Zwangsadoption. Familien wurden brutal auseinandergerissen, Narben entstanden, die bis heute tief sitzen. Eine dieser erschütternden Geschichten ist die von Katrin Bär, die im zarten Alter von vier Jahren zur Zwangsadoption freigegeben wurde.

Katrin Bär beschreibt ihre Trennung von der leiblichen Mutter als den „Diebstahl ihrer Kindheit“. Im Februar 1972 wurde sie zusammen mit ihrem siebenjährigen Bruder ihrer Mutter in Gera weggenommen. Was als vermeintlich normale Vorladung begann, endete für die Kinder im Heim und für ihre Mutter in staatlicher Willkür. Ihre Mutter, eine Kellnerin und „Schweberin“, stand wegen ihres „nicht-konformen Lebens“ unter Beobachtung – ein Schicksal, das viele Betroffene teilten.

Der „Gummiparagraph“ und die „Asozialen“
Zwangsadoptionen in der DDR betrafen vor allem zwei Gruppen: Familien von „Republikflüchtigen“ und sogenannte „Asoziale“. Kinder wurden systematisch aus politischen Gründen von ihren Eltern getrennt. Die Behörden nutzten oft den berüchtigten Paragraphen 249 des Strafgesetzbuches der DDR, der eine „asoziale Lebensweise“ mit bis zu zwei Jahren Haft bestrafte. Dieser Paragraph wurde wegen seiner willkürlichen Auslegung als „Gummiparagraph“ bekannt. Schon eine harmlos erscheinende Bemerkung konnte ausreichen, um als regimekritisch oder „potenziell republikflüchtig“ eingestuft zu werden. Schätzungsweise 130.000 Menschen fielen diesem Paragraphen zum Opfer. Ihre Kinder landeten in Heimen, bei Verwandten oder wurden zur Adoption freigegeben. In extremen Fällen wurden Müttern sogar heimlich nach der Geburt ihre Babys entzogen.

Von den etwa 70.000 Adoptionen zwischen 1950 und 1991 in der DDR fanden rund 7.000, also etwa neun Prozent, gegen den Willen der leiblichen Eltern statt. Ein Großteil davon waren Zwangsadoptionen – ein Bereich, in dem weiterhin großer Forschungsbedarf besteht, um das ganze Ausmaß des Unrechts zu erfassen.

Katrin Bärs Leidensweg: Vom Heim ins System
Katrin Bärs Odyssee begann nach der Trennung von ihrer Mutter. Kurz bei der Oma, dann ins Heim – und schon bald der erste, gescheiterte Adoptionsversuch. Rückblickend vermutet sie, dass es sich dabei um eine Geschwistertrennung handelte, denn ihr Bruder kam in ein anderes Heim. Als Kind war Katrin überfordert von der Situation: „Ein großes Ohnmachtsgefühl“, niemand erklärte ihr, was geschah.

Fast zwei Jahre verbrachte Katrin im Heim, wo sie als „Kinder-Staatsverräterin“ beschimpft wurde – eine Erfahrung, die zu Mobbing führte und tiefe Spuren hinterließ. Freundschaften suchte sie dort vergebens, viele Erinnerungen hat sie verdrängt.

Nach einem weiteren gescheiterten Adoptionsversuch bei einer Kinderärztin, die „Genossin gewesen sein muss“, kam Katrin schließlich in ihre dritte Adoptivfamilie. Die Adoptivmutter war Lehrerin und SED-Parteisekretärin – „vermeintlich prädestiniert, die wilde Katrin zu zähmen und sie im Sinne des Ministeriums für Volksbildung staatskonform zu erziehen.“ Unter der Leitung von Margot Honecker, die maßgeblich am „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ mitwirkte, sollte die Erziehung der Kinder von klein auf zu „sozialistischen Staatsbürgern“ erfolgen. Trotz späterer Ermittlungen gegen Margot Honecker wegen Zwangsadoptionen konnte sie 1992 unbehelligt nach Chile ausreisen. Das DDR-Recht, das im Einigungsvertrag anerkannt wurde, stufte Zwangsadoptionen nicht als schwere Menschenrechtsverletzungen ein – ein juristisches Detail, das moralisch jedoch zutiefst falsch ist.

Für Katrin Bär stellte die Aufnahme bei den Jungpionieren im Alter von 15 Jahren einen Wendepunkt dar: zum ersten Mal empfand sie ein Gefühl von Zugehörigkeit, nachdem sie im Heim als „Kind der Staatsverräterin“ ausgegrenzt worden war.

Verdrängung, Wiederfindung und der Kampf um Gerechtigkeit
Das Thema Zwangsadoptionen verschwand lange Zeit aus der öffentlichen Wahrnehmung. Mitte der 70er Jahre sorgte der „Spiegel“ zwar mit dem Titel „Kinderrab der DDR“ kurzzeitig für Aufsehen, doch die Bundesregierung sah keinen Verhandlungsspielraum und opferte die Kinderschicksale der „deutschen Entspannungspolitik“.

Erst 1990 stieß eine Clearingstelle in Berlin auf Akten und begann, das Thema neu aufzurollen. Die damalige Leiterin Elke Kannenberg zeigte sich „empört“ über die Schicksale der oft alleinerziehenden Mütter, die aufgrund des Paragraphen 249 verurteilt wurden, weil sie den hohen gesellschaftlichen Anforderungen nicht gerecht werden konnten. Lange Haftstrafen und Kontaktabbrüche waren die Folge – ein „Teufelskreis“.

Katrin Bär heiratete jung, auch um ihrer Adoptivfamilie zu entfliehen. Die Wiedervereinigung nutzte sie zunächst nicht, um nach ihrer leiblichen Mutter zu suchen. Ein „dummer Zufall“ – die Notwendigkeit, aufgrund eines genetischen Problems ihres ungeborenen Sohnes Akten einzusehen – führte sie 20 Jahre später, mit 24 Jahren, zu ihrer leiblichen Mutter zurück. Ein „irrer“, emotionaler Moment, in dem sie sich sogar an den Geruch ihrer Mutter am Hals erinnerte – eine unbewusste, tiefe Verbindung. Doch der Versuch, beide Familien zusammenzubringen, scheiterte dramatisch.

Im Jahr 2007 beantragte Katrin Bär Akteneinsicht. Schwarz auf weiß stand dort das Unrecht: Ihrer Mutter wurde das Erziehungsrecht entzogen, obwohl sie der Adoption nie zugestimmt hatte. Kontakte zur Oma sollten „komplett gekappt“ werden. Ihre Mutter verbrachte insgesamt sieben Jahre zu Unrecht in DDR-Gefängnissen und ist heute strafrechtlich rehabilitiert. Als Katrin dies las, rief sie ihre Mutter an und entschuldigte sich – für das, was ihrer Mutter und ihr angetan worden war.

Aus Wut und dem Gefühl, dass „alles, was mir anerzogen worden ist, eine Lüge“ war, beschloss Katrin Bär, ihr Schicksal öffentlich zu machen. Sie engagiert sich heute, um anderen Betroffenen von Zwangsadoptionen zu helfen. Sie hat ein Online-„Schwarzes Brett“ und eine Anlaufstelle in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg eingerichtet. Dort sind über 320 Fälle registriert, und dank des Netzwerks konnten bereits in fast 550 Fällen Suchen erfolgreich abgeschlossen werden.

Die Arbeit ist jedoch langwierig und komplex. Das Wiederfinden ist oft nur der erste Schritt; die über Jahrzehnte zerstörten Lebenswege der Kinder und leiblichen Eltern erschweren die Zusammenführung. Neben den emotionalen Problemen bestehen rechtliche Hürden: Es gibt keine Aufklärungspflicht über Adoptionen, und leibliche Eltern dürfen aufgrund eines „Ausforschungs-Offenbarungsverbots“ nicht aktiv suchen. Akten sind oft erst nach 60 Jahren einsehbar, wenn die leiblichen Eltern möglicherweise bereits verstorben sind.

Katrin Bär und ihre Mitstreiter fordern eine Änderung dieser Gesetze, die Rehabilitierung der betroffenen Eltern und eine umfassende wissenschaftliche und historische Aufarbeitung der Zwangsadoptionen in der DDR. Trotz der immensen Herausforderungen hat Katrin Bär ihr Schicksal akzeptiert und ist daran gewachsen. Ihre Mission ist es, aufzuklären und vielen Menschen zu helfen, die dasselbe Unrecht erfahren haben.