Ilko-Sascha Kowalczuk: Der „Punk unter den Historikern“ im Kampf für Freiheit und Widerspruch

Berlin. In einer Zeit, in der die Grundfesten von Demokratie und Freiheit vielerorts auf dem Prüfstand stehen, fordert der Historiker und Autor Ilko-Sascha Kowalczuk mit scharfen Analysen und einer unerschrockenen Haltung zum aktiven Widerspruch auf. Für ihn geht es um nichts Geringeres als „Demokratie versus Diktatur“ und „Freiheit versus Unfreiheit“, eine Auseinandersetzung, die ihn aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit der Diktatur der DDR zutiefst persönlich antreibt.

Kowalczuk, der sich selbst als „diktaturgeschädigt“ bezeichnet, ist bekannt für seine provokative Art, die ihm den Ruf einbrachte, der „Punk unter den Historikern“ zu sein. Er wirkt „wie sowas anderes“ inmitten von Konvention und Langeweile in der Geschichtswissenschaft. Diese Haltung sei jedoch keine Attitüde, sondern Ausdruck seines Wesens und seiner Überzeugung, dass wir nur „wirklich weiter mit Widerspruch, mit Widerstand, mit Dagegenhalten“ kommen. Für ihn ist dies das „Salz in der Suppe von Demokratie und Freiheit“ und der „Motor der Entwicklung“.

Widerspruch als Motor der Demokratie, nicht als Gebrüll
Kowalczuk differenziert klar zwischen „Widerstand“ und „Widerspruch“. Während Widerstand an Diktaturen gebunden und dort notwendig ist, um die Diktatur zu überwinden, ist in einer parlamentarischen Demokratie die Opposition die zentrale Kraft, um die Demokratie lebendig zu halten. Es gehe darum, „Opposition mit Widerspruch, mit Dagegenhalten“ zu üben.

Er räumt ein, dass es scheinbar viel Widerspruch gebe, insbesondere in sozialen Medien, wo allem „immer Widerspruch“ begegnet werde. Doch er bezweifelt, dass dies echter Widerspruch ist. Für Kowalczuk hat Widerspruch mit Substanz zu tun und muss „rational nachvollziehbar“ sein. Er kritisiert, dass Meinungen oft zu Fakten erklärt werden und dass eine „hohe zum Beispiel Wissenschaftsfeindlichkeit“ die Gesellschaft durchzieht. Stattdessen brauche es „empirisch basierte Aussagen“, um Lösungen zu finden und nicht, um einander „niederzubrüllen“. Er plädiert zudem für einen „konstruktiven Journalismus“, der auch Positives berichtet und diejenigen in den Mittelpunkt rückt, die das Land durch Ehrenämter am Laufen halten.

Demokratie ist für ihn keine „Konsensangelegenheit“, sondern eine „Kompromissgesellschaft“. Es sei entscheidend, den politischen Gegner als solchen anzuerkennen und ihm zu unterstellen, „das Beste für unsere Gesellschaft“ zu wollen, selbst wenn er ganz andere Wege vorschlägt. Nur so bleibe man „koalitionsfähig“ und könne Kompromisse erarbeiten. Die Verwandlung politischer Gegner in Feinde, wie in den USA durch Trump zur Meisterschaft geführt, sei eine langfristige Strategie zur Zerstörung der demokratischen Grundordnung.

Ostdeutschland als „Brennglas unserer Welt“
Ein zentrales Thema in Kowalczuks Arbeit ist Ostdeutschland, das er als „Brennglas unserer Welt“ bezeichnet. Er sieht es als ein „Feldversuch“ oder „Mahnmal“, denn in Ostdeutschland passiert „seit vielen Jahren ungefähr seit 20 Jahren alles früher schneller und radikaler als anderswo“. Was sich dort herausbilde, geschehe in vier bis acht Jahren auch im Westen.

Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Die Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 war eine „größte Zäsur“. Millionen Menschen verloren Arbeitsplätze und Institutionen. Der „Transformationsschock“ im Osten war hart, auch wenn der bundesdeutsche Sozialstaat die Gesellschaft auffing. Was nicht kompensiert werden konnte, waren „kulturelle Verluste“ mit „mentalen Folgen“. Kowalczuk erläutert, dass im Osten der Arbeitsplatz nicht nur der Broterwerb war, sondern ein ganzes Lebensgefühl und umfassende soziale, kulturelle und versorgende Funktionen bot. Mit dem Wegfall dieser Arbeitsplätze und Institutionen brach ein ganzer Lebenskontext weg, was zu einem „Phantomschmerz“ führte.

Er widerspricht der verbreiteten Rede von der verlorenen „Gemeinschaft“ im Osten. Er erklärt, dass die DDR eine „verstaatlichte Gesellschaft“ war, in der Staat und Gesellschaft eins gedacht wurden und Organisationen eigentlich staatlich waren. Die Menschen wurden in einen kollektivistischen Anpassungsdruck sozialisiert, der die „organisierte Verantwortungslosigkeit“ förderte. Kowalczuk selbst erlebte dies als Kind und Jugendlicher, als seine Umgebung ihn zum „Feind konstruierte“, nur weil er sich nicht bedingungslos anpassen wollte. Diese Erfahrung prägte ihn zutiefst und führte zu seiner „politischen DNA“, „nie wieder die Fresse zu halten“.

Die gefährliche Verharmlosung der Diktatur
Die Beschäftigung mit dem Osten ist für viele eine „lebendige Gegenwart“, da die Vergangenheit immer zum Vergleich dient. Doch Kowalczuk warnt energisch vor der „Verharmlosung und Verharmlosung der Diktatur als tödliches Gift“. Er hat „null Verständnis“ dafür, wenn jemand eine Diktatur „verharmlost“ oder „schöngeredet“. Sein eigenes „Diktaturschaden“ macht ihn zum unerbittlichen Kämpfer gegen solche Narrative. Er litt „körperlich“ unter dem Gefühl der Unfreiheit, als ein „scheiß Staat vorschreiben wollte, wo ich hinfahre, was ich für Bücher lese, welche Musik ich höre“.

Das Problem sei, dass viele in der DDR nicht merkten, dass sie in einer Diktatur lebten. Er kritisiert, dass selbst die angepassten Lebensweisen in der DDR heute oft nostalgisch verklärt werden, anstatt sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Er sieht dahinter einen „tiefen Hass auf den liberalen Verfassungsstaat“, der sich in der Nähe zu Putin-Narrativen oder der Verherrlichung des Putin-Regimes zeige. Für Kowalczuk sind geschichtspolitische Debatten deshalb relevant, weil sie „ganz viel mit unserer Gegenwart und unserer Zukunftsgestaltung zu tun“ haben.

Ein unermüdlicher Kämpfer für Freiheit
Kowalczuk versteht seinen Job als Historiker als einen „politischen Job“. Er ist nicht naiv gegenüber der Welt, erkennt aber an, dass wir in der „besten aller bisherigen Welten“ leben, verglichen mit früheren Zeiten, trotz der aktuellen Krisen. Dennoch lehnt er es ab, sich zurückzulehnen. Er empfindet eine tiefe Notwendigkeit, sich für die Verteidigung der Freiheit einzusetzen. Es gebe keine Pflicht dazu, aber er fühlt sie.

Für ihn funktioniert Freiheit „nur, wenn es für alle da ist“. Er will seine Freiheit nicht denjenigen ausliefern, „die diese Freiheit abschaffen wollen wie die faschistische AfD wie die leninistische wie das leninistische Bündnis von Sarah Wagenknecht“. Seine Wut und sein Engagement sind sein Motor, um „die anderen nicht das Feld zu überlassen“.

Am Ende des Gesprächs auf die Frage, was er auf eine große Plakatwand am Alexanderplatz schreiben würde, antwortet Kowalczuk kurz und prägnant: „Freiheit.“ Eine Botschaft, die seine Arbeit, seine Persönlichkeit und sein unermüdliches Eintreten für die Grundwerte unserer Gesellschaft zusammenfasst.