Stefan Traeger, Vorstandschef des Technologiekonzerns Jenoptik, skizzierte in seinem Impulsvortrag auf dem OWF eine ambitionierte Vision für Deutschlands wirtschaftliche Erneuerung. Seine fünf Thesen – strategische Agenda, Innovation, Tempo, Offenheit und Zuversicht – sind auf den ersten Blick überzeugend. Doch bei genauerer Betrachtung offenbaren sich Leerstellen, Vereinfachungen und blinde Flecken.
1. Strategische Agenda – aber von wem?
Die Forderung nach einer „strategischen Agenda“ für Zukunftsbranchen ist sinnvoll. Doch wer soll diese Agenda entwickeln – die Bundesregierung, die Industrie, die EU? Traeger bleibt hier vage. Während er auf das Erfolgsmodell „Silicon Saxony“ verweist und eine eigene Investition von Jenoptik als Vorbild nennt, unterschätzt er die enorme Bedeutung staatlicher Steuerung, gerade bei Standortpolitik, Fachkräftezuwanderung oder Energiekosten. Dass seine Dresdner Fabrik „weitgehend ohne Subventionen“ entstanden sei, ist eher die Ausnahme als Regel – und als implizite Forderung an andere Unternehmen kaum übertragbar.
2. Innovation – ein alter, aber blasser Appell
Auch die Betonung von Innovation und Bildung ist nicht neu. Traeger spricht die „teure Arbeit“ in Deutschland als Stärke an – das ist wohltuend differenziert –, aber er bleibt unkonkret, wie genau die Innovationsfähigkeit systematisch gesteigert werden soll. Gerade in Ostdeutschland fehlt es nicht nur an Fachkräften, sondern auch an Forschungsinfrastrukturen, Netzwerken und Kapital. Ohne konkrete Forderungen an den Staat, z. B. zur steuerlichen Forschungsförderung, zur besseren Kooperation zwischen Hochschulen und Mittelstand oder zur gezielten Regionalförderung, bleibt die Innovationsformel oberflächlich.
3. „Deutschland muss schneller werden“ – richtig, aber wie?
Der Ruf nach mehr Tempo und weniger Bürokratie ist berechtigt – und wird seit Jahrzehnten erhoben. Traeger benennt die öffentliche Verwaltung als Bremsklotz, aber auch hier fehlen Details: Wie soll ein echter Bürokratieabbau gelingen, ohne in neoliberale Kürzungsparolen zu verfallen? Wer Digitalisierung fordert, muss auch über Personal, IT-Sicherheit und Datenschutz sprechen – Themen, die im Vortrag fehlen. Es bleibt der Eindruck, dass die Diagnose zwar stimmt, die Therapie aber unklar ist.
4. Offenheit – ein wohlfeiles, aber unkonkretes Ideal
Traegers Appell für mehr „Offenheit“ ist sympathisch, aber begrifflich unscharf. Offenheit für Migration, für andere Ideen, für kulturellen Input – das klingt gut. Doch wie steht er zur politischen Polarisierung, zur Welle an Fremdenfeindlichkeit, zu realen Integrationsproblemen? Offenheit ist kein abstrakter Wert, sondern ein umkämpftes gesellschaftliches Feld. Hier hätte Traeger deutlich politischer werden können – gerade als ostdeutscher Top-Manager mit internationalem Hintergrund.
5. Zuversicht – oder Zweckoptimismus?
Sein abschließender Aufruf zu mehr Mut und Zuversicht wirkt fast trotzig. Ja, Deutschland ist wirtschaftlich stark – noch. Aber die Herausforderungen sind strukturell: alternde Bevölkerung, schwächelnde Produktivität, Energiepreise, geopolitische Unsicherheiten. Ob das bloße Beschwören von „Powerhouse Europa“ ausreicht, um komplexe Transformationsprozesse zu meistern, darf bezweifelt werden.
Mutiger Auftritt – mit zu viel Pathos und zu wenig Politik
Stefan Traeger gelingt es, zentrale Zukunftsfragen zu benennen und einen wichtigen Diskurs anzustoßen. Gerade seine persönliche Perspektive als ostdeutscher Konzernchef ist wertvoll. Doch seine Thesen bleiben auf einer abstrakt-moralischen Ebene stehen – „mehr Mut“, „mehr Innovation“, „mehr Offenheit“ –, ohne die harten Zielkonflikte und politischen Hürden konkret anzusprechen.
Für eine echte „Wirtschaftswende“ braucht es mehr als kluge Impulse: Es braucht klare politische Forderungen, eine ehrliche Analyse der strukturellen Schwächen – und den Mut, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen.