Als die DDR gegründet wurde, stand ein großes Versprechen im Raum: Ein Land ohne Klassen, ohne Ausbeutung, in dem der Reichtum gerecht verteilt ist. Doch wer hinter die Fassade der sozialistischen Parolen blickte, erkannte schnell, dass auch im Arbeiter- und Bauernstaat manche gleicher waren als andere. Die offizielle Doktrin der Gleichheit wurde im Alltag durch ein feingesponnenes Netz aus Beziehungen, Privilegien und einer inoffiziellen Währung ausgehöhlt.
Schon früh zeigte sich, dass der „gleiche Lohn“ mehr Idee als Realität war. Während der Staat die Bescheidenheit als Tugend pries, etablierte sich im Verborgenen eine Schattenwirtschaft. Wer „jemanden kannte“, war König. Beziehungen – im Volksmund „Vitamin B“ genannt – wurden zur härtesten Währung des Ostens. Ein Telefonanschluss, eine neue Fliese fürs Bad oder ein Platz im Ferienheim: Nichts davon war schlicht käuflich, alles war verhandelbar für jene, die über das richtige Netzwerk verfügten.
Besonders perfide war die Rolle des Staates selbst. Während man den „Klassenfeind“ im Westen ideologisch bekämpfte, wurde seine Währung, die D-Mark, zum heimlichen Fetisch der DDR-Elite. In den Intershops und Exquisit-Läden offenbarte sich die Zwei-Klassen-Gesellschaft am deutlichsten. Hier, wo es nach Westseife und echtem Bohnenkaffee roch, endete die sozialistische Moral. Wer über Westgeld verfügte – sei es durch die „bucklige Verwandtschaft“ oder durch dunkle Kanäle –, konnte sich dem grauen Einheitsbrei entziehen.
Doch das System ging tiefer als nur bis zum Konsum. Es entstanden „Organisatoren“, Schattenunternehmer, die die Planwirtschaft am Laufen hielten, indem sie dort improvisierten, wo die Bürokratie versagte. Sie besorgten Material, das es offiziell nicht gab, und reparierten Maschinen mit Ersatzteilen, die nie geliefert wurden. Diese Menschen lebten in einer Grauzone: geduldet, weil nützlich, aber stets bedroht von der Willkür der Staatsmacht.
Der Gipfel dieser Doppelmoral war der Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) unter Alexander Schalck-Golodkowski. Hier agierte der Staat wie ein kapitalistischer Konzern, verschob Millionen auf geheime Konten und handelte mit allem, was Devisen brachte – von Antiquitäten bis hin zu Blutkonserven. Die DDR war am Ende moralisch bankrott, lange bevor sie finanziell kollabierte. Was blieb, war die Erkenntnis einer ganzen Generation: Dass man Gleichheit nicht verordnen kann, wenn die Gier im System selbst verwurzelt ist.