Dr. Hans-Joachim Maaz über die DDR

Frühe Erfahrungen und Stasi-Intervention Maaz erlebte die DDR zunächst als junger Psychiater in den frühen 1970er Jahren. Er und eine kleine Gruppe junger Psychiater versuchten, die sehr autoritären und restriktiven Verhältnisse in der Psychiatrie zu verändern, indem sie Sozialpsychiatrie und Psychotherapie einführen wollten. Dies führte dazu, dass sie nachts von der Staatssicherheit abgeholt wurden, da ihre Bemühungen als „Verschwörungsgruppe gegen die sozialistische Leitungstätigkeit der Psychiatrie“ interpretiert wurden. Diese Erfahrung prägte ihn zutiefst und zeigte ihm, dass die Medizin, insbesondere die Psychiatrie, nicht unabhängig von den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen war. Ihm wurde vorgeworfen, eine staatsfeindliche Einstellung zu haben. Die Stasi versuchte sogar, ihn indirekt anzuwerben, indem sie ihm Unterstützung für eine psychotherapeutische Station anbot, wenn er „im Gespräch bleiben“ würde, was für Maaz ein wichtiger Grund war, die Klinik so schnell wie möglich zu verlassen.

Freiraum in der Diakonie und Einführung neuer Methoden Nach diesen Erfahrungen fand Maaz seine berufliche Hauptzeit in der Diakonie in Halle, wo er einen großen Freiraum genießen konnte. Unter normalen DDR-Verhältnissen wäre er aufgrund seiner kritischen Einstellung nie Chefarzt geworden. In dieser diakonischen Einrichtung konnte er Methoden wie Körperpsychotherapie und Gestalttherapie einführen, die es sonst in der DDR nicht gab. Er verdankte der Diakonie nicht nur seine Karriere bis zum Chefarzt, sondern auch die Möglichkeit, nach seinen Vorstellungen zu leben und zu arbeiten. Er erlaubte sich sogar, nicht zur Wahl zu gehen, was in der DDR zu Schwierigkeiten und Drohungen führen konnte.

Familiärer Hintergrund und „Immunsystem“ Maaz wuchs in einer Familie auf, die den politischen und ideologischen Verhältnissen kritisch gegenüberstand. Sein Vater war Kaufmann im Sudetenland und litt unter den fehlenden Geschäftsmöglichkeiten in der DDR. Seine Eltern waren auch dem nationalsozialistischen System gegenüber kritisch, was eine frühe Sensibilisierung für autoritäre Verhältnisse bedeutete. Schon als Jugendlicher erkannte er die Wiederholung autoritärer Verhältnisse aus dem Nationalsozialismus in der DDR, wenn auch mit anderen Inhalten. Dies war ein entscheidender Beweggrund für ihn, später in die Psychiatrie zu gehen, um solche Phänomene verstehen zu wollen. Dieses familiär geprägte kritische Denken bezeichnet er als sein „Immunsystem“.

Leben in der DDR: Spaltung und Anpassung Maaz beschreibt die in der DDR weit verbreitete Praxis, eine offizielle Meinung für die Öffentlichkeit (Schule, Studium) und eine private Meinung in der Familie zu haben. Diese „Spaltung“ war schwierig, anstrengend und belastend, da sie mit dem Gefühl der fehlenden Ehrlichkeit und Authentizität einherging. Er musste lernen, nicht alles zu sagen, was er dachte, um nicht „behelligt“ zu werden. Dennoch gab es Grenzen für seine persönliche Würde, wie sein Widerwille, einen westlichen Politiker in einem Dramaspiel darzustellen, zeigt.

Denkverbote und Tabus In der DDR waren bestimmte Themen tabu:

• Die kommunistische Ideologie durfte nicht kritisch hinterfragt werden.

• Machtverhältnisse und Machtstrukturen durften nicht in Frage gestellt werden.

• Die Anpassung und das Mitläufersyndrom der großen Masse durften nicht angesprochen werden.

• Themen wie Sterben und Tod waren kein öffentliches Thema, da die DDR sich als „neue Welt, die neue Zukunft, fröhlich und ehrlich“ sah.

• Die Propaganda selbst durfte nicht kritisch beleuchtet werden.

Psychotherapie in der DDR Psychoanalyse war in der DDR nicht verboten, aber auch nicht erlaubt, was bedeutete, dass es keine offiziellen Ausbildungsmöglichkeiten gab. Maaz nutzte seinen Freiraum in der Diakonie, um eine tiefenpsychologische Ausbildung unter dem Namen „psychodynamische Einzeltherapie“ anzubieten, da „analytische Einzeltherapie“ zu sehr an Psychoanalyse erinnerte. Er konnte über 500 ärztliche und psychologische Kollegen in Tiefenpsychologie ausbilden, was für viele nach der Wende eine „Rettung“ darstellte, um in Westdeutschland eine Zulassung für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie zu erhalten.

Der „Gefühlsstau“ und das „Wendehals-Syndrom“ Sein erstes Buch, „Der Gefühlsstau,“ das zu DDR-Zeiten nicht gesellschaftskritisch veröffentlicht werden konnte, war eine Auseinandersetzung mit der Psychodynamik der Verhältnisse in der DDR. Es beschrieb Machtstrukturen, Mitläufer, Fanatiker und Verweigerer. Maaz beschäftigte sich besonders mit der Frage, wie Menschen von einem Tag auf den anderen ihre politische Einstellung ändern konnten, dem sogenannten „Wendehals-Syndrom“. Dies bildete die Grundlage für seine spätere gesellschaftskritische Position, um die „Psychodynamik eines solchen verrückten Wandels des Wendehalses“ verstehen zu wollen.

Die Zeit der Wende und Enttäuschung Maaz war aktiv an den Protesten während der Wende beteiligt und beschreibt die anfängliche Aufbruchsstimmung als „großartig“ und „die schönste Zeit seines Lebens“. Er gehörte zu denen, die „Wir sind das Volk“ skandierten, was sich jedoch allmählich zu „Wir sind ein Volk“ wandelte, was eine kritiklose Anbindung an die Bundesrepublik erwartete, der er nicht zustimmte. Er ist der Meinung, dass die Demonstrationen lediglich die „Begleitmusik des Untergangs dieses Systems“ waren, da das eigentliche Ende von der Stasi und der Partei selbst vollzogen wurde, die ideologisch und ökonomisch am Ende waren und ihr Vermögen retten wollten.

Die Integration ostdeutscher Psychotherapeuten in das westdeutsche System erwies sich als enttäuschend. Maaz erlebte es als „Kolonialismus“, bei dem westdeutsche Strukturen und Methoden kritiklos übernommen werden sollten, während ostdeutsche Entwicklungen, wie seine multimodale psychotherapeutische Kompetenz (die verschiedene Therapieformen wie Verhaltenstherapie, Gestalttherapie und Transaktionsanalyse umfasste), nicht akzeptiert wurden. Dies führte zu einer „bitteren Erfahrung von Machtverhältnissen,“ bei denen es nicht um Inhalte, sondern um Einfluss, Macht und Profit ging.

Krippenbetreuung in der DDR und ihre Folgen Maaz kritisiert die Krippenbetreuung in der DDR scharf, bei der bis zu 86% der Kinder, oft sogar in Wochenkrippen, betreut wurden. Er betont, dass die Betreuungsqualität (eine Betreuerin für 10-14 Kinder) keine ausreichenden Bindungschancen bot, was verheerende Folgen für die Entwicklung der Kinder hatte. Er sieht darin eine „dunkle Absicht“: die Entfremdung von Kindern in der frühesten Kindheit macht sie abhängig und schafft „die besten Mitläufer auch einer schwergestörten Gesellschaft“. Die „Herrschaft über die Kinderstube entscheidet über die Zukunft der Gesellschaft“. Er ist enttäuscht, dass diese Erkenntnisse nach der Wende nicht umgesetzt, sondern die Krippenbetreuung aus ökonomischen Gründen wieder in den Mittelpunkt gestellt wurde.

Vergleich mit der heutigen Situation (DDR 2.0) Maaz vermeidet den Begriff „DDR 2.0“, da er Westdeutsche kränken und eine Verharmlosung der DDR darstellen könnte. Er findet die heutige gesellschaftliche Entwicklung jedoch schlimmer als zu DDR-Zeiten. Die Gründe dafür sind:

Unklarheit der Regeln: In der DDR war klar, auf welcher Seite man stand und welche Meinungen tabu waren. Heute ist diese Linie diffus; man kann etwas völlig Normales sagen und wird plötzlich als „rechts,“ „sexistisch“ oder „rassistisch“ abgestempelt. Diese Unsicherheit erzeugt mehr Angst und Ungewissheit als die klareren Verhältnisse in der DDR.

„Demokratie-Betrunkenheit“ des Westens: Viele Westdeutsche glauben immer noch, in einer funktionierenden Demokratie zu leben und können sich nicht vorstellen, dass Regierungen auch andere Interessen als das Gemeinwohl verfolgen. Diese „verordnete Demokratie“ war lange Zeit erfolgreich durch Wohlstand und äußere Freiheiten.

Insidiosität der Macht: Die heutigen Machtstrukturen, Ideologien und ökonomischen Interessen sind weniger offensichtlich als in der DDR. Die Abhängigkeit der Menschen in einem geldorientierten System ermöglicht es, Einfluss zu nehmen, indem Chefs in Politik, Kultur und Wissenschaft gefördert werden, was dann alle Abhängigen dazu zwingt, den Vorgaben zu folgen.

„Falsches Leben“ und Normopathie: Maaz sieht das westliche Leben als ein „falsches Leben“, das Anpassung an menschenfeindliche Verhältnisse, Konkurrenz und Durchsetzung über das natürliche Maß hinaus erzwingt. Diese „kapitalistische finanzkapitalistische Normopathie“ sei an ihrem inhaltlichen Ende und erkläre die zugespitzten Krisen und Absurditäten sowie den Abbau der Demokratie. Die Einsicht in diese Fehlentwicklung würde jeden Einzelnen mit seiner eigenen „Schuld“ und seinem „falschen Leben“ konfrontieren, was die öffentliche Diskussion erschwert.

Aggression und Kriegslust: Er interpretiert die heutige „hohe Aggression,“ die sich in digitaler Lynchjustiz und der Zerstörung des persönlichen Rufes zeigt, als Ausdruck eines „falschen Lebens“. Diese Kompensation durch Geld, Profit, Macht und Einfluss muss ständig gesteigert werden („Dosis erhöhen“), was zu Absurditäten und irrationalem Verhalten führt. Die „soziale Aggression gegen Andersdenkende“ kann sich in einer „Kriegslust“ entladen, indem ein äußerer Feind (z.B. Russland) geschaffen wird, um die Gesellschaft zusammenzubringen und von inneren Problemen abzulenken.

Zusammenfassend empfindet Maaz die aktuelle Situation als bedrohlicher, da die Regeln unklarer sind, die Manipulation subtiler und die Menschen aufgrund ihrer bisherigen positiven Erfahrungen schwerer zu überzeugen sind, dass das System selbst kritisch hinterfragt werden muss.