Jan Böhmermann: „In Thüringen gibt’s halt 30 % Faschos im Parlament.“


Als Jan Böhmermann am frühen Morgen in Köln-Ehrenfeld den E-Scooter startet, ahnt kaum jemand, dass er eine Reise antritt, die mehr sein wird als ein bloßes Roadmovie auf zwei Rädern. Sein Ziel: Chemnitz – symbolhaftes Epizentrum ostdeutscher Befindlichkeiten. Doch die rund 600 Kilometer von der Rheinstadt ins Erzgebirge werden bald zu einer Erkundungstour durch mentale Grenzen, gesellschaftliche Gräben und persönliche Widerstände.

Die Diagnose: Deutschland zweigeteilt
In der Auftaktfolge seines ZDF Magazin Royale richtet Böhmermann den Blick unverblümt auf den tiefen Riss, der sich seit Jahrzehnten durch unser Land zieht:

„Ist Deutschland noch ein Land oder zwei, drei, vier oder 84 Millionen? Risse gehen durch Deutschland – West gegen Ost.“

Diese rhetorische Frage ist mehr als ein Gag. Sie fungiert als Weckruf: Wer das aktuelle Deutschland verstehen will, muss sich den Altlasten von Wiedervereinigung und Vorurteilen stellen. Und so verlässt Böhmermann das westdeutsche Ursprungsuniversum, um sich den realen Verwerfungen im Osten zu stellen.

„Dorthin, wo es wehtut“
Seine Route begründet er mit Pathos:

„Wer Deutschland heilen will, muss dorthin gehen, wo es wehtut – nach… Deutschland!“

Chemnitz steht sinnbildlich für Orte, an denen ungelöste Konflikte sichtbar werden: wirtschaftliche Stagnation, demografische Abwanderung, politischer Frust. Böhmermanns ironisch-polemische Wortwahl lädt ein, sich auf das Unbequeme einzulassen.

Widerstände überwinden
In Kassel, wo er die Hälfte der Strecke hinter sich hat, wird er nach seiner Motivation gefragt. Seine Antwort klingt wie ein Plädoyer gegen Verdrängung:

„Und wenn man das Gefühl hat, ich kann nicht mehr in den Osten fahren, dann muss man in den Osten fahren.“

Das Eingeständnis eigener Hemmungen verwandelt die Reise in ein therapeutisches Experiment: Statt auf Distanz zu bleiben, rückt Böhmermann näher an die vermeintlich fremden Landesteile heran.

Fließende Grenzen, spürbare Differenzen
Beim Grenzübertritt nach Thüringen kommentiert er mit einem Augenzwinkern:

„Aber wo hier genau die Grenzen sind, das weiß doch inzwischen niemand mehr.“

Formell ist die innerdeutsche Grenze lange Geschichte. Faktisch aber existieren subtile kulturelle und ökonomische Unterschiede, die sich nicht so leicht aufheben lassen.

Rechtsextremismus als Dauerbrenner
In Erfurt platziert sich Böhmermann selbstkritisch zwischen den Stühlen: Einerseits wehrt er Pauschalisierungen ab –

„Das ganze Land ja nicht. Ich komme ja überall hin, auch wenn Nazis irgendwo sind.“
– andererseits benennt er klare Problemzonen:
„In Thüringen gibt’s halt 30 % Faschos im Parlament.“

Damit verweist er auf die Legitimationskrise demokratischer Institutionen und die politische Polarisierung in Teilen Ostdeutschlands.

Gera: das Bild der Resignation
Er trifft auf Orte, die wie Geisterstädte wirken. In Gera, wo Verlassenheit und Stille dominieren, kommentiert er sarkastisch:

„In welchem Land bin ich eigentlich? Vielleicht schämen sich ja die Leute für Deutschland. Kacke am Dampfen.“

Sein ungefilterter Ausruf bringt die emotionale Leere zum Ausdruck, die in vielen Kleinstädten herrscht – Folge des demografischen Wandels und struktureller Vernachlässigung.

Zahlen und Realität kurz vorm Ziel
Kurz vor Chemnitz zieht Böhmermann ein nüchternes Resümee:

„Sachsen! 44 Deutschlandfahren. 655,6 gefahrene Kilometer. Zwei zerstörte E-Scooter von Köln-Ehrenfeld nach Chemnitz.“

Die knappe Statistik dokumentiert die Strapazen einer Reise, die körperlich hart ist und zugleich psychologisch viele Fragen aufwirft.

Ankunft in Chemnitz: Unerwartete Lebendigkeit
Und dann das überraschende Bild: Eine belebte Stadt, Menschen auf den Straßen, ein pulsierendes Miteinander. Sein Fazit:

„Wahnsinnig viele Leute hier.“

Plötzlich kontrastiert die Szene mit den vorherigen Eindrücken von Leere und Resignation. Chemnitz zeigt sich als facettenreicher Ort – nicht nur als Brennpunkt, sondern als lebendige Gemeinschaft.

Ein Fazit für die Republik
Jan Böhmermanns E-Scooter-Trip ist ein performativer Selbstversuch: Er macht die Ost-West-Spaltung sinnlich erfahrbar, indem er sie buchstäblich abfährt. Seine Botschaft ist ambivalent: Ostdeutschland als „Ort des Schmerzes“, aber auch als Prüfstein für die gesamtdeutsche Demokratie. Wer Verständnis sucht, muss hinfahren, hinsehen, zuhören. Und erkennen, dass die Überwindung mentaler Grenzen nicht mit dem formellen Mauerfall endete – sondern in laufenden Gesprächen und Begegnungen beginnt.

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