„Berlin-Ost heute.“ So beginnt die erste ZDF-Reportage über den Ostteil der deutschen Hauptstadt aus dem Jahr 1972. Der Kommentar: nüchtern, sachlich, aber auch unterschwellig kritisch. Es ist ein Fernsehblick aus der Ferne – zehn Jahre nach dem Mauerbau, 27 Jahre nach Kriegsende. Ost-Berlin, im westdeutschen Sprachgebrauch der „Ostsektor“, wird beschrieben als sozialistische Realität, von der Verfassung der DDR bestätigt, von westlicher Seite nur bedingt anerkannt.
Die Reportage zeichnet ein Bild der Stadt, das zwischen dokumentarischer Präzision und ideologischer Distanz pendelt. Sie benennt nüchtern Fakten: acht Bezirke, 1,1 Millionen Einwohner, überwiegend protestantisch. Sie zeigt das neue Stadtbild: die Karl-Marx-Allee als steinernes Zeugnis stalinistischer Architektur, den neu errichteten Fernsehturm als Symbol technischen Fortschritts und staatlichen Stolzes. Und sie weist auf Einschränkungen hin – auf Mediengleichschaltung, begrenzte Meinungsvielfalt und internationale Zeitungen, die nur in Hotel-Lobbys für Touristen ausliegen.
Dennoch vermeidet die Reportage offene Polemik. Die Sprache ist zurückhaltend, fast analytisch. Der Westen blickt auf den Osten – durch eine Scheibe, nicht durch ein Fernglas.
Zwischen Beton und Bewegung: Die Ambivalenz der DDR-Berichterstattung
Die Reportage von 1972 steht exemplarisch für den damaligen Umgang des ZDF mit der DDR: Beobachtend, distanziert, bemüht um Fakten – aber nie ganz frei von ideologischer Färbung. Die DDR wird nicht verteufelt, aber auch nicht verklärt. Die Bürger Ost-Berlins erscheinen als pragmatische Menschen, die sich mit dem System arrangieren. Der Staat als Verwaltungsapparat – hart, aber effizient. Der Fortschritt als sichtbare Realität, doch stets unter dem Vorbehalt fehlender Freiheit.
So entsteht eine merkwürdige Doppelperspektive: Einerseits Respekt vor dem Geleisteten – etwa dem Aufbau der Stadt „unter schweren Bedingungen, ohne Kredite, auf Kosten des Lebensstandards“ – andererseits eine klare westliche Skepsis gegenüber System, Ideologie und Medienkontrolle.
Es ist ein Spiegel der Zeit: Die Bundesrepublik, geprägt von westlicher Demokratie und wirtschaftlichem Aufschwung, beobachtet ihren östlichen Nachbarn mit einer Mischung aus Neugier, Misstrauen und Verwunderung. Das ZDF als junger Sender mittendrin – 1961 gegründet, damals gerade einmal elf Jahre alt.
Vom Beobachter zum Erzähler: Die Wandlung des ZDF
Doch wie hat sich das ZDF seitdem verändert? Wie wandelte sich der Blick auf Ostdeutschland – und der eigene journalistische Anspruch?
In den 1970er-Jahren dominierte die politische Sachberichterstattung. Formate wie Kennzeichen D näherten sich der DDR vorsichtig, meist mit Fokus auf politische Strukturen. Die Menschen blieben oft im Hintergrund, der Systemvergleich stand im Vordergrund.
In den 1980er-Jahren kamen erste Brüche. Die DDR-Opposition, Umweltbewegungen, Ausreiseantragsteller rückten ins Blickfeld. Das ZDF begann, Gesichter zu zeigen – nicht nur Funktionäre, sondern auch Bürgerinnen und Bürger, die das System in Frage stellten.
Nach dem Mauerfall 1989 wandelte sich der Blick erneut. Nun ging es nicht mehr um Beobachtung, sondern um Einordnung. Dokus wie Die DDR – Eine deutsche Geschichte oder Spielfilme wie Der Turm erzählten die Geschichte des anderen Deutschlands vielschichtig, mit all ihren Widersprüchen.
Heute, über 50 Jahre nach der Reportage von 1972, ist das ZDF längst selbst Teil der gesamtdeutschen Medienlandschaft. Die Perspektive ist breiter geworden, die Stimmen vielfältiger. Ostdeutschland ist kein Objekt mehr, sondern Subjekt: Teil eines gemeinsamen Erinnerns – aber auch eines fortwährenden Diskurses über Identität, Gerechtigkeit und Integration.
Vom starren Blick zur offenen Erzählung
Die ZDF-Reportage von 1972 ist ein beeindruckendes historisches Dokument. Sie zeigt nicht nur, wie sich Ost-Berlin verändert hat – sie zeigt auch, wie ein westdeutscher Fernsehsender den Osten sah: analytisch, vorsichtig, manchmal mit skeptischem Unterton.
Heute wäre eine solche Reportage anders. Die Sprache wäre offener, die Menschen stünden stärker im Zentrum, die Perspektive wäre komplexer. Das ZDF hat sich gewandelt – von der distanzierten Beobachterrolle hin zu einem Erzähler der gemeinsamen Geschichte.
Und doch bleibt etwas gleich: der Anspruch, mehr zu zeigen als nur Bilder. Nämlich Zusammenhänge. Und vielleicht auch: Verständnis.