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Musikalische Lesung mit City-Legende Toni Krahl in Wurzen

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Wurzen. Am Abend des 12. April öffnete das Kulturhaus Schweizer Garten in Wurzen seine Pforten für einen besonderen Gast: Toni Krahl. Der Musiker, der fast fünf Jahrzehnte lang als Frontmann der legendären Band City bekannt war, lud vor rund 100 Gästen zu einer „musikalischen Lesung“ ein. Bewaffnet mit seiner Gitarre und seinem Buch, bot Krahl gemeinsam mit seinem Gesprächspartner Kai Suttner, dem ehemaligen Tourmanager der Pudies, einen Abend voller persönlicher Einblicke, Geschichten und natürlich Musik. Suttner führte mit dem „roten Faden“ durch das Programm, um Krahl, der sich manchmal „ein bisschen verwurstelt“, zu leiten und allerhand Persönliches und Hintergründiges zu entlocken.

Der Abend in Wurzen war eine Mischung aus Gesprächen, Lesungen aus Krahls Buch und immer wieder eingestreuten Liedern. Ein zentrales Thema war das Ende von City. Die Band hatte 2022 mit ihrer Abschiedstournee „quasi die letzte Runde“ gedreht. Krahl sprach vom „kollektiven Suizid“ der Band nach dem viel zu frühen Tod ihres Kollegen Klaus. Sie hätten beschlossen, das gemeinsame Vermächtnis – 50 Jahre zu erreichen, was auch Teil von Klaus‘ Therapie während seiner Krankheit gewesen sei – noch zu erfüllen. Dies sei ihnen auch in seinem Namen auf „sehr ehrenvolle und erfolgreiche“ Weise gelungen. City war und ist Krahls Leben, und er würde es im Grunde „noch mal genauso“ machen, auch wenn er ein paar Fehler vermeiden würde, die man aber vorher nicht wissen könne.

Auch das 1987 erschienene City-Album „Casablanca“ wurde thematisiert. Dieses Album markierte laut Krahl einen wichtigen Schritt: „city war nicht mehr nur am Fenster city lehnte sich weit hinaus mit klarem Blick auf die Realitäten draußen“. Die Platte mit Texten aus der Feder von Alfred Rösler-Kleint galt zu DDR-Zeiten als mutig und fand große Beachtung. Textzeilen wie „wollen wir uns kennenlernen müssen wir das Haus verlassen“ oder „wenn du Lastiges er wie aus einem Wel wandern wann wandern wann“ zeugen von dieser Haltung.

Toni Krahl spielte die Lieder an diesem Abend so, wie sie entstanden sind: mit Gitarre und Gesang. Er erklärte, dass die Band die Songs erst später im Studio einspielte, am Sound feilte und abmischte. Den wohl bekanntesten City-Hit, „Am Fenster“, spielte er jedoch nicht, da dieser Song laut ihm nur mit Geige wirke. Ohnehin habe er keinen einen Lieblingstitel, das sei wie einen Lieblingskind aus fünf Kindern auszuwählen. Auch wenn „Am Fenster“ durch seinen Erfolg und das „über Nacht in die Herzen der Leute gespielt“ eine Sonderstellung habe, seien ihm die anderen Lieder genauso viel wert.

Seit dem Ende von City befindet sich Toni Krahl im „Unruhezustand“. Er freute sich unglaublich, dass ihm die Band Silly zutraute und ihm „ihre Lieder anvertraut“. Er musste sich mit deren ganz anderen Themenvielfalt und Musik „schwer auseinandersetzen“ und die Songs für die Bühne „zu meinen machen“, da er nicht „die Telefonmo singen“ könne. Er teilte sich das Mikrofon mit Julia Neigel, einer „wunderbaren Sängerin“ und „radikal netten“ Kollegin. Nach zwei tollen Jahren sei nun aber Zeit für neue Pläne, denn Krahl kann nach eigener Aussage „die Füße nicht stillhalten“.

Die neuen Pläne münden in seinem ersten Soloalbum, das im September erscheinen soll. Es ist aber nicht gänzlich solo, da er eine Band gegründet hat: Tony Ko die Kings vom Prinzlauerberg (Kings mit X geschrieben). Das Album enthält ausschließlich neue Songs, die auch auf die Bühne gebracht werden sollen. Bei Live-Auftritten will die Band aber auch „kräftig mit der City Fahne wedeln“, da Krahl große Sehnsucht nach den alten Songs hat. In Wurzen gab er bereits eine Kostprobe des neuen Materials.

Die Besetzung von Tony Ko verspricht musikalische Qualität: Neben Krahl gehören dazu Reinhard Peter Reit (Gitarrist von Rockhaus), Tobias Unterberg (Cello, früher bei der Folk-Punk-Band zu Insta Buckets), André Kunze (Keyboards, Produzent der letzten sechs City-Alben und laut Krahl ein toller Künstler) sowie Carsten Klick am Schlagzeug (Projektmusiker, der u.a. mit Joachim Witt und Silly gespielt hat).

Toni Krahl sieht sein neues Album als „logische Fortsetzung“ von City, auch wenn die Musik durch die Zusammenarbeit mit anderen Individuen vielleicht etwas anders klingen wird. Seine musikalischen Wurzeln in den 70ern und 80ern seien aber unverkennbar. Mit einem Augenzwinkern merkte er an, dass er zur Verfügung stehe, wenn gesagt werde, „der Ostrck muss hier gerettet werden“.

Das Publikum in Wurzen zeigte sich begeistert. Krahl hatte sichtlich Spaß an der Musik. Die Gäste genossen die Anekdoten und die Geschichten aus Krahls langem Schaffen. Es sei faszinierend gewesen, die Geschichte von damals zu hören, und die Musik habe emotional berührt – „gab ein Sachen da waren wir schon in Tränen da ne“. Nach dem Konzert nahm sich Toni Krahl noch Zeit, signierte geduldig Alben, Bücher und CDs und stellte sich für Fotos zur Verfügung. Der Abend zeigte: Auch nach dem Ende von City ist Toni Krahl künstlerisch noch lange nicht am Ziel, sondern voller Energie und neuer Pläne.

Ganztagserziehung in der DDR – Alltag zwischen Bildung und Gemeinschaft

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In der DDR war die Ganztagserziehung für Schulkinder mehr als nur ein Betreuungskonzept – sie war fester Bestandteil des täglichen Lebens und prägte ganze Generationen. Nach dem regulären Unterricht und einem gemeinsamen Mittagessen folgte im Schulhort ein strukturiertes Programm, das Raum für Lernen, Kreativität und soziale Interaktion bot. Die Kinder lösten unter Anleitung ihre Hausaufgaben, entwickelten dabei Selbstständigkeit und lernten, Verantwortung zu übernehmen.

Die Aufnahmen aus dem Jahr 1988 in einer Schule an der Wilhelm-Firl-Straße im Wohngebiet „Fritz Heckert“ dokumentieren diesen besonderen Alltag eindrucksvoll. Auf den Bildern erscheinen junge Schülerinnen und Schüler, die in kleinen Gruppen an Aufgaben arbeiteten, spielerisch ihre Talente entdeckten und in Arbeitsgemeinschaften ihr Wissen erweiterten. Hier verschmolzen Lernen und Freizeit in einem harmonischen Zusammenspiel – ein Ansatz, der sowohl die Entwicklung sozialer Kompetenzen als auch die Vermittlung schulischer Inhalte förderte.

Lehrerinnen und Lehrer waren in diesem System nicht nur reine Wissensvermittler, sondern auch Betreuer und Mentoren. Sie sorgten dafür, dass jedes Kind individuell unterstützt wurde und zugleich die Werte der Gemeinschaft erlebte. Das strukturierte Betreuungsprogramm ermöglichte es, den Tag nicht nur nach schulischen Gesichtspunkten zu gliedern, sondern auch kreative und freizeitgestaltende Elemente gezielt einzubinden. Solidarität, Disziplin und Zusammenhalt standen dabei stets im Mittelpunkt.

Ein weiteres Kennzeichen der Ganztagserziehung war die enge Kooperation zwischen Schule und Elternhaus. Schon in jungen Jahren erlebten die Kinder, dass Bildung und gemeinschaftliches Miteinander untrennbar miteinander verbunden sind. Die täglichen Angebote boten die Gelegenheit, schulische Inhalte zu vertiefen und gleichzeitig praktische Fähigkeiten zu erlernen – ob beim Basteln, Musizieren, Sporttreiben oder handwerklichen Arbeiten. Diese integrative Herangehensweise bereitete sie auf das spätere Leben in einer sozial organisierten Gesellschaft vor.

Zudem spiegelte der Schulalltag das politische Selbstverständnis der DDR wider, in der Bildung als Schlüssel zur Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaft galt. Der enge Kontakt zwischen Lehrkräften und Schülern, die Förderung der Gemeinschaft sowie das Erlernen von Selbstdisziplin waren wesentliche Bausteine eines kollektiven Fortschritts. Trotz ideologischer Prägungen bot dieser Ansatz für viele Beteiligte einen Ort des Lernens und des gegenseitigen Vertrauens.

Die fotografische Dokumentation jener Zeit ermöglicht uns heute einen lebendigen Einblick in den Schulalltag der DDR. Sie erzählt von einer Ära, in der pädagogische Konzepte weit über reine Wissensvermittlung hinausgingen und die soziale Entwicklung der Kinder in den Vordergrund rückten. Die Erinnerungen an diese Zeit sind vielfach nostalgisch, mahnen aber zugleich, die Vielschichtigkeit von Erziehungssystemen und den Stellenwert von Gemeinschaft in der Bildung nicht zu unterschätzen.

Abschließend lässt sich feststellen, dass die Ganztagserziehung in der DDR ein umfassendes Bildungserlebnis bot – ein Erbe, das den Grundstein für ein solidarisches Zusammenleben legte und noch heute nachwirkt. Die nachhaltige Wirkung dieser Erziehungsform zeigt sich in den Erinnerungen ehemaliger Schülerinnen und Schüler, deren persönliche Geschichten belegen, wie eng schulische Förderung und gemeinschaftliches Miteinander miteinander verwoben waren. Dieses einzigartige Konzept, das weit über den reinen Unterricht hinausging, bleibt als prägendes Kapitel einer besonderen Bildungszeit unvergessen.

Ein Blick auf Andreas Thom: Jung, erfolgreich und voller Potential

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Im März des Jahres 1985 richtet sich der Blick auf einen jungen Mann, der bereits mit 19 Jahren die Fußballbühne der DDR maßgeblich mitgestaltet: Andreas Thom. Mit einer Größe von 1,78 Metern und 68 Kilogramm Gewicht hat der Oberschüler bereits sechs Einsätze in der A-Nationalmannschaft vorzuweisen. Sein Debüt gab er dabei gegen Algerien in Aue.

Ein entscheidender Faktor in seiner bisherigen Entwicklung ist das Elternhaus in Herzfelde bei Berlin. Wie zu vernehmen ist, hat es einen großen Einfluss auf seine positive Entwicklung. Sein Vater, Richard Thom, war selbst Fußballspieler und langjähriger Übungsleiter bei der TSG Herzfelde. Für ihn stand außer Frage, dass sein Sohn Fußballspieler werden sollte, und er verfolgte Andreas‘ Weg mit besonderer Freude. Auch die Mutter unterstützte ihn stets, gerade in schwierigen Phasen. Eine solche frühe Schwierigkeit war Andreas‘ geringe Körpergröße von nur 1,28 Metern, als er mit sechs Jahren bei der TSG Herzfelde seine Leidenschaft für den Fußball entdeckte. Doch er ließ sich nicht aufhalten: Als Neunjähriger fiel er den Talentfindern des BFC Dynamo auf.

Es folgte ein kontinuierlicher Aufstieg durch die Schüler-, Jugend-, Junioren- und Männermannschaften. Gerade 18-jährig gab er 1983 seinen Einstand in der höchsten Spielklasse gegen Jena. Wenig später gelang ihm im Spiel gegen den 1. FC Lok Leipzig sein erstes Oberligator, nach Vorlage von Ernst. Er hat sich sehr schnell in die Mannschaft integriert und ist schnell in sie hineingewachsen.

Neben seinem Talent auf dem Platz zeichnet Andreas Thom eine offene und ehrliche Persönlichkeit aus. Er besitzt gute Charaktereigenschaften, ist sehr trainingsfleißig und immer zu einem Späßchen bereit. Aufgrund seines Alters lacht er noch viel. Auf dem Spielfeld liegen seine Vorzüge in der ausgeprägten Technik, der Antrittsschnelligkeit und auch im Kopfballspiel. Zudem verfügt er über Durchsetzungsvermögen, auch wenn hier noch Fortschritte möglich sind. Eine wichtige Entwicklung, die er machen muss, ist die vom Vorbereiter zum Vollstrecker. Dennoch hat er seine Qualitäten bereits unter Beweis gestellt: Nach seinem ersten Europapokaltor gegen die AS Rom folgte ein zweites gegen den FC Aberlin, und schließlich traf er effektvoll zweimal gegen Austria Wien. Mit ähnlichen Schussqualitäten wird am kommenden Sonnabend in Sofia gerechnet.

Ein persönliches Detail am Rande: Andreas hat einen Wellensittich namens Hansi. Hansi ist ein lieber Freund von Andreas und kann beeindruckende 142 Wörter sprechen. Die meisten davon hat ihm Andreas‘ Mutter beigebracht; die Worte „Tor“ oder „Fußball“ gehören bisher noch nicht zu Hansis Repertoire.

Andreas Thom verkörpert die Hoffnung auf eine erfolgreiche Fußballzukunft. Sein Talent, sein Fleiß und die Unterstützung seines Umfelds bilden das Fundament für seinen bisherigen Erfolg und das Potential, das noch in ihm steckt.

Mit Volldampf durch die Rapsblüte – Eine Frühlingsexpedition mit dem „Rasenden Roland“

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Im April 2025 machte sich eine bunt gemischte Reisegruppe in Putbus auf die rund 24 Kilometer lange Fahrt mit der historischen Dampfeisenbahn „Rasender Roland“ von der Rügenischen Bäderbahn. Bei strahlendem Sonnenschein und milden Temperaturen erlebten die Fahrgäste ein intensives Zusammenspiel aus Technik, Landschaft und Nostalgie.

Dampf, Rhythmus und Rapsgelb
Pünktlich um kurz nach 10 Uhr dampfte die 99 4801 – eine 1938 bei Henschel in Kassel gebaute Lokomotive – aus dem Bahnhof Putbus aus. Im offenen Wagen genossen alle den Wind im Gesicht und den gleichmäßigen Rhythmus der Kolben. Zwischen Putbus und Binz reihten sich bereits blühende Rapsfelder aneinander, die in hellem Gelb leuchteten und perfekten Kontrast zum Frühlingsgrün boten.

Waldromantik in der Granitz
Nach der Kreuzung mit dem Gegenzug in Binz – ein klassisches Detail, das bei Eisenbahnliebhabern für besondere Freude sorgt – führte die Strecke bergauf ins dichte Grün der Granitz. Hier, auf knapp 1 000 Hektar Waldfläche, wartet ein Netz aus Wander- und Radwegen, das sich hervorragend mit einer Dampfzugfahrt kombinieren lässt. Auf der Anhöhe entfaltete der Rhyth­mus des Dampfens seinen ganzen Charme: Das Zischen und Stampfen der Maschine verschmolz mit Vogelgezwitscher und dem Rascheln junger Blätter.

Auszeit in Göhren
Eine Stunde und 15 Minuten später erreichte der „Rasende Roland“ den Ort Göhren. Die 30‑minütige Pause nutzten viele für einen Spaziergang entlang der Seebrücke – der Blick auf die Ostsee und der Klang der Wellen bildeten ein idyllisches Zwischenspiel. Die Sonne stand hoch, und selbst die angekündigten Regenschauer blieben zunächst aus, was der entspannten Stimmung keinen Abbruch tat.

Ungeplante Verzögerung & goldene Nachmittagssonne
Auf der Rückfahrt sorgte ein Gleishindernis für eine ungeplante Verzögerung von etwa 25 Minuten. Während das Lokpersonal die Maschine säuberte, ergaben sich authentische Einblicke in die Wartungsroutine einer Dampflok. Schließlich setzte der Zug seine Fahrt fort – nun herrschte Gegenlichtstimmung, die Fotografen entlang der Strecke magisch anzog. Ob Haltepunkt Selin-Ost oder Selin-West: Überall packten Passagiere ihre Kameras und Smartphones aus, um die Dampfschwaden in der tiefstehenden Sonne einzufangen.

Faszination Dampfzug heute
In einer Zeit, in der Highspeed-Züge und moderne E‑Bikes Alltag sind, übt der „Rasende Roland“ eine unvergleichliche Anziehungskraft aus. Er erlaubt Augenblicke des Innehaltens und bewahrt zugleich ein Stück technisches Kulturerbe. Die mächtige Geräuschkulisse, der Duft von Kohle und heißem Wasser und der Wechsel von bunten Rapsfeldern und tiefgrünem Wald machen die Fahrt zu einem multisensorischen Erlebnis.

Fazit und Tipp
Wer Rügen im Frühling besucht, sollte sich diese Zeitreise nicht entgehen lassen. Der „Rasende Roland“ bietet nicht nur eine bequeme Fortbewegung, sondern auch ein kulturhistorisches Abenteuer. Tipp: Früh buchen – besonders während der Osterferien und an Wochenenden sind die offenen Wagen schnell ausgebucht. Und wer den Zuckerschock eines rasanten Reisealltags sucht, findet ihn hier im Takt einer Dampflokomotive.

Genießen Sie den Frühling auf Rügen – am besten mit Volldampf!

Leben in der DDR: Konsum, Subventionen und der Alltag einer Wurstverkäuferin

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Das vorliegende Archivmaterial präsentiert einen faszinierenden Einblick in das Alltagsleben der DDR in den 1980er Jahren. In einem Zusammenschnitt zweier Dokumentarbeiträge werden zwei zentrale Perspektiven vereint: Zum einen der Alltag einer durchschnittlichen Familie, exemplarisch dargestellt durch die Familie Fechner, und zum anderen die Arbeitswelt einer Fachverkäuferin in einer großen Kaufhalle, Sieglinde Henkel, die als Wurstverkäuferin tätig ist. Beide Beiträge liefern nicht nur chronologische Momentaufnahmen, sondern zeichnen auch ein detailliertes Bild der wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, die das Leben in der DDR prägten.

Einblick in den Familienalltag – Die Familie Fechner
Der erste Ausschnitt des Videos zeigt einen Dokumentarbericht des DDR-Fernsehens, der den Einkauf und den Lebensalltag der Familie Fechner in einer Kaufhalle dokumentiert. Hier werden nicht nur die Produkte präsentiert, sondern auch die Mechanismen staatlicher Eingriffe in den Konsum der Bevölkerung. So kostet beispielsweise ein Kilo Mischbrot konstant 70 Pfennige – ein Preis, der seit 1958 Gültigkeit hatte. Auch das Brötchen blieb mit fünf Pfennigen über Jahrzehnte hinweg unverändert. Diese scheinbare Preisstabilität ist jedoch kein Zufall, sondern das Ergebnis gezielter staatlicher Subventionen, die darauf abzielten, das Verbraucherpreisniveau niedrig und stabil zu halten.

Im Fall der Familie Fechner wird verdeutlicht, wie der Staat in den Alltag eingreift: Bei einem Einkauf von 100 Mark für Nahrungsmittel legt der Staat zusätzlich 30 Mark aus seinem Staatssäckel obendrauf, um die niedrigen Preise zu garantieren. Dieser Mechanismus ist nur ein Beispiel für die systematischen Eingriffe in den wirtschaftlichen Alltag. Neben den subventionierten Lebensmittelpreisen wurden auch Transportkosten und Mietpreise derart unterstützt, dass der finanzielle Druck auf den Durchschnittshaushalt erheblich reduziert wurde. So zahlt Frau Fechner beispielsweise täglich 40 Pfennige für die Hin- und Rückfahrten mit der S-Bahn, wobei der Staat hier 55 Pfennige dazulegt. Auch beim Mittagessen für das Schulkind wird ein Aufschlag des Staates geleistet.

Die wirtschaftliche Realität der DDR zeigt sich besonders eindrucksvoll am Beispiel des monatlichen Haushaltsbudgets der Familie Fechner: Mit einem Gesamteinkommen von 1.800 Mark – entsprechend dem statistischen Durchschnitt einer Familie mit zwei Kindern – werden etwa 37 Prozent für Lebensmittel und 38 Prozent für Industriewaren ausgegeben. Lediglich 3 Prozent des Einkommens fließen in die Miete, da der Staat hier erhebliche Zuschüsse leistet. Weitere Ausgaben wie Strom-, Gas- und Wasserkosten sowie individuelle Posten wie Mitgliedsbeiträge oder Hundesteuern runden das Bild eines Haushalts ab, der trotz staatlicher Eingriffe in vielen Bereichen relativ ausgeglichen und planbar bleibt.

Die Arbeitswelt im Fokus – Sieglinde Henkel als Wurstverkäuferin
Im zweiten Teil des Zusammenschnitts rückt die Arbeitswelt in den Vordergrund. Hier wird Sieglinde Henkel vorgestellt, die seit vielen Jahren als Fachverkäuferin in einer großen Kaufhalle arbeitet. Ihr Beruf als Wurstverkäuferin ist mehr als nur eine Tätigkeit, die den Verkauf von Fleischprodukten umfasst. Er steht symbolisch für die tägliche Routine und die enge Verbindung zwischen Verbraucher und Verkäufer in der DDR. Die Kunden – oftmals Stammgäste, die fast täglich die Kaufhalle aufsuchen – werden nicht nur mit dem Produkt, sondern auch mit einem Stück DDR-Alltagskultur bedient.

Henkel ist es gewohnt, den ganzen Tag auf den Beinen zu sein. Vom präzisen Scheibenschneiden bis zur individuellen Beratung der Kundschaft wird der Alltag zu einer Mischung aus körperlicher Anstrengung und sozialer Interaktion. Die verschiedenen Wurstsorten, die angeboten werden – von Teewurst über Leberwurst bis hin zu den nach Städten benannten Spezialitäten – zeugen von der Vielfalt im Sortiment und der großen Bedeutung, die dem Nahrungsmittelverkauf beigemessen wird. Dabei wird nicht nur der reine Verkaufsvorgang dokumentiert, sondern auch der persönliche Umgang, der sich in kleinen humorvollen Bemerkungen und Anekdoten manifestiert. So wird beispielsweise die Frage nach der Herkunft einer „Bockwurst“ humorvoll diskutiert, was verdeutlicht, wie eng der Verkauf von Lebensmitteln mit der Identität und dem Gemeinschaftsgefühl der Menschen verknüpft war.

Analyse der staatlichen Steuerungsmechanismen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen
Die beiden Dokumentarbeiträge liefern zusammen ein vielschichtiges Bild der DDR-Wirtschaft und Gesellschaft. Auf der einen Seite steht die systematische Steuerung des Konsums durch den Staat. Preisstabilität und niedrige Lebenshaltungskosten wurden hier nicht durch Marktmechanismen erreicht, sondern durch kontinuierliche staatliche Subventionen und Zuschüsse. Dieses Modell sollte das „Wohl des Volkes“ sichern und den Bürgern ein Gefühl von sozialer Sicherheit vermitteln. Allerdings brachte dieses System auch gravierende strukturelle Probleme mit sich. Die fehlende Anpassungsfähigkeit der Preise an Marktveränderungen führte langfristig zu Verzerrungen, während gleichzeitig der Staatshaushalt enorm belastet wurde, um dieses System zu stützen.

Auf der anderen Seite zeigt der Beitrag über Sieglinde Henkel, wie sich der Arbeitsalltag in den staatlich gelenkten Kaufhallen gestaltete. Der Beruf der Wurstverkäuferin, der oftmals als unspektakulär abgetan wird, offenbart bei näherer Betrachtung, wie zentral die Rolle der Verkäuferinnen im System der DDR war. Diese Berufe trugen maßgeblich dazu bei, das Funktionieren des konsumbasierten Systems zu gewährleisten. Der direkte Kontakt mit den Kunden, das tägliche Jonglieren mit Angeboten und die präzise Arbeit am Verkaufstresen machten aus einem simplen Beruf eine Schlüsselposition im wirtschaftlichen Alltag. Der Erfolg dieses Systems beruhte nicht nur auf den staatlichen Eingriffen in den Markt, sondern auch auf der Hingabe und dem Engagement der Menschen, die tagtäglich für einen reibungslosen Ablauf sorgten.

Die Kombination aus staatlich garantierten Niedrigpreisen, kontinuierlichen Subventionen und einer starken Ausprägung des Gemeinschaftsgefühls prägte das Leben in der DDR. Die Familie Fechner steht exemplarisch für den durchschnittlichen Haushalt, der von staatlichen Eingriffen profitierte, während der Beruf der Wurstverkäuferin – verkörpert durch Sieglinde Henkel – den unverzichtbaren menschlichen Faktor in einem zentral gesteuerten Wirtschaftssystem hervorhebt. Beide Perspektiven, vereint in diesem Archivvideo, bieten nicht nur eine Momentaufnahme vergangener Zeiten, sondern laden auch zur kritischen Reflexion über die Auswirkungen staatlicher Wirtschaftssteuerung und die Bedeutung individueller Arbeitsleistung in einem sozialistischen System ein.

Die DDR verstand es, durch eine Mischung aus staatlicher Kontrolle und dem Einsatz engagierter Bürger ein System zu schaffen, das einerseits den Alltag stabilisierte und andererseits gleichzeitig die kreative und persönliche Entfaltung in bestimmten Lebensbereichen einschränkte. Die dargestellten Szenen aus dem Einkaufsalltag und dem Verkaufsbetrieb in den Kaufhallen sind Zeugnisse eines Systems, das – trotz aller Mängel – seinen Bürgern ein Gefühl der Sicherheit und Gemeinschaft vermittelte. Diese doppelte Perspektive ist es, die den historischen und gesellschaftlichen Wert des Archivmaterials unterstreicht und auch heute noch zum Nachdenken über den Preis von Stabilität und sozialer Gerechtigkeit anregt.

Carmen Niebergalls Weg vom ländlichen Sachsen-Anhalt zur Zeitzeugin der Wende

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Carmen Niebergall, geboren am 29. Oktober 1955 in Schlagenthin, hat ihr Leben stets in der Region verbracht, die heute zu Sachsen-Anhalt gehört – aufgewachsen im ländlichen Raum des ehemaligen Bezirks Magdeburg, Landkreis Genthin, dem heutigen Jerichower Land. Ihre Kindheit beschreibt sie als behütet und von der Offenheit des Landlebens geprägt, das Kuhmelken und ein hohes Maß an Selbstständigkeit durch die Schichtarbeit der Eltern umfasste. Doch schon als Jugendliche spürte sie, dass das DDR-System sie einschränkte, sie einengte und ihr „Ketten“ anlegte, die sie daran hinderten, das zu werden, was sie sich eigentlich vorgenommen hatte.

Dieses Gefühl der Einschränkung und der Wunsch nach Veränderung führten zu einem frühen politischen Engagement. Carmen Niebergall trat bereits 1978 in die CDU ein. Dieser Schritt, der nach eigenen Worten quasi „über Nacht“ geschah, nachdem die SED Interesse an ihr gezeigt hatte, war für sie die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas zu verändern – auch zu DDR-Zeiten. Sie engagierte sich, prüfte Finanzen und nutzte die Partei, auch wenn sie eine Blockpartei war, um den Kontakt zu Gleichgesinnten zu suchen. Diese Gespräche und der Austausch waren für sie essenziell, um zu wissen, ob andere ähnlich dachten, und erwiesen sich als immens wichtig für die Vernetzung in der späteren Wendezeit.

Der 9. November 1989 fand Carmen Niebergall beim Fasching in Genthin. Die Nachricht von der Grenzöffnung, die über Radio verbreitet wurde, führte dazu, dass der Saal sich leerte. Für sie persönlich war dieser Moment zunächst von Verwirrung geprägt, da das innere Ziel, das sie und Gleichgesinnte in ihren Gesprächen immer verfolgt hatten – die Einheit Deutschlands – nun plötzlich greifbar schien. Nach dieser Nacht des Nachdenkens steht für sie fest: Der 9. November ist der Tag der Freiheit, an dem „das Volk“, die Menschen, es durch friedliche Demonstrationen geschafft haben und „die Kraft hatten, ein System zu kippen“. Trotz der historischen Verknüpfung des Datums mit der Pogromnacht ist der 9. November für sie ganz persönlich „ein guter Tag“ und der wichtigste.

Für Carmen Niebergall war die Vereinigung Deutschlands unausweichlich. Aus ihrer wirtschaftlichen Perspektive war klar, dass die DDR in einer anderen Form nicht hätte existieren können, weil sie „pleite“ war. Rückblickend empfindet sie jedoch Traurigkeit und Ärger über den Verlauf des Transformationsprozesses. Während in den neuen Bundesländern eine hochgradige Veränderung in allen Lebensbereichen stattfand – von Gesetzen über Lebens-, Schul- und Arbeitsbedingungen bis hin zu den Einkaufsbedingungen – sei es in den alten Bundesländern nur ein „klitzeklitzekleiner Transformationsprozess“ gewesen. Diese Ungleichheit habe die innere Einheit erschwert. Für ein besseres Zusammenkommen der Menschen sei weiterhin mehr Zeit, vor allem aber gegenseitiges Verständnis von beiden Seiten nötig – nicht nur von einer. Sie betont zudem die Wichtigkeit, dass mehr Menschen aus den neuen Bundesländern Führungspositionen übernehmen, und ermutigt insbesondere junge Menschen dazu.

Heute engagiert sich Carmen Niebergall in einem Zeitzeugenprojekt, um ihre Erfahrungen und Perspektiven weiterzugeben. Sie möchte in Schulen gehen und über diese Zeit sprechen, auch im Verbund mit anderen. Ihr ist es wichtig, deutlich zu machen („Kundtun“), was damals passiert ist und dass auch junge Frauen in diesen Prozess involviert waren und diese Veränderung „mit aller Kraft wollten“. Das Projekt bietet ihr die Möglichkeit, jungen Menschen Mut zu machen und die Botschaft zu vermitteln: Wenn man etwas will, auch wenn es viele Rückschläge gibt, kann man es gemeinsam erreichen, indem man miteinander redet und in der Gemeinsamkeit handelt. Sie lädt junge Menschen ein, mit den Zeitzeugen über die Vergangenheit zu sprechen, aber vor allem gemeinsam in die Zukunft zu schauen und diese zu gestalten. Auch als „kleiner Mosaikstein“ ist sie überzeugt, dass gemeinsam viel bewegt werden kann, was ihre Motivation für die Teilnahme am Zeitzeugenprojekt ist.

Im Schatten der Geschichte: Dr. Sabine Bergmann-Pohl und der Wandel der DDR

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Ein Blick auf das Schicksal einer außergewöhnlichen Frau, die den Übergang einer Nation mitgestaltete

In einer bewegten Zeit des Umbruchs und der politischen Turbulenzen – als die Mauer fiel und das Ende der DDR immer greifbarer wurde – trat Dr. Sabine Bergmann-Pohl, ursprünglich praktizierende Lungenärztin, in das politische Rampenlicht. Ihr Weg in die Politik war alles andere als geplant: Niemand hatte ihr gesagt, dass sie mit dem Antritt ihres Amtes als letzte Volkskammerpräsidentin der DDR auch gleichzeitig neues Staatsoberhaupt sein würde. So wurde sie zum ersten und gleichzeitig auch letzten frei gewählten Staatsoberhaupt der DDR. Diese überraschende Wendung sollte ihr Leben und das Schicksal eines ganzen Landes für immer verändern.

Ein ungewollter Einstieg in die Politik
Im April 1990 herrschte in der DDR ein Gefühl kollektiver Ungewissheit. Die jahrzehntelange Stabilität des sozialistischen Systems begann zu bröckeln, und viele Bürger standen plötzlich vor der Frage, was die Zukunft bringen würde. Dr. Bergmann-Pohl war zu dieser Zeit als Lungenärztin tätig – ein Beruf, der ihr Sicherheit und Zufriedenheit bot. Doch als der runde Tisch die Organisation der freien Volkskammerwahl beschloss, suchten westberliner CDU-Verbände nach unbelasteten Persönlichkeiten, die das Vertrauen in den Übergang verkörpern konnten. Trotz anfänglicher Zurückhaltung und dem Wunsch, in ihrem Beruf zu verbleiben, ließ sie sich schließlich von der Dringlichkeit der Situation überzeugen und trat in die politische Arena ein.

Der rasante Aufstieg zur Volkskammerpräsidentin und Staatsoberhaupt
Kaum hatte Dr. Bergmann-Pohl den Schritt in die Politik gewagt, nahm ihr politischer Aufstieg eine spektakuläre Wendung. Bereits während der ersten Fraktionssitzung wurde ihr Name ins Spiel gebracht, und es dauerte nicht lange, bis sie als Kandidatin für das Amt der Volkskammerpräsidentin vorgeschlagen wurde. Dabei kam es zu einem Schlüsselmoment: Niemand hatte ihr gesagt, dass mit dem Antritt dieses Amtes auch die Übernahme der Funktion als Staatsoberhaupt einhergehen würde. Die Nachricht traf sie völlig unerwartet – und zugleich zeigte sich damit, dass sie das erste und letzte frei gewählte Staatsoberhaupt der DDR werden sollte.

Diese doppelte Bürde, die Verantwortung als Parlamentsvorsitzende und zugleich als Staatsoberhaupt zu tragen, ließ sie mit einem enormen Gefühl der Überwältigung zurück. In einer schlaflosen Nacht, als sie realisierte, welch monumentalen Aufgaben sie bevorstanden, offenbarte sich ihr innerlicher Konflikt zwischen beruflicher Leidenschaft und politischem Zwang. Der Schritt in die Politik war so unvermittelt, dass er an das Bild eines unvorbereiteten Tauchgangs in stürmische Gewässer erinnerte – ein Sprung ins kalte Wasser, den sie aus Pflichtgefühl wagte.

Die Nacht vor dem historischen Beschluss
Der Übergang der DDR in die Bundesrepublik Deutschland war von einer atemberaubenden Dynamik geprägt. Inmitten eines dichten Zeitplans, der von ständiger Improvisation und politischen Verhandlungen geprägt war, fand eine Nacht statt, die das Schicksal der Nation besiegeln sollte. Dr. Bergmann-Pohl erinnert sich an jene Nacht eindringlich: Ein Abgeordneter, de Maizière, kündigte in einer Sondersitzung an, dass bereits in dieser Nacht über den Zeitpunkt der Wiedervereinigung diskutiert werden würde. Die Atmosphäre war geladen – nicht nur von politischem Kalkül, sondern auch von persönlichen Ängsten und der Erkenntnis, dass jede Entscheidung den Verlauf der Geschichte maßgeblich beeinflussen konnte.

Der Weg zur Wiedervereinigung
Am 23. August 1990 fiel in der Volkskammer der Beschluss über den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Beschluss markierte den Beginn einer neuen Ära und leitete die Wiedervereinigung ein – ein historischer Moment, der untrennbar mit Dr. Bergmann-Pohls Amtseinführung verknüpft ist. Es war ihre letzte Amtshandlung als Präsidentin, die diesen Übergang in Gang setzte, und sie tat dies inmitten extremer Anstrengungen und eines politischen Zeitdrucks, der kaum Raum für Planung ließ. Trotz der enormen Belastung und der Überstunden, die oft von frühen Morgenstunden bis in die späten Nächte reichten, war es ein Akt von unerschütterlichem Pflichtbewusstsein und Verantwortungsgefühl.

Im dokumentarischen Format des „RIVERBOAT“ lässt sie die Zeit der Wiedervereinigung noch einmal Revue passieren. In diesem Rückblick schildert sie nicht nur die politischen Entscheidungen und das Wirrwarr an Terminen, sondern auch die emotionalen Herausforderungen, die diese Übergangsphase mit sich brachte. Der RIVERBOAT dient dabei als Medium, um diese bewegte Zeit zu veranschaulichen und den persönlichen Tribut zu würdigen, den die Wiedervereinigung sowohl auf sie als auch auf die Menschen der DDR forderte.

Emotionen und Schicksal – das persönliche Erleben
Der Tag des Beitritts, der 3. Oktober 1990, bleibt Dr. Bergmann-Pohl unvergessen. Während die jungen Menschen mit den schwarz-rot-goldenen Fahnen jubelten und der Hoffnung auf ein neues Deutschland Ausdruck verliehen, stand sie selbst im Hintergrund – überwältigt von der Schwere ihrer Verantwortung. Mit Tränen in den Augen beobachtete sie den symbolischen Akt des Übergangs, der nicht nur das Ende einer Ära, sondern auch den Beginn einer neuen Ära der Freiheit und Demokratie einleitete. Ihr Zurückhalten im Rampenlicht war Ausdruck einer tiefen inneren Zerrissenheit: Einerseits die Erleichterung über den historischen Erfolg, andererseits die Erkenntnis, dass sie und ihre Mitstreiter für den Aufbau eines völlig neuen Systems gewappnet sein mussten.

Diese Mischung aus Stolz, Schmerz und der schieren Erschöpfung, die sie während dieser Tage erlebte, prägte ihren weiteren Lebensweg und bleibt ein zentraler Bestandteil ihres Vermächtnisses. Ihre Worte, die sie im Rückblick auf den RIVERBOAT festhält, zeugen von einer Frau, die nicht nur politische Entscheidungen traf, sondern auch die persönlichen Kosten eines solchen Umbruchs zu spüren bekam.

Die politische Landschaft nach der Wiedervereinigung
Die Ereignisse jener Tage ließen tiefe Spuren in der deutschen Gesellschaft zurück. Die Wiedervereinigung brachte nicht nur den Zusammenschluss zweier Staaten, sondern auch ein komplexes Geflecht aus Erwartungen, Ängsten und politischen Konflikten. Während viele den Mut und die Entschlossenheit der Ostdeutschen lobten, um den abrupten Wandel zu meistern, gab es auch immer wieder kritische Stimmen aus dem Westen, die den schnellen Übergang und die damit verbundenen Herausforderungen infrage stellten.

Dr. Bergmann-Pohl vertritt in diesen Debatten den Standpunkt, dass gerade die Erfahrungen der DDR-Bürger sie zu widerstandsfähigen und engagierten Demokraten gemacht haben. Ihrer Meinung nach wurde der Wandel von vielen unterschätzt, und die komplexen sozialen und wirtschaftlichen Anpassungsprozesse blieben oft unberücksichtigt. Der anhaltende Diskurs über Identität, Demokratie und die Verarbeitung der DDR-Vergangenheit ist ein Mahnmal dafür, dass die Ereignisse von 1990 nicht einfach der Geschichte angehören, sondern auch heute noch das gesellschaftliche und politische Klima beeinflussen.

Wege nach der politischen Schaltzentrale
Nachdem die DDR offiziell in die Bundesrepublik eingegliedert wurde, fand Dr. Bergmann-Pohl einen Weg zurück zu ihren ursprünglichen beruflichen Wurzeln. Zunächst wurde sie ins Bundesministerium für besondere Aufgaben berufen – ein Amt, das sie nur kurzzeitig innehatte, bevor sie als Staatssekretärin im Gesundheitsministerium ihren Traumjob wiederaufnahm. Diese Rückkehr in den Gesundheitsbereich spiegelte nicht nur ihre persönliche Leidenschaft wider, sondern zeigte auch, dass trotz des intensiven politischen Engagements das Bedürfnis nach einer beruflichen Beständigkeit und Identität nie ganz verloren ging.

Ihr Lebensweg steht exemplarisch für den Balanceakt zwischen politischer Verantwortung und persönlicher Berufung – ein Balanceakt, den sie meisterte, während sie gleichzeitig den Wandel einer ganzen Nation mitgestaltete.

Ein Vermächtnis des Wandels
Die Geschichte von Dr. Sabine Bergmann-Pohl ist weit mehr als nur ein Kapitel der deutschen Wiedervereinigung. Sie steht sinnbildlich für den Mut, den es braucht, um in Zeiten tiefgreifender Umbrüche Verantwortung zu übernehmen – auch wenn man selbst niemals damit gerechnet hätte. Ihr überraschender Aufstieg zur letzten Volkskammerpräsidentin und gleichzeitig zum ersten und letzten frei gewählten Staatsoberhaupt der DDR zeigt, wie unvorhersehbar historische Prozesse verlaufen können.

Durch ihre letzte Amtshandlung leitete sie nicht nur die Wiedervereinigung ein, sondern setzte auch ein Zeichen dafür, dass Geschichte von den Menschen geschrieben wird, die den Mut haben, über sich hinauszuwachsen. Im Rückblick, wie sie im RIVERBOAT eindrucksvoll schildert, erinnert sie uns daran, dass der Preis des Fortschritts oft hoch ist – doch zugleich offenbart er die Stärke und Widerstandsfähigkeit eines Volkes, das sich seinen Herausforderungen stellt.

Ein Blick in die Zukunft
Auch heute, Jahrzehnte nach den einschneidenden Ereignissen des Jahres 1990, hallen die Erinnerungen an diese turbulente Zeit nach. Die Herausforderungen der Wiedervereinigung, die politischen Umwälzungen und der persönliche Tribut, den sie forderte, sind weiterhin Gegenstand intensiver Diskussionen. Dr. Bergmann-Pohl mahnt, dass es wichtig ist, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen – sei es im Hinblick auf die Gestaltung demokratischer Prozesse oder bei der Anerkennung der individuellen Schicksale, die in großen historischen Umbrüchen oft untergehen.

Ihr Lebensweg ist ein Appell an all jene, die an den Wert von Freiheit und demokratischer Teilhabe glauben. In einer Zeit, in der politische und gesellschaftliche Strukturen immer wieder herausgefordert und neu definiert werden, bietet ihr Beispiel Hoffnung und Orientierung. Dr. Bergmann-Pohl zeigt uns, dass es möglich ist, selbst in den dunkelsten Stunden des Umbruchs den Blick auf eine bessere Zukunft zu richten und Verantwortung zu übernehmen – auch wenn der Weg dorthin steinig und unvorhersehbar ist.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl verkörpert den unerschütterlichen Geist einer Generation, die sich den Herausforderungen des Wandels stellte und dabei nie den Glauben an eine bessere Zukunft verlor. Ihr überraschender Aufstieg zum letzten Volkskammerpräsidenten und ersten frei gewählten Staatsoberhaupt der DDR, die überwältigenden Nächte vor historischen Beschlüssen und die persönliche Mischung aus Erschöpfung und Triumph – all dies macht sie zu einer Schlüsselfigur in der Geschichte der deutschen Wiedervereinigung.

Im Rückblick, etwa im RIVERBOAT festgehalten, lässt sie die bewegende Zeit noch einmal Revue passieren – eine Zeit, in der Verantwortung und Schicksal untrennbar miteinander verbunden waren. Ihre Geschichte mahnt uns, dass der Wandel stets von den Menschen getragen wird, die bereit sind, über sich hinauszuwachsen und selbst in den schwierigsten Momenten den Blick nach vorn zu richten. So bleibt ihr Vermächtnis nicht nur ein Zeugnis vergangener Herausforderungen, sondern auch ein leuchtendes Beispiel für die Kraft der Veränderung und den unbezwingbaren Willen, die Zukunft aktiv zu gestalten.

Eliteaustausch nach der Wende: Wie 35.000 Beamte aus dem Westen den Osten prägten

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Drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall sind die Wunden der deutschen Wiedervereinigung in Ostdeutschland noch lange nicht verheilt. Ein Gefühl der Ungerechtigkeit hält sich hartnäckig, befeuert durch eine Realität, in der Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft, Justiz und Verwaltung überproportional von Westdeutschen besetzt sind. Dieses Ungleichgewicht ist nicht nur ein Gefühl, sondern eine reale Schieflage, die zu gesellschaftlichen Konflikten führt. Der Literaturprofessor Dirk Oschmann, selbst ein „Ossi“, hat dieses Thema in seinem erfolgreichen Sachbuch aufgegriffen und damit vielen Ostdeutschen aus der Seele gesprochen. Seine zentrale These: Westdeutsche Eliten bestimmen im Osten noch immer den Ton.

Blickt man auf die Zahlen, so wird Oschmanns Beobachtung untermauert: In der Bundeswehr etwa gibt es unter 200 Generälen keinen einzigen aus Ostdeutschland. Bei den über 300 Bundesrichtern, die die wichtigsten Urteile des Landes sprechen, stammen gerade einmal etwa 15 aus dem Osten. Selbst in Ostdeutschland selbst sieht es an der Spitze oft nicht anders aus: An den obersten Landesgerichten ist zwar fast jeder vierte Richter ostdeutsch, bei den Vorsitzenden Richtern aber nur jeder zwanzigste. Das bedeutet: Auch im Namen des ostdeutschen Volkes spricht in letzter Instanz vor allem westdeutsches Recht.

Doch die Dominanz beschränkt sich nicht auf die Justiz. Im wichtigsten deutschen Aktienindex DAX ist kein einziges ostdeutsches Unternehmen vertreten. In den Vorständen der 40 DAX-Unternehmen sitzen 253 Chefs, nur eine einzige von ihnen ist ostdeutsch. Bei den 100 größten Unternehmen im Osten sind in zwei von drei Fällen Westdeutsche in den Chefsesseln. Auch an Universitäten, in Behörden und im Militär ist der Anteil westdeutscher Führungskräfte hoch und hat sich über die Jahrzehnte kaum verändert, teilweise sogar reduziert.

Der „Eliteaustausch“ nach der Wende
Wie kam es zu dieser Situation? Direkt nach dem Mauerfall fehlten in Ostdeutschland Fachkräfte in vielen Bereichen. Insbesondere im Justizwesen gab es pro Kopf viel weniger Juristen als in der BRD, und ein Großteil der DDR-Richter musste gehen, da ihnen vorgeworfen wurde, politische Urteile gesprochen zu haben. Beamte aus Westdeutschland wurden dringend gebraucht, um tausende DDR-Gerichtsakten zu prüfen. Viele Ostdeutsche, selbst in Führungspositionen, hatten Misstrauen gegenüber Richtern mit DDR-Ausbildung. Die Universitäten in der Bundesrepublik waren in den 1980er Jahren überfüllt mit Absolventen, die nun Jobs suchten und zu Tausenden in den Osten kamen. Dieser massiver Zustrom westdeutscher Beamter und Angestellter war auch ein Weg, das eigene Problem der Bundesrepublik mit der Bildungsexpansion zu lösen.

Die DDR-Eliten wurden hingegen vom Hof gejagt und vielfach ersetzt. Bereits 1990 stammten die 62 obersten Beamten in den ostdeutschen Ministerien alle aus dem Westen. Bis 1994 kamen rund 35.000 Beamte aus den alten Bundesländern in den Osten. Dieser Prozess wird von einigen Experten als ein nie dagewesener Wechsel der Eliten beschrieben.

Eine besonders prägende Rolle spielte dabei die Treuhandanstalt, die die volkseigenen Betriebe der DDR abwickeln sollte. Ludwig Köhne, ein Westdeutscher, der 1989 nach Ost-Berlin kam und den Aufbruch faszinierend fand, arbeitete selbst kurzzeitig bei der Treuhand. Er erlebte, wie über die Köpfe der Ostdeutschen hinweg entschieden wurde. Während er und viele ostdeutsche Kollegen ganz unten in der Hierarchie standen, kamen die Anzugträger in den obersten Etagen fast alle aus dem Westen. Ende 1992 hatte die Treuhand 49 Direktoren, nur zwei von ihnen stammten aus dem Osten.

Fremdbestimmung und Verarmungserfahrung
Das Volkseigentum der Ostdeutschen wurde verkauft und abgewickelt – größtenteils durch Westdeutsche. Man kann durchaus sagen, man habe eine Form der Kolonialisierung Ostdeutschlands vorangetrieben. Zwar sahen sich die Westdeutschen, die kamen, nicht als Kolonialisten, sondern als Menschen, die eine interessante Karriereoption nutzten. Die Juristin Iris Görke Berzau, die 1991 nach Sachsen-Anhalt kam, berichtet von der dringenden Notwendigkeit von Juristen aus dem Westen, um das Justizsystem aufzubauen. Viele von ihnen arbeiteten extrem hart und brachten große persönliche Opfer. Sie verwehrt sich gegen das Klischee, Westdeutsche seien nur zum „Abkassieren“ gekommen.

Doch ungeachtet der individuellen Motivationen vieler Westdeutscher, die im Osten halfen und sich engagierten, entstand bei vielen Ostdeutschen ein Gefühl der Fremdbestimmung. 85 % aller mittleren bis großen volkseigenen Betriebe wurden an Westdeutsche verkauft, nur 5 % an Ostdeutsche. Ostdeutsche Manager hatten historisch bedingt weniger Kapital und unternehmerische Erfahrung. Experten bemängeln, dass diese nicht aktiv gefördert wurden. Stattdessen wirkten „West-Seilschaften“, die dafür sorgten, dass der „andere Kulturkreis Ostdeutschland“ nicht zum Zuge kam. Man traf sich in Lounges auf Flughäfen, wo der „normale Ostdeutsche“ nicht hinkam.

Die Grunderfahrung der Demokratie im Osten war laut Manja Kliese, einer Ostdeutschen in Führungsposition im Auswärtigen Amt, eine des entmächtigt Werdens und Verarmens – ökonomisch, kulturell, sozial und symbolisch. Die 1990er Jahre brachten für viele Ostdeutsche massive berufliche Brüche; aus Werftarbeitern wurden Lageristen, aus Lehrerinnen Putzkräfte. Diese enttäuschende Erfahrung machte viele Ostdeutsche risikoaversiv. Die Sicherheit stand oft über dem Aufstieg.

Die Folgen: Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein und Populismus
Das Ergebnis ist, dass viele Ostdeutsche sich nicht als mitgestaltende Kraft in der Demokratie begreifen können und sich nicht angemessen repräsentiert sehen – nicht in den Medien, nicht in der Wirtschaft, nicht in der Politik. Es ist nicht nur ein Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, sondern sie fühlen sich als Menschen zweiter Klasse, weil sie so behandelt werden. Dieses Gefühl der Benachteiligung scheint ein dauerhaftes Problem zu bleiben.

Dieser Unmut über „die da oben“, die so häufig westdeutsch sind, zeigt sich auch in Wahlergebnissen im Osten. Populistische Parteien, insbesondere die AfD und das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW), feiern hier große Erfolge. Experten sehen einen Zusammenhang: Eine systematische Unterrepräsentation kann dazu führen, dass Menschen populistisch offener sind. Die Kernthese vieler Populisten von fernen, korrupten Eliten, die nicht zuhören, trifft in Ostdeutschland auf einen Nährboden, da viele Menschen sich mit den dominanten Eliten aufgrund ihrer Herkunft nicht identifizieren können. Sarah Wagenknecht, selbst in der DDR geboren, sieht ihre Kritik an den westdeutschen Eliten nicht als Populismus, sondern als Hinweis auf einen ernsten Missstand.

Wege aus der Schieflage?
Wie kann das Ungleichgewicht behoben werden? Die Debatte über eine Quote für Ostdeutsche, wie vom BSW gefordert, ist umstritten. Einige halten sie für unausweichlich, um eine Veränderung zu erreichen, andere für rechtlich schwer umsetzbar und wenig zielführend.

Viele Stimmen betonen, dass es auch an den Ostdeutschen selbst liegt. Dirk Oschmann meint, der Osten müsse den Mut haben, die Chancen zu ergreifen und den „Marsch durch die Institutionen“ anzutreten, sich zu bewerben, anstatt vorher zu resignieren. Manja Kliese berichtet, dass sich viele junge Ostdeutsche Bewerbungen für Top-Positionen oft gar nicht zutrauen. Ludwig Köhne stellt fest, dass es schwierig ist, Ostdeutsche zu finden, die Geschäftsführer werden wollen, weil sie nach den Verlusten der 90er Jahre das Erreichte nicht riskieren wollen.Einige fordern, dass sich die Ostdeutschen kritisch mit ihrer eigenen Rolle auseinandersetzen und die Schuld nicht nur bei den Westdeutschen suchen sollten. Ludwig Köhne warnt vor einem „Ossi-Exzeptionalismus“, dem Gedanken, etwas Besonderes zu sein, was in die falsche Richtung führe.

Gleichzeitig gibt es Bemühungen, die nächste Generation Ostdeutscher zu fördern. Kliniken und Universitäten versuchen, junge Menschen aus der Region stärker zu unterstützen, etwa durch Stipendien, die nicht nur finanziell helfen, sondern auch den Zugang zu wichtigen Netzwerken ermöglichen. Es fehlt jedoch an ostdeutschen Studierenden, die sich um solche Stipendien bewerben.

Experten betonen die Notwendigkeit struktureller Gründe für die anhaltende Benachteiligung und fordern gesellschaftspolitische Anstrengungen. Es gehe darum, einer relevanten Bevölkerungsgruppe eine faire Chance zu geben und sie zu unterstützen, damit sie ihre Interessen und Ideen einbringen können und eine gerechte Chance haben, auch ganz nach oben zu kommen.

35 Jahre nach dem Mauerfall herrscht im Osten noch immer eine Schieflage. Was ein Übergang sein sollte, scheint zu einem Dauerzustand geworden zu sein, der für viele Ostdeutsche mit dem Gefühl verbunden ist, nicht vollständig gleichberechtigt teilzuhaben und mitzubestimmen. Es bleibt eine Herausforderung für die deutsche Demokratie, diese tiefe Spaltung zu überwinden und mehr ostdeutsche Gesichter an der Spitze des Landes zu sehen.

Der Kristall-Palast Magdeburg: Eine traurige, aber noch nicht endende Geschichte

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Der Kristall-Palast war Magdeburgs bekanntestes Konzert- und Varietéhaus. Der Bau des imposanten Gebäudes begann im Sommer 1889 in der Leipziger Straße und wurde am Pfingstsamstag, dem 9. Juni 1892, feierlich eröffnet. Im Jahr 1928 erhielt das Haus offiziell den Namen „Haus der Vornehmen Gesellschaft“. Nach umfangreichen Sanierungsarbeiten erwarb die Familie Jordan das Gebäude. Neben Konzerten, Bällen und Varietéveranstaltungen fanden nach 1933 verstärkt KdF-Veranstaltungen (Kraft durch Freude) statt.

Im Jahr 1940 beschlagnahmte das Heeresbeschaffungsamt die Räumlichkeiten des Kristall-Palastes. Zunächst als Lagerraum für Getreide genutzt, wurde das Gebäude ab Ende 1940 zum Internierungslager für Fremdarbeiter und Kriegsgefangene umfunktioniert. Unter unwürdigen Bedingungen mussten dort bis zu 1400 Menschen leben. Diese Nutzung hinterließ deutliche Spuren: etwa 60 Prozent des Saales waren beschädigt, und durch Angriffe wurde das Dach zerstört.

Am 12. November 1948 wurde der Wiederaufbau des Kristall-Palastes beschlossen. Nach einer achtmonatigen Bauzeit konnte der Kristall-Palast am 27. November 1949 wiedereröffnet werden. In dieser glanzvollen Zeit traten Künstler wie Eberhard Chors, Billy Karaltini und Viril auf.

Ab 1960 gingen die Besucherzahlen jedoch stetig zurück, was dazu führte, dass es keine regelmäßigen Veranstaltungen mehr gab. Die Bewirtung durch die HO-Gaststätten fand nun an Tischen statt. Ab 1968/69 standen vorwiegend Tanz- und Verkaufsveranstaltungen auf dem Programm des Hauses.

Im Jahr 1977 übernahm das Magdeburger Kabarett „Die Kugelblitze“ den Kristall-Palast. Sie spielten in einem Zelt, das im Saal aufgebaut war. 1986 verließen sie das Gebäude.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 änderten sich die Prioritäten im städtebaulichen Kontext. Der Fokus verlagerte sich zunehmend auf die Aufarbeitung der Geschichte und den Erhalt historischer Bauten. In diesem Zusammenhang wuchs auch das Interesse an der Geschichte des Kristall-Palastes.

Zwar gab es Überlegungen und Diskussionen, wie das Erbe des Kristall-Palastes gewürdigt werden könnte, jedoch wurden keine konkreten Pläne für einen Wiederaufbau oder eine umfassende Gedenkstätte umgesetzt. Stattdessen wurden andere historische Gebäude und Plätze in Magdeburg restauriert und aufgewertet.

Wartburg – Mehr als nur ein Auto: Ein Abend im Zeichen des Zweitakters

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Ein besonderer Abend erwartete die Besucher kürzlich bei einer Veranstaltung, die den Wartburg-Automobilen der DDR gewidmet war. Im Mittelpunkt standen dabei die Modelle der Wartburg 311er-Familie sowie der 313 Sportwagen. Das Event, das vom gesprochenen Wort bis zur Objektvorführung reichte, begann ungewöhnlich – mit einem aprilgerechten Regenschauer, der die geplanten Aktivitäten im Freien zunächst erschwerte. Dennoch suchten die Anwesenden trockene Plätzchen rund um Pfützen, um die vor der Tür geparkten Fahrzeuge aus nächster Nähe zu betrachten und vor allem, um ihre Motoren anzuwerfen und den charakteristischen Klang des Dreizylinder-Zweitakters zu hören.

Ein Höhepunkt des Abends war zweifellos die Präsentation der Fahrzeuge durch ihre Besitzer bzw. Fahrer. Zu den ausgestellten Modellen gehörten ein 313 Sport, eine 311 Limousine und eine 311 Campinglimousine. Die Fahrer teilten persönliche Geschichten über ihre Autos. Der Fahrer des 313 Sport bezeichnete sein Fahrzeug als „nicht nur das sportlich schnellste und schönste Auto“, sondern als eine „Küche“, da der Kaufpreis seinerzeit für den Erwerb einer Küche eingeplant war. Er besitzt den Sportwagen seit 15 Jahren, schätzt ihn sehr und ist stolz darauf, eines von lediglich 469 Stück zu besitzen. Besonders hob er hervor, dass der Wagen 1958 in den USA einen Schönheitspreis gewonnen hat. Die Limousine, die 1990 am Straßenrand gefunden wurde, wurde mühevoll restauriert, ihr Besitzer würde sie aber „eigentlich loswerden“ wollen. Die 311 Limousine, ein früheres Familienauto, hat einem anderen Besitzer geholfen, ein psychisches tiefes Loch zu überwinden, und ist heute wieder ein geliebtes Familienauto, mit dem viel gereist wird.

Nach der „Praxis draußen“ folgte der theoretische Teil drinnen mit einem Vortrag von Lars Leonhardt, einem anerkannten Fachmann zum Thema Wartburg-Automobile in der DDR und Redakteur des Magazins 79 Oktan. Leonhardt, geboren 1976 in Schwerin und seit frühester Kindheit automobilerfahren, präsentierte sein Buch „Wartburg-Automobile 1955 bis 1965“. Er gab Einblicke in die lange Geschichte des Eisenacher Automobilbaus, der der drittälteste in Deutschland ist und verschiedene Markenepochen von Wartburg-Motorwagen über Dixi und BMW bis hin zu EMW und IFA F9 durchlief. Nach der Rückgabe der Fahrzeugfabrik an die DDR im Jahr 1953 entschied man sich in Eisenach, auf Basis des aus Sachsen stammenden IFA F9 einen neuen Wagen zu entwickeln.

Der Wartburg 311, dessen Typennummer auf die BMW-Klassifizierung zurückgeht, sollte ursprünglich nur zweitürig sein, wurde aber auf Forderung von Außenhandel und Ministerium des Innern viertürig entwickelt, was eine Radstandsvergrößerung auf 2,45 Meter erforderte. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten bei der Werkzeugbeschaffung lief die Serie im Oktober 1955 an, zunächst in Handarbeit. Der 311 wurde bewusst als technische Vollendung des bewährten Baumusters F9 verkauft, obwohl es sich um eine umfassende Neuentwicklung handelte. Die Eisenacher legten großen Wert auf Verarbeitungsqualität, die sich an der Tradition von Mittelklassewagen orientierte. Merkmale wie polierte Leisten, schöne Stoffe, Beleuchtung beim Öffnen von Hauben und Türen, eine Zentralschmierpumpe und serienmäßige Heizung machten den Wagen besonders.
Der Wartburg 311 zeichnete sich durch eine große Typenvielfalt aus. Neben Limousine und Cabriolet gab es pragmatische Varianten wie den Pickup und den Kombi, aber auch luxuriöse und innovative wie die Campinglimousine, die als allererster Freizeitkombi gilt und sich zum Schlafen umbauen ließ. Der 313 Sportwagen war der „absolute Star“ im Typenprogramm. Diese Vielfalt wurde auch durch die Zusammenarbeit mit Karosseriewerken in Dresden, Halle und Merane ermöglicht.

Ein wichtiger Aspekt war der Exporterfolg des 311. Rund die Hälfte der insgesamt über eine Viertelmillion gebauten Wagen wurde exportiert, auch in westliche Länder wie die USA (1215 Stück), Südafrika, Österreich, Norwegen und Finnland. Selbst in Kairo gab es Wartburg-Taxis. Im direkten Vergleich mit dem VW Käfer, der mengenmäßig überlegen war, wurde der Wartburg als erwachseneres, schöneres Auto mit mittelklasseähnlicher Ausstattung wahrgenommen.

Die Entwicklung des 311 und seiner Nachfolger wurde von wichtigen Persönlichkeiten geprägt, darunter Werkleiter Martin Zimmermann und der Gestalter Hans Fleischer, der die Formen vom 311 bis zum 353 entwickelte. Auch wenn es unrealisierte Projekte gab, wie einen Viertakt-Boxermotor, der zugunsten des Wankelmotors aufgegeben wurde, oder Studien für selbsttragende Karosserien und neue Bus-Typen, zeigten diese das innovative Potenzial in Eisenach.

Die Wartburg-Szene ist heute überschaubar, aber vernetzt. Es gibt Sammlertreffen und spezielle Gruppen für einzelne Typen. Vom 313 Sportwagen existieren noch ungefähr 270 Exemplare. Die Preise für gut erhaltene 311 Limousinen beginnen heute bei etwa 10.000-15.000 Euro, während ein Sportwagen schnell einen sechsstelligen Betrag erreichen kann.

Für heutige Fahrer eines Zweitakt-Wartburgs gibt es auch praktische Aspekte: Beim Tanken wird Super-Benzin ohne Bioethanol verwendet und das passende Zweitaktöl direkt in den Tank gegeben. Das Mischungsverhältnis (z.B. 1:50) hängt vom Motortyp ab.

Die Geschichte und die Pflege dieser Fahrzeuge werden maßgeblich vom Magazin 79 Oktan unterstützt, das 2016 gegründet wurde, um die oft stiefmütterlich behandelten Ost-Oldtimer angemessen zu würdigen. Das Magazin und der gleichnamige Verlag erfreuen sich wachsender Beliebtheit und tragen dazu bei, die Geschichte und die Szene lebendig zu halten.

Insgesamt zeigte der Abend eindrucksvoll, dass der Wartburg 311 und insbesondere der 313 Sportwagen mehr sind als nur alte Autos; sie sind Symbole für eine bestimmte Epoche des Automobilbaus, für Erfindergeist unter schwierigen Bedingungen und für eine passionierte Gemeinschaft, die ihre Geschichte bewahrt und lebt. Die Vorfreude auf die geplante Fortsetzung der Buchreihe, die sich mit dem Wartburg 353 beschäftigen wird, zeigt, dass die Geschichte des Eisenacher Automobils noch lange nicht auserzählt ist.