Wartburg – Mehr als nur ein Auto: Ein Abend im Zeichen des Zweitakters

Ein besonderer Abend erwartete die Besucher kürzlich bei einer Veranstaltung, die den Wartburg-Automobilen der DDR gewidmet war. Im Mittelpunkt standen dabei die Modelle der Wartburg 311er-Familie sowie der 313 Sportwagen. Das Event, das vom gesprochenen Wort bis zur Objektvorführung reichte, begann ungewöhnlich – mit einem aprilgerechten Regenschauer, der die geplanten Aktivitäten im Freien zunächst erschwerte. Dennoch suchten die Anwesenden trockene Plätzchen rund um Pfützen, um die vor der Tür geparkten Fahrzeuge aus nächster Nähe zu betrachten und vor allem, um ihre Motoren anzuwerfen und den charakteristischen Klang des Dreizylinder-Zweitakters zu hören.

Ein Höhepunkt des Abends war zweifellos die Präsentation der Fahrzeuge durch ihre Besitzer bzw. Fahrer. Zu den ausgestellten Modellen gehörten ein 313 Sport, eine 311 Limousine und eine 311 Campinglimousine. Die Fahrer teilten persönliche Geschichten über ihre Autos. Der Fahrer des 313 Sport bezeichnete sein Fahrzeug als „nicht nur das sportlich schnellste und schönste Auto“, sondern als eine „Küche“, da der Kaufpreis seinerzeit für den Erwerb einer Küche eingeplant war. Er besitzt den Sportwagen seit 15 Jahren, schätzt ihn sehr und ist stolz darauf, eines von lediglich 469 Stück zu besitzen. Besonders hob er hervor, dass der Wagen 1958 in den USA einen Schönheitspreis gewonnen hat. Die Limousine, die 1990 am Straßenrand gefunden wurde, wurde mühevoll restauriert, ihr Besitzer würde sie aber „eigentlich loswerden“ wollen. Die 311 Limousine, ein früheres Familienauto, hat einem anderen Besitzer geholfen, ein psychisches tiefes Loch zu überwinden, und ist heute wieder ein geliebtes Familienauto, mit dem viel gereist wird.

Nach der „Praxis draußen“ folgte der theoretische Teil drinnen mit einem Vortrag von Lars Leonhardt, einem anerkannten Fachmann zum Thema Wartburg-Automobile in der DDR und Redakteur des Magazins 79 Oktan. Leonhardt, geboren 1976 in Schwerin und seit frühester Kindheit automobilerfahren, präsentierte sein Buch „Wartburg-Automobile 1955 bis 1965“. Er gab Einblicke in die lange Geschichte des Eisenacher Automobilbaus, der der drittälteste in Deutschland ist und verschiedene Markenepochen von Wartburg-Motorwagen über Dixi und BMW bis hin zu EMW und IFA F9 durchlief. Nach der Rückgabe der Fahrzeugfabrik an die DDR im Jahr 1953 entschied man sich in Eisenach, auf Basis des aus Sachsen stammenden IFA F9 einen neuen Wagen zu entwickeln.

Der Wartburg 311, dessen Typennummer auf die BMW-Klassifizierung zurückgeht, sollte ursprünglich nur zweitürig sein, wurde aber auf Forderung von Außenhandel und Ministerium des Innern viertürig entwickelt, was eine Radstandsvergrößerung auf 2,45 Meter erforderte. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten bei der Werkzeugbeschaffung lief die Serie im Oktober 1955 an, zunächst in Handarbeit. Der 311 wurde bewusst als technische Vollendung des bewährten Baumusters F9 verkauft, obwohl es sich um eine umfassende Neuentwicklung handelte. Die Eisenacher legten großen Wert auf Verarbeitungsqualität, die sich an der Tradition von Mittelklassewagen orientierte. Merkmale wie polierte Leisten, schöne Stoffe, Beleuchtung beim Öffnen von Hauben und Türen, eine Zentralschmierpumpe und serienmäßige Heizung machten den Wagen besonders.
Der Wartburg 311 zeichnete sich durch eine große Typenvielfalt aus. Neben Limousine und Cabriolet gab es pragmatische Varianten wie den Pickup und den Kombi, aber auch luxuriöse und innovative wie die Campinglimousine, die als allererster Freizeitkombi gilt und sich zum Schlafen umbauen ließ. Der 313 Sportwagen war der „absolute Star“ im Typenprogramm. Diese Vielfalt wurde auch durch die Zusammenarbeit mit Karosseriewerken in Dresden, Halle und Merane ermöglicht.

Ein wichtiger Aspekt war der Exporterfolg des 311. Rund die Hälfte der insgesamt über eine Viertelmillion gebauten Wagen wurde exportiert, auch in westliche Länder wie die USA (1215 Stück), Südafrika, Österreich, Norwegen und Finnland. Selbst in Kairo gab es Wartburg-Taxis. Im direkten Vergleich mit dem VW Käfer, der mengenmäßig überlegen war, wurde der Wartburg als erwachseneres, schöneres Auto mit mittelklasseähnlicher Ausstattung wahrgenommen.

Die Entwicklung des 311 und seiner Nachfolger wurde von wichtigen Persönlichkeiten geprägt, darunter Werkleiter Martin Zimmermann und der Gestalter Hans Fleischer, der die Formen vom 311 bis zum 353 entwickelte. Auch wenn es unrealisierte Projekte gab, wie einen Viertakt-Boxermotor, der zugunsten des Wankelmotors aufgegeben wurde, oder Studien für selbsttragende Karosserien und neue Bus-Typen, zeigten diese das innovative Potenzial in Eisenach.

Die Wartburg-Szene ist heute überschaubar, aber vernetzt. Es gibt Sammlertreffen und spezielle Gruppen für einzelne Typen. Vom 313 Sportwagen existieren noch ungefähr 270 Exemplare. Die Preise für gut erhaltene 311 Limousinen beginnen heute bei etwa 10.000-15.000 Euro, während ein Sportwagen schnell einen sechsstelligen Betrag erreichen kann.

Für heutige Fahrer eines Zweitakt-Wartburgs gibt es auch praktische Aspekte: Beim Tanken wird Super-Benzin ohne Bioethanol verwendet und das passende Zweitaktöl direkt in den Tank gegeben. Das Mischungsverhältnis (z.B. 1:50) hängt vom Motortyp ab.

Die Geschichte und die Pflege dieser Fahrzeuge werden maßgeblich vom Magazin 79 Oktan unterstützt, das 2016 gegründet wurde, um die oft stiefmütterlich behandelten Ost-Oldtimer angemessen zu würdigen. Das Magazin und der gleichnamige Verlag erfreuen sich wachsender Beliebtheit und tragen dazu bei, die Geschichte und die Szene lebendig zu halten.

Insgesamt zeigte der Abend eindrucksvoll, dass der Wartburg 311 und insbesondere der 313 Sportwagen mehr sind als nur alte Autos; sie sind Symbole für eine bestimmte Epoche des Automobilbaus, für Erfindergeist unter schwierigen Bedingungen und für eine passionierte Gemeinschaft, die ihre Geschichte bewahrt und lebt. Die Vorfreude auf die geplante Fortsetzung der Buchreihe, die sich mit dem Wartburg 353 beschäftigen wird, zeigt, dass die Geschichte des Eisenacher Automobils noch lange nicht auserzählt ist.

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