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Gerichtlicher Kampf um „Jüdisches Vermögen“

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Teltow-Seehof, Brandenburg. Einst ein privilegiertes Quartier im Berliner Speckgürtel, wo Staatsgetreue und Besserverdienende der DDR wohnten, ist Teltow-Seehof heute Schauplatz eines erbitterten Rechtsstreits um jüdisches Vermögen aus der NS-Zeit. Die idyllische Ruhe des Ortes wird gestört durch die Rückkehr einer längst verdrängt geglaubten Nazivergangenheit. Ein amerikanischer Jude, dessen Vorfahren das Land einst gehörte, fordert Gerechtigkeit und finanzielle Entschädigung.

Die Familie Sabersky, die das Gut am Rande der damaligen Reichshauptstadt zur Gründung des Deutschen Reiches kaufte, teilte es später in 850 Parzellen auf und verkaufte diese zwischen 1933 und 1939. Strittig ist, ob die Familie die Grundstücke und den Landsitz unter den Nazis zwangsweise abgeben musste.

Erben fordern Wiedergutmachung
Die jüdische Erbengemeinschaft beruft sich auf akribisch geführte Nazi-Unterlagen, die belegen, dass die Familien Sabersky und Sonnental nicht nur die sogenannte „Judenvermögensabgabe“ und „Reichsfluchtsteuer“ an die Nazis zahlen mussten. Das gesamte Vermögen von Sophie Sonnental beispielsweise verfiel an Nazi-Deutschland; Bankkonten wurden konfisziert, Wertpapierdepots aufgelöst. Anwälte der Erben können nachvollziehen, dass „nicht eine einzige Reichsmark mit den Erben gemeinsam Deutschland verlassen hat“.

Die Erbengemeinschaft, deren Sprecher in Begleitung eines Anwalts die Bewohner informierte, bietet den derzeitigen Eigentümern an, die Ansprüche für 10.000 bis 15.000 Mark abzukaufen. Bewohner erhielten Merkblätter mit einer dreimonatigen Bedenkzeit. Der Anwalt der Erben betont die Notwendigkeit von Wiedergutmachung, insbesondere in Ostdeutschland, da es „nie wieder Gutmachung geleistet für die Verfolgung der Juden durch die Nazis“ habe. Westdeutschland sei seiner Verantwortung gerecht geworden, jetzt sei Ostdeutschland an der Reihe.

Bewohner mobilisieren sich
Auf der anderen Seite mobilisiert sich die Bürgerinitiative Seehof zur „Selbstverteidigung der vermeintlichen Rechte“. Die Bewohner argumentieren, dass für Haus und Grund „schon einmal bezahlt worden“ sei. Ein Bewohner zeigte als Beleg einen Einlieferungsschein aus dem Jahr 1935, der belegen soll, dass Geld an Herrn Artur Sonnental gegangen sei. Andere Bewohner äußern Unverständnis und den Vorwurf, hier würden „mit derartigen linken Methoden versucht Millionen noch mal zu schäffeln die die Vorfahren schon gekriegt haben“. Das Mitgefühl reiche „nicht bis an den Gartenzaun“. Einige Bewohner sehen in den Ansprüchen der Erben ein Klischee bedient. Ein Bewohner betonte, „ich habe keine antisemitische Einstellung ich habe aber etwas gegen Menschen die dummerweise dumme Klischees bedienen“. Ein anderer meinte: „Das kann doch nicht wahr sein, ich mit den Juden nie was gehabt, nie im Gegenteil, mein Schwiegervater ist noch für diese Leute ins KZ gegangen und jetzt da kaputt gegangen für diese Leute und die wollen mich heute vom Hof Haus holen, das ist wohl das letzte“.

Amt lehnt ab, Rechtsstreit geht weiter
Das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen hat den Antrag der Erben auf Rückübertragung der 850 Grundstücke pauschal abgelehnt. Begründet wurde dies damit, dass der Verkauf der Parzellen nicht auf den Verfolgungsmaßnahmen beruhe, sondern auch „ohne Naziregime und ohne Naziverfolgung stattgefunden“ hätte, weshalb es an der Kausalität zwischen Vermögensschaden und Verfolgung fehle.

Rechtsanwalt Sonnental, dessen Familie in den 30er Jahren vor der nationalsozialistischen Verfolgung aus Deutschland floh, will diese Begründung nicht hinnehmen. Er wird vor das Verwaltungsgericht Potsdam ziehen, um die Ansprüche seiner Familie durchzusetzen. Seine Eltern, Arthur und Sophie Sonnental, sind in Amerika beerdigt, obwohl sie eigentlich in Teltow-Seehof begraben werden wollten – ihre Gräber dort sind leer. Erst der Sohn wagte es, ins „Land der Täter“ zurückzukehren.

Der Konflikt in Teltow-Seehof zeigt, dass der Kampf um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und um Wiedergutmachung in Ostdeutschland noch lange nicht beendet ist.

Veronika Fischer zwischen Zeiten, Systemen und unerschütterlicher Wahrheitssuche

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Seit über 50 Jahren prägt Veronika Fischer die Musiklandschaft Deutschlands und darüber hinaus. Als eine der markantesten Stimmen ihrer Generation hat sie die Höhen des Erfolgs erlebt, aber auch die Schattenseiten einer Branche kennengelernt, die sich stets im Wandel befindet. In einem persönlichen Gespräch gewährt die Sängerin Einblicke in ihre außergewöhnliche Karriere, ihre tiefen Überzeugungen und die Herausforderungen, denen sich Künstler heute gegenübersehen.

Eine Karriere, die früh begann Veronika Fischers musikalische Reise begann lange vor ihrem offiziellen Bühnenjubiläum. In einem Haushalt, in dem Hausmusik großgeschrieben wurde, weckte ihre Mutter die Liebe zur Musik. Schon im Alter von neun Jahren stand sie als Teil des Trios „Geschwister Fischer“ auf der Bühne, wobei sie aufgrund ihrer kräftigen Stimme die Gesangspart übernahm, da sie noch kein Instrument spielte. Mit 16 Jahren führte sie ihr Weg zur Aufnahmeprüfung an eine Musikschule in Dresden, und mit 17 Jahren begann sie ihr Musikstudium.

Kometenhafter Aufstieg und die DDR-Realität Ab 1975 nahm Veronika Fischers Karriere einen kometenhaften Verlauf. Ihre erste Platte verkaufte sich über 500.000 Mal, und sie erlebte ein Leben auf der „Überholspur“ mit bis zu 250 Konzerten pro Jahr. Tourneen führten sie durch fast alle sozialistischen Länder, wo sie in Stadien spielte und im Osten oft als „Westmusikerin“ wahrgenommen wurde. Doch der Erfolg hatte auch seine Tücken: Die Generaldirektion für Unterhaltungskunst in der DDR führte die Künstler politisch. Obwohl sie durch ihre Promotion und Konzerte maßgeblich zum Erfolg ihrer Verkäufe beitrug, wurde sie nicht an den Einnahmen beteiligt.

Das System zeigte seine Zerrissenheit auch im persönlichen Bereich. Nach dem Weggang ihres Pianisten Franz 1980 in West-Berlin, der das Repertoire der Band in Frage stellte und viele ihrer Songs auf den Index setzte, wurde ihre künstlerische Grundlage entzogen. Veronika Fischer empfand die Situation als „eingesperrt“. Ein besonders prägnantes Beispiel dieser Zerrissenheit war ihr „Abschiedskonzert“ im Ost-Berliner Kino Kosmos am 24. März 1981. Die Stasi, die offenbar erst kurz vor dem Auftritt davon erfuhr, war entsetzt. Der halbe Saal war mit einer Delegation aus der mongolischen Volksrepublik gefüllt, die von ihrer Musik keine Ahnung hatten, während ein Großteil ihres eigentlichen Publikums vor der Tür bleiben musste – ein gezielter Versuch, die „Abweichlerin“ zu demütigen. Diese unerträgliche Situation führte dazu, dass sie schließlich einen Vertrag mit WEA im Westen unterzeichnete und damit ihre Verbindungen zu den Kulturbehörden und der DDR endgültig zerriss.

Herausforderungen im Westen und die „Schlagerwelt“ Die Anpassung an den westlichen Musikmarkt war nicht einfach. Ihr erstes Album im Westen, „Staunen“, war für sie keine „Herzenssache“, da sie mit dem kommerziellen Klang und den ihr zugewiesenen Texten, die extra für sie eingekauft wurden, Probleme hatte. Fischer suchte die Zusammenarbeit mit Künstlern wie Christian Kunert und Gerulf Pannach, die „nicht angepasst waren“ und „die Wahrheit näher“ kamen.

Die Künstlerin kritisiert die heutige Musiklandschaft scharf. Das Radio bezeichnet sie als „Einheitsbrei“, den sie kaum noch hören kann. Sie ist der Meinung, dass Stars heute „künstlich gemacht“, finanziert und durch ständige Wiederholung aufgebaut werden, was nichts mit Qualität zu tun habe. Die deutsche Musikszene sei überwiegend zu einer „Schlagerwelt“ verkommen, in der es an Differenzierung mangele. Ihre eigene Erfahrung bestätigt dies: Als ihr Album „Tief im Sommer“ (2000) beworben wurde, wurde es von einem Radiosender als zu „anspruchsvoll“ abgelehnt, um es den Zuschauern zu präsentieren. Sie sieht dies in einer Linie mit einer Anweisung aus den 1960er Jahren, wonach „schwierige Musik“ nur nachts gespielt werden sollte, damit die Leute nicht „an den Baum fahren“. Auch die Charts sieht sie kritisch, da Künstler sich dort durch den Kauf eigener CDs „einkaufen“ können.

Corona-Pandemie und tiefe Einschnitte Die Corona-Pandemie beschreibt Veronika Fischer als einen „Kulturbruch“, insbesondere für Musiker, die mit einem Berufsverbot konfrontiert waren. Viele Konzerte wurden abgesagt, Kollegen gerieten an den Rand ihrer Existenz, einige gaben sogar auf oder nahmen sich das Leben. Die Antwort aus politischen Kreisen auf die Notlage der Kulturschaffenden sei gewesen: „Kultur interessiert nicht“. Zudem seien Techniker und gute Musiker aus der Branche abgewandert oder hätten andere Berufe angenommen, was zu höheren Kosten geführt habe.

Fischer geht sogar so weit zu sagen, dass die Maßnahmen während der Pandemie ein „Plan“ gewesen seien, „um die Menschen so langsam unter Kontrolle zu kriegen“. Sie empfindet die Impfung als „Verbrechen“ und sieht in ihrem Umfeld viele Menschen, die seither ständig krank sind. Diese Ansichten führten auch zu „schmerzlichen Trennungen“ in ihrer eigenen Familie und im Freundeskreis. Ihre Bedenken hinsichtlich der Gesundheit wirken sich auch auf ihre Bühnenpräsenz aus, da sie als Sängerin auf ihre Stimme angewiesen ist und der ständige Kontakt zu kranken Menschen problematisch sei. Dies trägt dazu bei, dass sie sich langsam von der Bühne zurückziehen möchte.

Spiritualität und Zukunftsaussichten Trotz aller Rückschläge und Herausforderungen bleibt Veronika Fischer eine starke Persönlichkeit. Der Kontakt zu ihrem Publikum, besonders bei Lesungen, ist ihr wichtig, da er mehr Intimität und Kommunikation ermöglicht als Konzerte. Auch wenn die meisten ihrer Fans im Osten die alten Lieder hören wollen, plant sie nicht, sich völlig von der Bühne zu verabschieden. Mit Andreas Bicking möchte sie kleinere, intimere Formate entwickeln und weiterhin Musik spielen, jedoch nicht mehr 25 bis 30 Lieder pro Abend.

Ihre Lebensphilosophie hat sich in den letzten zehn Jahren stark gewandelt und ist heute von einer tiefen Spiritualität geprägt. Sie betont die Rolle der Liebe als Überschrift des Lebens und die Bedeutung von geistigem Heilen, das ihr selbst geholfen hat, wieder normaler zu leben. Für sie sind Menschen „geistige Wesen“ und nicht rein materiell. Diese Erkenntnis, so Fischer, könne viel bewirken, wenn man sie zulässt. Ihr aktuelles Album „Woher Wohin“ sei daher auch „vor allen Dingen spirituell“, da es darum gehe, dass „nur die Liebe heilt“.

Veronika Fischer sieht sich in einer Zeit, in der Menschen Dinge erkennen können, wenn sie auf ihren gesunden Menschenverstand hören und sich nicht von den Medien manipulieren lassen. Sie selbst schaut seit der Corona-Zeit kein Fernsehen mehr, weil sie es als Quelle der Manipulation empfindet. Mit ihren klaren Worten und ihrer unerschütterlichen Haltung bleibt Veronika Fischer eine Künstlerin, die nicht nur musikalisch, sondern auch persönlich tiefe Spuren hinterlässt.

Die vertuschte Tötung des 15-jährigen Heiko Runge an der innerdeutschen Grenze

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Halle/Benckenstein – Es war ein trüber, nieseliger Tag am 8. Dezember 1979, als Heiko Runge, ein 15-jähriger Junge aus Halle-Neustadt, sein Elternhaus verließ. Knapp zehn Stunden später war er tot, erschossen an der deutsch-deutschen Grenze. Sein Tod war kein Unfall, wie die DDR-Behörden es darstellten, sondern das Ergebnis eines skrupellosen Versuchs der Staatssicherheit, die „Republikflucht eines Kindes“ zu vertuschen – ein Fall, der bis heute schmerzlich nachwirkt.

Heiko Runge, dessen Vater früh verstarb und dessen Mutter zwölf Stunden täglich in den Buna-Werken arbeitete, war zusammen mit seinem Freund Uwe aufgewachsen. Beide galten nicht als besonders gute Schüler. Ihr Traum war es, die Welt zu sehen, weit weg von der DDR. Heiko hatte ursprünglich davon geträumt, zur Handelsflotte zu gehen. Am Morgen des 8. Dezember stiegen die beiden um 6:47 Uhr in Halle in den Zug und erreichten kurz vor 15:00 Uhr den Grenzort Benckenstein.

Die tödlichen Schüsse
Um 15:03 Uhr registrierte das örtliche Grenzregiment im Sicherungsabschnitt Buchenwaldschlucht zwei Grenzverletzer. Heiko und Uwe hatten Drähte auseinandergebogen und so den Signalzaun durchbrochen. Alarm wurde ausgelöst, und die 7. Kompanie bezog vorschriftsmäßig Stellung. Die Jungen, die glaubten, alle Grenzposten nach Überwindung des Signalzauns hinter sich gelassen zu haben, bewegten sich weiter gen Westen. Plötzlich hörten sie ein Geräusch: das Durchladen einer Waffe.

„Dann ging das alles sehr schnell. Bruchteile von Sekunden“, erinnert sich Uwe. Beide warfen sich hin. Dann knallte es. Laut späteren Aussagen waren es wohl drei kurze Feuerstöße, aber für Uwe fühlte es sich an, als sei ein ganzes Magazin leergeschossen worden. Es gab keinen Warnschuss, auch keinen Ruf wie „Halt, stehen bleiben“. Während des Schießens rief Heiko seinem Freund noch zu: „Los, Fleischi, weg!“. Doch anstatt zu fliehen, rannte Heiko zurück in Richtung DDR, als wollte er aufgeben. Die Grenzer zielten auf den fliehenden Jungen, so wie sie es gelernt hatten: „Konsequente Anwendung der Schusswaffe verhindert in diesem Fall den Grenzdurchbruch“. Heiko Runge starb an einem Brustdurchschuss, erschossen von hinten, das Einschussloch befand sich am Rücken oben rechts, wie der Obduktionsbericht später vermerkte.

Die beiden Schützen, damals 20 und 23 Jahre alt und somit kaum älter als ihr Opfer, feuerten insgesamt 51 Schüsse ab – 26 aus der einen Waffe, 25 aus der anderen. Nur ein einziger Schuss traf Heiko. Einer der Schützen, der heute in der Nähe von Dresden lebt, erklärte, er hätte daneben schießen können, aber der Vorgesetzte hätte ihn sonst erschossen. Er beschreibt die damaligen Gesetze: „Entweder du trittst die schieß den ab oder die schießen dich ab“. Ein anderer Schütze, der heute noch grenznah in Wernigerode lebt und bei der Bahn arbeitet, leidet bis heute unter den Erinnerungen: „Ich teilwe noch davon träume und das werde ich wohl me lebt doch nicht wi los“.

Die perfide Vertuschung
Der Fall Runge beschäftigte eine ganze Stasi-Abteilung. 16 Jahre nach dem Tod ihres Sohnes konnte Ingerunge erstmals die Stasi-Akten einsehen: zwei Bände mit dem Titel „Leichensache Heiko R.“, gefüllt mit den „perfiden Versuchen der Staatssicherheit“, die Wahrheit zu verbergen. Man hatte sogar das Begräbnis fotografiert und die Anwesenden kontrolliert.

Die offizielle Version gegenüber der Mutter lautete, ihr Sohn sei „in die Nähe von einer militärischen Anlage gekommen ist und dabe ein Unfall erlitten hat“. Die Staatsanwältin verweigerte weitere Details und beschied die trauernde Mutter unverschämt: „Hören Sie auf zu heulen, Sie haben vielleicht ein Vaterlandsverräter geboren“. Die Stasi war sich offenbar der Peinlichkeit bewusst, ein Kind auf dem Gewissen zu haben. Familie, Freunde und Klassenkameraden wurden zum Stillschweigen verdonnert. Alle schriftlichen Meldungen sollten vernichtet und Tonbandaufzeichnungen gelöscht werden, um den „Informationsabfluss abzusichern“. Oberstleutnant Lubers, damals verantwortlich, bestreitet heute, der Einzelfall sei ihm geläufig.

Die Abteilung Neun der Stasi in Halle entwickelte einen umfangreichen „Maßnahmeplan“, um das „Grenzgauens“ zu vertuschen. Heikos Mutter wurde angewiesen, keine Todesanzeige aufzugeben, und eine schnelle Bestattung sollte den Kreis der Trauernden so klein wie möglich halten. Selbst der letzte Besuch in der Leichenhalle war unter höchster Alarmstufe. Heikos Mutter wurde festgehalten, ihre Blumen wurden ihr entrissen und zu Boden geworfen, sie durfte ihren Sohn nur kurz ansehen und musste bestätigen, dass es ihr Kind war. Beschattungen und Personenkontrollen wurden von Oberstleutnant Schwengner angeordnet, der heute Gedächtnisschwund für den Fall Heiko Runge angibt.

Befehl ist Befehl?
Der Chef der 7. Grenzkompanie, Major Piotrowski, galt als „berüchtigter Scharfmacher“. Sein Fahrer gab 1992 zu Protokoll, Piotrowskis Lieblingssatz sei gewesen: „Der Warnschuss trifft mindestens die Kopfbedeckung“, was bedeutete: „erst schießen dann fragen“. Piotrowski selbst gab an, stolz darauf gewesen zu sein, seinen Dienst exakt versehen zu haben und sah die „Erfüllung des Klassenauftrages“ als „pflichtgemäß ausgeführt“ und im „Völkerrecht“ entsprechend an. Die DDR belohnte solches „vorbildliches Grenzverhalten“ mit Medaillen, Belobigungen und Geldprämien.

Die Trauer und die Fragen bleiben für Heikos Mutter bis heute bestehen: „Nee nee undter fehlt uns beiden meiner Tochter und mir heute genau noch so als wie vor 16 Jahren warum weshalb weswegen“.

Heiko Runges Fall ist kein Einzelfall. In 15 weiteren Fällen hat die Berliner Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Tötung Minderjähriger an der innerdeutschen Grenze aufgenommen. Die damaligen Anweisungen der Grenztruppen lauteten: „Zuverlässig gesicherte Grenzen bleiben Gewehr dafür, dass die Menschenrechte in unserem Staat verwirklicht werden können“ – eine zynische Aussage angesichts des Schicksals von Heiko Runge und vielen anderen.

Der Lanz Bulldog: Ein Kulturgut aus Stahl, Hitze und Diesel

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Kaum eine Maschine verkörpert die Frühzeit der Motorisierung in der Landwirtschaft so eindrucksvoll wie der Lanz Bulldog. Mehr als nur ein Arbeitsgerät, hat sich dieser in Mannheim gebaute Traktor zu einem wahren Kulturgut mit Charakter entwickelt und fasziniert bis heute Enthusiasten, die seine einzigartige Technik, Geschichte und Besonderheiten schätzen.

Die hier betrachteten Lanz Bulldogs, sogenannte „Kliopfmotoren“, wurden zwischen 1935 und etwa 1950/51 produziert. Interessanterweise unterschieden sich die Modelle vor dem Krieg durch eine schwerere Ausrüstung, etwa bei den Schwungmassen. Mit Kriegsbeginn wurde Gewicht eingespart, um Materialien für die Wehrmacht freizugeben, was jedoch die prinzipielle Bauweise und Laufleistung des Motors nicht wesentlich beeinflusste.

Technik unter der Haube: Robust und unverwechselbar
Das Herzstück eines Lanz Bulldogs ist sein beeindruckender Einzylindermotor mit einem Hubraum von 10,3 Litern. Der Kolben, der horizontal liegt, wiegt dabei allein zwischen 35 und 38 Kilogramm. Die Kühlung erfolgt bei den hier gezeigten Modellen über Kühler – vier auf der rechten Seite bei den größeren Bulldogs, drei bei den kleineren – und einen Lüfter in der Mitte, der das Kühlwasser herunterkühlt. Frühere Modelle nutzten noch einen einfachen Wasserbehälter als Verdampfer. Eine Besonderheit der Motoren ist ihre Robustheit gegenüber Hitze: „ordentliche Hitze bei den Motoren schadet den Motoren absolut nicht“, heißt es im Video.

In Sachen Getriebe waren Lanz Bulldogs oft mit einem Dreiganggetriebe ausgestattet, doch es gab auch seltenere Sechsgangmodelle, die eine Gruppenuntersetzung mit drei Gängen plus Rückwärtsgang sowie drei weitere Gänge in einem größeren Getriebe boten. Auch bei der Ausstattung gab es Optionen: Eine Fußbremse, die auf die Hinterräder wirkte, war beispielsweise nicht zwingend Standard, sondern musste optional hinzugekauft werden, ähnlich wie bei modernen Autos. Die Leistung variierte ebenfalls; so sind ein 45 PS und ein 25 PS Motor zu sehen, wobei die PS-Klasse stets am Hubraum und der Anzahl der Kühler zu erkennen ist.

Der Kraftstoffverbrauch eines Lanz Bulldogs variiert je nach Einsatzgebiet: Im harten achtstündigen Feldeinsatz konnte ein Traktor bis zu 40 Liter verbrauchen, während er im Hobbybetrieb heute oft mit 20 bis 25 Litern auskommt.

Das Startritual: Ein Erlebnis für sich
Eine der faszinierendsten Eigenheiten des Lanz Bulldogs ist sein Startvorgang, der oft als ein echtes Ritual beschrieben wird. Der Traktor verfügt über einen Dreikammer-Tank für Dieselkraftstoff, Motoröl (das auch mitverbrannt wird und vier Schmierstellen über eine Ölpumpe versorgt) und, optional, Benzin.

Für den traditionellen Start benötigt man eine spezielle Heizlampe mit senkrechtem Brennerkopf, die für fünf bis zehn Minuten in den Brennraum gehängt wird, um die Glühnase vorzuheizen, bis sie heiß genug ist, den Diesel zu zünden.

Eine modernere, aber nicht bei jedem Bulldog vorhandene Option ist der Benzinstart mit Batterie und Anlasser. Hierfür muss der Treibstoff vor dem Abstellen des Fahrzeugs von Diesel auf Benzin umgestellt werden. Eine im Zylinderkopf angebrachte Zündkerze erzeugt mittels einer Summerzündspule einen Funken. Nach dem Betätigen des Anlassers (oder Drehen am Schwungrad) springt der Traktor auf Benzin an und sollte zwei bis drei Minuten auf diesem Kraftstoff laufen, bis die Glühnase wieder die nötige Temperatur für den Diesel erreicht hat. Erst dann wird langsam der Benzinhahn geschlossen und der Diesel geöffnet.

Ein weiteres Phänomen beim Start, sei es mit Elektrostart oder Lenkrad, ist, dass der Traktor gelegentlich „verkehrt herum“ anspringen kann, also linksherum läuft. Erfahrene Lanz-Fahrer beherrschen jedoch den Trick: Man bringt den Motor mit dem Einspritzhebel fast zum Stillstand und spritzt kurz bevor er ausgeht noch einmal kräftig ein, um die Drehrichtung umzukehren.

Der Lanz Bulldog ist nicht nur eine Legende der Landtechnik, sondern ein Zeugnis deutscher Ingenieurskunst und ein Erlebnis für sich. „Wer einmal einen gestartet hat, der vergisst das nie“, lautet ein passendes Fazit.

Alexanderplatz im Wandel: Zwischen Wolkenkratzer-Visionen und Baustellen-Realität

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Der Alexanderplatz in Berlin ist weit mehr als nur ein geografischer Mittelpunkt; er ist ein Spiegelbild deutscher Geschichte und ein Ort permanenter Transformation. Bekannt als einer der prominentesten Plätze Deutschlands, steht er für Wandel und Aufbruch, doch gleichzeitig auch für Stillstand und geringen Fortschritt bei großen Bauprojekten. Für die einen ist er ein quirliger Hotspot mit Weltzeituhr und Fernsehturm, für die anderen ist er dreckig, laut und chaotisch.

Eine Geschichte des Wandels Einst ein belebter Ochsenhandelsplatz, entwickelte sich der Alexanderplatz zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt und später zum sozialistischen Aufmarschplatz. Nach dem Fall der Mauer suchte Berlin eine neue Vision für diesen zentralen Ort, der lange als „architektonisches Niemandsland“ galt. Schon 1933 wurde unter der Leitung des Architekten Hans Kollhoff ein städtebaulicher Rahmenplan beschlossen, der insgesamt 10 Hochhäuser mit je 150 Metern Höhe vorsah – ein vertikaler Gegenentwurf zur damaligen flachen Bebauung. Dieser Plan bildet bis heute die Grundlage für die aktuellen Bebauungspläne. Obwohl einzelne Gebäude wie das Galeria Kaufhof modernisiert und das Einkaufszentrum Alexa hinzugefügt wurden, blieb der ganz große Wandel bisher aus. Der Platz wirkte lange zerschnitten, zugig und wenig einladend.

Die Wolkenkratzer-Debatte in Berlin In Deutschland löst das Thema Hochhäuser und Wolkenkratzer oft eine hitzige Diskussion aus, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern oder europäischen Städten. Auch in Berlin ist die Zukunft der Stadt, insbesondere bezüglich Hochhäusern, umstritten. Der amtierende Berliner Bürgermeister Kai Wegner hat sich nach einer Reise nach New York für den Bau von Hochhäusern ausgesprochen. Die Verantwortung für solche Projekte liegt jedoch bei den Bezirken und dem Senat, die oft zögern, große und spezielle Bauvorhaben zu genehmigen.

Trotz dieser Hürden befinden sich derzeit mehrere Hochhausprojekte rund um den Alexanderplatz in unterschiedlichen Bauphasen oder Planungsstadien.

Aktuelle Projekte im Überblick

1. Mintower: Ein Projekt der Kommerzreal, das sich seit 2024 sichtbar über Straßenniveau erhebt, nachdem die Bauarbeiten seit 2020 primär die Untergeschosse betrafen. Mit 134 Metern Höhe und 50.000 m² Geschossfläche soll er ein neues Wahrzeichen werden. Geplant ist ein Nutzungsmix aus Büro, Einzelhandel und Gastronomie, inklusive eines „Food Culture Market“ in den oberen Geschossen. Bemerkenswert ist, dass 1000 m² dem Land Berlin als mietfreie oder mietreduzierte Gemeinbedarfsfläche zugesichert wurden, wofür die Zentral- und Landesbibliothek als potenzieller Mieter im Gespräch ist. Das benachbarte Galeria Kaufhof wurde teilweise zurückgebaut und soll ab Januar 2026 geschlossen werden, wobei eine Rückkehr ungewiss ist. Der Entwurf stammt vom Architekturbüro Kleihues und Kleihues, die Fertigstellung ist für Ende 2028 geplant. Das Projekt wurde 2023 von Kommerzreal erworben, nachdem der vorherige Eigentümer, die Signa Holding von René Benko, Insolvenz anmelden musste.

2. Covivio Tower: Direkt gegenüber dem Park Inn Hotel entsteht der 133 Meter hohe Covivio Tower mit 33 Obergeschossen. Das Berliner Architekturbüro Sauerbruch Hutton entwarf ein Gebäude, das 60.000 m² Mietfläche für Büros, Wohnungen, Einzelhandel, Gastronomie sowie Kitas bieten soll. Auch Gemeinschaftsflächen, darunter ein 2500 m² großer Dachgarten, sind vorgesehen. Dieses Projekt kämpft jedoch ebenfalls mit Verzögerungen, da Risse in der Tunnelwand der U2-Linie unter dem Alexanderplatz zu einem Baustopp und notwendigen Sanierungsarbeiten führten. Die Fertigstellung wird nun für Mitte 2027 erwartet. Sowohl der Mintower als auch der Covivio Tower legen einen Fokus auf Nachhaltigkeit und nutzen Geothermie, Regenwassernutzung, Photovoltaik und natürliche Belüftungstechniken.

3. Heinz Tower: Mit einer geplanten Höhe von 150 Metern und 39 Etagen soll der Heinz Tower sowohl Wohn- als auch Hotelflächen bieten. Der ursprüngliche Entwurf aus dem Jahr 2014 stammt vom amerikanischen Architekturbüro Gary Partners, wobei Veränderungen am finalen Gebäude vermutet werden. Die unteren 12 Etagen sind für ein Hotel und technische Einrichtungen vorgesehen, während die oberen Stockwerke bis zu 300 Wohnungen unterschiedlicher Größen beherbergen sollen. Der Baustart ist für 2025 geplant. Das Projekt sah ursprünglich ein aus dem Sockel herauswachsendes Hochhaus vor, doch städtebauliche und technische Herausforderungen führten zu einer Verschiebung des Hochhauses am Grundstück. Eine besondere Komplikation ist ein unterirdischer Bunker, der sich auch unter dem Platz befindet, sowie zwei U-Bahn-Röhren. Die Sanierung von U-Bahn-Tunneln, die vier Jahre dauerte und sogar den Bau eines neuen U-Bahnhofs erforderte, ist eine ungewöhnliche Verpflichtung für einen Projektentwickler.

4. Alexander Tower (Capital Tower / Monarch): Dieses vierte geplante Hochhaus, direkt neben dem Einkaufszentrum Alexa, sollte 35 oberirdische und vier unterirdische Geschosse umfassen. In 29 Stockwerken waren 377 Wohnungen unterschiedlicher Größen sowie ein Fitnesscenter, Pool und Spa geplant. Die Bauarbeiten begannen bereits, stehen aber seit Beginn des russischen Angriffskrieges Ende 2022 still. Der armenische Investor Monarch, der seinen Sitz in Moskau hat, setzte den Bau nicht fort. Der Berliner Senat verhängte eine Strafe von 10 Millionen Euro, die jedoch nach derzeitigen Recherchen nicht gezahlt wurde. Monarch sucht nun nach einem Partner oder Käufer für das Projekt, doch es bestehen berechtigte Zweifel, ob es jemals realisiert wird. Der Entwurf stammt von Ordner und Ordner.

Ausblick Gemäß dem ursprünglichen Bebauungsplan sind am Alexanderplatz noch weitere Hochhäuser vorgesehen, konkrete Pläne hierfür sind jedoch aktuell nicht bekannt. Der Alexanderplatz bleibt somit ein Ort der Ambitionen und Herausforderungen, an dem sich die Zukunft Berlins in steinernen Visionen und zähen Bauprozessen widerspiegelt.

Lausitz im Fokus: Das „Net Zero Valley“ zwischen Vision und Energiewende-Skepsis

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Cottbus – Das 12. Cottbuser Stadtgespräch, veranstaltet vom Bürgerforum Cottbus, öffnete jüngst erneut den Debattenraum für die ungefilterte Bürgermeinung. Unter dem provokanten Titel „Net Zero Valley: Die Lausitz als Modellregion – Investition, Illusion, Diskussion“ standen die Zukunft der Region und die Herausforderungen der Energiewende im Mittelpunkt intensiver Debatten. Moderiert von Dirk Flindemann, bot der Abend Einblicke in das ambitionierte Projekt des „Net Zero Valley“ und konfrontierende Perspektiven zur deutschen Energiepolitik.

Das „Net Zero Valley“: Bürokratieabbau für die Industrieansiedlung
Dr. Markus Negemann, Beigeordneter und Kämmerer der Stadt Cottbus sowie ein Verfechter des „Net Zero Valley“, präsentierte die Vision einer Modellregion, die entgegen gängiger Missverständnisse nicht primär auf Klimaschutz oder Emissionsfreiheit abzielt. Vielmehr, so Negemann, gehe es um den Abbau von Bürokratie und die Ansiedlung von Industrieunternehmen. Er räumte ein, dass dies kurzfristig sogar zu mehr CO2-Emissionen in der Region führen könnte.

Das Konzept des „Net Zero Valley“ basiert auf zwei wichtigen EU-Verordnungen vom Mai 2024: dem „Critical Raw Materials Act“ zur Stärkung der Resilienz bei kritischen Rohstoffen und dem „Net Zero Industry Act“. Dieser Act definiert 19 strategische Technologien (wie Batteriespeicher, Wasserstofftechnologien, intelligente Stromnetze, synthetisches Kerosin und Kernkraft), in die weltweit Milliardensummen investiert werden. Europa verliere jedoch den Anschluss bei der Produktion, da der Großteil der Investitionen nach Asien und Nordamerika fließe. Ziel des Acts sei es, diese Produktion in die EU zu holen, und die Lausitz wolle hier eine Vorreiterrolle spielen.

Ein zentraler Wettbewerbsnachteil Europas sei die langsame Genehmigungsverfahren. Während in China oder Nordamerika eine Fabrik in einem halben bis einem Jahr genehmigt werde, dauere dies in Europa drei bis fünf Jahre. Das „Net Zero Valley“ soll durch schnellere Genehmigungsprozesse, Bürokratieabbau in verschiedenen Rechtsgebieten (Datenschutz, Beihilfe-, Baurecht), gezielte Qualifizierungsprogramme (Net Zero Academy) und flexiblere Fördermittelanwendung Investitionen in diesen Technologien anlocken.

Die Lausitz, bestehend aus Industrie- und Handelskammern, Landkreisen und Städten, hat die Chance frühzeitig erkannt. Eine Task Force, der Dr. Negemann vorsteht, erarbeitete eine Bewerbung, die bereits im März als erster Antrag in ganz Europa dem zuständigen EU-Kommissar übergeben wurde. Das „Valley“ umfasst die gesamte Lausitz, fokussiert sich aber auf elf ausgewählte Industriegebiete mit über 800 Hektar Fläche. Die Region konzentriert sich auf Technologien rund um Batterie- und Energiespeicherlösungen, intelligente Stromnetze, Power X und Sektorenkopplung. Aktuell werde an der vorgeschriebenen strategischen Umweltprüfung gearbeitet, um im Oktober die offizielle Ausweisung als „Net Zero Valley“ zu erhalten. Negemann betonte die enge Zusammenarbeit mit anderen deutschen Initiativen wie der Weser-Ems-Region und hob hervor, dass die Lausitz hier schneller sei, obwohl sie als Kommunen agierten. Er verwies auf die Webseite netzerovalley.de für weitere Informationen.

Die ernüchternde Realität der Energiewende
Kontrastierend dazu präsentierte Lutz Hartig, Kraftwerks- und Diplomingenieur für Energiewirtschaft, eine kritische Analyse der Energiewende. Er stellte die Kernfrage, ob die bis 2045 angestrebte klimaneutrale Energiewende überhaupt möglich, sicher, umweltverträglich und bezahlbar sei, und zitierte den Bundesrechnungshof, der diese Frage mit „Nein“ beantwortet.

Hartig kritisierte die geringe gesicherte Leistung von Photovoltaik (0%) und Windkraft (6%), die einen enormen Bedarf an Backup-Kraftwerken, Elektrolyseuren, Wasserstoffspeichern und Batterien erforderten. Diese Systemkosten würden jedoch oft unterschlagen. Er verdeutlichte, dass Deutschland immer noch zu 80% auf fossile Energien angewiesen sei und Wind- und Solarenergie zusammen nur knapp 8% des Gesamtenergiebedarfs deckten. Die Behauptung der Regierung, 50% der Elektroenergie kämen aus Erneuerbaren, beziehe sich lediglich auf den Stromsektor, nicht auf Wärme und Verkehr.

Hartig präsentierte Berechnungen, die Atomstrom als die preiswerteste Energieerzeugungsart auswiesen, bei 2 Cent pro Kilowattstunde – ein Preis, den Deutschland erreicht hatte, als 30% des Stroms aus Kernenergie stammten. Die Stilllegung der deutschen Kernkraftwerke habe rund 500 Milliarden Euro gekostet und keine CO2-Einsparungen bewirkt. Die zunehmende Volatilität des Netzes führe zu einer dramatischen Zunahme der Netzbetreiber-Eingriffe – von etwa 10 im Jahr 2000 auf über 5.000 im ersten Quartal dieses Jahres. Er argumentierte, dass das System zunehmend unsicher werde und die Kosten explodierten.

Die globale Realität zeige einen Anstieg des Energieverbrauchs, wobei fossile Energien 77% ausmachten und die Kernkraft nicht signifikant gestiegen sei, da sie ohne CO2-Abscheidung teurer sei als Kohle oder Gas. Hartig zeigte auf, dass der Power-to-X-Prozess zur Wasserstofferzeugung mit 75% Energieverlust behaftet sei. Er betonte, dass eine Kernkraftvariante pro Jahr 160 Milliarden Euro einsparen könnte, keine Gaskraftwerke, Elektrolyseure oder Wasserstoffspeicher benötigte und die Netzkapazität um 75% reduziert werden könnte. Er kritisierte zudem, dass Deutschland eigene Gasvorkommen ignoriere und CCS-Technologien verbiete. Auch die Sprengung des modernen Kraftwerks Moorburg, das für eine CO2-Abscheideanlage prädestiniert gewesen wäre, sei ein Beispiel für Fehlentscheidungen.

Hartig wies darauf hin, dass viele hochentwickelte Industrieländer wieder stärker auf Kernenergie setzten und sich die EU-Kommission ebenfalls für den Ausbau stark mache. Er hob die Sicherheit von Kernkraftwerken hervor, deren Betrieb und Endlagerung als gefahrlos machbar gelten, wenn alle Vorschriften eingehalten werden. Die Entlagerung sei nur deswegen so teuer, weil sie nicht gewollt sei; tatsächlich existierten toxische Abfalllager, die giftigeren Müll aufnähmen. Zudem seien Brennstäbe zu 100% wiederverwertbar, und Deutschland verfüge über Kernbrennstoff für 500 Jahre Energieerzeugung. Hartig pries Small Modular Reactors (SMRs) als sichere, kostengünstige und flexible Lösung für die Zukunft, die auch die Abfallproblematik lösen könnten und international stark vorangetrieben würden, aber in Deutschland ignoriert.

Diskussion: Von CO2-Nutzen bis zur politischen Legitimation
Die anschließende Diskussionsrunde zeigte die breite Palette an Meinungen und Frustrationen des Publikums. Eine Frage zum Recycling von Solarpanelen und Windradflügeln hob die Schwierigkeiten hervor, während Kernkraft als vollständig recycelbar dargestellt wurde.
Kritik wurde an den im „Net Zero Valley“-Antrag genannten Projekten wie der Gigawatt-Fabrik der LEAG, Rocktech Lithium in Guben und dem Hydrogen-Projekt in Jänschwalde geäußert, da diese in Verzug seien oder Finanzierungsprobleme hätten. Dr. Negemann räumte Verzögerungen ein, betonte aber die strategische Bedeutung der Projekte und die Notwendigkeit, Pipeline-Projekte für die Bewerbung darzustellen.

Eine emotionale Debatte entzündete sich um CO2. Ein Zuhörer forderte eine „Lanze für das ach so giftige CO2“ und argumentierte, es sei essenziell für Pflanzen und die Begrünung der Erde. Er bezeichnete die gesamte CO2-Diskussion als „Schwachsinn“, die nur der Rechtfertigung der CO2-Steuer diene. Es wurde angeführt, dass Deutschland nur einen winzigen Bruchteil des globalen CO2-Ausstoßes verursache.

Die Frage nach der Energiesicherheit nach dem Kohleausstieg, insbesondere im Hinblick auf Polens Kernkraftausbau, wurde gestellt. Dr. Negemann konnte hier keine konkrete Antwort geben und verwies auf den Import von Atomstrom aus anderen Ländern, der jedoch Wertschöpfung ins Ausland verlagere. Er äußerte jedoch Optimismus bezüglich zukünftiger technologischer Fortschritte bei der Energiespeicherung.

Ein wiederkehrendes Thema war die allgemeine Bürokratie und die Frage, warum nicht generell die Bedingungen für Unternehmen verbessert, sondern stattdessen „Sonderwirtschaftszonen“ geschaffen würden. Dr. Negemann verteidigte das „Net Zero Valley“ als eine Chance, die Experimentierklausel des EU-Gesetzes zu nutzen, um von bestehender Regulatorik abzuweichen. Er betonte, dass die Lausitz Vorschläge mache, wie dies konkret umgesetzt werden könne, und dass dies eine „Riesenchance“ für die Region sei.

Die Rolle der Politik und die Entmündigung der Gesellschaft durch hohe Steuern und Subventionen wurden ebenfalls kritisch beleuchtet. Ein Zuhörer plädierte für eine „komplette Reform in diesem Land“ und mehr Freiheit für die Wirtschaft.

Schließlich wurde die Frage nach der Legitimation der „Lausitz“ aufgeworfen, die sich für das Projekt bewirbt. Dr. Negemann erklärte, dass ein achtköpfiges Gremium aus Vertretern der IHKs, HWKs, Landkreise und kreisangehörigen Städte und Gemeinden die politische Legitimation habe, da diese Vertreter gewählt oder durch Mitgliedschaften in Kammern legitimiert seien.

Der Abend endete mit der Erkenntnis, dass die Debatte um die Energiepolitik und die Zukunft der Lausitz weit über das Technische hinausgeht und tief in Fragen von Vertrauen, politischer Steuerung und gesellschaftlichen Werten verwurzelt ist. Das Bürgerforum Cottbus wird die Diskussionen am 11. September mit einem Themenabend zum Bargeld und am 1. August mit dem nächsten Stadtgespräch zur „Agenda 2030“ fortsetzen.

Der Schwimmer, der der Ostsee und der Stasi trotzte

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Boltenhagen an der Ostsee, Sommer 1969. Die Suchscheinwerfer der DDR-Grenztruppen streifen über die Dünen, der Strand ist nachts Sperrgebiet. Doch ein 19-jähriger Mann namens Axel Mitbauer versteckt sich in einem Strandkorb. Sein Ziel: die Flucht über die eiskalte Ostsee in den Westen. „Wenn man mich gegriffen, auf jeden Fall ’nen Schauprozess gemacht und dann wäre ich für Jahre gekommen. Ich hätte nichts mehr machen können, mein Leben wäre komplett zu Ende gewesen“, erinnert sich Mitbauer. Es war der Wettkampf seines Lebens gegen die Kälte der Ostsee, für den seine Mutter ihn mit Vaseline einrieb, mehr konnte sie für ihren einzigen Sohn nicht tun.

Vom Liebling der DDR zur Staatsfeind-Hoffnung
Axel Mitbauer war ein Ausnahmetalent, ein „Lieblingskind der DDR“. Mit acht Jahren wurde sein Schwimmtalent entdeckt, er kam auf eine Sportschule in Leipzig, trainierte sechs, sieben Stunden am Tag. Der Sport war seine Heimat, seine Familie, wo er ein wunderbares Leben führen durfte. Mitbauer wurde zweimaliger DDR-Meister. Doch trotz seiner privilegierte Stellung im Sport wollte er abhauen.

Die erste konkrete Fluchtmöglichkeit bot sich 1968 bei einem Wettkampf in Budapest. Heimlich sprach er einen westdeutschen Schwimmer und dessen Trainer Werner Ufer an, die ihm ihre Hilfe zusicherten. Mitbauer hätte sich am liebsten nach einem Wettkampf ins Auto gesetzt und wäre mit den beiden in die Bundesrepublik Deutschland gefahren. Eine andere Vereinbarung sah vor, dass Ufer ein Passbild von Mitbauer bekommen sollte, um in Essen einen ähnlich aussehenden jungen Mann zu finden, dessen Pass auszuleihen. Man hätte Mitbauer dann in Österreich oder Italien abgeholt, wo er politisches Asyl beantragen konnte.

Das Stasi-Drama von Hohenschönhausen
Wenige Wochen später, im Juli 1968, trat Werner Ufer bei den Deutschen Meisterschaften in West-Berlin an. Vor den Fernsehinterviews übergab er seinem Trainer einen Brief für Mitbauer, der Informationen zu dessen geplanter Flucht enthielt. Doch Ufer legte die Briefe auf die Ablage im Auto, wo sie bei einer Kontrolle gefunden wurden. „Was sind das für Briefe?“, fragte der Kontrolleur, und Ufer wurde festgenommen. Er landete im berüchtigten Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen.

Noch am selben Tag wurde auch Axel Mitbauer verhaftet. Wochenlang verhörte die Stasi den DDR-Schwimmer und den BRD-Trainer. Mitbauer saß in Haft, während in Mexiko die Olympischen Spiele begannen, wo zum ersten Mal Deutschland West und Deutschland Ost mit eigenen Mannschaften gegeneinander antraten – und Mitbauer, eine DDR-Medaillenhoffnung, fehlte. Die Stasi versuchte, Mitbauer zum Spitzel zu machen. Er sollte Aussagen machen, die den Trainer als „Menschenhändler“ belasten würden, um eine großangelegte Propagandaaktion gegen die Bundesrepublik wegen „organisiertem Menschenhandel im Sport“ zu starten. Doch Mitbauer blieb standhaft.

Nach sieben Wochen kam Mitbauer frei, während Ufer neun Monate in Haft blieb und dann ausgetauscht wurde. Die Stasi machte Mitbauer klar, dass er in der DDR keine sportliche Zukunft mehr hatte. Man sperrte ihn „lebenslang für alle Sportarten“.

Der mutige Sprung in die Freiheit
Mit seinen 19 Jahren war seine Karriere zerstört. Auf einer Party erfuhr Mitbauer vom Ostseebad Boltenhagen, von dem aus man das westdeutsche Ufer erkennen konnte. Er schätzte die Entfernung in seinem DDR-Schulatlas auf 30 km. Eines Tages sagte er spontan zu seiner Mutter: „Ich schwimme von da nach da“.

Mit dem Zug fuhr Mitbauer zur Ostsee, verfolgt von zwei Mitarbeitern der Staatssicherheit. Als der Zug in Schwerin hielt und wieder anfuhr, warf er sein Zeug raus und sprang ab. Er versteckte sich auf einem Zeltplatz an der Küste, seine Mutter kam später nach. Eine Woche lang beobachtete er die Grenzpatrouille. Der Suchscheinwerfer musste einmal pro Stunde eine Minute lang abkühlen – in dieser Zeit musste Mitbauer Strand und Sandbänke überwinden, um ins tiefe Wasser zu gelangen.

Als der Moment gekommen war, rannte er los, ohne oben zu schwimmen oder zu strampeln, er tauchte einfach ins Wasser. Seine Mutter schlich zum Zelt und nahm den Frühzug zurück nach Leipzig. Kurz danach kam die Stasi und fragte sie nach ihrem Sohn. Sie log, ihr Sohn habe einen Fluchtversuch unternommen, aber sei erschossen worden. Zwei Stunden lang weinte sie – die Stasi wusste nicht, wie sie mit ihr umgehen sollte.

Rettung und ein neues Leben
Nach vier Stunden Kampf mit der Ostsee, seine einzige Orientierung waren die Sterne, erreichte Axel Mitbauer gegen ein Uhr nachts eine Boje kurz vor dem bundesdeutschen Ufer. Er hievte sich hoch und verbrachte sieben Stunden bei Windstärke 5 auf der Boje. Am frühen Morgen entdeckte er ein Passagierschiff auf dem Weg nach Travemünde. Er winkte, ein Mann sah ihn und informierte den Kapitän. Zuerst dachte der Kapitän, Mitbauer sei lediglich jemand, der Bojen wartet. Doch als sie mit einem Feldstecher genauer hinsahen, erkannten sie, dass es sich um einen einzelnen Mann handelte.

Die Fähre drehte, kam zurück, und Mitbauer wurde mit einer Strickleiter an Bord geholt, in Decken gehüllt und in die Kajüte des Ersten Offiziers gebracht. Dort bekam er „das schönste Steak seines Lebens“.

In der Bundesrepublik wurde die Flucht des DDR-Schwimmers als Sensation gefeiert, Mitbauer wurde zum Helden des Kalten Krieges. Die Stasi war blamiert und reagierte sofort mit der totalen Überwachung des DDR-Sports. Neue Richtlinien von 1971 führten zu einer „totalen Erfassung“ nicht nur der Sportler selbst, sondern ihres gesamten Umfelds – eine gigantische Aufgabe.

Axel Mitbauer ist heute ein erfolgreicher Schwimmtrainer in Karlsruhe. Seine Mutter durfte sechs Jahre nach seiner Flucht aus der DDR ausreisen. Im Westen wurde er noch Europameister. Als Trainer arbeitete er überall, auch in Italien und der Schweiz, aber nie im Osten, nie in seiner Heimatstadt Leipzig. Er weiß, dass er für manche dort immer noch der „Republikflüchtling“ ist, aber für die meisten ist er derjenige, „der letztendlich den richtigen Weg gewählt“ hat.

Axel Mitbauer hat einen Sohn, ein Schwimmtalent wie der Vater und bereits deutscher Jugendmeister. Erstmals nach 40 Jahren zeigte Mitbauer seinem Sohn den Strand, an dem sich sein Leben entschieden hatte. Es war der Beginn seines neuen Lebens. Axel Mitbauer hatte Mut und Glück. Fast 200 Menschen jedoch starben bei dem Versuch, über die Ostsee zu flüchten.

Jena und Oberkochen – Die Saga von Carl Zeiss

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Im Februar 1995, kurz vor dem 150-jährigen Firmenjubiläum, hing das Schicksal der traditionsreichen Weltfirma Carl Zeiss Jena am seidenen Faden. Aus den Werkslautsprechern hallte „Spiel mir das Lied vom Tod“. Fünf Jahre nach der Wende stand das Unternehmen, einst ein leuchtendes Beispiel deutscher Ingenieurskunst, kurz vor dem Aus. Tausende Mitarbeiter gingen auf die Straße, beschworen den „Zeissianer-Geist“ – eine Mischung aus Chorgeist, Familienverbundenheit und außergewöhnlicher Präzision. Dieser Geist, vor 150 Jahren von Carl Zeiss und Ernst Abbe in Jena verankert, hatte das Unternehmen durch Krisen getragen.

Der Mythos „Zeissianer“ Was machte einen „echten Zeissianer“ aus? Es war die akkurate und genaue Arbeitsweise, die Kollektivität und ein einzigartiges Fingerspitzengefühl, um Werte bis auf zehntausendstel Millimeter genau zu erreichen. Hingabe und Begeisterung für den Beruf über Jahrzehnte waren gefordert. Die Ansprüche an handwerkliche Fähigkeiten waren in Jena höher als anderswo; erst nach drei Jahren Einarbeitung galt ein auswärtiger Arbeiter als echter Zeissianer. Es war eine „Elite-Schmiede“, eine „Insel des sozialen Friedens“, die in ihren ersten hundert Jahren nur einen einzigen Streik erlebte. Viele fühlten sich als Miteigentümer und arbeiteten dementsprechend mit großer Hingabe. Dieser einzigartige Stamm an Fachkräften, der über ein Jahrhundert gewachsen war, galt als unersetzliche Kraftquelle des Werkes.

Vom Ein-Mann-Betrieb zum Weltkonzern Die Geschichte begann 1846 in Jena, als der 30-jährige Mechanikermeister Carl Zeiss eine Werkstatt für Feinmechanik und optische Geräte gründete. Anfangs unterschieden sich seine Lupen und Mikroskope kaum von anderen. Doch mit dem Physiker Ernst Abbe kam der Durchbruch. Abbe, der von engagierten, motivierten Mitarbeitern träumte, wandelte die Firma 1889 in ein Stiftungsunternehmen um. Seine sozialen Reformen – Acht-Stunden-Tag und Gewinnbeteiligung – waren damals revolutionär. Carl Zeiss Jena stieg zum größten Optikkonzern der Welt auf, getrieben auch durch das Militärgeschäft, das enorme Umsätze und Produktionssteigerungen brachte.
Die Zerreißprobe des Kalten Krieges Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte die wohl folgenschwerste Zäsur. Jena wurde den Sowjets zugeschlagen. Spezialtruppen des US-Geheimdienstes hatten das Zeiss-Know-how-Zentrum in Jena bereits im Visier. Unter dem Codenamen „Operation Overcast“ – später „Operation Paperclip“ – wurden führende Köpfe von Zeiss und Schott von den Amerikanern abtransportiert. Ziel war es, „die Köpfe“ der Werke zu nehmen, was Professor Bauersfeld, ein Zeiss-Senior, damals als „Abschlagen der Köpfe“ der Werke bezeichnete.

Vor der Übergabe Jenas an die Sowjets war die Aktion „Take the Brain“ abgeschlossen: Über 80.000 Werkszeichnungen und 84 Zeiss-Eliten, die gesamte „Zeiss-Spitze“, wurden abtransportiert. Viele verließen Jena mit dem Bewusstsein, dass es für Zeiss und für sie persönlich verloren war.

Doch das war nur der Anfang. Am 22. Oktober 1946 starteten die Sowjets die „Aktion Ossawakim“. Fast 300 Wissenschaftler und Ingenieure, darunter führende Zeissianer, wurden deportiert, parallel dazu wurden 94 Prozent der Anlagen demontiert und ebenfalls in die Sowjetunion geschickt. Viele dieser Maschinen kamen nie wieder zum Einsatz.

Zeiss West: Der Aufstieg in Oberkochen Das von den Amerikanern nach Süddeutschland deportierte Zeiss-Management begann in Oberkochen, einem kleinen Dorf, ein neues Unternehmen aufzubauen. Man wollte als Gruppe zusammenbleiben, um zu verhindern, dass das wissenschaftliche Potenzial sich in alle Winde zerstreute. Obwohl es Herausforderungen gab, geeignete Mitarbeiter zu finden – der Zustrom aus Jena reichte nicht aus – und die „pingeligen“ Zeissianer aus Jena bei den Einheimischen in Oberkochen nicht immer beliebt waren, stieg Zeiss West allmählich zu einem „Paradebeispiel deutschen Wirtschaftswunders“ auf.

Zeiss Ost: Trotz Demontage und Isolation In der sowjetisch besetzten Zone war die Lage wesentlich komplizierter: Deportation, Demontage, zunehmende Isolation von den Westmärkten und Abwanderung. Doch trotz aller Tiefschläge blieb das „Wir-Gefühl“ intakt. Die Produktion lief wieder an, und die Auftragsbücher füllten sich, da die Sowjets zum besten Kunden der Fabrik avancierten. Der Wiederaufbau aus dem Schutt des Krieges gelang durch den Mut und Fleiß der Arbeiter und der technischen Intelligenz. Bereits vier Jahre nach dem Zusammenbruch waren die Weichen wieder auf Erfolg gestellt, und Zeiss Jena exportierte in alle Teile Deutschlands und ins Ausland.

Unter Generaldirektor Wolfgang Biermann, der Mitte der 1970er Jahre einen neuen Arbeitsstil einführte, blieb das Kombinat Carl Zeiss ein gigantisches Unternehmen mit internationalem Renommee. Es produzierte Optik und Präzision für den Aufbau des Sozialismus. Mit der Multi-Spezialkamera MKF 6, die 1976 an Bord von Sojus 22 in den Kosmos startete, beteiligte sich die DDR erstmals am bemannten Weltraumflug der UdSSR – ein Paradebeispiel für die Leistungskraft des optischen Riesen. Auch das ehrgeizige Mega-Chip-Projekt, das Zeiss Jena von westlichen Zulieferern unabhängig machen sollte, war ein Erfolg, wenn auch ökonomisch fragwürdig und hochpolitisch wegen des Embargos.

Der Markenstreit: Ein gnadenloser Kampf Die Trennung war programmiert. Aus Kollegen wurden allmählich Konkurrenten. Zeiss Oberkochen begann, Carl Zeiss Jena von den angestammten Märkten zu verdrängen. Ab 1954 begann eine beispiellose Prozesslawine um den guten Namen Zeiss. Hunderte von Prozessen in über 60 Ländern entbrannten, die erst 1971 mit dem Londoner Kompromiss endeten: Die Jenenser durften ihre Produkte fortan nur noch im Osten unter dem Namen Zeiss vertreiben, während die Oberkochener sich den Namen Zeiss für die westlichen Märkte sicherten.

Die Wiedervereinigung: Hoffnung, Schock und Neubeginn Mit dem Ende der DDR 1989/90 war auch das Schicksal des VEB Carl Zeiss Jena besiegelt. Die einstigen „Klassenfeinde“ aus Jena und Oberkochen sollten zusammenwachsen. In Jena kursierte der Slogan „Wächst zusammen, was zusammengehört“. Doch die Euphorie wich schnell der Ernüchterung. Zeiss Jena rutschte ins Nichts; die Ostmärkte, die 80 Prozent des Umsatzes ausmachten, brachen über Nacht weg. Die Belegschaft schmolz innerhalb von sechs Monaten auf 15.000 Mitarbeiter zusammen. Es herrschte Angst, die Mitarbeiter fühlten sich als „Spielball“.

Das Management in Oberkochen wurde kritisiert, weil es „niemals die Absicht hatte, diesem Standort […] eine Perspektive zu geben“. Der gesamte Zeiss-Konzern schrieb rote Zahlen. Peter Grassmann, von Siemens geholt, wurde neuer Vorstandschef in Oberkochen. Er sollte frischen Wind bringen und verstand, dass im Westen oft das Verständnis für den Stolz des Ost-VEB und im Osten das Gefühl für eine effiziente Wirtschaftsstruktur fehlten. 1995 wurde die entscheidende Weichenstellung getroffen: Ganze Geschäftsfelder sollten von Oberkochen nach Jena verlagert werden – eine neue Chance für den alten Standort.

Lothar Späth, der 1991 von der Treuhand nach Jena gerufen wurde, krempelte die Stadt um. Aus dem VEB-Nachfolger wurden zwei große Firmen: die Carl Zeiss Jena GmbH als Tochterfirma von Zeiss Oberkochen und die Jenoptik GmbH mit Späth an der Spitze. Späth setzte auf radikale Lösungen, was auch den Abriss des historischen Hauptwerkes im Stadtzentrum bedeutete – ein Schock für viele alte Zeissianer. Trotz des Schmerzes und Unverständnisses für den Abriss alter Wurzeln, die für viele eine „Zerschlagung des Werkes“ bedeuteten, wurde in Jena mehr erhalten als anderswo in der ehemaligen DDR.

Ein neues Kapitel: Der Geist von Jena lebt weiter 150 Jahre nach der Firmengründung ist Jena nicht mehr der einzige Zeiss-Standort, aber wieder ein wichtiger. Im umgebauten ehemaligen Südwerk haben die verbliebenen Zeissianer ein neues Zuhause gefunden. Im Jubiläumsjahr kehrte sogar die Mikroskopie, der Geschäftsbereich der Gründerzeit, zurück. Die „große Zeiss-Familie“ ist wieder enger zusammengerückt. Trotz aller Querelen zwischen den Standorten ist die Kontinuität des Namens Carl Zeiss in aller Welt registriert. Es gilt nun, jeden Tag neu zu beweisen, dass die Produkte konkurrenzfähig sind und jeder sein Bestes gibt. Der Traum von einem Optik-Mekka an der Saale, einem neuen High-Tech-Zentrum, lebt in Jena weiter.

Das Warten auf den „Plastikbomber“: Eine Geduldsprobe in der DDR

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Stellen Sie sich vor, Sie bestellen heute Ihr Traumauto und bekommen es erst, wenn Ihr Enkel selbst den Führerschein macht. Was heute unvorstellbar klingt, war in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) für Hunderttausende Bürger Realität: das schier endlose Warten auf den Trabant. Eine Geschichte von Frust, Fantasie und unvergleichlichen Momenten, die eine ganze Generation prägte und zum Sinnbild des DDR-Alltags wurde.

Die Anmeldung: Der erste Schritt auf einer endlosen Warteliste
Ab dem 18. Lebensjahr öffnete sich für DDR-Bürger die erste Tür zum eigenen Auto – zumindest auf dem Papier. Der Weg führte zum VEB IFA Vertrieb, wo ein Bestellschein ausgefüllt wurde. Dies war jedoch kein Kaufvertrag, sondern lediglich eine Anmeldung für eine „endlose Warteliste“, die weder einen festen Liefertermin noch eine Vorauszahlung kannte. Die Auswahl war dabei erstaunlich gering: Meistens wurden der Trabant 601 oder der Wartburg 353 bestellt. Importfahrzeuge wie der Lada aus Moskau oder der Skoda aus Prag tauchten zwar auch auf dem Formular auf, boten aber keine besseren Lieferfristen und blieben oft Platzhalter. Auch die Wahl von Farbe oder Extras war unsicher; wer auf einen Trabant in Pastelltönen hoffte, musste notfalls einen papyrusweißen Standard-Trabi akzeptieren. Vorauszahlungen waren nicht möglich; Geld wurde erst bei der Auslieferung fällig, was vielen Bestellern ermöglichte, Anträge einzureichen, auch wenn sie sich das Auto nicht sofort leisten konnten.

Jahre, Jahrzehnte des Ausharrens
Anfang der 1960er-Jahre, als die heimische PKW-Produktion gerade anlief, rechnete man noch mit überschaubaren zwei bis drei Jahren Wartezeit für einen Wartburg 311 oder die ersten Trabant-Modelle. Doch bereits 1966 stieg der Durchschnittswert auf rund sechs Jahre. Mit der Einführung des kultigen Trabant 601 Anfang der 1970er-Jahre explodierte die Nachfrage förmlich, und die Zahl der Anträge überstieg die Fertigungskapazitäten bei Weitem. Dies führte zu einem Spitzenwert von bis zu 17 Jahren Lieferzeit. Wer 1960 bestellte, konnte sein Auto oft erst Mitte der 1980er-Jahre abholen. In den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren stabilisierte sich die Frist auf immer noch 12 bis 15 Jahre. Regionale Unterschiede gab es je nach Kontingenten und Bevölkerungsdruck; während Besteller in Halle oder Magdeburg im Schnitt 12,5 Jahre warteten, waren es in Großstädten wie Berlin eher 15 Jahre. Selbst 1988, kurz vor dem Ende der DDR, standen 488.000 offene Bestellungen nur 146.000 Jahresauslieferungen gegenüber – ein Stau, der Jahr für Jahr wuchs und zum Sinnbild des Wartens wurde.

Hürden und das „liebe Geld“
Neben der Wartezeit gab es weitere Hürden. Ein fester Wohnsitz in der DDR war Pflicht; Nachweise von Ferienaufenthalten im Ausland wurden nicht akzeptiert. Ein fabrikneuer Trabant kostete 8.000 bis 10.000 Mark, ein Wartburg sogar 16.000 bis 20.000 Mark – das entsprach etwa acht bis zehn durchschnittlichen Monatsgehältern eines Industriearbeiters. Ratenzahlungen gab es nicht. Wer nicht bar zahlen konnte, musste jahrelang diszipliniert sparen und hoffen, dass die Preise bis zur Auslieferung stabil blieben. Vorschriften verlangten weder eine Garage noch eine Stellplatzbescheinigung; Versicherungspapiere wurden erst bei der Übergabe geprüft.

Abkürzungen und Grauzonen
Trotz der langen Wartezeiten gab es einige „Abkürzungen“, die jedoch ihren Preis hatten. Der sogenannte „Familientrick“ ermöglichte es Oma, Opa, Mama und Teenager, sich parallel zu registrieren, obwohl pro Person nur eine Bestellung erlaubt war. So kam mancher Trabi nach 12 bis 15 Jahren genau dann in die Familie, wenn der Enkel den Führerschein machte. Sonderkontingente für Rentner, Funktionäre oder Großfamilien konnten die Wartezeit auf etwa acht bis zehn Jahre reduzieren, blieben aber seltene Ausnahmen im Mangelalltag.

Der Gebrauchtwagenmarkt bot sofortige Mobilität, doch zu astronomischen Preisen. Ein fünf Jahre alter Trabant wechselte für fast den Neupreis den Besitzer; ein zwölf Jahre gebrauchter Wagen kostete immer noch rund 8.000 Mark, fast so viel wie ein Neuwagen. Wer nicht ein weiteres Jahrzehnt warten wollte, zahlte lieber drauf und fuhr sofort los. Tauschgeschäfte waren an der Tagesordnung, mit skurrilen Aushängen wie „Tausche Wartburg gegen Lader“. Grauzonen wie Unfallwagenpapiere oder Kennzeichenhandel öffneten weitere Möglichkeiten, und an manchen Auslieferungstagen wurde in den Autolagern heimlich versteigert, wobei der Höchstbietende den Wagen mit nach Hause nahm. „Vitamin B“ – gute Beziehungen im IFA Vertrieb – war Gold wert. Ein Onkel in der Auslieferungsstelle konnte verraten, welche Farbpalette demnächst eintraf, oder ein Freund sicherte eines der raren Radiosets oder Kunstledersitze – Extras, die offiziell nie garantiert waren.

Importe aus Moskau, Prag oder Bukarest (Lada, Skoda, Dacia) klangen verlockend, doch die Lieferfristen lagen oft gleich hoch oder darüber, bis zu 17 Jahre Wartezeit waren dokumentiert. Die meisten dieser Kontingente gingen ohnehin direkt an Staatsbetriebe oder in den Export. Die radikalste Abkürzung war der Genex-Katalog: Westdeutsche Verwandte zahlten in D-Mark, und binnen weniger Wochen stand der Trabant in der heimischen Garage. Für manch Unentwegten, dem das alles zu kompliziert war, boten Mopeds wie Simson Schwalbe oder MZ eine Alternative für sofortige oder kurzfristige Abholung und ein Stück Freiheit.

Der Triumph der Geduld: Die Auslieferung
Nach Jahren des Wartens änderte ein einziger Brief alles: die Lieferbereitschaftsanzeige. Plötzlich lag in der Hand, was zuvor nur ein unerreichbarer Traum war. Nur wenige Tage blieben, um den Autokauf in die Realität umzusetzen. Die Anreise zum Auslieferungslager glich einer kleinen Pilgerfahrt; Familien quetschten sich in Züge oder alte Familienwagen, oft brachen sie vor Sonnenaufgang auf. In den Fabrikhallen standen die neuen Trabis und Wartburgs in endlosen Reihen. Am Schalter wurde die jahrelange Anmeldung zum verbindlichen Kaufvertrag. Das Sparbuch wurde aufgeschlagen, Bündel Bargeld – bis zu 10.000 Mark – auf den Tresen gelegt. Versicherungspapiere wurden geprüft, Zulassungsunterlagen abgestempelt. Ein tiefer Atemzug, als der Beamte den Stempel setzte: Der Trabant gehörte einem.

Der Moment der Schlüsselübergabe, das Öffnen der Tür und der unverwechselbare Geruch von Duroplast, Lack und Leder waren einmalig. Die erste Fahrt war ein Triumph der Geduld. Familienangehörige folgten als Eskorte zu Fuß oder im alten Wagen.

Mehr als nur ein Auto: Symbol und Gemeinschaft
Nach Jahren des Wartens wurde der Trabant weit mehr als bloß ein Auto. Er avancierte zum Statussymbol und einem greifbaren Stück Freiheit im grauen DDR-Alltag. Wo Straßenbahn und Bus ausfielen, bedeutete der eigene Trabi Unabhängigkeit für spontane Ausflüge, Einkäufe in entlegenen Dörfern oder einfach das Privileg, den Tag nach eigenem Takt zu gestalten. Die emotionale Achterbahn zwischen Absagebriefen und der Lieferbereitschaftsanzeige formte eine ganze Generation. Viele Zeitzeugen erinnern sich, wie ihr Herz beim ersten Knatterstart des Zweitakters schneller schlug.

Gleichzeitig entstand eine gelebte Nachbarschaftssolidarität. Fahrgemeinschaften wurden zur Selbstverständlichkeit. Tankstellen und Werkstätten mutierten zu Stammtischen, wo man Tipps für das Einfahren des Motors austauschte, nach seltenen Ersatzteilen suchte und über den schrägen Sound beim Kaltstart lachte. Fremde wurden per Daumen hoch auf der Landstraße eingeladen – ein Akt gegenseitiger Hilfe, geboren aus der Knappheit.

Doch nicht alle hatten die gleichen Chancen. Sonderkontingente für Rentner, Parteifunktionäre oder Genex-Kunden übersprangen die Warteliste um Jahre. Wer von diesen Vergünstigungen profitierte, war bei Freunden und Nachbarn schnell verhasst; Neid war an der Tagesordnung. Auch bei Scheidungen kämpften Eheleute um den wertvollen Trabi, da er neben Wohnung und Sparbuch die größte materielle Ressource war.

Bis heute lebt die Faszination weiter. Über 200 Trabant-Clubs pflegen das Erbe mit Ausfahrten, Schraubertreffen und Restaurationsprojekten. Museen wie das DDR Museum in Berlin erzählen anhand von Originaldokumenten, wie der Trabant Identität, Zusammenhalt und den unbezähmbaren Ostgeist prägte. Dieser emotionale Kosmos spannt den Bogen von persönlichem Triumph über gelebte Solidarität bis hin zu gesellschaftlicher Ungleichheit und machte das Warten auf den Trabant zu einem epochenprägenden Kapitel in der Alltagsgeschichte der DDR.

Usedom: Wo Geschichte auf Sonnenstrahlen trifft und die Seele atmet

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Deutschlands Sonneninsel, die Badewanne Berlins – Usedom trägt viele Namen. Doch egal, wie man sie nennen mag, das Eiland in der Ostsee, umflossen vom Peenestrom und gesäumt von scheinbar endlosen Stränden, ist eine Region voller Kontraste und faszinierender Geschichten. Von mondänen Kaiserbädern bis zu den Spuren bahnbrechender Technologie, von malerischen Fischerdörfern bis zu historischen Herrensitzen – Usedom bietet eine unvergleichliche Mischung aus Natur, Kultur und Erholung.

Historisches Echo und maritime Gegenwart Der Name Usedom selbst birgt Geheimnisse; er entstammt slawischen Wurzeln und bedeutet so viel wie „stromumflossen“ oder „Mündung“. Die gleichnamige Stadt Usedom, durch das Anklammertor betreten, gab später der ganzen Insel ihren Namen. Hier, auf dem Schlossberg, sollen sich Pfingsten 1128 adlige Wendenführer im Beisein des Bischofs Otto von Bamberg zum Christentum bekannt haben – ein monumentales Kreuz erinnert heute an dieses epochale Ereignis.

Ein ganz anderes, aber ebenso prägendes Kapitel der Geschichte wurde in Peenemünde geschrieben. Hier gelang am 3. Oktober 1942 der weltweit erste erfolgreiche Raketenstart ins All – allerdings der einer V2, einer geplanten „Vergeltungs- und Wunderwaffe“ des nationalsozialistischen Regimes. Das Areal der Heeresversuchsanstalt wurde 1943 und 1944 von alliierten Flugverbänden bombardiert, was zu verheerenden Folgen für Mitarbeiter und Zivilisten führte. Heute ist das Gelände ein Museum, das Einblicke in Entstehung, Höhepunkt und Niedergang dieses Objekts bietet. Reste der ehemaligen Werkssiedlung Karlshagen mit ihrer charakteristischen Gartenstadtarchitektur und aufgegebene Bahnhofsgebäude erinnern an diese Zeit. In der Nähe, in Swinemünde, erinnert der 60 Meter hohe Gollenberg, einst ein beliebtes Ausflugsziel, heute als Kriegsgräbergedenkstätte an die bis zu 23.000 Opfer des amerikanischen Bombenangriffs vom 12. März 1945.

Kaiserliche Eleganz und raue Küstenpracht Die „Kaiserbäder“ Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck zeichnen sich durch ihre prachtvolle Bäderarchitektur aus. Hier reihen sich Villen im Stil ihrer Bauzeit oder in einem kuriosen Stilmix an pittoreske Fachwerkhäuser mit Türmchen und Erkern. Die Seebrücken sind beeindruckend: Während Bansins Seebrücke ihre Funktion erfüllt, setzt Heringsdorf mit einer Einkaufspassage auf seiner Seebrücke noch eins drauf. Für viele, so auch für den Erzähler, ist die Ahlbecker Seebrücke, bekannt durch Loriots Filme, die schönste der Insel. Die Usedomer Bäderbahn verbindet heute Zinnowitz und Swinemünde, reicht jedoch nicht mehr bis Berlin, da die Hubbrücke über den Peenestrom 1945 gesprengt wurde und die Sowjetunion die Strecke nach Swinemünde später demontierte.

Die Natur Usedoms ist ebenso vielfältig. Der Streckelsberg bei Koserow ist mit 58 Metern die höchste Erhebung an Usedoms Ostseeküste und bietet eine freie Sicht, die einst für die Peenemünder Flugversuche genutzt wurde. Am Achterwasser in Öckeritz, der schmalsten Stelle zwischen Ostsee und Achterwasser, kann man gemütlich mit dem Kanu oder rasant mit dem Speedboot die Binnengewässer erkunden.

Kulinarische Entdeckungen und einzigartige Erlebnisse Usedom verwöhnt seine Besucher auch kulinarisch. In der Naturmanufaktur in Usedom gibt es selbstgepresste Öle, Senf nach alter Rezeptur, regionalen Honig und sogar mehrfach preisgekrönte Weine vom größten Weingut Norddeutschlands. Koserow hat sich den Titel „Räucherfischlange“ redlich verdient, mit empfehlenswerten Lokalen wie dem Fischerstrand, dem denkmalgeschützten Salzhütten-Anglashandel und Udos Fischräucherei, wo man frischen Räucherfisch oder Matjesbrötchen genießen kann. In Krummin lockt ein Naturhafen mit großartiger Atmosphäre und kulinarischen Genüssen wie Fischschaschlik und regionalen Spezialitäten. Das Wasserschloss Mellenthin beherbergt eine eigene Brauerei und ein Schloss-Café, das für seinen „Inselmittelpunktskaffee“ bekannt ist. Und in Stolpe bietet das sanierte Schloss neben Ferienwohnungen und kulturellen Veranstaltungen auch eine Gastronomie in der Remise.

Für Naturliebhaber gibt es in der Nähe von Stolpe das Wisentgehege Präten, wo die Geschichte des Wisents in Europa und die Bemühungen um seine Wiederansiedlung eindrücklich dargestellt werden. Dieser Park ist dem Engagement der Familie Weichbrot zu verdanken, insbesondere Dirk Weichbrot, der sich überregional für die Wisentzucht und Wiederansiedlung einsetzte.

Ob ein Spaziergang am Strand von Karlshagen, wo der feine weiße Sand als wohl schönster der Insel gilt, eine Fahrradtour entlang der gut ausgebauten Radwege, oder der Besuch eines der vielen Museen – Usedom bietet für jeden Geschmack etwas. Selbst bei ungemütlichem Wetter lädt die Insel zu Entdeckungstouren ein, etwa zu den Schlössern des Achterlandes wie dem Greifenschloss Pudagla oder der Benzener Kirche mit ihrer beeindruckenden Holzdecke und dem gemalten Sternenhimmel.

Usedom ist mehr als nur eine Ferieninsel. Es ist ein Ort, an dem sich Jahrhunderte der Geschichte mit der lebendigen Gegenwart verbinden, wo die Kraft der Natur spürbar ist und die Gastfreundschaft der Bewohner einlädt, zu verweilen und die Seele baumeln zu lassen.