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Das sterbende Herz Berlins: Wie das SED-Regime die historische Seele der Stadt zerstörte

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Berlin, einst das pulsierende Zentrum einer Weltstadt, verliert zunehmend seine historische Identität. Ein erschreckendes Bild zeichnet sich ab: Nach den Verwüstungen des Krieges setzte das SED-Regime in Ost-Berlin eine systematische Zerstörungswelle in Gang, die das kulturelle Erbe der Stadt unwiederbringlich auslöschte und Alt-Berlin zum Sterben verurteilte.

Das Stadtschloss: Symbol einer bewussten Zerstörung
Im Herzen Berlins stand einst das Stadtschloss, ein Bauwerk, das fünf Jahrhunderte Kunst und Geschichte präsentierte und von Baumeistern wie Andreas Schlüter geprägt wurde, wodurch es zu einem der bedeutendsten Kunstwerke der Welt avancierte. Am 3. Februar 1945 brannte das Schloss bei einem Tagesangriff aus, doch der monumentale Torso, insbesondere der Schlüterhof mit seiner intakten Fassade, blieb erhalten. Fachleute waren sich einig: Ein Wiederaufbau zur alten Schönheit wäre möglich gewesen.

Doch die „Pankower Regierung“ (gemeint ist die SED-Regierung) beschloss im August 1950 trotz des noch vorhandenen Schlüterhofs und der Möglichkeit des Wiederaufbaus die Sprengung des Schlosses. Das Politbüro der SED begründete diese Entscheidung damit, den „Imperialismus Preußens bekämpfen“ zu müssen. Eine absurde Begründung, da der Wert von Kunstwerken nicht an gesellschaftliche Verhältnisse gebunden ist, aus denen sie stammen. Vielmehr ordneten die Totalitären alles ihren politischen Absichten unter: Der Wunsch nach Massenaufmärschen führte nicht nur zur Zerstörung des Schlosses, sondern auch der einzigartigen Platzanordnung, an deren Gestaltung Schlüter und Schinkel mitgewirkt hatten.

Ironischerweise versuchte Ulbricht später, mit dem neuen Staatsratsgebäude, in das Reste der Schlüterfassade (von deren Balkon Karl Liebknecht 1918 die Republik ausgerufen hatte) eingebaut wurden, eine neue Tradition zu konstruieren. Von den vielen architektonischen Plastiken des Schlosses, die vor der Sprengung dokumentiert wurden, ist laut einem Katalog lediglich ein einziger Kopf erhalten geblieben, obwohl der Ministerrat einst verbindlich versprochen hatte, „alles zu bewahren“.

Eine systematische Auslöschung des Alten Berlin
Die Sprengung des Stadtschlosses war nur der Auftakt einer weitreichenden Zerstörungswelle:

• Das barocke Reichspräsidentenpalais, einst Amtssitz Friedrich Eberts, wurde nach Kriegsschäden und jahrelanger Vernachlässigung 1960 gesprengt.

• Das Schloss Monbijou, ein Kleinod Berliner Architektur, wurde trotz vieler Restaurierungspläne bis 1960 zugunsten einer Grünfläche abgerissen.

• Schinkels Bauakademie, sein „kühnstes und modernstes Werk“, wurde zunächst aufwendig restauriert, nur um kurz vor Fertigstellung dem geplanten Neubau des Außenministeriums weichen zu müssen.

• Auch die Nationalgalerie, deren Abteilung für zeitgenössische Kunst von den Nazis als „entartet“ geschmäht wurde und unter Denkmalschutz stand, wurde 1959 niedergerissen – es blieb eine Baugrube.

Das Schicksal vieler weiterer Denkmäler war besiegelt: Geplante oder erwogene Wiederaufbauten wie das Wachgebäude am Potsdamer Tor, die Palais für Prinz Alexander und Georg, sowie das Kronprinzenpalais wurden stattdessen zerstört.

Selbst weniger monumentale, aber geschichtsträchtige Orte fielen der Abrissbirne zum Opfer:

• Der Niki Keller und der klassizistische Bau von Lutter & Wegner, inklusive der weltberühmten Weinstube Eta Hoffmanns, hätten erhalten bleiben können, wurden aber 1962 beseitigt.

• Die Ostberliner Garnisonkirche und das älteste Bürgerhaus Berlins am Hohen Steinweg verschwanden ebenfalls.

• Die Raabe-Diele, die Stammkneipe des Schriftstellers, wurde nach dem Krieg mit erheblichen Mitteln und Propaganda restauriert, westliche Abrissmeldungen wurden empört dementiert, nur um dann 1963 doch beseitigt zu werden.

Moderne Visionen auf den Trümmern der Geschichte
Das neue städtebauliche Konzept für das Berliner Stadtzentrum, vom Politbüro der SED und dem Ministerrat bestätigt, sah das Verschwinden weiterer historischer Substanz vor. Neben dem 200 Meter hohen Fernsehturm und neuen Regierungsgebäuden wurden 10.000 neue Wohnungen geplant, darunter Hochhäuser im Fischerkiez.

Dies bedeutete das Ende für die letzten halbwegs intakten Straßen im Fischerkiez mit ihren Häusern aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Dabei hatte man 1959 noch das gesamte Viertel sanieren, die Häuser restaurieren und Neubauten dem historischen Stil anpassen wollen, sogar eine Künstlerkolonie war geplant. Dieser Plan wurde verworfen, obwohl Künstler wie Zille und Otto Nagel dieses romantische Stück Berlin liebten und malten.

Auch die Brüderstraße, in der Nicolai einst die Allgemeine Deutsche Bibliothek herausgab, sollte das gleiche Schicksal erleiden. Die Petrikirche ist bereits der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Besorgniserregend ist auch die Praxis, historische Substanz zu zerstören und an einem anderen Ort lediglich eine Kopie aufzubauen, wie es beim Kommandantenhaus in der Rathausstraße geschah. Auf den neuen Stadtmodellen sucht man auch vergeblich nach dem Knoblauch-Haus und der Heilig-Geist-Kapelle.

Berlin ist durch Krieg und die nachfolgenden politischen Entscheidungen arm an historischen Gebäuden, Straßen und Plätzen geworden. Was vom alten Berlin bleibt, kann man nur noch durch das Lesen seiner Dichter wie Theodor Fontane oder Wilhelm Raabe kennenlernen. Es ist dringend an der Zeit zu erfahren, was wirklich gerettet wurde. Angesichts dieser verheerenden Verluste appellieren die Quellen an die Notwendigkeit, das Wenige, was geblieben ist, im Interesse der gesamten deutschen Nation zu schützen und gegen immer wieder wechselnde Opportunitätserwägungen zu verteidigen. Denn wer wollte ernstlich, dass unsere Jugend in einem geschichtslosen Raum aufwächst.

Das Bauhaus in Dessau: Wie eine Kunstschule die Welt veränderte

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Dessau – Das Bauhaus, 1919 von Walter Gropius gegründet, gilt heute weltweit als die bedeutendste Schule für Kunst, Design und Architektur des 20. Jahrhunderts. Seit 1996 gehören die Bauhausstätten zum UNESCO-Welterbe, und ein überwiegender Teil dieser historischen Orte befindet sich hier in Dessau, jener Stadt, die ab 1925 zum Sitz des Bauhauses wurde.

Das Herzstück: Das Bauhaus Gebäude
Das zentrale Denkmal des Dessauer Bauhauserbes ist das Bauhaus Gebäude selbst, das von 1925 bis 1926 nach Plänen von Walter Gropius errichtet wurde. Ursprünglich diente es als Schulgebäude für die avantgardistische Kunst-, Design- und Architekturschule. Hier entstanden Designklassiker wie der Vassili Sessel von Marcel Breuer. Die Architektur des Gebäudes spiegelt die Prinzipien des Bauhauses wider: Es vereint Technik und Gestaltung als Einheit und zielte darauf ab, nicht nur neue Maßstäbe im Design zu setzen, sondern auch gesellschaftliche Unterschiede zu beseitigen. Hauptelemente des Schulgebäudes sind der Werkstattflügel mit seiner markanten Glasfassade, der Trakt für die Berufsschule und das Ateliergebäude, in dem die Studenten lebten. Heute beherbergt es die Stiftung Bauhaus Dessau, die sich der Pflege, Erforschung und Vermittlung der Bauhaus-Ideen widmet.

Wohnen in der Moderne: Die Meisterhäuser
Künstler und Gestalter von Weltrang wie Paul Klee, Wassily Kandinsky und Marcel Breuer lehrten am Bauhaus. Viele von ihnen lebten in den Meisterhäusern, die ebenfalls von Walter Gropius entworfen wurden und unweit des Schulgebäudes liegen. Diese Häuser sind charakteristisch für ihre kubischen Formen mit Flachdächern und Glasfassaden. Während die Außengestaltung kaum Unterschiede aufwies, gab es im Inneren bemerkenswerte Variationen. Besonders das Doppelhaus Kandinsky-Klee sticht hervor, da seine farbliche Gestaltung einen starken Kontrast zur Architektur Gropius‘ bildete. Die Meisterhäuser waren nicht nur Wohnsitze, sondern auch Musterhäuser für modernes Wohnen, die sich allerdings an eine eher vermögende Klientel richteten.

Bezahlbarer Wohnraum: Die Bauhaussiedlung Törten
Im Gegensatz dazu zielte die Bauhaussiedlung Törten im Süden Dessaus darauf ab, breiteren Bevölkerungsschichten bezahlbaren Wohnraum zu bieten. Zwischen 1926 und 1928 entstanden hier 314 Reihenhäuser in industrieller Bauweise. Das Haus Anton wurde originalgetreu restauriert und 2012 inklusive der ursprünglichen Glasbausteinfassade wiedereröffnet. Es ist mit Bauhaus-Mustermöbeln ausgestattet, und die Küche mit integriertem Wannenbad ist im Originalzustand erhalten. Neben den Reihenhäusern wurden in der Siedlung auch fünf Laubenganghäuser und das sogenannte Konsumgebäude errichtet. Letzteres dient heute als Informationspunkt, von dem aus geführte Rundgänge starten, die unter anderem zum Haus Anton und einer Wohnung in den Laubenganghäusern führen.

Weitere Zeugnisse der Bauhaus-Architektur
Dessau bietet weitere faszinierende Bauhaus-Bauten. Dazu gehören das Stahlhaus, ein Experimentalbau von 1927, das ehemalige Arbeitsamt und das Kornhaus, eine Ausflugsgaststätte an der Elbe. Diese Bauwerke sind in der Regel ebenso für Besucher geöffnet wie das Bauhausgebäude mit seiner Dauerausstellung. Das Erbe des Bauhauses in Dessau ist somit nicht nur in seinen ikonischen Gebäuden greifbar, sondern auch in seinem fortwährenden Einfluss auf Design, Architektur und das Verständnis von modernem Leben.

Bauhaus: Eine Utopie, die 100 Jahre später relevanter ist denn je

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Vor über einem Jahrhundert, im Jahr 2019, feierte die berühmte deutsche Kunstschule, das Bauhaus, ihr großes Jubiläum zum 100-jährigen Bestehen. Die Ideale dieser innovativen, freigeistigen und bisweilen chaotischen Kunstschule sind 100 Jahre später relevanter als sie es damals waren. Das Bauhaus stellte vor einem Jahrhundert grundlegende Fragen nach einer anderen Zukunft: Wie werden wir lernen? Wie werden wir leben?. Obwohl das Bauhaus historisch nur eine kurze Episode war, reichen seine Strahlkraft und Magie bis in unsere Gegenwart und definieren bis heute die moderne Welt. Mit seinen gesellschaftlichen Ideen und Design-Prinzipien kann das Bauhaus auch heute noch Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit geben.

Die Schule, gegründet 1919 im deutschen Weimar und 1925 nach Dessau umgezogen, existierte nur 14 Jahre, bevor sie 1933 unter dem Druck der Nationalsozialisten in Berlin geschlossen wurde. Doch in dieser Zeit wurde alles – Architektur, Malerei, Typografie, Design, Tanz, Pädagogik – am Bauhaus gelehrt, erforscht und gelernt. Es war ein Aufbruch und ein Experiment mit dem Anspruch, Gestaltung von Grund auf neu zu denken. Renommierte Künstler wie Walter Gropius, Hannes Meyer, Mies van der Rohe, Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky, Paul Klee, László Moholy-Nagy, Anni Albers, Josef Albers und Gunta Stölzl folgten dem Ruf Gropius‘. Das Bauhaus hatte den Anspruch, eine universelle Gestaltungsbauweise zu formulieren, die sicherstellen sollte, dass alles seine perfekte Höhe und Größe hatte und optimal für den Menschen nutzbar war. Ihr Ziel war es, die Trennung zwischen Handwerkern, Designern und Künstlern zu überwinden. Mit der Machtergreifung Hitlers und der Schließung der Schule emigrierten die Bauhäusler und verbreiteten so die Ideen und Visionen des Bauhauses in der ganzen Welt.

Der Traum vom besseren Leben: Gropiusstadt und die Realität
Anfang der 1960er-Jahre sollte in Deutschland, 30 Jahre nach dem Ende des Bauhauses, die große Utopie, das Leben der Menschen besser zu machen, Wirklichkeit werden. Walter Gropius, der zu dieser Zeit bereits lange in den USA lebte, plante vor den Toren Berlins eine Großsiedlung, um die Wohnungsnot mit Methoden des modernen Städtebaus zu bekämpfen. Fast alle Wohnungen waren für sozial Schwächere gedacht, und der Einzug in die Gropiusstadt galt als „absoluter Luxus“, da warmes Wasser aus der Wand kam. Ziel war es, neuen Wohnraum im Grünen zu schaffen, da in Berlin bereits vor dem Zweiten Weltkrieg Hinter- und Seitenhäuser in dicht bebauten Vierteln abgerissen worden waren, um mehr Licht, Luft und Sonne zu ermöglichen. Gropius plante seine Siedlung als eine Utopie, eine große Stadtlandschaft. Er wollte keine Reste von Grünflächen, sondern eine Stadtlandschaft, die sich frei zwischen den Gebäuden hindurchbewegte, eine Natur, die nicht gekappt wurde, sondern durch den neuen Stadtteil hindurchfloss.

Doch die Umsetzung scheiterte an den Sachzwängen der Zeit. Der Bau der Berliner Mauer 1961 teilte die Stadt und führte zu plötzlichem Platzmangel. Aus ursprünglich geplanten 1.400 bis 1.500 Wohneinheiten wurden schließlich 19.000, viele davon in bis zu 30 Geschossen hohen Wohntürmen, was Gropius‘ grüner Stadtlandschaft entgegenstand. Obwohl Gropius zur Grundsteinlegung kam, blieb er bei der Fertigstellung außen vor und konnte am Endergebnis nichts ändern. Er wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen, dass sein Name für die Stadt genutzt wurde, und war zutiefst darüber „erzürnt“, auch dass die Stadt nach seinem Tod seinen Namen erhielt.

Spätestens seit den 1980er-Jahren galt die Gropiusstadt als Problemviertel – zu viel Beton, dunkle Ecken, Anonymität. Es gab häufige Mieterwechsel und viel Leerstand, und die Gropiusstadt geriet wegen Verwahrlosung und Kriminalität in die Schlagzeilen. Viele Bewohner verstanden die negative Berichterstattung jedoch nicht und waren glücklich. Heute ziehen wieder Familien hierher, und Quartiersmanagement, Gemeinschaftsangebote und Sanierungen sollen den Stadtteil aufwerten. Die Utopie von damals bleibt jedoch eine „Dauerbaustelle“, ebenso wie die Suche nach einem besseren Leben für viele.

Bauhaus-Ideale weltweit: Lateinamerika als Gestaltungsfeld
In anderen Teilen der Welt besteht weiterhin ein großer Bedarf an „größeren Utopien“. Besonders in Lateinamerika besteht vor allem beim Wohnen und in der Infrastruktur in Großstädten großer Gestaltungsbedarf. Was Lateinamerika mit den Ideen des Bauhauses verbindet, ist die Vorstellung, dass der Architekt nicht nur Künstler, sondern vor allem der Gesellschaft verpflichtet ist. Es geht bei der Arbeit von Architekten und Stadtplanern um die Menschen.

• Kolumbien: Infrastruktur als sozialer Katalysator Die kolumbianische Großstadt Medellín stand vor großen Herausforderungen: verstopfte Straßen, ausufernde Favelas und ein unmöglicher Busverkehr in den schmalen, steilen Gassen. Die Stadt hatte eine Idee: Sechs Freiluft-Rolltreppen erleichtern nun den 384 Meter langen Aufstieg in entlegenste Bezirke und verbinden die Nachbarschaft, in der rund 140.000 Menschen leben. Die Kommune 13, die einst als das gefährlichste Stadtviertel der Welt galt und in Gewalt versank, hat sich durch diese Rolltreppen verändert. Sie ziehen Touristen an, wovon die Nachbarschaft profitiert, und lösen bei den Bewohnern ein Gefühl der Zugehörigkeit, des Stolzes und des Glücks aus. Mehr als 30 Familien leben inzwischen von kleinen Geschäften an den Rolltreppen. Auch Gondeln auf der anderen Seite der Stadt machen die Favelas am Hang zugänglich. 2013 wurde Medellín sogar zur innovativsten Stadt der Welt gekürt. Doch hinter dieser „schönen Stadt“, die fotogen und freundlich erscheint, steckt eine Geschichte, die verschiedene Versionen hat: Hinter den beeindruckenden Infrastrukturprojekten steckt auch der Wunsch, die Stadt als Marke zu verkaufen, wobei die Bedürfnisse der Anwohner manchmal untergehen. Insgesamt drohen mehr als 600 Familien durch solche Projekte verdrängt zu werden, was die Frage aufwirft, ob die Stadt für Touristen oder für ihre Bewohner ist. Stadtplaner wie Carolina Salgado setzen sich dafür ein, dass Infrastrukturmaßnahmen vor allem das Leben der Menschen vor Ort verbessern.

• Mexiko: Soziales Wohnen und Hannes Meyers Erbe In Mexiko fanden die Visionen des Bauhauses bereits in den 1920er-Jahren erste Anhänger. Noch populärer wurde das Bauhaus, als sein zweiter Direktor, Hannes Meyer, 1939 einem Ruf der damals sozialistischen mexikanischen Regierung folgte und Direktor am neu gegründeten Institut für Stadtplanung in Mexiko-Stadt wurde. Obwohl Meyer in Mexiko keine Gebäude im klassischen Bauhaus-Stil hinterließ, beeinflusste er mit seinen Ideen eine ganze Generation mexikanischer Architekten, wie beispielsweise Mario Pani. Die Architektin Tatiana Bilbao beschäftigt sich mit sozialem Wohnungsbau, da die Wohnsituation in Mexiko äußerst kritisch ist mit hoher Nachfrage und großen Mängeln. Sie wollte eine Sozialwohnung entwerfen, die mehr bietet als die staatlich vorgeschriebene Mindestfläche von 43 Quadratmetern, da man mit 43 Quadratmetern „nichts anfangen kann“. Das Haus sollte flexibler und erweiterbar sein und sich an die klimatischen Bedingungen anpassen. Ähnlich wie bei Meyers Wohnungen in Dessau war es ihr wichtig, einen einfachen Grundtyp für ein überall reproduzierbares Haus zu entwerfen. Das mexikanische Modellhaus ist für die ärmsten Bevölkerungsteile gedacht und kostet in der günstigsten Variante, die von der Regierung bezuschusst wird, 8.000 Dollar. Der Kern besteht aus Betonblöcken, aber der Clou ist, dass das Haus mit flexiblen Modulen vergrößert werden kann. Angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums in Mexiko könnte mit Bilbaos Häusern umgesetzt werden, was am Bauhaus noch eine Utopie war: mit Kreativität, Mut und guter Gestaltung ein gutes Leben für viele zu schaffen. Für Bilbao bedeutet das Bauhaus eine Vision von der Zukunft und die Vorstellung, wie Architekten einen Beitrag dazu leisten können.

• Yucatan: Tradition trifft Technologie – Inspiriert von Anni Albers Auch die Bauhäusler Josef und Anni Albers brachten die Ideen der Kunstschule nach Latein- und Südamerika. Anni Albers erlangte Bekanntheit durch ihren Vorkurs, den sie auf Reisen durch Mexiko, Kuba, Peru und Chile abhielt. In Mexiko war Anni Albers von Webtechniken und traditionellen Mustern begeistert, die sie später als Lehrerin am Black Mountain College weitergab, indem sie natürliche und industrielle Materialien verband. Die mexikanische Künstlerin Amor Muñoz ist von Anni Albers‘ Textilkunst inspiriert und gründete auf der Halbinsel Yucatan „Yucat“, ein Zukunftslabor für Technologie und Tradition in einem alten Maya-Dorf. Näherinnen, die zuvor in einer Textilfabrik arbeiteten und nach deren Schließung von ihrem Kunsthandwerk leben mussten, fertigen hier handgewebte Unterlagen aus Agavenfaser (Henequén). Diese sind mit leitendem Stahldraht und Solarpanelen verbunden, um elektrisches Licht zu spenden. Dieses Projekt, das auf Zusammenarbeit und Partizipation setzt, verbindet traditionelles Kunsthandwerk mit dem „Do-it-yourself-Spirit“ und dem Wissen über Solarenergie und LEDs. Es eröffnet ökonomische Zukunftsperspektiven, da neue Produkte auf dem Markt angeboten werden können. Amor Muñoz ist überzeugt, dass Technologie helfen kann, Kunsthandwerk und seine Traditionen zu bewahren, wenn die traditionelle Agavenfaser in Yucatan, die heute kaum noch angebaut wird, nicht in Vergessenheit geraten soll.

Bauhaus heute: Neue Herausforderungen, neue Antworten
Das Bauhaus war vor allem eine Schule, deren Ziel die Ausbildung eines „neuen Menschen“ war; deshalb hatte die Pädagogik einen besonderen Stellenwert. Diese Lehre ist bis heute lebendig und der Ausgangspunkt in der Ausbildung von Designern. Ein Beispiel ist die Deutsche Schule in Madrid, deren Architektur – gekennzeichnet durch Weißbeton, Glas und Aluminium – eine neue, aufgeschlossene Pädagogik unterstützt. Die Innenhöfe bestehen aus wabenartigen, miteinander verbundenen Einzelbaukörpern mit schützenden Nischen, und große Fenster öffnen den Blick auf die Landschaft, was zur Ruhe und Gelassenheit in der Bildung beiträgt. Das Gebäude inspiriert und stiftet Identifikation mit der Schule.
Die zentrale Frage des historischen Bauhauses – „Wie wollen wir in Zukunft leben?“ – ist auch 100 Jahre später aktuell und wird heute weiter erforscht. Rasantes Städtewachstum, Überbevölkerung, zunehmender Platz- und Wohnungsmangel bei schwindenden Ressourcen sowie Klimawandel sind die Herausforderungen für die Gestalter von heute.

• Human Centered Design und Urban Farming in Detroit In Chicago, der Geburtsstadt der Wolkenkratzer, wurde 1937 das Institute of Design als „New Bauhaus“ gegründet. Der heutige Forschungsschwerpunkt ist „Human Centered Design“, das die Lebenswirklichkeit von Menschen gestaltet. Ein Beispiel ist das Projekt „Recovery Park“ in Detroit, wo auf alten Industriebrachen Gewächshäuser entstehen. In Detroit, wo die Automobilindustrie zusammenbrach und die Stadt 2013 den Bankrott erklärte, gibt es viel Platz in innerstädtischen Gebieten. „Recovery Park“ schafft Arbeitsplätze für Menschen, die schwer einen Job finden, wie ehemalige Häftlinge oder Suchtabhängige. Das Projekt bietet nicht nur Arbeit, sondern auch Ausbildung, Krankenversicherung und Unterstützung bei Unterkunft, Transport, Kleidung und Essen. Die Vision ist, das größte „Stadtfarming-Business“ der USA aufzubauen und Detroit als „Food City“ oder „Social City“ bekannt zu machen. Dies ist ein Beispiel für die „soziale Gestaltung von menschlichem Alltag“, die ebenfalls als Design verstanden wird.

• Grenzen der Architektur: Jürgen Mayer H. und das Skulpturale Bauen Der Berliner Architekt Jürgen Mayer H. liebt das Experiment und lotet die Grenzen der Architektur neu aus, indem er innovative Planung, neue Materialien und Konstruktionsmethoden nutzt, die organische und skulpturale Architekturen ermöglichen. Sein Metropol Parasol in Sevilla ist ein Beispiel dafür, der zum größten Holzbau der Welt wurde. Was zur Bauhaus-Zeit technisch undenkbar war, setzt Mayer H. heute in die Tat um: serielles und 3D-basiertes Bauen mit vorfabrizierten Elementen, die zugleich künstlerische Formen erlauben. Gropius experimentierte am Bauhaus mit neuen Materialien, doch die Formen waren damals noch gerade und rechteckig. Vielleicht, so wird spekuliert, sähe das Bauhaus heute so aus wie die Gebäude von Mayer H..

• Minimalismus und Nachhaltigkeit: Die Tiny House University Die Zeit des Überflusses ist vorbei; es zieht eine neue Zeit mit neuen Herausforderungen herauf. Nachhaltigkeit war etwas, das das Bauhaus durchaus auch beschäftigte, da es eine sehr arme Zeit war und sparsam mit Ressourcen und Materialien umgegangen werden musste. Statt „höher, schneller, weiter“ lautet das Motto der Tiny House University auf dem Gelände des Bauhaus-Archivs in Berlin: „verkleinert euch“. Dieses soziale Experiment, initiiert vom deutsch-russischen Architekten Van Bo Le-Mentzel, fragt, wie Räume ohne Grundstück geschaffen werden können. Die Mini-Häuser auf Rädern sind als Module konzipiert, leicht zu transportieren, einfach nachzubauen und recycelbar. Sie bieten flexible und günstige Wohnlösungen für digitale Nomaden. Dieses Konzept ist eine Antwort auf drängende Fragen wie Hunger, Wasser, Energie und Migration, die auf einem Campingplatz nicht gelöst werden können. Es steht für ein Umdenken weg vom Konsumieren hin zum Konstruieren. Das Bauhaus selbst fragte vor 100 Jahren, in einer Zeit des Systemwechsels von Monarchie zur Demokratie, wie eine Welt aussieht, in der alle gleiche Rechte haben, oder eine Wohnung, wo jeder eine Küche und einen Balkon verdient.

• Der Blick ins All: Norman Foster und Mars-Siedlungen Der britische Architekt Sir Norman Foster, einer der bekanntesten Architekten der Gegenwart, entwirft sogar Häuser für den Mars. Sein Projekt mit der NASA erforscht, was aus dem auf dem Mars vorgefundenen Material gebaut werden kann – Roboter mischen den roten Marssand mit einem Zusatzstoff, um Schalen zu bauen, die auf Knochenstrukturen von Tieren und Menschen basieren. Dies ist notwendig, da es nicht effizient ist, Stahlträger und Dämmstoffe in großen Mengen ins All zu fliegen. Diese „kühne und radikale“ Idee, neue Planeten zu erschließen, steht im Einklang mit der menschlichen Natur, immer höher anzustreben und Grenzen zu überschreiten. Dennoch wird betont, dass es vernünftiger ist, zunächst die Dinge auf der Erde in Ordnung zu bringen und das Leben der vielen in den Blick zu nehmen.

Eine anhaltende Vision für die Zukunft
Die Quellen zeigen, dass die Ideale des Bauhauses 100 Jahre später sogar relevanter sind als sie es damals waren. Wir brauchen einfallsreiches Design, um die großen Herausforderungen unserer Zeit wie rasantes Städtewachstum, Umweltverschmutzung und Klimawandel zu bewältigen. Das Bauhaus hatte eine „sehr optimistische, sehr utopische und gleichzeitig bodenständige Auffassung von Design im weitesten Sinne“. Bei der Arbeit von Architekten, Designern und Stadtplanern geht es um Lebensqualität. Die feste Überzeugung ist, dass sich die Qualität des Lebens verbessert, wenn die Qualität des Designs verbessert wird. Niemand weiß, wie die Zukunft aussehen wird, aber wir werden sie gestalten – denn die einzige Konstante ist die Veränderung.

Anklam feiert Baufortschritt: Nikolaikirche wird zum Ikareum

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Die Stadt Anklam hat am 19. Juni 2025 einen bedeutenden Baufortschritt bei einem ihrer herausragendsten Projekte gefeiert: der Umgestaltung der historischen Nikolaikirche. Diese ehrwürdige, jahrhundertealte Kirche wird zu einem modernen Museum namens Ikareum umgewandelt.

Das Projekt hat eine tiefgreifende Bedeutung für Anklam und die gesamte Region, da es die Kirche von einem sakralen Bauwerk zu einem Ausstellungsort mit internationalem Anspruch transformiert. Es handelt sich um ein ambitioniertes Vorhaben, das die historische Substanz des Gebäudes bewahrt, während es gleichzeitig für eine zukunftsweisende Nutzung adaptiert wird.

Aktuell befindet sich das Großprojekt im dritten Bauabschnitt. Dieser Abschnitt ist besonders hervorzuheben, da er als das bislang größte Teilprojekt innerhalb der Gesamtumgestaltung der Kirche gilt. Die Arbeiten in diesem Bereich sind intensiv und entscheidend für die finale Gestalt des Ikareums. Ein wesentlicher Bestandteil dieses dritten Bauabschnitts ist der Ausbau der Emporen. Diese Baumaßnahme markiert einen zentralen architektonischen Übergang, der die Vision des neuen Museumsgebäudes als einen Ort der Präsentation und Bildung unterstreicht.

Das gesamte Investitionsvolumen für die Umgestaltung der Nikolaikirche zum Ikareum beläuft sich auf beträchtliche 10,5 Millionen Euro. Die Stadt Anklam plant, dass der Umbau bis zum Jahr 2027 vollständig abgeschlossen sein soll. Nach Fertigstellung wird das Otto-Lilienthal-Museum seinen neuen Sitz in dem umgestalteten Gebäude finden und dort seine Ausstellungen präsentieren. Es sind auch aktuelle Ausstellungstipps vom Otto-Lilienthal-Museum in Anklam verfügbar.

Die Stadt Anklam betrachtet das Ikareum als ein wahres Leuchtturmprojekt. Die Vision ist es, dass dieses Museum als eine „Kathedrale der Luftfahrt“ weit über die regionalen Grenzen hinausstrahlen und Besucher aus nah und fern anziehen wird. Es soll nicht nur ein Museum sein, sondern ein Symbol für Innovation, Geschichte und die Verbindung von Technik und Kultur. Die Umwandlung der Nikolaikirche in das Ikareum stellt somit einen wesentlichen Schritt in der kulturellen und touristischen Entwicklung der Region dar und verspricht, Anklam als wichtigen Standort für Luftfahrtgeschichte und moderne Museumskultur zu etablieren.

Autos in der DDR: Eine Reise durch den ostdeutschen Fuhrpark

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Der Straßenverkehr der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wird oft als grau und eintönig wahrgenommen, dominiert von den bekannten Trabanten und Wartburgs. Doch die Realität war weitaus vielfältiger und faszinierender, wie ein Blick auf die Fahrzeuggeschichte zeigt. Von heimischen Kleinwagen über Importe aus befreundeten sozialistischen Staaten bis hin zu westlichen Luxuslimousinen – die DDR-Bürger und ihre Funktionäre bewegten sich in einem erstaunlich breiten Spektrum von Fahrzeugen.

Die Ikonen aus heimischer Produktion: Trabant und Wartburg
Das wohl bekannteste Geräusch des DDR-Straßenverkehrs war das Knattern des Trabant 601 mit seinem 26 PS starken Zweitaktmotor. Der Trabant, liebevoll auch „Kugelporsche“ genannt, entwickelte sich über die Jahre zum wohl bekanntesten DDR-Pkw. Seine Geschichte begann mit Übergangslösungen wie dem P70, der bereits Mitte der 50er Jahre bis zu 100 km/h schnell war und als Coupé, Kombi oder Limousine erhältlich war. Nachfolgemodelle wie der P50 (anfänglich 18 PS, später 20 PS) und der P60 (23 PS) ebneten den Weg für den kantigeren und moderner aussehenden Trabant 601, der ab Juli 1964 in Serie ging. Obwohl die Produktion 1991 mit dem Trabant 1.1 mit Viertaktmotor eingestellt wurde, sind die robusten Zweitakter dank zahlreicher Liebhaber und sparsamer Gemeinden wie Lohmen immer noch auf den Straßen unterwegs. Eine Besonderheit war der „Hycomat“, eine elektrohydraulische Kupplung, die seit 1965 vor allem für Behinderte produziert wurde.

Der Wartburg, benannt nach dem Eisenacher Wahrzeichen, stand im DDR-Fahrzeugbau für „etwas mehr Luxus“. Die Produktion des Wartburg 311 startete 1956 in den Automobilwerken Eisenach, wo zuvor BMW- und F9-Modelle gefertigt wurden. Der Dreizylinder-Zweitaktmotor des 311 erzeugte 37 PS und erreichte Höchstgeschwindigkeiten jenseits der 100 km/h. Besonders bekannt ist der geräumige Wartburg 311 Camping, auch „Schneewittchen Sarg“ genannt. Bis Mitte der 60er Jahre wurde der 311 stetig weiterentwickelt, wobei überarbeitete Motoren bis zu 50 PS leisteten. Ein praktischer Trick zur Schonung der Kupplung war der Freilauf. Ab den frühen 60er Jahren wurden Wartburgs, einschließlich der Nachfolger 353er, auch nach England exportiert und erfreuten sich großer Beliebtheit. Der Wartburg 353 kam ab 1967 mit einer völlig neuen, kantigeren Karosserie und vollsynchronisiertem Getriebe daher, spätere Modelle verfügten über Knüppelschaltung und Scheibenbremsen.

Ein wahres Universalgenie im DDR-Fahrzeugbau war der Barkas B1000. Angetrieben vom Wartburg-Motor, musste dieser jedoch wesentlich höhere Lasten bewegen (bis zu 750 kg erlaubte Nutzlast). Der Motor war so nah am Fahrer platziert, dass sogar während der Fahrt Feinheiten der Zündungseinstellung vorgenommen werden konnten. Auch die Produktion des Barkas endete 1991, da ein Viertaktmotor (B1000-1) das Überleben auf dem gesamtdeutschen Automarkt nicht sichern konnte.

Importe aus dem „Bruderstaat“: Vielfalt aus Osteuropa
Neben den heimischen Produktionen prägten zahlreiche Importfahrzeuge aus anderen sozialistischen Ländern das Straßenbild der DDR:

• Skoda (Tschechoslowakei): Ab 1964 begann in Mladá Boleslav die Ära der Heckmotor-Modelle von Skoda. Der Skoda 1000 MB war der erste, der serienmäßig in die DDR exportiert wurde, insgesamt etwa 60.000 Stück. Er galt als zuverlässiger Reisebegleiter mit leichtgängiger Lenkung. Nachfolger wie der S100 (ab 1969) und später die Modelle S105 und S120 (bis Ende der DDR importiert) behielten den Heckmotor bei, wodurch der Kofferraum vorn platziert war. Ein Unterschied bei den späteren Modellen war die links angeschlagene Kofferraumklappe, die ein Hochschlagen während der Fahrt verhinderte.

• Lada (Sowjetunion): Der russische Lada, ein Lizenzbau des Fiat 124, wurde zum heimlichen Star der DDR-Kriminalserie „Polizeiruf 110“ und kam größtenteils „von der Stange“. Für die harten russischen Winter wurde die Konstruktion modifiziert, unter anderem mit einer besseren Heizung. Ab 1972 wurden Ladas in die DDR exportiert und waren sehr begehrt, da sie westlichem Standard nahe kamen. Ab 1976 punktete Lada auch mit dem Geländewagen Niva, der jedoch Privatpersonen vorenthalten blieb und vor allem in der Forstwirtschaft und bei der Volkspolizei zum Einsatz kam.

• Polski Fiat 125 P (Polen): Ebenfalls eine Fiat-Lizenzproduktion, teilte er viele Gemeinsamkeiten mit dem Lada 1500, zeigte aber auch Unterschiede in Front, Heck und Motor.

• Zastava (Jugoslawien): Basierend auf dem Fiat 128, galt der jugoslawische Fiat als Geheimtipp in Sachen Verarbeitungsqualität. Aufgrund geringer Importzahlen war er jedoch sehr selten auf den Straßen der DDR anzutreffen und dementsprechend begehrt.

• Dacia (Rumänien): Seit Mitte der 70er Jahre wurde der rumänische Dacia 1300 in die DDR exportiert. Die Fabrik in Pitești wurde in Kooperation mit Renault ausgebaut. Der Dacia 1300 war spartanisch ausgestattet, aber dennoch ein Oberklasse-Auto. Er galt als sehr reparaturanfällig, mit Schwächen wie müden Hinterfedern und Vergaservereisung, was zu kreativen Bastellösungen wie Bierdeckeln als Kälteschutz führte. Der Nachfolger Dacia 1310 bot etwas mehr Komfort und ein moderneres Aussehen.

• Moskwitsch (Sowjetunion): Der „Moskauer Pkw“, dessen Produktion 1947 startete, fand 1963 seinen Weg in die DDR und war vor allem als Firmenwagen oder Taxi unterwegs. Sein 1500 Kubikzentimeter Motor mit 75 PS machte ihn attraktiv. Ein großer Nachteil war jedoch die „minderere Blech Qualität“, die schnell zu Rost führte. Trotz seiner Beliebtheit wurde der Export in die DDR ab 1979 eingestellt.

• Zaporozhets (Ukraine): Der winzige Ukrainer, nur 3,70 m lang und 1,30 m breit, war extrem preiswert, bot aber kaum Komfort. Er bekam zahlreiche Spitznamen wie „Russenpanzer“, „Taiga Trommel“ oder „Zappelfrosch“. Sein luftgekühlter V4-Motor wurde stetig weiterentwickelt und erreichte 45 PS. Eine kuriose Besonderheit war die Möglichkeit, ihn mit einer Kurbel zu starten. Der Kofferraum befand sich vorn und war meist mit Werkzeug statt Gepäck gefüllt.

• Tatra (Tschechoslowakei): Die luxuriösen Pkw von Tatra, benannt nach dem höchsten slowakischen Gebirge, gehörten zu den ältesten Automarken der Welt. Modelle wie der kantige Tatra 613 und sein Vorgänger 603 waren mit luftgekühlten V8-Heckmotoren ausgestattet, die 160 PS leisteten. Nur knapp 3000 Stück des Modells 603 wurden in die DDR exportiert, weshalb der Tatra fast ausschließlich der sozialistischen Elite aus Politik und Wirtschaft vorbehalten war – ein wahrer „Funktionärsschlitten“. Er wird nicht umsonst als „Ferrari des Ostens“ bezeichnet.

• Wolga (Sowjetunion): Seit 1932 wurden in Nischni Nowgorod Autos unter dem Namen GAS gebaut, später ergänzt um den Zusatz Wolga. Der erste echte Wolga, der M21, war bekannt für seine Dreigang-Lenkradschaltung, durchgehende vordere Sitzbank und viel Chrom. Trotz seines Gewichts von 1,4 Tonnen erreichte er bis zu 135 km/h. Er galt als „Spritfresser“ (12-14 Liter/100km). Später wurde der Wolga GAS 24 eingeführt, der bis zu 150 km/h schnell war und einen noch höheren Benzinverbrauch hatte, weshalb einige Modelle auf Gasbetrieb umgerüstet wurden. Wolgas wurden in der DDR hauptsächlich als Taxis, Behördenfahrzeuge und Einsatzfahrzeuge der Volkspolizei eingesetzt.

• Chaika (Sowjetunion): Der Chaika, was auf Russisch „Möwe“ bedeutet, war das chromblitzende Regierungsfahrzeug der DDR. Diese Luxuskarossen waren extrem selten (nur sehr wenige Exemplare in der DDR) und den Normalbürgern nur bei offiziellen Anlässen zu Gesicht. Mit über zwei Tonnen Leergewicht und einem kräftigen 5,8-Liter-V8-Motor (195 PS) war der Chaika eine imposante Erscheinung, aber auch extrem durstig (geschätzte 20-25 Liter/100km). Es gab ihn in verschiedenen Varianten, darunter als Limousine, gepanzertes Fahrzeug, Kombi und Krankenwagen.

Exoten aus dem Westen: Wenn der Klassenfeind chauffiert
Die Rohstoffknappheit und neue Bedürfnisse führten dazu, dass ab den 80er Jahren auch Fahrzeuge des „Klassenfeindes“ ihren Weg in die DDR-Führungsriege fanden. Ein Beispiel hierfür ist der Volvo 760 GLE, der im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) als Regierungsfahrzeug eingesetzt wurde. Diese Volvos waren für die besonderen Bedürfnisse der Funktionäre umgebaut und 30 cm länger als die Serienmodelle, ausgestattet mit Features wie einer Klimatronic (im Jahr 1984 eine Seltenheit) und Sonderbeschleunigung. Die abenteuerliche Erklärung für diesen Import war, dass der Kauf von Tatras aus der Tschechoslowakei aufgrund hoher Entwicklungskosten zu teuer gewesen wäre, während die Volvos aus Schweden wesentlich günstiger zu erwerben waren. Neben Volvo fanden auch andere westliche Importfahrzeuge wie einige Tausend Citroën, VW Busse (für Selbstständige), Mazda (im Rahmen eines Joint Ventures mit Japan) und wenige Peugeot ihren Weg in die DDR.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der DDR-Straßenverkehr keineswegs nur „grau und trist“ war. Unzählige Sammler sind auch heute noch von der Vielfalt und der Geschichte des Pkw-Baus in den ehemaligen sozialistischen Bruderländern begeistert. Und so mancher Trabant, Wartburg oder Lada rollt auch heute noch, ein lebendiges Zeugnis einer vergangenen Ära.

Der Schinkelplatz in Berlin: Geschichte und Wiederaufbau

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Berlin birgt viele Orte, die Geschichten erzählen, und der Schinkelplatz ist zweifellos einer davon. Südwestlich der Schlossbrücke, hinter der Alten Kommandantur gelegen, ist dieser Platz ein Zeugnis tiefgreifender städtebaulicher und gesellschaftlicher Transformationen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Begrenzt von Wohn- und Geschäftshäusern im Westen, dem Spreekanal im Osten und dem Bereich für den Wiederaufbau der Bauakademie im Süden, präsentiert sich der Schinkelplatz heute als eine sorgfältig rekonstruierte historische Fläche.

Von Packhof zu Prachtplatz: Die Anfänge
Ursprünglich befand sich an dieser Stelle der Alte Packhof, Berlins Hauptzollstelle für den Schiffsverkehr, ausgestattet mit einer Bucht als Anlegestelle für Frachtschiffe. Seine zentrale Bedeutung für die Berliner Wirtschaft war immens, da hier alle Waren für den Import nach oder Export aus Berlin entladen, zwischengelagert und behördlich kontrolliert wurden. Um 1830 wurden die Packhof-Gebäude abgerissen, nachdem der Neue Packhof auf der Museumsinsel nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel modernisiert und ausgebaut worden war.

An der Stelle des Alten Packhofs entstand bis 1832, ebenfalls nach Schinkels Entwürfen, die Berliner Bauakademie. Schon in einer Entwurfszeichnung von 1831 war Schinkels Vision eines von Bäumen umstandenen Platzes vor der nördlichen Fassade der Bauakademie erkennbar. Tatsächlich wurde der Platz 1837 nach Plänen von Peter Josef Lenné in Form eines schmalen Dreiecks als Schmuckplatz angelegt und „Platz an der Bauakademie“ genannt.

Helden ohne Degen: Das Denkmal-Ensemble
Eine entscheidende Wende erlebte der Platz in den 1860er Jahren mit der Aufstellung von Denkmälern für Albrecht Daniel Thaer (1860), Peter Christian Wilhelm Beuth (1861) und Karl Friedrich Schinkel (1869). Dieses Denkmalensemble, ein Werk der Berliner Bildhauerschule, genauer der Rauchschule, war ein Novum in der Geschichte Berlins. Christian Daniel Rauch selbst entwarf das Thaer-Denkmal, sein spätestes Werk, das jedoch erst nach seinem Tod im Jahr 1857 vollendet wurde.

Die Aufstellung dieser Denkmäler spiegelte das erstarkte Selbstbewusstsein des preußischen Bürgertums wider, da es sich hierbei erstmals nicht um Vertreter des Königshauses oder des Militärs handelte. Christian Daniel Rauch bezeichnete sie als „die ersten Helden auf öffentlichem Platze ohne Degen“. König Friedrich Wilhelm IV. stimmte der Aufstellung zu, da alle drei Männer maßgeblich zur Entwicklung und Modernisierung Preußens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beigetragen hatten.

• Albrecht Daniel Thaer gilt als Begründer der wissenschaftlichen Landwirtschaft in Deutschland. Seine Theorien zur Bodennutzung, zum Pflanzenanbau und zur Tierhaltung führten zu einer erheblichen Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität.

• Peter Christian Wilhelm Beuth war 25 Jahre lang der leitende Beamte für die Gewerbepolitik in Preußen und spielte eine entscheidende Rolle beim Wandel Preußens von einem militärisch-feudalen Agrarstaat zu einem modern organisierten bürgerlichen Industriestaat.

• Karl Friedrich Schinkel, zweifellos der bekannteste der drei, war preußischer Baubeamter, Baumeister, Architekt, Stadtplaner, Denkmalpfleger, Maler, Grafiker und Bühnenbildner. Sein Wirken prägte die Stadtplanung und das Bauen in Berlin und Preußen weit über seine Lebenszeit hinaus, und zahlreiche seiner Bauten, wie das Alte Museum, die Schlossbrücke, die Neue Wache, die Bauakademie, die Friedrichswerdersche Kirche und das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, befinden sich rund um den Schinkelplatz.

Zerstörung und Wiederaufbau: Eine wechselvolle Geschichte
In den Jahren 1886/1887 wurde der Platz erneut umgestaltet: Die Fläche vor den Denkmälern erhielt ein farbig ornamentiertes Mosaikpflaster und einen Springbrunnen, während hinter den Denkmälern eine 18 Meter lange, halbrunde Sitzbank aus poliertem Granit aufgestellt wurde.

Im Zweiten Weltkrieg erlitt der Schinkelplatz, wie auch die umliegenden Gebäude, schwere Beschädigungen. Die Schinkel-Statue stürzte vom Sockel, und die Denkmäler von Beuth und Thaer trugen Einschüsse und Splitterschäden davon. Nach dem Krieg, im Jahr 1949, wurden die vier Karyatiden vom Sockel des Schinkel-Denkmals sowie fünf Reliefs vom Thaer-Denkmal gestohlen.

Die Bauakademie wurde 1962 abgerissen, und die drei Denkmäler wurden an Standorte innerhalb der Humboldt-Universität und an andere Stellen im Stadtgebiet gebracht. Auf der Fläche des Schinkelplatzes entstand ein Neubau des DDR-Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten. Dieses Gebäude wurde jedoch bereits 1996, keine 30 Jahre später, aus städtebaulichen Gründen wieder abgerissen, um den historischen Stadtgrundriss rekonstruieren zu können.

Die Rekonstruktion und die Zukunft
Der Schinkelplatz wurde zunächst als Rasenfläche neu angelegt, und Schinkel kehrte auf seinen angestammten Platz zurück. 1999 folgten Beuth und Thaer, letzterer allerdings nur als Kopie, da die Landwirtschaftliche Fakultät der Humboldt-Universität das Original nicht wieder herausgeben wollte.

In den Jahren 2007 und 2008 erfolgte unter maßgeblicher Mitwirkung des Berliner Bildhauers Hans Starcke eine umfassende Rekonstruktion des Platzes in der Form von 1887. Es dauerte jedoch noch einige Jahre, bis die verschollenen und beschädigten Sockelreliefs an den Denkmälern für Thaer und Beuth sowie die Karyatiden am Sockel des Schinkel-Denkmals nachgebildet und angebracht worden waren.

Bei der Einweihung des Platzes hofften die Senatsverantwortlichen, dass die aufwendige gartendenkmalpflegerische Wiederherstellung des Schinkelplatzes in der historischen Mitte Berlins sich positiv auf die Gestaltung des umliegenden Bereichs auswirken würde. Der Platz bewirkt zumindest eine größere Geschlossenheit und bietet einen Blick auf das wiederhergestellte Eosander-Portal des Berliner Schlosses.

Was noch fehlt, ist die Bauakademie. Ob, wann und wie der vom Bund bereits 2016 beschlossene Wiederaufbau erfolgt, ist leider immer noch nicht klar. Der Schinkelplatz bleibt somit ein lebendiges Denkmal, das die tiefen Narben der Geschichte trägt, aber auch die unermüdliche Kraft des Wiederaufbaus und die Ehrung wegweisender Persönlichkeiten Berlins verkörpert.

Top-Ökonom Professor Sinn warnt vor Strukturbruch und fordert radikale Kehrtwende

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Die deutsche Wirtschaft steckt in der längsten Rezession seit 20 Jahren, doch für Professor Hans-Werner Sinn, Deutschlands Top-Ökonom, ist dies mehr als eine gewöhnliche Konjunkturflaute. Im Gespräch mit BÖRSE ONLINE spricht Sinn von einem und einem schleichenden Niedergang seit 2018. Seine Analyse ist eine scharfe Kritik an der aktuellen Politik und dem mangelnden ökonomischen Verständnis in weiten Teilen der Bevölkerung und den Medien.

Mangelndes Verständnis und Investitionsaversion Professor Sinn diagnostiziert Deutschland als „Land der ökonomischen Analphabeten“ im Vergleich zur angelsächsischen Welt, wo wirtschaftliches Grundwissen stärker verbreitet sei. Diese mangelnde Einsicht trage dazu bei, dass notwendige Kehrtwenden in der Politik nicht rechtzeitig eingeleitet werden. Seit 2018 sei ein „großer Adventismus der privaten Investoren in Deutschland“ zu verzeichnen, da Wirtschaftsbosse Deutschland auf dem falschen Weg sehen. Dieser Investitionsrückgang erkläre den wirtschaftlichen Abstieg.

Kritik an Energie- und Sozialpolitik Als Hauptursachen für diesen Strukturbruch nennt Sinn politische Weichenstellungen, allen voran die Energiepolitik. Er kritisiert eine „verheerende Verbotspolitik“ im Bereich Energie und Klima, die alles abwürge und unrealistische Hoffnungen auf Wachstum zulasse. Als Beispiel führt er das Verbrennerverbot an, das er schon früh als Fehlentwicklung bezeichnete und dessen negative Auswirkungen auf die Autoindustrie sich nun bestätigen. Laut Sinn werde der Umstieg auf E-Autos in Europa durch Flottenverbrauchsformeln der EU erzwungen, die E-Autos mit einem CO2-Ausstoß von Null ansetzten – eine „aberwitzige Schummelei“, da die Stromproduktion überwiegend noch auf fossiler Energie basiere. Die Folgen sind bereits spürbar: Nach Volkswagen sieht Sinn auch die Chemieindustrie, wie BASF, auf dem Abzug begriffen, da Unternehmen kein Interesse mehr hätten, in einer zunehmend „dirigistischen“ und regulierten Welt zu investieren.

Ein weiterer Kritikpunkt ist der Sozialstaat, der in den Merkel-Jahren die Schröder’schen Reformen rückabgewickelt habe. Sinn kritisiert insbesondere das Bürgergeld, das Menschen ohne Arbeitsleistung unterstütze. Er betont, dass jeder Mensch arbeiten müsse, um Wohlstand zu finanzieren, und schlägt vor, das Bürgergeld in einen „Lohn für Arbeit“ umzuwandeln, eventuell auch für einfache Tätigkeiten in den Gemeinden.

Demografische Zeitbombe und Rentensystem Das Versäumnis, auf den langfristigen Trend der Alterung der Bevölkerung und die „Kinderarmut“ zu reagieren, sei ebenfalls gravierend. Die Babyboomer-Generation, die kurz vor dem Renteneintritt stehe, wolle Renten von Kindern, die nicht da seien – eine Rechnung, die „schiefgeht“. Sinn warnt davor, dass die Sozialsysteme bei Beibehaltung des Status quo nur noch wenige Jahre aufrechterhalten werden können. Er fordert, dass die Menschen länger arbeiten und das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung geknüpft werden müsse.

Das aktuelle Umlagesystem der Rente sei nicht nachhaltig. Sinn kritisiert Bismarcks Einführung der Rentenversicherung 1889, die zwar das Los alter Menschen ohne Kinder verbesserte, aber auch einen Bewusstseinswandel einleitete, der das Kinderkriegen weniger notwendig erscheinen ließ. Er sieht darin eine „Versicherung gegen Kinderlosigkeit“, die die Investition der Eltern in ihre Kinder „sozialisiert“ und somit die Anstrengung zur Familiengründung vermindert habe. Sinn plädiert für weniger Staatseingriffe in dieser Hinsicht, anstatt eine „doppelte Intervention“ durch Kindergeld und Kitas zu betreiben.

Vorschläge für eine Kehrtwende Für eine potenzielle neue Bundesregierung formuliert Sinn klare Forderungen:
• Stopp der Energiewende, bis andere Länder ebenfalls mitziehen, und Konzentration auf Maßnahmen, die unilateral wirken, wie die Abscheidung und Speicherung von CO2 (Sequestrierung) und der Verzicht auf den Abbau eigener fossiler Brennstoffe. Er plädiert für eine Wiederbelebung der Atomkraft, deren Comeback weltweit zu beobachten sei.
• Mobilisierung der 3 Millionen Bürgergeld-Bezieher durch Umwandlung des Bürgergeldes in einen „Lohn der Kommunen für kommunale Arbeit“.
• Sofortiges Angehen des Rententhemas durch Abschaffung frühzeitiger Verrentungsmöglichkeiten und die Einführung eines flexiblen Rentensystems, das längeres Arbeiten belohnt. Sinn warnt zudem davor, die Wirtschaft durch weitere Schulden zu beleben, da Deutschland keine freien Kapazitäten, sondern Fachkräftemangel und zu wenig Energie habe, was nur die Inflation anheizen würde.

Globale Einflüsse und ein Funken Hoffnung Die Politik der USA unter Donald Trump, die auf Zölle und die Stärkung des Dollars abzielt, werde Deutschland und Europa weiter unter Druck setzen. Sinn prognostiziert, dass Trumps Politik, die auch eine Rückkehr zu traditionellen Werten und eine Abkehr von Konzepten wie „Work-Life-Balance“ oder „Wokeness“ bedeute, auf Europa ausstrahlen werde. Deutschland müsse sich nach alternativen Märkten umschauen und Freihandelsabkommen abseits der USA entwickeln, um sich zu behaupten.

Trotz seiner pessimistischen Einschätzung äußert Professor Sinn einen Funken Hoffnung. Er sieht einen „allmählichen Bewusstseinswandel“ in der deutschen Bevölkerung, der sich auch im Aufkommen neuer, „rechtsradikaler“ Parteien am politischen Rand zeige. Dies zwinge die etablierten Parteien der Mitte, ihre Programme zu ändern und sich wieder stärker an der Realität zu orientieren. Die Rückbesinnung auf Eigentumsrechte und das Verständnis einer Nation als „Club“, in den man nicht einfach so einwandern könne, seien notwendige Schritte für eine funktionierende Gesellschaft.

Skandal oder Fortschritt? Der Amazon Tower spaltet Berlin!

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Ein fast 150 Meter hohes Hochhaus ragt seit Kurzem in den Berliner Himmel und verändert die Skyline der Hauptstadt nachhaltig. Der Edge Eastside Tower ist nicht nur das höchste Gebäude im Osten Berlins, sondern auch das höchste Bürohaus der Stadt, direkt am Ostbahnhof gelegen. Dieses architektonische Wahrzeichen setzt neue Maßstäbe: klimaneutral, digital vernetzt und effizienter als jeder herkömmliche Büroturm. Doch seine Ankunft wird nicht von allen Seiten bejubelt, insbesondere wegen seines prominentesten Mieters: Amazon.

Ein Hochhaus der Zukunft: Nachhaltigkeit trifft Technologie
Der Edge Eastside Tower wurde als Symbol für die Zukunft des Bauens konzipiert und vom niederländischen Unternehmen Edge entwickelt, das für seine nachhaltigen Hochhäuser bekannt ist. Sein klares Ziel: maximale Effizienz bei minimalem Energieverbrauch. Das Gebäude verbraucht bis zu 60% weniger Energie als vergleichbare Gebäude.

Dies wird durch eine Reihe innovativer Merkmale erreicht:

• Intelligente Fassade: Die Glasfront besteht aus hochisolierenden, intelligenten Glaspaneelen, die den Wärmeverlust minimieren und gleichzeitig das Tageslicht optimal nutzen. Dadurch wird der Bedarf an künstlichem Licht und somit der Stromverbrauch drastisch gesenkt.

• Vernetzte Infrastruktur: Im Inneren erfassen Sensoren Temperatur, Luftqualität und Lichtverhältnisse in Echtzeit und passen die Gebäudetechnik automatisch an. Das bedeutet weniger Energieverbrauch und mehr Komfort für die Nutzer.

• Automatisierte Steuerung: Bei Nichtnutzung eines Raumes werden Lichter und Heizung heruntergefahren, um Energie zu sparen. Ein intelligentes Belüftungssystem sorgt zudem immer für frische, saubere Luft.

• Tageslichtgesteuerte Beleuchtung: Das System passt sich dem natürlichen Sonnenverlauf an, was nicht nur den Stromverbrauch reduziert, sondern auch das Wohlbefinden, die Produktivität und Konzentration der Menschen fördert.

• Autonomes Notfallsystem: Selbst bei Stromausfällen oder technischen Problemen ist die Sicherheit gewährleistet.

Auch die Bauweise ist revolutionär: Der Tower wurde so konstruiert, dass er seinen CO2-Fußabdruck minimiert und sich nahezu selbst mit Energie versorgt. Dies ist einer Hybridbauweise zu verdanken, bei der neben Stahlbeton auch nachhaltiges Holz und wiederverwendbare Materialien verwendet wurden, um den Materialverbrauch drastisch zu senken. Besonders innovativ ist, dass selbst die Innenwände so konzipiert sind, dass sie bei Bedarf leicht ausgetauscht oder recycelt werden können, anstatt aufwendig abgerissen zu werden. Für die Planung wurde ein digitales Zwillingsystem genutzt, bei dem das Gebäude vor der Fertigung virtuell in 3D erschaffen wurde, um Probleme frühzeitig zu erkennen und die Bauzeit zu verkürzen.

Amazon als Hauptmieter: Ein Signal für Berlin als Tech-Metropole
Der größte Mieter im Edge Eastside Tower ist niemand Geringeres als das US-amerikanische Tech-Unternehmen Amazon, das das Hochhaus als neuen deutschen Hauptsitz nutzt und hier Tausende Arbeitsplätze schafft. Diese Entscheidung ist mehr als nur ein wirtschaftlicher Schritt; sie ist ein starkes Signal für den Technologiestandort Berlin. Mit diesem höchsten Bürohaus der Stadt setzt Amazon ein klares Zeichen: Berlin gehört zu den wichtigsten Tech-Metropolen Europas.

Die Lage direkt am Ostbahnhof, einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte, ist ideal für Amazon, das Innovation, schnelle Erreichbarkeit und eine hochmoderne Arbeitsumgebung verbinden will. Das Konzept des Smart Buildings passt zudem ideal zur Firmenphilosophie von Amazon, das zunehmend auf nachhaltige Technologien setzt. Von hier aus will der Konzern seine Deutschlandstrategie steuern und neue Geschäftsmodelle entwickeln.

Kontroverse und Kritik: Schattenseiten des Fortschritts
Doch nicht jeder ist begeistert über den neuen prominenten Mieter und das futuristische Gebäude. Kritiker befürchten, dass Amazon die Mieten in der Umgebung weiter in die Höhe treiben und die Gentrifizierung im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg beschleunigen könnte. Schon jetzt ist das Viertel eines der begehrtesten in Berlin, und die Ansiedlung eines globalen Tech-Konzerns könnte den Druck auf den Wohnungsmarkt weiter erhöhen.

Zudem sehen einige in der wachsenden Präsenz von Tech-Giganten eine Gefahr für lokale Unternehmen, die sich gegen solche Riesen kaum behaupten können.

Ein Leuchtturmprojekt mit prägender Wirkung
Trotz dieser Kritik sehen viele Experten die Entscheidung Amazons als einen wichtigen Schritt für Berlins Wirtschaft. Die Stadt entwickelt sich zunehmend zu einem europäischen Zentrum für Technologie und Innovation, und die Präsenz eines Unternehmens dieser Größenordnung erhöht die Chancen auf weitere Investitionen in der Region.

Der Edge Eastside Tower ist mehr als nur ein weiteres Hochhaus; er ist ein Symbol für moderne Nachhaltigkeit und technologische Innovation. Mit seiner hochentwickelten Smart-Building-Technologie, der umweltfreundlichen Bauweise und seiner zentralen Lage markiert er einen Wendepunkt in der Berliner Architektur. Er könnte ein Vorbild für kommende Hochhausprojekte werden und beweisen, dass nachhaltiges und intelligentes Bauen in einer Metropole wie Berlin funktioniert. Andererseits könnte der Einfluss großer Tech-Konzerne wie Amazon das Stadtbild und die soziale Struktur Berlins nachhaltig verändern.

Fest steht: Der Edge Eastside Tower wird das Stadtbild der Hauptstadt für Jahrzehnte prägen. Er ist nicht nur eine neue Arbeitsstätte für Tausende von Menschen, sondern auch ein Leuchtturmprojekt für die Zukunft des Bauens – ein Gebäude, das sich selbst reguliert, Energie spart und den Komfort seiner Nutzer in den Mittelpunkt stellt. Berlin hat ein neues Wahrzeichen bekommen, und es weist den Weg in die Zukunft.

IC Falkenberg: Vom Popstar der DDR zum unabhängigen Liedermacher

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Er war wie kein anderer männlicher Popstar in der DDR und schaffte es, die jungen Menschen vergessen zu lassen, wo sie waren. Mit seinem schrillen Aussehen und seinen unverschämt großen Gesten war er ein Exot, ein bunter Vogel, der die sozialistische Musiklandschaft ordentlich aufmischte. Heute, mit 60 Jahren, ist Ralf Schmidt, besser bekannt als IC Falkenberg, zwar vielleicht kein Popstar mehr, aber dafür ein unabhängiger und erfolgreicher Liedermacher.

Die frühen Jahre in Halle und erste musikalische Schritte Geboren im Herbst 1960 als Ralf Schmidt in Halle an der Saale, wuchs er in einer Stadt auf, die abseits des Marktes fast noch mittelalterlich wirkte, eingezwängt zwischen Verfall und dem Rauch der Chemieindustrie. Schon als Kind war er lebhaft, und seine Lehrer wurden nicht müde, dies zu betonen. Mit nur acht Jahren spielte er zum ersten Mal Orgel in einer Kirche. Seine musikalische Karriere begann, als eine Zeitungsannonce des Stadtsingechors zu Halle seine Aufmerksamkeit weckte. Obwohl seiner Familie das Geld für neue schwarze Anzüge fehlte, bestand er die Aufnahmeprüfung und wurde Teil des Chores und der zugehörigen Schule auf dem Gelände der Franckeschen Stiftungen. Hier probte er drei Jahre lang fast täglich unter einem „straffen Regime“. Er trat als Solist auf und sogar als Kinderdarsteller am Theater Halle. In der Schule hingegen gab es Probleme; er geriet regelmäßig mit Lehrern aneinander und wurde schließlich von der Schule verwiesen, weil er als zu „aufmüpfig“ galt und sich gegen „alte Nazi-Überbleibsel“ in der Lehrerschaft zur Wehr setzte. Schon damals wollte er sich von denen unterscheiden, die „ihr Leben schon längst gelebt hatten und einfach komplett in Lethargie verschwunden sind“. Er war kein aktiver Oppositioneller, doch sein Auftreten, das er selbst als „Rüstung“ beschrieb, konnte bei anderen „Aggressionen auslösen“, gab ihm aber auch Kraft.

Der Aufstieg mit Stern Meißen und die Geburt des IC Sein ursprünglicher Plan, Liedermacher zu werden, scheiterte zunächst, da seine Texte über das Leben in der DDR nicht dem sozialistischen Leitbild entsprachen. Doch 1983 bot ihm ausgerechnet eine erfolgreiche Band der älteren Generation, Stern Meißen, eine große Chance. Die Band wollte sich musikalisch verjüngen und suchte nach einem neuen Sound, der dem Zeitgeist der Neuen Deutschen Welle entsprach. Als Ralf Schmidt mit Springerstiefeln und bunten Haaren auf die Bühne trat, wussten die Leute nicht, was auf sie zukam. Die anfängliche Reaktion war katastrophal: Er wurde ausgebuht und sogar mit Würstchen beworfen, und auch die Bandkollegen empfanden es als „extrem peinlich“. Doch der Zeitgeist war auf seiner Seite. Er bewies sein Gespür für die richtigen Melodien zur richtigen Zeit, und seine Texte trafen ins Herz einer jungen Generation. Er brachte junge Menschen „für einen Moment lang an einen anderen Ort“.

Anfang der 80er-Jahre verabschiedete sich der Musiker aus der ostdeutschen Provinz und zog nach Berlin (Ost), wo er sich der Freiheit am nächsten fühlte. Dort gab es einen regen Austausch mit West-Berlinern, und man bekam Platten aus dem Westen. Berlin fühlte sich für ihn wie die „große weite Welt“ an. Mit Stern Meißen kletterte er die Hitparaden hinauf und wurde zum Publikumsliebling, insbesondere bei den weiblichen Fans. Er verzauberte die Leute wie in einer Manege und war mit keinem anderen Kollegen vergleichbar. Seine Eigenkompositionen für Stern Meißen waren „was ganz eigenes“.

Mitte der 80er-Jahre, noch während seiner Zeit bei Stern Meißen, entschloss er sich, unter dem Namen IC (Abkürzung für „integrierter Schaltkreis“, ein Name, der damals nach Zukunft klang) erste elektronische, ultramoderne Songs aufzunehmen. Das Ergebnis beeindruckte sogar Musikkritiker, die sagten, „so was gibt’s ja noch nicht mal im Westen“. Sein „geiler“ und „anderer“ Klang resultierte auch daraus, dass er sich über die in der DDR existierende „0 dB Regel“ hinwegsetzte, die eine Kontrolle der Pegelstände durch die Deutsche Post vorsah und dafür sorgte, dass Schlagzeuge in DDR-Produktionen „komisch“ klangen. 1987 wurde sein Song „Mann im Mond“, ursprünglich als Kinderlied geschrieben, zum Superhit im DDR-Fernsehen und machte ihn zum Popstar der DDR. Er verkaufte Hunderttausende von Alben und war Gast in jeder Jugendsendung.

Der Preis des Erfolgs und die Wende Trotz des immensen Erfolgs war er nicht wirklich glücklich. Es schien, als schlugen „zwei Herzen in seiner Brust“, und er selbst war ambivalent. Er brauchte Anerkennung und hatte einen Motor, der sich davon nährte, aber er empfand auch, dass er „enttäuschte“. Die Zeit für seine Familie war knapp; er war nicht dabei, als seine beiden Söhne geboren wurden und als sein Vater starb, was er bis heute bedauert. Die Beschränkung, als Musiker „zwischen Suhl und Rostock“ agieren zu müssen, war frustrierend. Trotz Einladungen von westlichen Labels wie Warner oder Sony konnte er nicht reisen, was internationale Tourneen und Promotion unmöglich machte.

Es war, als würde man „immer gegen so eine Wand rennen, so eine Glaswand“, man sah, was möglich wäre, konnte es aber nicht erreichen.
Im November 1989 fiel die Mauer. IC Falkenberg war einer der ersten Kollegen, die einen Deal im Westen unterschreiben konnten. Doch schnell stellte sich heraus, dass seine Art, Musik zu machen und Songs zu schreiben, nicht in die westlichen Fernseh- und Radioformate passte. Man versuchte, ihn „auf Linie zu bringen“, und er fand sich zuweilen in Schlagersendungen wieder. Der Übergang war schwer, da die ostdeutschen Künstler über Nacht an Relevanz verloren, als die „Musiklandschaft sich so verändert hat und man auf einmal quasi legal alles aus dem Westen konsumieren konnte“.

Der Liedermacher heute: Unabhängig und erfüllt Heute hat IC Falkenberg sein eigenes Label, produziert und vertreibt seine Musik selbst und bucht seine eigenen Touren. Er ist vielleicht kein Popstar mehr, aber dafür unabhängig und nach wie vor erfolgreich. Obwohl Corona seine Tourpläne durchkreuzte, macht er sich nicht nur Sorgen um die Spielstätten, sondern auch um junge Musiker am Beginn ihrer Karriere.
Mit 60 Jahren sind seine Bühnen kleiner als vor 35 Jahren. Doch er tut das, was er eigentlich immer tun wollte: Er ist ein Liedermacher.

Seine Musik ist oft politisch, kämpferisch und doch immer noch mit großem Pop-Appeal versehen. Er ist stolz darauf, mit 60 noch auf der Bühne zu stehen und „sein eigenes Ding durchzuziehen“. Er hat seine Mitte gefunden und es ist ihm „scheiß egal, was andere von ihm halten“. Wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, würde er seinem 14-jährigen Ich raten: „Du willst Liedermacher sein, also sei es dann“. Das, was er heute tut, hat für ihn eine „heilende“ Wirkung, weil er damit Menschen erreicht und seine Arbeit eine Bedeutung hat. Er empfindet sein Leben heute als „schönes Leben“.

Berlins bekanntestes unbekanntes Gebäude birgt faszinierende Geheimnisse

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Tagtäglich passieren Tausende Berlinerinnen und Berliner das Alte Stadthaus im Herzen der Stadt, oft ohne zu ahnen, welche Geschichte sich hinter seinen monumentalen Mauern verbirgt. Dieses prächtige Gebäude vis-à-vis dem Roten Rathaus und dem Berliner Fernsehturm, einst ein Tempel der kommunalen Selbstverwaltung, ist heute der Sitz des Landesdenkmalamtes und birgt vier zentrale Geheimnisse aus der Geschichte Berlins. Christoph Rauhut, der Direktor des Landesdenkmalamtes, der das Gebäude seit Herbst 2018 täglich betritt und verlässt, nimmt uns mit auf eine Reise durch diese verborgenen Schichten.

Ein zweites Rathaus für eine wachsende Metropole
Das Alte Stadthaus, das man normalerweise nicht besichtigen kann, wurde notwendig, weil das Rote Rathaus nach seiner neunjährigen Bauzeit und der ersten Stadtverordnetenversammlung im Jahr 1870 bereits zu klein war. Berlin war damals eine enorm wachsende, moderne Millionenstadt und die Verwaltung benötigte dringend mehr Platz. Der Stadtbaurat Ludwig Hoffmann wurde beauftragt, einen repräsentativen Verwaltungssitz zu errichten, der mit knapp 13.000 Quadratmetern und Platz für rund 1000 städtische Beamte das Rote Rathaus (9000 Quadratmeter, 317 Arbeitsplätze) bei Weitem übertraf.

Hoffmanns Ziel war eine nach außen hin ruhige und kräftige Wirkung, inspiriert von italienischen Renaissancepalästen, die er auf Reisen in Florenz, Rom und Neapel studierte. Das Innere sollte bürgerlich-schlicht und dennoch großzügig sein, um Berlins Selbstverständnis als moderne Metropole auszudrücken. Dazu gehörte auch der 80 Meter hohe Turm, der rein zu Repräsentationszwecken diente und dessen Bau selbst der Stadtkämmerer angesichts der guten Finanzlage nicht beanstandete. Die Atmosphäre im Inneren wurde bewusst so gestaltet, dass sie einfach, schlicht und feierlich wirkte, wobei Hoffmann sogar auf zu viel Tageslicht verzichtete, um die Ausstattungselemente besser zur Geltung zu bringen.

Symbole der Stadt und Spuren der Geschichte
Ein prägendes Element der Innenausstattung sind die vier Bärensäulen, originale Ausstattungsgegenstände, die heute besonders wertvoll sind. Sie zeigen den Berliner Bär und die Berolina, die männlichen und weiblichen Symbole der Stadt, und verweisen im Kern auf die Säulen des Tempels von Jerusalem, indem sie jüdische, christliche und römische Symbole zitieren. Interessanterweise ließ die DDR-Regierung die Säulen nach dem Krieg entfernen, die Bären wurden ins Museum gebracht. Nach der Wiedervereinigung forschte das Denkmalamt intensiv und konnte wichtige Teile der Säulen in einem Privatgarten in Potsdam finden, sodass sie wieder aufgestellt werden konnten.

Der sogenannte Festsaal, heute Bärensaal genannt, liegt im Inneren des Baus und war als „Stadthalle für ernste Feiern“ konzipiert. Er sollte dem Inneren des Gebäudes architektonischen Halt geben und war pompöser als vom Magistrat verlangt. Im Gegensatz zum Roten Rathaus hatte das Alte Stadthaus eine solche Halle. Der namensgebende Bär des Saales stammt von Georg Wrba, einem bedeutenden Künstler des frühen 20. Jahrhunderts, der ihn bewusst auf einen hohen Sockel stellte, um eine angemessene Würde durch Distanz zu schaffen.

Das Stadthaus wurde im Zweiten Weltkrieg durch Luftbomben schwer beschädigt, die Mansardendächer brannten ab. Doch das Dach über der Festhalle und der Turm hielten stand, und auch der Bär überlebte. Nach dem Krieg wurde das Gebäude zum Sitz des Ministerrates der DDR. In dieser Zeit fanden umfangreiche Umbauarbeiten statt, da die ostberliner Politiker und Architekten eine Abneigung gegen alles „Wilhelminische“ hatten. Das pompöse Design des Stadthauses wich einem sozialistischen Regierungssitz. Die alte Festhalle wurde zu einem „modernen Konferenzsaal“ umgebaut, mit einer Zwischendecke und holzvertäfelten Wänden, nur noch für Betriebsversammlungen und Auszeichnungszeremonien genutzt. Doch ausgerechnet hier fanden bis 1990 die entscheidenden Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR zur Wiedervereinigung statt. Nach der Wiedervereinigung wurde die Festhalle behutsam restauriert, wobei man sich entschied, nicht nur die ursprüngliche Pracht wiederherzustellen, sondern auch die Spuren der wechselhaften Geschichte wie abgehauene Steine und Schlitze in den Wänden zu erhalten. Im Jahr 2001 kehrte der Bär an seinen angestammten Platz zurück.

Dunkle Kapitel und archäologische Schätze
Das Stadthaus war auch während des Dritten Reiches Verwaltungssitz. Es gibt noch „dunkle Flecken“ in der Geschichte des Gebäudes, die weiterer Untersuchung bedürfen. Eine besonders bewegende Zeitzeugengeschichte stammt von Waltraud Mehling, die in den 1930er Jahren als Kind mit ihren Eltern, einem Elektro- und Schlossermeister des Hauses, in einer Dienstwohnung des Stadthauses lebte. Sie berichtete, wie ihre Eltern im Keller mehrere jüdische Mitbürger versteckten und sie als kleines Mädchen ihnen versteckt in einem Puppenkörbchen Essen brachte. Als der Hausmeister die Gestapo auf die Familie aufmerksam machte, mussten die versteckten Personen in einen Tiefkeller des Stadthauses verlegt werden. Glücklicherweise ging alles gut aus.

Im ehemaligen Heizkeller des Gebäudes befindet sich heute das Archiv des Landesdenkmalamtes und das archäologische Eingangsmagazin, geleitet von Restauratorin Mercedes Gransow. Hier kommen alle archäologischen Funde an, die in Berlin geborgen werden, von der Ur- und Frühgeschichte bis zur Moderne. Zu den modernsten Funden zählen Kontexte aus dem Zweiten Weltkrieg und sogar Mauerfunde. Zu den außergewöhnlichsten Funden gehören ein Telefon aus einem Bombenkrater, eine mittelalterliche Katze, deren Pfoten nach ihrem Tod abgetrennt und deren Fell über den Kopf gezogen wurde, was auf eine besondere Behandlung hindeutet, und sogar ein „Berliner Krokodil“ vom Armenfriedhof in der Pufendorfstraße. Isotopenanalysen bestätigten, dass es in Berlin geboren und aufgewachsen war. Diese Funde erzählen viel über die Alltagsgeschichte Berlins, von den Zwangsarbeiterlagern bis zur Entwicklung der Stadt am Molkenmarkt.

Vom Ministerpräsidentenbüro zur Senatsverwaltung
Von ganz unten geht es in den Sicherheitsbereich des Alten Stadthauses, wo früher das Büro des DDR-Ministerpräsidenten und sein engster Führungszirkel saßen. Hier wirkten Jahrzehnte lang Willi Stoph, Hans Modrow und zuletzt Lothar de Maizière. Lothar de Maizière beschrieb den Raum als typische DDR-Dienststelle mit großformatigen Tapeten, Sicherheitstelefonen und Stahlschränken. Heute ist dieser Bereich der Sitz des Berliner Innensenators Andreas Geisel, der auch andere Behörden wie die Innenverwaltung (Polizei, Feuerwehr), Sportverwaltung, IKT (Digitalisierung der Verwaltung) und den Verfassungsschutz beherbergt. Der Bärensaal wird weiterhin regelmäßig für große Veranstaltungen, Konferenzen und Empfänge genutzt. Senator Geisel selbst hat eine Kindheitserinnerung an den Bären, auf dem er als Kind im Tierpark Berlin herumkletterte.

Vom Turm des Stadthauses aus, dessen Spitze noch nicht einmal der regeltreue Innensenator erklommen hat, bietet sich ein beeindruckender Blick über die Stadt. Direkt vor dem Gebäude liegt der historische Molkenmarkt, einst ein wichtiges Handelszentrum. Der Bau des Stadthauses und des Roten Rathauses waren massive Eingriffe in die mittelalterliche Stadtstruktur, für die ganze Häuserblöcke abgerissen wurden, was vom Turm aus beim Blick auf das Nikolaiviertel besonders deutlich wird.

Das Alte Stadthaus ist somit weit mehr als nur ein Verwaltungsgebäude – es ist ein lebendiges Denkmal, das die wechselvolle Geschichte Berlins in seinen Mauern festhält und immer wieder neue, faszinierende Geheimnisse preisgibt.