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Im Schatten der Geschichte: Dr. Sabine Bergmann-Pohl und der Wandel der DDR

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Ein Blick auf das Schicksal einer außergewöhnlichen Frau, die den Übergang einer Nation mitgestaltete

In einer bewegten Zeit des Umbruchs und der politischen Turbulenzen – als die Mauer fiel und das Ende der DDR immer greifbarer wurde – trat Dr. Sabine Bergmann-Pohl, ursprünglich praktizierende Lungenärztin, in das politische Rampenlicht. Ihr Weg in die Politik war alles andere als geplant: Niemand hatte ihr gesagt, dass sie mit dem Antritt ihres Amtes als letzte Volkskammerpräsidentin der DDR auch gleichzeitig neues Staatsoberhaupt sein würde. So wurde sie zum ersten und gleichzeitig auch letzten frei gewählten Staatsoberhaupt der DDR. Diese überraschende Wendung sollte ihr Leben und das Schicksal eines ganzen Landes für immer verändern.

Ein ungewollter Einstieg in die Politik
Im April 1990 herrschte in der DDR ein Gefühl kollektiver Ungewissheit. Die jahrzehntelange Stabilität des sozialistischen Systems begann zu bröckeln, und viele Bürger standen plötzlich vor der Frage, was die Zukunft bringen würde. Dr. Bergmann-Pohl war zu dieser Zeit als Lungenärztin tätig – ein Beruf, der ihr Sicherheit und Zufriedenheit bot. Doch als der runde Tisch die Organisation der freien Volkskammerwahl beschloss, suchten westberliner CDU-Verbände nach unbelasteten Persönlichkeiten, die das Vertrauen in den Übergang verkörpern konnten. Trotz anfänglicher Zurückhaltung und dem Wunsch, in ihrem Beruf zu verbleiben, ließ sie sich schließlich von der Dringlichkeit der Situation überzeugen und trat in die politische Arena ein.

Der rasante Aufstieg zur Volkskammerpräsidentin und Staatsoberhaupt
Kaum hatte Dr. Bergmann-Pohl den Schritt in die Politik gewagt, nahm ihr politischer Aufstieg eine spektakuläre Wendung. Bereits während der ersten Fraktionssitzung wurde ihr Name ins Spiel gebracht, und es dauerte nicht lange, bis sie als Kandidatin für das Amt der Volkskammerpräsidentin vorgeschlagen wurde. Dabei kam es zu einem Schlüsselmoment: Niemand hatte ihr gesagt, dass mit dem Antritt dieses Amtes auch die Übernahme der Funktion als Staatsoberhaupt einhergehen würde. Die Nachricht traf sie völlig unerwartet – und zugleich zeigte sich damit, dass sie das erste und letzte frei gewählte Staatsoberhaupt der DDR werden sollte.

Diese doppelte Bürde, die Verantwortung als Parlamentsvorsitzende und zugleich als Staatsoberhaupt zu tragen, ließ sie mit einem enormen Gefühl der Überwältigung zurück. In einer schlaflosen Nacht, als sie realisierte, welch monumentalen Aufgaben sie bevorstanden, offenbarte sich ihr innerlicher Konflikt zwischen beruflicher Leidenschaft und politischem Zwang. Der Schritt in die Politik war so unvermittelt, dass er an das Bild eines unvorbereiteten Tauchgangs in stürmische Gewässer erinnerte – ein Sprung ins kalte Wasser, den sie aus Pflichtgefühl wagte.

Die Nacht vor dem historischen Beschluss
Der Übergang der DDR in die Bundesrepublik Deutschland war von einer atemberaubenden Dynamik geprägt. Inmitten eines dichten Zeitplans, der von ständiger Improvisation und politischen Verhandlungen geprägt war, fand eine Nacht statt, die das Schicksal der Nation besiegeln sollte. Dr. Bergmann-Pohl erinnert sich an jene Nacht eindringlich: Ein Abgeordneter, de Maizière, kündigte in einer Sondersitzung an, dass bereits in dieser Nacht über den Zeitpunkt der Wiedervereinigung diskutiert werden würde. Die Atmosphäre war geladen – nicht nur von politischem Kalkül, sondern auch von persönlichen Ängsten und der Erkenntnis, dass jede Entscheidung den Verlauf der Geschichte maßgeblich beeinflussen konnte.

Der Weg zur Wiedervereinigung
Am 23. August 1990 fiel in der Volkskammer der Beschluss über den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Beschluss markierte den Beginn einer neuen Ära und leitete die Wiedervereinigung ein – ein historischer Moment, der untrennbar mit Dr. Bergmann-Pohls Amtseinführung verknüpft ist. Es war ihre letzte Amtshandlung als Präsidentin, die diesen Übergang in Gang setzte, und sie tat dies inmitten extremer Anstrengungen und eines politischen Zeitdrucks, der kaum Raum für Planung ließ. Trotz der enormen Belastung und der Überstunden, die oft von frühen Morgenstunden bis in die späten Nächte reichten, war es ein Akt von unerschütterlichem Pflichtbewusstsein und Verantwortungsgefühl.

Im dokumentarischen Format des „RIVERBOAT“ lässt sie die Zeit der Wiedervereinigung noch einmal Revue passieren. In diesem Rückblick schildert sie nicht nur die politischen Entscheidungen und das Wirrwarr an Terminen, sondern auch die emotionalen Herausforderungen, die diese Übergangsphase mit sich brachte. Der RIVERBOAT dient dabei als Medium, um diese bewegte Zeit zu veranschaulichen und den persönlichen Tribut zu würdigen, den die Wiedervereinigung sowohl auf sie als auch auf die Menschen der DDR forderte.

Emotionen und Schicksal – das persönliche Erleben
Der Tag des Beitritts, der 3. Oktober 1990, bleibt Dr. Bergmann-Pohl unvergessen. Während die jungen Menschen mit den schwarz-rot-goldenen Fahnen jubelten und der Hoffnung auf ein neues Deutschland Ausdruck verliehen, stand sie selbst im Hintergrund – überwältigt von der Schwere ihrer Verantwortung. Mit Tränen in den Augen beobachtete sie den symbolischen Akt des Übergangs, der nicht nur das Ende einer Ära, sondern auch den Beginn einer neuen Ära der Freiheit und Demokratie einleitete. Ihr Zurückhalten im Rampenlicht war Ausdruck einer tiefen inneren Zerrissenheit: Einerseits die Erleichterung über den historischen Erfolg, andererseits die Erkenntnis, dass sie und ihre Mitstreiter für den Aufbau eines völlig neuen Systems gewappnet sein mussten.

Diese Mischung aus Stolz, Schmerz und der schieren Erschöpfung, die sie während dieser Tage erlebte, prägte ihren weiteren Lebensweg und bleibt ein zentraler Bestandteil ihres Vermächtnisses. Ihre Worte, die sie im Rückblick auf den RIVERBOAT festhält, zeugen von einer Frau, die nicht nur politische Entscheidungen traf, sondern auch die persönlichen Kosten eines solchen Umbruchs zu spüren bekam.

Die politische Landschaft nach der Wiedervereinigung
Die Ereignisse jener Tage ließen tiefe Spuren in der deutschen Gesellschaft zurück. Die Wiedervereinigung brachte nicht nur den Zusammenschluss zweier Staaten, sondern auch ein komplexes Geflecht aus Erwartungen, Ängsten und politischen Konflikten. Während viele den Mut und die Entschlossenheit der Ostdeutschen lobten, um den abrupten Wandel zu meistern, gab es auch immer wieder kritische Stimmen aus dem Westen, die den schnellen Übergang und die damit verbundenen Herausforderungen infrage stellten.

Dr. Bergmann-Pohl vertritt in diesen Debatten den Standpunkt, dass gerade die Erfahrungen der DDR-Bürger sie zu widerstandsfähigen und engagierten Demokraten gemacht haben. Ihrer Meinung nach wurde der Wandel von vielen unterschätzt, und die komplexen sozialen und wirtschaftlichen Anpassungsprozesse blieben oft unberücksichtigt. Der anhaltende Diskurs über Identität, Demokratie und die Verarbeitung der DDR-Vergangenheit ist ein Mahnmal dafür, dass die Ereignisse von 1990 nicht einfach der Geschichte angehören, sondern auch heute noch das gesellschaftliche und politische Klima beeinflussen.

Wege nach der politischen Schaltzentrale
Nachdem die DDR offiziell in die Bundesrepublik eingegliedert wurde, fand Dr. Bergmann-Pohl einen Weg zurück zu ihren ursprünglichen beruflichen Wurzeln. Zunächst wurde sie ins Bundesministerium für besondere Aufgaben berufen – ein Amt, das sie nur kurzzeitig innehatte, bevor sie als Staatssekretärin im Gesundheitsministerium ihren Traumjob wiederaufnahm. Diese Rückkehr in den Gesundheitsbereich spiegelte nicht nur ihre persönliche Leidenschaft wider, sondern zeigte auch, dass trotz des intensiven politischen Engagements das Bedürfnis nach einer beruflichen Beständigkeit und Identität nie ganz verloren ging.

Ihr Lebensweg steht exemplarisch für den Balanceakt zwischen politischer Verantwortung und persönlicher Berufung – ein Balanceakt, den sie meisterte, während sie gleichzeitig den Wandel einer ganzen Nation mitgestaltete.

Ein Vermächtnis des Wandels
Die Geschichte von Dr. Sabine Bergmann-Pohl ist weit mehr als nur ein Kapitel der deutschen Wiedervereinigung. Sie steht sinnbildlich für den Mut, den es braucht, um in Zeiten tiefgreifender Umbrüche Verantwortung zu übernehmen – auch wenn man selbst niemals damit gerechnet hätte. Ihr überraschender Aufstieg zur letzten Volkskammerpräsidentin und gleichzeitig zum ersten und letzten frei gewählten Staatsoberhaupt der DDR zeigt, wie unvorhersehbar historische Prozesse verlaufen können.

Durch ihre letzte Amtshandlung leitete sie nicht nur die Wiedervereinigung ein, sondern setzte auch ein Zeichen dafür, dass Geschichte von den Menschen geschrieben wird, die den Mut haben, über sich hinauszuwachsen. Im Rückblick, wie sie im RIVERBOAT eindrucksvoll schildert, erinnert sie uns daran, dass der Preis des Fortschritts oft hoch ist – doch zugleich offenbart er die Stärke und Widerstandsfähigkeit eines Volkes, das sich seinen Herausforderungen stellt.

Ein Blick in die Zukunft
Auch heute, Jahrzehnte nach den einschneidenden Ereignissen des Jahres 1990, hallen die Erinnerungen an diese turbulente Zeit nach. Die Herausforderungen der Wiedervereinigung, die politischen Umwälzungen und der persönliche Tribut, den sie forderte, sind weiterhin Gegenstand intensiver Diskussionen. Dr. Bergmann-Pohl mahnt, dass es wichtig ist, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen – sei es im Hinblick auf die Gestaltung demokratischer Prozesse oder bei der Anerkennung der individuellen Schicksale, die in großen historischen Umbrüchen oft untergehen.

Ihr Lebensweg ist ein Appell an all jene, die an den Wert von Freiheit und demokratischer Teilhabe glauben. In einer Zeit, in der politische und gesellschaftliche Strukturen immer wieder herausgefordert und neu definiert werden, bietet ihr Beispiel Hoffnung und Orientierung. Dr. Bergmann-Pohl zeigt uns, dass es möglich ist, selbst in den dunkelsten Stunden des Umbruchs den Blick auf eine bessere Zukunft zu richten und Verantwortung zu übernehmen – auch wenn der Weg dorthin steinig und unvorhersehbar ist.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl verkörpert den unerschütterlichen Geist einer Generation, die sich den Herausforderungen des Wandels stellte und dabei nie den Glauben an eine bessere Zukunft verlor. Ihr überraschender Aufstieg zum letzten Volkskammerpräsidenten und ersten frei gewählten Staatsoberhaupt der DDR, die überwältigenden Nächte vor historischen Beschlüssen und die persönliche Mischung aus Erschöpfung und Triumph – all dies macht sie zu einer Schlüsselfigur in der Geschichte der deutschen Wiedervereinigung.

Im Rückblick, etwa im RIVERBOAT festgehalten, lässt sie die bewegende Zeit noch einmal Revue passieren – eine Zeit, in der Verantwortung und Schicksal untrennbar miteinander verbunden waren. Ihre Geschichte mahnt uns, dass der Wandel stets von den Menschen getragen wird, die bereit sind, über sich hinauszuwachsen und selbst in den schwierigsten Momenten den Blick nach vorn zu richten. So bleibt ihr Vermächtnis nicht nur ein Zeugnis vergangener Herausforderungen, sondern auch ein leuchtendes Beispiel für die Kraft der Veränderung und den unbezwingbaren Willen, die Zukunft aktiv zu gestalten.

Eliteaustausch nach der Wende: Wie 35.000 Beamte aus dem Westen den Osten prägten

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Drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall sind die Wunden der deutschen Wiedervereinigung in Ostdeutschland noch lange nicht verheilt. Ein Gefühl der Ungerechtigkeit hält sich hartnäckig, befeuert durch eine Realität, in der Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft, Justiz und Verwaltung überproportional von Westdeutschen besetzt sind. Dieses Ungleichgewicht ist nicht nur ein Gefühl, sondern eine reale Schieflage, die zu gesellschaftlichen Konflikten führt. Der Literaturprofessor Dirk Oschmann, selbst ein „Ossi“, hat dieses Thema in seinem erfolgreichen Sachbuch aufgegriffen und damit vielen Ostdeutschen aus der Seele gesprochen. Seine zentrale These: Westdeutsche Eliten bestimmen im Osten noch immer den Ton.

Blickt man auf die Zahlen, so wird Oschmanns Beobachtung untermauert: In der Bundeswehr etwa gibt es unter 200 Generälen keinen einzigen aus Ostdeutschland. Bei den über 300 Bundesrichtern, die die wichtigsten Urteile des Landes sprechen, stammen gerade einmal etwa 15 aus dem Osten. Selbst in Ostdeutschland selbst sieht es an der Spitze oft nicht anders aus: An den obersten Landesgerichten ist zwar fast jeder vierte Richter ostdeutsch, bei den Vorsitzenden Richtern aber nur jeder zwanzigste. Das bedeutet: Auch im Namen des ostdeutschen Volkes spricht in letzter Instanz vor allem westdeutsches Recht.

Doch die Dominanz beschränkt sich nicht auf die Justiz. Im wichtigsten deutschen Aktienindex DAX ist kein einziges ostdeutsches Unternehmen vertreten. In den Vorständen der 40 DAX-Unternehmen sitzen 253 Chefs, nur eine einzige von ihnen ist ostdeutsch. Bei den 100 größten Unternehmen im Osten sind in zwei von drei Fällen Westdeutsche in den Chefsesseln. Auch an Universitäten, in Behörden und im Militär ist der Anteil westdeutscher Führungskräfte hoch und hat sich über die Jahrzehnte kaum verändert, teilweise sogar reduziert.

Der „Eliteaustausch“ nach der Wende
Wie kam es zu dieser Situation? Direkt nach dem Mauerfall fehlten in Ostdeutschland Fachkräfte in vielen Bereichen. Insbesondere im Justizwesen gab es pro Kopf viel weniger Juristen als in der BRD, und ein Großteil der DDR-Richter musste gehen, da ihnen vorgeworfen wurde, politische Urteile gesprochen zu haben. Beamte aus Westdeutschland wurden dringend gebraucht, um tausende DDR-Gerichtsakten zu prüfen. Viele Ostdeutsche, selbst in Führungspositionen, hatten Misstrauen gegenüber Richtern mit DDR-Ausbildung. Die Universitäten in der Bundesrepublik waren in den 1980er Jahren überfüllt mit Absolventen, die nun Jobs suchten und zu Tausenden in den Osten kamen. Dieser massiver Zustrom westdeutscher Beamter und Angestellter war auch ein Weg, das eigene Problem der Bundesrepublik mit der Bildungsexpansion zu lösen.

Die DDR-Eliten wurden hingegen vom Hof gejagt und vielfach ersetzt. Bereits 1990 stammten die 62 obersten Beamten in den ostdeutschen Ministerien alle aus dem Westen. Bis 1994 kamen rund 35.000 Beamte aus den alten Bundesländern in den Osten. Dieser Prozess wird von einigen Experten als ein nie dagewesener Wechsel der Eliten beschrieben.

Eine besonders prägende Rolle spielte dabei die Treuhandanstalt, die die volkseigenen Betriebe der DDR abwickeln sollte. Ludwig Köhne, ein Westdeutscher, der 1989 nach Ost-Berlin kam und den Aufbruch faszinierend fand, arbeitete selbst kurzzeitig bei der Treuhand. Er erlebte, wie über die Köpfe der Ostdeutschen hinweg entschieden wurde. Während er und viele ostdeutsche Kollegen ganz unten in der Hierarchie standen, kamen die Anzugträger in den obersten Etagen fast alle aus dem Westen. Ende 1992 hatte die Treuhand 49 Direktoren, nur zwei von ihnen stammten aus dem Osten.

Fremdbestimmung und Verarmungserfahrung
Das Volkseigentum der Ostdeutschen wurde verkauft und abgewickelt – größtenteils durch Westdeutsche. Man kann durchaus sagen, man habe eine Form der Kolonialisierung Ostdeutschlands vorangetrieben. Zwar sahen sich die Westdeutschen, die kamen, nicht als Kolonialisten, sondern als Menschen, die eine interessante Karriereoption nutzten. Die Juristin Iris Görke Berzau, die 1991 nach Sachsen-Anhalt kam, berichtet von der dringenden Notwendigkeit von Juristen aus dem Westen, um das Justizsystem aufzubauen. Viele von ihnen arbeiteten extrem hart und brachten große persönliche Opfer. Sie verwehrt sich gegen das Klischee, Westdeutsche seien nur zum „Abkassieren“ gekommen.

Doch ungeachtet der individuellen Motivationen vieler Westdeutscher, die im Osten halfen und sich engagierten, entstand bei vielen Ostdeutschen ein Gefühl der Fremdbestimmung. 85 % aller mittleren bis großen volkseigenen Betriebe wurden an Westdeutsche verkauft, nur 5 % an Ostdeutsche. Ostdeutsche Manager hatten historisch bedingt weniger Kapital und unternehmerische Erfahrung. Experten bemängeln, dass diese nicht aktiv gefördert wurden. Stattdessen wirkten „West-Seilschaften“, die dafür sorgten, dass der „andere Kulturkreis Ostdeutschland“ nicht zum Zuge kam. Man traf sich in Lounges auf Flughäfen, wo der „normale Ostdeutsche“ nicht hinkam.

Die Grunderfahrung der Demokratie im Osten war laut Manja Kliese, einer Ostdeutschen in Führungsposition im Auswärtigen Amt, eine des entmächtigt Werdens und Verarmens – ökonomisch, kulturell, sozial und symbolisch. Die 1990er Jahre brachten für viele Ostdeutsche massive berufliche Brüche; aus Werftarbeitern wurden Lageristen, aus Lehrerinnen Putzkräfte. Diese enttäuschende Erfahrung machte viele Ostdeutsche risikoaversiv. Die Sicherheit stand oft über dem Aufstieg.

Die Folgen: Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein und Populismus
Das Ergebnis ist, dass viele Ostdeutsche sich nicht als mitgestaltende Kraft in der Demokratie begreifen können und sich nicht angemessen repräsentiert sehen – nicht in den Medien, nicht in der Wirtschaft, nicht in der Politik. Es ist nicht nur ein Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, sondern sie fühlen sich als Menschen zweiter Klasse, weil sie so behandelt werden. Dieses Gefühl der Benachteiligung scheint ein dauerhaftes Problem zu bleiben.

Dieser Unmut über „die da oben“, die so häufig westdeutsch sind, zeigt sich auch in Wahlergebnissen im Osten. Populistische Parteien, insbesondere die AfD und das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW), feiern hier große Erfolge. Experten sehen einen Zusammenhang: Eine systematische Unterrepräsentation kann dazu führen, dass Menschen populistisch offener sind. Die Kernthese vieler Populisten von fernen, korrupten Eliten, die nicht zuhören, trifft in Ostdeutschland auf einen Nährboden, da viele Menschen sich mit den dominanten Eliten aufgrund ihrer Herkunft nicht identifizieren können. Sarah Wagenknecht, selbst in der DDR geboren, sieht ihre Kritik an den westdeutschen Eliten nicht als Populismus, sondern als Hinweis auf einen ernsten Missstand.

Wege aus der Schieflage?
Wie kann das Ungleichgewicht behoben werden? Die Debatte über eine Quote für Ostdeutsche, wie vom BSW gefordert, ist umstritten. Einige halten sie für unausweichlich, um eine Veränderung zu erreichen, andere für rechtlich schwer umsetzbar und wenig zielführend.

Viele Stimmen betonen, dass es auch an den Ostdeutschen selbst liegt. Dirk Oschmann meint, der Osten müsse den Mut haben, die Chancen zu ergreifen und den „Marsch durch die Institutionen“ anzutreten, sich zu bewerben, anstatt vorher zu resignieren. Manja Kliese berichtet, dass sich viele junge Ostdeutsche Bewerbungen für Top-Positionen oft gar nicht zutrauen. Ludwig Köhne stellt fest, dass es schwierig ist, Ostdeutsche zu finden, die Geschäftsführer werden wollen, weil sie nach den Verlusten der 90er Jahre das Erreichte nicht riskieren wollen.Einige fordern, dass sich die Ostdeutschen kritisch mit ihrer eigenen Rolle auseinandersetzen und die Schuld nicht nur bei den Westdeutschen suchen sollten. Ludwig Köhne warnt vor einem „Ossi-Exzeptionalismus“, dem Gedanken, etwas Besonderes zu sein, was in die falsche Richtung führe.

Gleichzeitig gibt es Bemühungen, die nächste Generation Ostdeutscher zu fördern. Kliniken und Universitäten versuchen, junge Menschen aus der Region stärker zu unterstützen, etwa durch Stipendien, die nicht nur finanziell helfen, sondern auch den Zugang zu wichtigen Netzwerken ermöglichen. Es fehlt jedoch an ostdeutschen Studierenden, die sich um solche Stipendien bewerben.

Experten betonen die Notwendigkeit struktureller Gründe für die anhaltende Benachteiligung und fordern gesellschaftspolitische Anstrengungen. Es gehe darum, einer relevanten Bevölkerungsgruppe eine faire Chance zu geben und sie zu unterstützen, damit sie ihre Interessen und Ideen einbringen können und eine gerechte Chance haben, auch ganz nach oben zu kommen.

35 Jahre nach dem Mauerfall herrscht im Osten noch immer eine Schieflage. Was ein Übergang sein sollte, scheint zu einem Dauerzustand geworden zu sein, der für viele Ostdeutsche mit dem Gefühl verbunden ist, nicht vollständig gleichberechtigt teilzuhaben und mitzubestimmen. Es bleibt eine Herausforderung für die deutsche Demokratie, diese tiefe Spaltung zu überwinden und mehr ostdeutsche Gesichter an der Spitze des Landes zu sehen.

Der Kristall-Palast Magdeburg: Eine traurige, aber noch nicht endende Geschichte

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Der Kristall-Palast war Magdeburgs bekanntestes Konzert- und Varietéhaus. Der Bau des imposanten Gebäudes begann im Sommer 1889 in der Leipziger Straße und wurde am Pfingstsamstag, dem 9. Juni 1892, feierlich eröffnet. Im Jahr 1928 erhielt das Haus offiziell den Namen „Haus der Vornehmen Gesellschaft“. Nach umfangreichen Sanierungsarbeiten erwarb die Familie Jordan das Gebäude. Neben Konzerten, Bällen und Varietéveranstaltungen fanden nach 1933 verstärkt KdF-Veranstaltungen (Kraft durch Freude) statt.

Im Jahr 1940 beschlagnahmte das Heeresbeschaffungsamt die Räumlichkeiten des Kristall-Palastes. Zunächst als Lagerraum für Getreide genutzt, wurde das Gebäude ab Ende 1940 zum Internierungslager für Fremdarbeiter und Kriegsgefangene umfunktioniert. Unter unwürdigen Bedingungen mussten dort bis zu 1400 Menschen leben. Diese Nutzung hinterließ deutliche Spuren: etwa 60 Prozent des Saales waren beschädigt, und durch Angriffe wurde das Dach zerstört.

Am 12. November 1948 wurde der Wiederaufbau des Kristall-Palastes beschlossen. Nach einer achtmonatigen Bauzeit konnte der Kristall-Palast am 27. November 1949 wiedereröffnet werden. In dieser glanzvollen Zeit traten Künstler wie Eberhard Chors, Billy Karaltini und Viril auf.

Ab 1960 gingen die Besucherzahlen jedoch stetig zurück, was dazu führte, dass es keine regelmäßigen Veranstaltungen mehr gab. Die Bewirtung durch die HO-Gaststätten fand nun an Tischen statt. Ab 1968/69 standen vorwiegend Tanz- und Verkaufsveranstaltungen auf dem Programm des Hauses.

Im Jahr 1977 übernahm das Magdeburger Kabarett „Die Kugelblitze“ den Kristall-Palast. Sie spielten in einem Zelt, das im Saal aufgebaut war. 1986 verließen sie das Gebäude.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 änderten sich die Prioritäten im städtebaulichen Kontext. Der Fokus verlagerte sich zunehmend auf die Aufarbeitung der Geschichte und den Erhalt historischer Bauten. In diesem Zusammenhang wuchs auch das Interesse an der Geschichte des Kristall-Palastes.

Zwar gab es Überlegungen und Diskussionen, wie das Erbe des Kristall-Palastes gewürdigt werden könnte, jedoch wurden keine konkreten Pläne für einen Wiederaufbau oder eine umfassende Gedenkstätte umgesetzt. Stattdessen wurden andere historische Gebäude und Plätze in Magdeburg restauriert und aufgewertet.

Wartburg – Mehr als nur ein Auto: Ein Abend im Zeichen des Zweitakters

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Ein besonderer Abend erwartete die Besucher kürzlich bei einer Veranstaltung, die den Wartburg-Automobilen der DDR gewidmet war. Im Mittelpunkt standen dabei die Modelle der Wartburg 311er-Familie sowie der 313 Sportwagen. Das Event, das vom gesprochenen Wort bis zur Objektvorführung reichte, begann ungewöhnlich – mit einem aprilgerechten Regenschauer, der die geplanten Aktivitäten im Freien zunächst erschwerte. Dennoch suchten die Anwesenden trockene Plätzchen rund um Pfützen, um die vor der Tür geparkten Fahrzeuge aus nächster Nähe zu betrachten und vor allem, um ihre Motoren anzuwerfen und den charakteristischen Klang des Dreizylinder-Zweitakters zu hören.

Ein Höhepunkt des Abends war zweifellos die Präsentation der Fahrzeuge durch ihre Besitzer bzw. Fahrer. Zu den ausgestellten Modellen gehörten ein 313 Sport, eine 311 Limousine und eine 311 Campinglimousine. Die Fahrer teilten persönliche Geschichten über ihre Autos. Der Fahrer des 313 Sport bezeichnete sein Fahrzeug als „nicht nur das sportlich schnellste und schönste Auto“, sondern als eine „Küche“, da der Kaufpreis seinerzeit für den Erwerb einer Küche eingeplant war. Er besitzt den Sportwagen seit 15 Jahren, schätzt ihn sehr und ist stolz darauf, eines von lediglich 469 Stück zu besitzen. Besonders hob er hervor, dass der Wagen 1958 in den USA einen Schönheitspreis gewonnen hat. Die Limousine, die 1990 am Straßenrand gefunden wurde, wurde mühevoll restauriert, ihr Besitzer würde sie aber „eigentlich loswerden“ wollen. Die 311 Limousine, ein früheres Familienauto, hat einem anderen Besitzer geholfen, ein psychisches tiefes Loch zu überwinden, und ist heute wieder ein geliebtes Familienauto, mit dem viel gereist wird.

Nach der „Praxis draußen“ folgte der theoretische Teil drinnen mit einem Vortrag von Lars Leonhardt, einem anerkannten Fachmann zum Thema Wartburg-Automobile in der DDR und Redakteur des Magazins 79 Oktan. Leonhardt, geboren 1976 in Schwerin und seit frühester Kindheit automobilerfahren, präsentierte sein Buch „Wartburg-Automobile 1955 bis 1965“. Er gab Einblicke in die lange Geschichte des Eisenacher Automobilbaus, der der drittälteste in Deutschland ist und verschiedene Markenepochen von Wartburg-Motorwagen über Dixi und BMW bis hin zu EMW und IFA F9 durchlief. Nach der Rückgabe der Fahrzeugfabrik an die DDR im Jahr 1953 entschied man sich in Eisenach, auf Basis des aus Sachsen stammenden IFA F9 einen neuen Wagen zu entwickeln.

Der Wartburg 311, dessen Typennummer auf die BMW-Klassifizierung zurückgeht, sollte ursprünglich nur zweitürig sein, wurde aber auf Forderung von Außenhandel und Ministerium des Innern viertürig entwickelt, was eine Radstandsvergrößerung auf 2,45 Meter erforderte. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten bei der Werkzeugbeschaffung lief die Serie im Oktober 1955 an, zunächst in Handarbeit. Der 311 wurde bewusst als technische Vollendung des bewährten Baumusters F9 verkauft, obwohl es sich um eine umfassende Neuentwicklung handelte. Die Eisenacher legten großen Wert auf Verarbeitungsqualität, die sich an der Tradition von Mittelklassewagen orientierte. Merkmale wie polierte Leisten, schöne Stoffe, Beleuchtung beim Öffnen von Hauben und Türen, eine Zentralschmierpumpe und serienmäßige Heizung machten den Wagen besonders.
Der Wartburg 311 zeichnete sich durch eine große Typenvielfalt aus. Neben Limousine und Cabriolet gab es pragmatische Varianten wie den Pickup und den Kombi, aber auch luxuriöse und innovative wie die Campinglimousine, die als allererster Freizeitkombi gilt und sich zum Schlafen umbauen ließ. Der 313 Sportwagen war der „absolute Star“ im Typenprogramm. Diese Vielfalt wurde auch durch die Zusammenarbeit mit Karosseriewerken in Dresden, Halle und Merane ermöglicht.

Ein wichtiger Aspekt war der Exporterfolg des 311. Rund die Hälfte der insgesamt über eine Viertelmillion gebauten Wagen wurde exportiert, auch in westliche Länder wie die USA (1215 Stück), Südafrika, Österreich, Norwegen und Finnland. Selbst in Kairo gab es Wartburg-Taxis. Im direkten Vergleich mit dem VW Käfer, der mengenmäßig überlegen war, wurde der Wartburg als erwachseneres, schöneres Auto mit mittelklasseähnlicher Ausstattung wahrgenommen.

Die Entwicklung des 311 und seiner Nachfolger wurde von wichtigen Persönlichkeiten geprägt, darunter Werkleiter Martin Zimmermann und der Gestalter Hans Fleischer, der die Formen vom 311 bis zum 353 entwickelte. Auch wenn es unrealisierte Projekte gab, wie einen Viertakt-Boxermotor, der zugunsten des Wankelmotors aufgegeben wurde, oder Studien für selbsttragende Karosserien und neue Bus-Typen, zeigten diese das innovative Potenzial in Eisenach.

Die Wartburg-Szene ist heute überschaubar, aber vernetzt. Es gibt Sammlertreffen und spezielle Gruppen für einzelne Typen. Vom 313 Sportwagen existieren noch ungefähr 270 Exemplare. Die Preise für gut erhaltene 311 Limousinen beginnen heute bei etwa 10.000-15.000 Euro, während ein Sportwagen schnell einen sechsstelligen Betrag erreichen kann.

Für heutige Fahrer eines Zweitakt-Wartburgs gibt es auch praktische Aspekte: Beim Tanken wird Super-Benzin ohne Bioethanol verwendet und das passende Zweitaktöl direkt in den Tank gegeben. Das Mischungsverhältnis (z.B. 1:50) hängt vom Motortyp ab.

Die Geschichte und die Pflege dieser Fahrzeuge werden maßgeblich vom Magazin 79 Oktan unterstützt, das 2016 gegründet wurde, um die oft stiefmütterlich behandelten Ost-Oldtimer angemessen zu würdigen. Das Magazin und der gleichnamige Verlag erfreuen sich wachsender Beliebtheit und tragen dazu bei, die Geschichte und die Szene lebendig zu halten.

Insgesamt zeigte der Abend eindrucksvoll, dass der Wartburg 311 und insbesondere der 313 Sportwagen mehr sind als nur alte Autos; sie sind Symbole für eine bestimmte Epoche des Automobilbaus, für Erfindergeist unter schwierigen Bedingungen und für eine passionierte Gemeinschaft, die ihre Geschichte bewahrt und lebt. Die Vorfreude auf die geplante Fortsetzung der Buchreihe, die sich mit dem Wartburg 353 beschäftigen wird, zeigt, dass die Geschichte des Eisenacher Automobils noch lange nicht auserzählt ist.

Egon Krenz kritisiert Erinnerungskultur beim Gedenken am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin

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Am vergangenen Samstag, dem 3. Mai 2025, fand am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park in Berlin eine Gedenkveranstaltung statt, zu der neben zahlreichen Traditionsverbänden und Zeitzeugen auch der ehemalige Staatsratsvorsitzende der DDR, Egon Krenz, geladen war. Mit Blick auf den bevorstehenden 8. Mai, dem Tag der Kapitulation der Wehrmacht 1945, erinnerte die Zusammenkunft an den bedeutenden Beitrag der Roten Armee zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus.

Ort und Teilnehmerkreis
Das Sowjetische Ehrenmal gehört zu den zentralen Gedenkstätten in Berlin, die an die mehr als 27 Millionen gefallenen Angehörigen der Roten Armee erinnern. Neben Angehörigen russischer und osteuropäischer Gemeinden versammelten sich auch Vertreter der Traditionsverbände ehemaliger DDR-Soldaten sowie Mitglieder verschiedener antifaschistischer Initiativen. Unter ihnen stach Egon Krenz hervor, der als letzter Staatsratsvorsitzender der DDR nicht nur aus seiner politischen Vergangenheit, sondern gerade wegen seiner langjährigen Verbindungen zu Russland als prominenter Redner galt.

Schlüsselmomente der Ansprache
Krenz‘ Rede gliederte sich in drei inhaltliche Blöcke:

  • Erinnerungskultur und Symbolpolitik
    Der Redner kritisierte, dass beim diesjährigen Gedenken das Zeigen von Friedensfahnen und russischen Symbolen untersagt gewesen sei. „Wir haben uns vom Faschismus befreit – und nun erlauben sich die Nachfahren der besiegten Faschisten, den Befreiern Ehre zu erweisen, zu verbieten“, so Krenz. Er wertete das Verbot als Versuch, die besondere Rolle der Roten Armee im historischen Narrativ herunterzuspielen.
  • Historische Einordnung des 8. Mai
    Krenz wandte sich gegen eine vermeintliche Verallgemeinerung, die die Befreiung ausschließlich den „Alliierten“ zuschreibe: „Nein, es war die Rote Armee, die Auschwitz befreit hat“, stellte er fest. Damit unterstrich er die Bedeutung der sowjetischen Truppen für den Sieg über den Nationalsozialismus.
  • Aktuelle Außen- und Kulturpolitik
    Im Anschluss zog Krenz Parallelen zur Gegenwart: Er griff die deutsche Russlandpolitik und die Debatten um die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland scharf an. Dabei bezeichnete er die Förderung nationalistischer Heldenfiguren in der Ukraine als „Faschismus“, verwies auf angebliche Minderheitenprobleme in Deutschland und warnte vor einer „kriegsdüchtigen“ Politik, die ohne Dialog mit Moskau den Frieden gefährde. Wirtschaftlich plädierte er dafür, stärker auf die BRICS-Staaten zuzugehen, um den Industriestandort Deutschland zukunftsfähig zu halten.

Reaktionen und Einordnung
Die Veranstaltung verlief weitgehend ruhig, allerdings kritisierten neben mehreren Abgeordneten der Bundestagsfraktionen diverse Zivilgesellschaftsvertreter die Rede als einseitig und politisch motiviert. Aus Sicht von Historikern sei es durchaus angemessen, den Beitrag der Roten Armee hervorzuheben – allerdings dürfe dies nicht in eine Relativierung oder Instrumentalisierung aktueller politischer Konflikte münden.

Angesichts der fortgesetzten Debatten um die Erinnerungskultur in Deutschland, etwa über Denkmäler, Straßennamen und Gedenktage, illustriert das Auftreten eines ehemaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden, wie sehr Geschichte auch heute noch als politisches Instrument genutzt wird.

Das traditionelle Gedenken am 8. Mai rückt näher; zahlreiche Veranstaltungen sind geplant, unter anderem offizielle Zeremonien im Reichstagsgebäude und weitere Kranzniederlegungen an den sowjetischen Ehrenmalen in Berlin‑Tiergarten und Berlin‑Treptow. Die Rede von Egon Krenz hat gezeigt, dass auch künftige Gedenkakte nicht nur rückblickend, sondern ebenso in Hinblick auf die Gegenwart kontrovers wahrgenommen werden. Ob es gelingen wird, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Deutschland jenseits politischer Grabenkämpfe zu bewahren, bleibt eine der großen Herausforderungen der kommenden Wochen.

Rügen zu Fuß – Herbstliche Fernwanderung von Göhren nach Dranske

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Windumtost und rauchgrau zeigt sich Rügen im November von seiner stillen, beinahe mystischen Seite. Für den Wandernden, der Ende des Jahres die rund 130 Kilometer lange Küstenroute von Göhren im Südosten bis nach Dranske im Nordwesten bewältigte, war diese Tour mehr als nur ein sportliches Abenteuer: Er entdeckte „Lost Places“, steile Steilufer, dichte Laubwälder und verlassene Militäranlagen – fernab der klassischen Postkartenmotive.

Vor dem Start: Bergen und der Ernst‑Moritz‑Arndt‑Turm
Bevor die eigentliche Wanderung am Meer beginnt, führt die Strecke in die Inselhauptstadt Bergen. Am Stadtrand erhebt sich der 91 Meter hohe Ruhgart mit dem Ernst‑Moritz‑Arndt‑Turm, der nicht nur Aussichtspunkt, sondern auch Mahnmal ist. Bei starkem Wind, der bereits eine Ahnung von der Intensität der kommenden Küstenabschnitte weckt, bietet sich von hier ein weiter Blick über Wälder und Felder. Anschließend bringt ein Bus den Wandernden nach Göhren, dem offiziellen Startpunkt der sechstägigen Reise.

Tag 1: Göhren – Binz (≈ 21 km; + 300 Höhenmeter)
Die Tour beginnt an der Seebrücke von Göhren. Gleich der erste Abschnitt führt entlang der brandungsumtosten Uferpromenade, bevor Pfade ins Inselinnere abzweigen – vorbei an Souvenirläden in Baabe und der Schmalspurbahn „Rasender Roland“. Ein Abstecher zum Schwarzen See, eingebettet zwischen moosbewachsenen Bäumen, verleiht der Etappe Idylle. Auf steilen Pfaden am Hochufer sammelt der Wandernde erste Höhenmeter, bis nach etwa fünf Stunden Binz erreicht wird. Die berühmte Seebäderarchitektur mit prunkvollen Villen und stillen Plattenbauten bildet den Kontrast zum naturbelassenen Start.

Tag 2: Binz – Prora – Sassnitz (Busetappe)
Von Binz führt der Weg zunächst an der Küste entlang, dann leitet ein schwingender Baumwipfelpfad in luftige Höhen. Der 40 Meter hohe „Adlerhorst“ bietet Panoramaausblicke – ein Reiz für Fotobegeisterte, eine Herausforderung für alle mit Höhenangst. Im Anschluss wartet Prora, der „Koloss von Rügen“: Eine 2,5 Kilometer lange NS‑Bauruine, deren gewaltige Proportionen heute Albtraum und historische Leerstelle zugleich sind. Da die Dämmerung früh einsetzt, endet dieser Tag in Sassnitz per Bus.

Tag 3: Sassnitz – Schloss Dwasiden – Jasmund (≈ 25 km)
Sassnitz wirkt „trostlos“: verfallene Plattenbauten, eine stillgelegte Fischfabrik und eine Kriegsgräberstätte prägen den Vormittag. Zwischen Rost und Graffiti erkundet der Wandernde einen gesperrten „Lost Place“ – eine ehemalige Volksmarine‑Kaserne, deren bröckelnde Mauern von vergangenen Zeiten künden. Am späten Vormittag führt die Strecke zu den Trümmern von Schloss Dwasiden, das 1948 gesprengt wurde. Nach einem kurzen Imbiss mit Backfischbrötchen geht es in den Jasmund Nationalpark. Hier windet sich der Pfad 150 Meter oberhalb der Steilküste, vorbei an den Überresten der Wissower Klinken und Aussichtspunkten wie der Ernst‑Moritz‑Arndt‑Sicht und der Viktoria‑Sicht mit Blick auf den Königsstuhl. Die letzten Kilometer nach Lohme legt der Wandernde bereits im Dunkeln zurück.

Tag 4: Lohme – Breege (≈ 23 km)
Der Tag beginnt in ruhiger Herbstnatur. Auf einem schmalen Felsenstrand erfordert jeder Schritt höchste Konzentration, denn Küstenerosion nagt am Ufer. Nach einem Einkauf in Glowe, der den Rucksack auf bis zu 17 Kilo – inklusive Proviant – ansteigen lässt, verläuft der Weg entlang des Großen Jasmunder Boddens. Flaches Wasser, Wasserläufer und Schilfufer prägen die Landschaft, bevor das Ziel Breege in der Dunkelheit erreicht wird.

Tag 5: Breege – Capacona (≈ 27 km)
Früh startet der Wandernde mit schwerem Gepäck, da auch das Abendessen im Bungalow am Campingplatz mitgeführt werden muss. Zwischen Kiesstränden und dichten Buchenwäldern liegt das Fischerdorf Vitt – ein malerischer Kontrast. Die Route führt in die Gegend um Capacona, wo fälschlich oft der nördlichste Punkt der Insel vermutet wird. Der gesperrte Burgwall bleibt verschlossen, doch die Steilküste mit Blick zum Gellort entschädigt. Die späte Ankunft auf dem weitläufigen Campinggelände wird durch die Suche nach dem Bungalow abenteuerlich.

Tag 6: Capacona – Dranske (≈ 12 km)
Die letzte Etappe fällt deutlich kürzer aus. Über einsame Strandabschnitte und schließlich durch Nadelwald erreicht der Wandernde Dranske, wo der Rucksack erleichtert wird. Ein Abstecher auf die Halbinsel Bug, einst militärisches Sperrgebiet, offenbart lediglich verlassene Häuser, doch bei klarem Himmel reicht der Blick bis Hiddensee.

Herausforderungen & Fazit
Starke Herbstwinde, ein verlorener Drohnenadapter, eine einstürzende GoPro und Etappen im Dunkeln prägten die Reise. Doch die landschaftliche Vielfalt, spannende „Lost Places“ und die rau‑romantischen Hochuferwege machten die Anstrengungen wett. Eine solche Fernwanderung zeigt Rügen jenseits der sommerlichen Klischees: Villen, Plattenbauten, Buchenwälder, verlassene Kasernen und kilometerlange Dünenstrände.

Für Wandernde mit moderater Fitness sind die Tagesetappen (20–27 Kilometer) gut machbar. Empfehlenswert sind festes Schuhwerk, wetterfeste Kleidung, ausreichend Proviant und eine Stirnlampe für die frühen Dunkelstunden. Wer Deutschlands größte Insel im Herbst zu Fuß erleben möchte, findet nicht nur Meer und Strand, sondern ein Kaleidoskop aus Geschichte, Natur und Stille.

Zwischen Rebellion und Repression: Wie Punkmusik in der DDR Politik wurde

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Geralf Pochop (*1964) gehörte der DDR‑Punkszene an. Die staatlichen Repressionen gegen diese Jugendkultur führten dazu, dass er sich zum Oppositionellen entwickelte. Im Mai 1989 wurde seine Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland veranlasst. Heute lebt er im sächsischen Torgau.

In der Videoreihe „Gelebte Geschichte“ werden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus dem Portal www.zeitzeugenbuero.de vorgestellt. Sie berichten in Kurzform über wichtige Stationen in ihrem Leben: Wie verliefen ihre Kindheit, Jugend und der Alltag in der DDR? Wofür haben sie sich engagiert? Wie haben sie den Mauerfall am 9. November 1989 und die Transformationszeit erlebt? Welche Bedeutung messen sie persönlich der deutschen Einheit bei? Was macht ihre Zeitzeugenbiografie besonders und warum wirken sie im Zeitzeugenbüro mit?

Am 6. Mai 2025 leitete das Zeitzeugenbüro der Stiftung Aufarbeitung ein Videointerview mit Geralf Pochop, geboren am 26. März 1964 in Halle (Saale). Pochop, der heute als Zeitzeuge Schulen und Institutionen besucht, schildert eindrucksvoll, wie aus der Faszination für westliche Klänge in der DDR eine politische Haltung wurde – und warum sein Werdegang weit über ein Jugendkultur-Phänomen hinaus von Bedeutung ist.

Vom Musikfan zum Punk-RebellenAufgewachsen in einer DDR, die über Rundfunk und Presse streng kontrollierte, begann Pochops Musikleidenschaft in den 1970er Jahren mit heimlicher West‑Radio‑Kassettenjagd. Glamrock-Bands wie Slade und Sweet zählten zu seinen Favoriten, doch 1977 markierte ein Radiobeitrag in „Musik für junge Leute“ eine Zäsur: Zum ersten Mal hörte er die Sex Pistols und damit den Urknall des Punkrocks. Fußend auf zwei ins heimische Kassettendeck geretteten Songs entwickelte er eine Faszination für eine Musikrichtung, die er bis dato nur aus dichten Nebelschleiern westlicher Medien kannte.

Der erste echte Punk-Moment in der LutherkircheTrotz der wachsenden Begeisterung blieb Punk in der DDR reine Theorie – bis zum Frühjahr 1982. Bei einem Konzert der DDR-Reggaeband Reggae Play in der Lutherkirche in Halle erlebte Pochop erstmals eine heimliche Punk-Veranstaltung: Hinter verschlossenen Türen spielte die Band Buta Feldort, und rund 25 Gleichgesinnte traten in kurzen Haaren, Leder- und zu groß geratenen Jacken auf. Diese Begegnung machte Pochop klar, dass Punk auch in der DDR möglich war – und dass sein Aussehen zur Provokation wurde.

Repression als Motor politischer RadikalisierungMit dem Imitieren typischer Punk-Mode stieß Pochop auf erbitterten Widerstand von Gesellschaft und Staat. Er berichtet von Schikanen, polizeilichen Kontrollen und dem Eingriff der Staatssicherheit, die den Jugendlichen als „staatsfeindlich“ abstempelte. Aus anfänglicher Begeisterung wurde bitterer Ernst: Pochop beteiligte sich an Prozessen wie der Erklärung der 100 und schrieb für die Untergrundzeitung Morningstar. Aus dem Konsumenten westlicher Musik wurde ein aktiver Kritiker des DDR-Systems.

Abschiebung, Mauerfall und NeubeginnIm Rahmen der Stasi-Operation „Symbol/Nelke 89“ wurde Pochop wenige Tage vor der letzten DDR-Wahl im Mai 1989 in einem Sonderzug in den Westen abgeschoben. Dort erlebte er am 9. November 1989 den Mauerfall mit – zunächst ungläubig, schließlich mit großer Erleichterung. In den frühen 1990er-Jahren eröffnete Pochop in Halle einen Schallplattenladen, der sich bald zum Kultort für Subkultur und alternative Musikszene entwickelte.

Vom Verfemten zum VermittlerHeute nutzt Geralf Pochop seine Erfahrungen, um jungen Menschen den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie nahezubringen. Er betont, wie gefährlich es ist, wenn ein Staat individuelle Freiheiten bis zur Frisur unterdrückt – und appelliert an Schulen, seine Biografie als warnendes Beispiel zu behandeln. Sein Engagement zeigt, dass Jugendkultur immer auch politisch ist – und dass der Kampf um Selbstbestimmung jenseits aller Genregrenzen stattfindet.

FazitGeralf Pochops Lebensweg verdeutlicht: Punk war in der DDR weit mehr als nur ein Musikstil. Er wurde zur Geste der Selbstbehauptung und zum Symbol für Widerstand. Seine Geschichte mahnt dazu, politische Repression nie zu verharmlosen – und erinnert daran, wie eng Popkultur und politische Freiheit oft miteinander verwoben sind.

Schloss Varchentin in Mecklenburg-Vorpommern

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Das Varchentiner Schloss in Mecklenburg-Vorpommern ist ein faszinierendes historisches Anwesen, das durch seine beeindruckende Architektur und bewegte Geschichte besticht. Es liegt in der kleinen Gemeinde Varchentin, die zum Landkreis Mecklenburgische Seenplatte gehört. Das Schloss wurde im 19. Jahrhundert erbaut und diente lange Zeit als Herrensitz für adlige Familien. Es repräsentiert den klassizistischen Stil, der in der Region Mecklenburg-Vorpommern häufig anzutreffen ist und durch klare Linien und schlichte Eleganz gekennzeichnet ist. Das Schloss ist von einem weitläufigen Park umgeben, der ursprünglich nach englischem Vorbild angelegt wurde und heute noch viele alte Bäume und malerische Wege bietet.

Die Geschichte des Varchentiner Schlosses ist eng mit den adligen Familien verbunden, die es bewohnten. Diese Familien prägten nicht nur die Architektur und das Erscheinungsbild des Schlosses, sondern auch das kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Region. Während der DDR-Zeit wurde das Schloss, wie viele andere historische Gebäude in Ostdeutschland, für verschiedene Zwecke genutzt, darunter als Schule und Verwaltungsgebäude. Diese Nutzung trug zwar dazu bei, das Gebäude zu erhalten, führte aber auch zu Veränderungen und dem Verlust einiger originaler Details.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands stand das Schloss lange leer und verfiel zusehends. Der Leerstand und mangelnde Instandhaltung setzten dem Bauwerk erheblich zu, sodass es in den letzten Jahren dringender Restaurierungsarbeiten bedurfte. In den letzten Jahren gab es jedoch Bestrebungen, das Schloss zu restaurieren und wiederzubeleben. Engagierte Initiativen und öffentliche Fördermittel haben dazu beigetragen, das historische Erbe zu sichern und das Schloss für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Heute ist das Varchentiner Schloss ein Beispiel für die Bemühungen, das kulturelle Erbe Mecklenburg-Vorpommerns zu bewahren und für zukünftige Generationen zugänglich zu machen. Besondere Veranstaltungen und Führungen bieten Besuchern die Möglichkeit, die Geschichte und Architektur des Schlosses hautnah zu erleben. Diese Veranstaltungen reichen von historischen Ausstellungen und Konzerten bis hin zu speziellen Führungen, die die reiche Geschichte und die architektonischen Besonderheiten des Schlosses beleuchten.

Das Varchentiner Schloss steht somit nicht nur als Denkmal vergangener Zeiten, sondern auch als lebendiges Zentrum für kulturelle und historische Bildung. Es symbolisiert die erfolgreiche Wiederbelebung und Erhaltung von Kulturerbe und dient als Inspirationsquelle für ähnliche Projekte in ganz Deutschland. Durch kontinuierliche Restaurierungs- und Erhaltungsmaßnahmen wird das Varchentiner Schloss weiterhin ein bedeutender Teil der mecklenburgischen Kulturlandschaft bleiben.

Neues Family Entertainment Center in Boltenhagen geplant

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Boltenhagen. Das traditionsreiche Ostseebad Boltenhagen plant den Bau eines modernen Family Entertainment Centers (FEC) am Ortseingang. Auf einem sechs Hektar großen, kommunalen Gelände wollen die Betreiber des benachbarten Camp David Adventure Parks bis 2028 eine Indoor-Freizeithalle errichten, die Familien, Schulklassen und Vereinen ganzjährig Spiel‑ und Begegnungsräume bietet – unabhängig von Wind und Wetter.

„Mit dem FEC schaffen wir einen Ort, an dem die Menschen nicht nur Urlaub machen, sondern sich auch selbst einbringen und ihrer Kreativität freien Lauf lassen können“, erklärte Bürgermeister Raphael Wardecki bei einer gut besuchten Bürgerversammlung am 29. April. Er betonte, dass das Projekt eng mit dem seit 2011/2013 in Kraft befindlichen Bebauungsplan 38 verzahnt sei, der neben Freizeitangeboten vor allem bezahlbaren Wohnraum für Einheimische vorsieht.

Die Idee, die Boltenhagener Gemeindeentwicklung und den Tourismus stärker zu vernetzen, kommt von Jürgen und Andrea Finkbeiner. Das Ehepaar zog vor wenigen Jahren aus dem überfüllten Berlin an die mecklenburgische Küste, um hier seinen Lebenstraum vom Freizeitpark zu realisieren. „Der Camp David Adventure Park ist längst mehr als Golf mit Schläger und Ball – jede Bahn erzählt eine Geschichte rund um das Lifestyle-Label Camp David“, so Andrea Finkbeiner.

Direkt neben dem Adventure Park betreibt Geschäftsführer Dev Göttschel das Restaurant 63, in dem Barkeeper und Küchencrew „Casual Fine Dining“ mit klassischen und außergewöhnlichen Cocktails vereinen. „Wir wollen das gleiche kulinarische Niveau auch ins neue Entertainment Center holen“, so Göttschel.

Das geplante FEC umfasst auf vier der sechs Hektar einen großzügigen Indoor-Spielplatz mit Kletterlandschaften, Trampolinen und Kreativbereichen. Hinzu kommen multifunktionale Räume für Events, Workshops und Vereinsaktivitäten. „Ob Schulklasse, Sportverein oder Familienausflug – hier wird für jeden etwas geboten“, beschreibt Projektleiterin Andrea Finkbeiner das Konzept.

Aus Sicht der Gemeinde stärkt das neue Zentrum nicht nur das touristische Profil Boltenhagens, sondern fördert auch die Ansiedlung junger Familien. „Bezahlbarer Wohnraum lebt von attraktiven Angeboten in der Nachbarschaft“, so Bürgermeister Wardecki. Er zeigte sich zuversichtlich, dass das Projekt rechtzeitig alle Genehmigungen erhält und planmäßig 2028 eröffnet werden kann.

Unter den rund 200 Gästen der Einwohnerversammlung herrschte große Neugier. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nahmen aktiv am Austausch teil und lobten die Idee, das Seebad um ein wetterunabhängiges Freizeitangebot zu erweitern. Einziger Wermutstropfen: Die Detailplanung steht noch aus, ebenso die Finanzierung einzelner Bausteine. Doch die Finkbeiners und die Gemeinde zeigen sich optimistisch, in den kommenden Monaten die letzten offenen Fragen zu klären – damit Boltenhagen bald ein weiteres Highlight an der Ostseeküste bekommt.

Ganzjähriges Freizeitangebot für Einheimische und Urlauber soll 2028 eröffnen

Der Klang der Macht: Das NVA-Orchester bei Staatsakten der DDR

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Im Jahr 1963 zählte das Musikkorps der Nationalen Volksarmee (NVA) zu den profiliertesten Repräsentationsorganen der DDR. Mit seinem präzise einstudierten Zeremoniell trug das Orchester entscheidend dazu bei, Staatsakte und offizielle Feierlichkeiten klanglich wie optisch zu inszenieren. Im Folgenden werden die wesentlichen Elemente dieses musikalischen Staatsapparats skizziert und in ihre politische Bedeutung eingeordnet.

Präzision in Uniform und Schritt
Die Musiker der NVA waren zugleich Soldaten und Künstler. In feldgrauer Paradeuniform – komplett mit weißen Handschuhen, Helm und Koppelschloss – formierten sie sich vor dem Ehrentribünengelände in exakten Fünfer- oder Achterreihen. Jeder Handgriff, vom Heben der Instrumente bis zum Marschschritt, folgte einem minutiös einstudierten Protokoll. Übungsleiter und Stabsoffiziere überwachten das Training mehrmals wöchentlich, um selbst kleinste Abweichungen zu korrigieren.

Repertoire als politischer Kommentar
Das musikalische Programm war streng geregelt und spiegelte die ideologische Ausrichtung der DDR wider. Zu Beginn eines Staatsakts erklang die Nationalhymne „Auferstanden aus Ruinen“, deren Text im Jahr 1949 von Johannes R. Becher geschrieben und 1950 offiziell eingeführt worden war. Danach folgten klassische Militärmärsche, die teils in direkter Tradition zu preußischem Zeremoniell standen, teils sowjetische Vorbilder übernahmen – etwa der „Präsentiermarsch der NVA“ oder der populäre „Marsch der Arbeiterklasse“. Höhepunkte bildeten spezielle Gedenkkonzerte, bei denen das Orchester auch die „Internationale“ und andere revolutionäre Lieder intonierte.

Stationen des musikalischen Ablaufs

  • Empfang und Ehrengeleit
    Beim Ankommen von Staatsgästen am Flughafen Schönefeld oder am Ostbahnhof bildete das Orchester mit Salut- und Ehrensalven den klangvollen Rahmen.
  • Flaggenhissung und Nationalhymne
    Unter Klängen der Hymne hissten Ehrenkommandos die Flaggen auf Halbmast oder Vollmast – je nach Rang des Gastes und Anlass.
  • Kranzniederlegungen
    An Denkmälern für die Opfer des Faschismus oder der Roten Armee begleitete das Orchester Trauermärsche und Choräle, die bewusst eine Atmosphäre der feierlichen Einkehr erzeugten.
  • Paraden und Abschlusskonzert
    Höhepunkt war häufig eine Militärparade auf dem Marx-Engels-Platz, gefolgt von einem offenen Konzert mit Soli, Chor und gelegentlich Schauspielern, die Redebeiträge umrahmten.

Symbolik und Wirkung
Das orchestrale Zeremoniell verfolgte nicht nur repräsentative Zwecke, sondern diente auch der Machtdemonstration und der Festigung eines gemeinschaftlichen Identitätsgefühls. Die Kombination aus strenger Militärdisziplin und künstlerischer Darbietung sollte den Eindruck eines starken, kultivierten Staates vermitteln. Für Beobachter aus dem In- und Ausland war das Stabsmusikkorps der NVA damit eines der sichtbarsten Symbole souveräner Staatsgewalt.

Rückblick und Nachklang
Während heute viele Dokumente und Tonaufzeichnungen aus dem Jahr 1963 im Bundesarchiv lagern, bleibt das musikalische Erbe des NVA-Orchesters ein selten beachtetes Kapitel der DDR-Kulturgeschichte. Historiker heben hervor, dass die Qualität der Musiker – viele studierten Absolventen ostdeutscher Konservatorien – oft unterschätzt wird. Die sorgsam choreographierten Staatsakte jener Zeit geben einen Einblick in die Bedeutung, die die DDR-Führung dem „klanglichen Antlitz“ des Staates beimaß.

Mit der Auflösung der NVA nach 1990 verschwand auch ihr einzigartiges Zeremoniell aus dem öffentlichen Leben. Doch die dokumentierten Auftritte von 1963 bleiben Zeugnisse einer Ära, in der Militärmusik unverzichtbarer Teil politischer Inszenierung war.