
Es gibt Beiträge, die sind so alt, dass sie beinahe schon ins Geschichtshistorische gehören – lange vor der Wende, aber auch viele Jahre danach. Mit Jenapolis habe ich eigentlich immer versucht, tagesaktuelle Themen aufzugreifen, Dinge, die die Menschen unmittelbar trafen, bewegten, aufrüttelten. Das wird es auch weiterhin geben, immer dann, wenn es notwendig ist. Aber man muss nicht mehr jede Kuh durchs digitale Dorf treiben.
Die frühere Notwendigkeit, Bürgerinnen und Bürger über soziale Medien zuverlässig zu informieren, darf man nüchtern betrachtet ohnehin als weitgehend erledigt ansehen. Informationskanäle gibt es heute mehr als genug. Was fehlt, ist nicht Information, sondern Einordnung, Erinnerung, Zusammenhang. Vielleicht ist es gerade deshalb in diesen Zeiten wichtiger, darüber nachzudenken – oder auch darüber zu berichten –, was eigentlich alles einmal war. Dinge, die man heute schnell als „uralt“ abtut. Und doch ist es genau dieses „Uralte“, nach dem viele gerade wieder rufen, wenn sie sagen: Ich will es wieder so haben wie früher.
Dann sollte man auch zeigen dürfen, was dieses „früher“ konkret bedeutete. Am Beispiel von Jena etwa: Was hier einmal da war. Was gewachsen ist. Und was heute nicht mehr existiert. Was verloren ging – durch Corona, durch fehlende Kommunikation, durch Unsensibilitäten, durch Müdigkeit, vielleicht auch durch Bequemlichkeit. Warum sollen wir uns immer nur an die jeweils aktuelle Verschiebungsebene anpassen? Warum nicht auch einmal sichtbar machen, wie engagiert und dynamisch dieses Stadtmilieu einmal gewesen ist – mit seiner Zivilgesellschaft, mit seiner Diskussionskultur, mit seinem selbstverständlichen bürgerschaftlichen Engagement?
Das war eine Zeit, die auch ich als ausgesprochen spannend erlebt habe. Eine Zeit, in der ich mich selbst gerne eingebracht habe, in der man das Gefühl hatte, dass Beteiligung noch Wirkung entfalten kann. Heute, mit zunehmendem Alter, komme ich nicht mehr automatisch auf die Idee, mich in gleicher Weise zu engagieren. Und ich sehe ehrlich gesagt auch nicht mehr diese breite, sichtbare Bereitschaft, sich für die wirklichen Themen der Stadt einzusetzen. Natürlich liegt das, wie so vieles, im Auge des Betrachters. Aber wer hier liest, muss für diesen Moment mit meinem Blick Vorlieb nehmen.
In Zeiten des allgegenwärtigen Meckerns und der permanenten Empörung kann es vielleicht sogar heilsam sein, nicht noch ein weiteres aktuelles Problem nach dem anderen zu sezieren, sondern gelegentlich zu zeigen, was einmal möglich war. Nicht aus nostalgischer Verklärung, sondern als ernüchternder, manchmal auch ermutigender Vergleich. Daran kann man sich Beispiele nehmen – wie man es vielleicht wieder machen könnte. Vielleicht war es damals besser. Vielleicht war es schlechter. Vielleicht war es schlicht anders. Aber anders heißt nicht automatisch irrelevant.
Genau darin liegt für mich eine neue, alte journalistische Aufgabe: Das Vergangene nicht als sentimentales Archiv zu behandeln, sondern als Erfahrungsraum. Als Spiegel. Als Angebot zum Nachdenken. Geschichte nicht als Staubschicht, sondern als Werkstatt. Als Fundus für Ideen, für Brüche, für verpasste Chancen – und für das, was schon einmal funktioniert hat.
Ich will also nicht aufhören, über das Aktuelle zu schreiben. Aber ich will mir die Freiheit nehmen, auch wieder stärker über das zu berichten, was viele vorschnell als „uralt“ abtun. Gerade weil dieses „Uralte“ heute wieder so überraschend modern erscheint. Und gerade weil man aus ihm mehr lernen kann, als aus manchem tagesaktuellen Aufreger.