Sachsens MP Michael Kretschmer – Minderheitsregierung als Chance

Dresden/Berlin. Michael Kretschmer (CDU), der Ministerpräsident des Freistaats Sachsen, hat in einem aktuellen Interview mit dem YouTube-Kanal „Jung & Naiv“ ausführlich über die besonderen Herausforderungen seiner Minderheitsregierung, den Umgang mit der erstarkten AfD sowie die drängendsten sozialen und wirtschaftlichen Sorgen der Bevölkerung gesprochen.

Minderheitsregierung in Sachsen: Pragmatismus statt Fraktionszwang
Kretschmer bezeichnet die Minderheitsregierung in Sachsen als eine „echte Herausforderung“, die er jedoch als Ausdruck des Wählerauftrags und nicht als Problem betrachtet. Er sieht darin eine Rückbesinnung auf Prinzipien der Kommunalpolitik, in der es laut ihm keine Koalitionsverträge oder Fraktionszwang gibt und der Fokus auf das Zuhören und die sachliche Auseinandersetzung liege.

Die Regierungsarbeit wird durch einen sogenannten „Konsultationsmechanismus“ gestaltet: Gesetzesvorschläge der Regierung werden allen im Parlament vertretenen Parteien – CDU, SPD, BSW, Linke, Grüne und AfD – vorgelegt, um Mehrheiten zu finden, bevor das eigentliche Gesetzgebungsverfahren beginnt. Kretschmer betont, dass alle gewählten Abgeordneten „die gleichen Rechte und Pflichten“ hätten, nämlich an der Gesetzgebung mitzuwirken und das Beste für das Land zu tun. Als Beispiel für erfolgreiche Konsultationen nannte er den Haushalt, in dem Vorschläge von Grünen und Linken zur Kultur- und Sportförderung sowie zur Feuerwehrunterstützung aufgenommen wurden, auch wenn diese ursprünglich wegen der Haushaltslage gekürzt worden wären. Verhandlungen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für eine breitere Mehrheit seien gescheitert, da die BSW eine Regierungsbeteiligung damals nicht gewollt habe.

AfD: „Gesichert rechtsextrem“, aber kein Verbot als Lösung
Ein zentrales Thema war die Alternative für Deutschland (AfD). Kretschmer hob hervor, dass der sächsische Landesverband der AfD im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern vom Landesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird. Dies sei ein Resultat der „konsequenten Art Kampf gegen Rechtsextremismus“ in Sachsen.

Trotz dieser Einstufung spricht sich Kretschmer gegen ein bundesweites AfD-Verbotsverfahren aus. Er argumentiert, dass die juristischen Hürden dafür sehr hoch seien und ein Scheitern des Verfahrens der AfD einen „Persilschein“ ausstellen und sie stärken würde, ähnlich wie es bei der NPD der Fall war. Stattdessen sei der „Wert einer solchen Einstufung“ (als gesichert rechtsextrem) „riesig hoch“, da sie dem „mündigen, bewusst entscheidenden Bürger“ Informationen für seine Wahlentscheidung liefere. Kretschmer zufolge muss man „den Nährboden“ entziehen, auf dem die AfD gedeiht, indem man die eigentlichen Probleme der Menschen löst.

Bezüglich der Rhetorik der AfD, wie der vom Interviewer zitierten Aussage des sächsischen AfD-Chefs, ihn „jagen“ zu wollen, zeigte sich Kretschmer unbeeindruckt und betonte, er lasse sich „nicht treiben lassen, nicht jagen lassen, nicht verrückt machen lassen“. Er forderte die Bürger auf, sich gegen die „Verrohung der Sprache“ zu wehren.

Wirtschaft und Soziales als Mittel zur Problemlösung
Kretschmer ist überzeugt, dass die effektivste Strategie gegen den Populismus darin besteht, die „Probleme aus der Welt [zu] schaffen, die aus Sicht der Bevölkerung die drängendsten Sorgen sind“. Basierend auf Nachwahlbefragungen sieht er die Hauptsorgen der Deutschen in den Bereichen Migration, Energiekosten, der Rolle des Staates und dem Ukraine-Krieg.

• Renten und Pflege: Angesprochen auf niedrige Renten und wachsende Altersarmut verwies Kretschmer auf die Stabilisierung des Rentenniveaus als „extrem teure Maßnahme“ der Bundesregierung. Er räumte ein, dass viele Menschen die Pflegekosten nicht mehr tragen können und in die Sozialhilfe rutschen. Er schlug einen „Zwischenweg“ für die Pflegeversicherung vor, bei dem Geringverdiener Zuschüsse erhalten, um Sozialhilfebezug zu vermeiden, was auch die Kommunen entlasten würde. Dies sei jedoch nur durch ein starkes Wirtschaftswachstum finanzierbar.

• Ungleichheit und Vermögenssteuer: Kretschmer lehnte die Forderung nach einer Vermögenssteuer oder höheren Erbschaftssteuern ab. Er argumentierte, dass dies Investitionen behindere und zur Kapitalflucht führe, da Vermögen bereits versteuert worden sei. Sein Fokus liegt darauf, Deutschland zu einem attraktiven Investitionsstandort zu machen, um so Arbeitsplätze und Steuereinnahmen zu generieren und damit letztlich auch soziale Leistungen finanzieren zu können.

• Wohnungsbau und Mieten: Die hohen Mietkosten und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum seien hauptsächlich auf „überzogene Standards“ und staatliche Vorgaben im Wohnungsbau zurückzuführen, die das Bauen zu teuer machten. Kretschmer forderte eine Reduzierung dieser Standards, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

• Mindestlohn: Kretschmer bekräftigte seine grundsätzliche Kritik am Mindestlohn in seiner aktuellen Höhe. Er argumentierte, dass er Arbeitsplätze vernichte und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwäche, indem er beispielsweise die heimische Erdbeerproduktion gegenüber günstigeren Importen unrentabel mache. Er behauptete, dass „alles, was unter der Produktivität ist, … in diesem Land nicht mehr stattfinden“ werde.

Energie, Verteidigung und Ukraine: Kretschmers Visionen
Beim Ausbau der Windkraft in Sachsen beklagte Kretschmer den Widerstand der Anwohner, der darauf zurückzuführen sei, dass diese nicht ausreichend beteiligt würden. Er sprach sich dafür aus, die unmittelbar Betroffenen an den Erträgen der Windräder zu beteiligen.
Hinsichtlich der Verteidigungsausgaben äußerte Kretschmer Skepsis gegenüber dem 2%-Ziel des BIP. Er plädierte dafür, die militärischen Fähigkeiten der europäischen Mitgliedstaaten „stärker [zu] bündeln“, um mit „deutlich niedrigeren“ Ausgaben auszukommen. Die Europäische Union sei die „Lebensversicherung“ Deutschlands und müsse ihre Kraft im Verteidigungsbereich besser nutzen.

Zum Ukraine-Krieg bekräftigte Kretschmer die Notwendigkeit der Hilfe für die Ukraine angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffs. Gleichzeitig betonte er, dass eine diplomatische Lösung notwendig sei, da der militärische Weg allein nicht zum Erfolg führen werde. Er sprach sich dafür aus, auch wieder mit Russland und Präsident Putin ins Gespräch zu kommen, was er selbst zuletzt 2021 getan habe. Er wies die Behauptung, russische Narrative zu verbreiten, entschieden zurück.

Schließlich bewertete Kretschmer das neue Cannabisgesetz als einen „großen Fehler“, der die „Büchse der Pandora“ geöffnet habe. Er ist überzeugt, dass das Gesetz nicht mehr rückgängig zu machen sei und zu einer „wesentlich höheren Anteil von Menschen“ mit psychischen Erkrankungen und Suchtproblemen führen werde.