Wie der Pirna-Sonnenstein zum Symbol des NS-Medizinalverbrechens wurde

Im Schatten der glanzvollen Medizingeschichte des 19. Jahrhunderts verbirgt sich ein düsteres Kapitel, das lange Zeit im Verborgenen lag. Die MDR-Dokumentation „Die NS-Krankenmorde – Der lange Schatten von Pirna Sonnenstein“ beleuchtet ein grausames Kapitel der nationalsozialistischen Vergangenheit: die systematische Ermordung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und geistigen Behinderungen im Rahmen der Aktion T4. Dabei wird der Pirna-Sonnenstein von einem Ort humanistischer Fortschrittlichkeit zu einer tödlichen Maschine des Regimes, die bis heute die gesellschaftliche Erinnerung prägt.

Ein Ort des Fortschritts und der Humanität
Die Geschichte des Sonnensteins beginnt im Jahr 1811, als unter der Leitung des Arztes Ernst Gottlob Pinitz in einer alten Festung eine moderne Heilanstalt für seelische Erkrankungen errichtet wurde. Damals galt die Einrichtung als ein Leuchtturm fortschrittlicher Ansätze: Patienten wurden nicht nur medizinisch betreut, sondern erhielten auch die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, an körperlichen und geistigen Aktivitäten teilzunehmen und so ein möglichst menschenwürdiges Leben zu führen. Diese Philosophie spiegelte das humanistische Potenzial der sächsischen Psychiatrie im 19. Jahrhundert wider, in der der Mensch trotz seelischer Schwächen als wertvolles Individuum betrachtet wurde.

Die Umwandlung in eine Tötungsanstalt
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten nahm das Schicksal des Sonnensteins eine tragische Wendung. Unter der Leitung von Hermann Paul Nitsche, der ab 1928 das Ruder in der Anstalt übernahm, begann ein erschütternder Prozess: Zwangssterilisationen, Hungerkuren für als arbeitsunfähig deklarierte Patienten und eine zunehmend rassenhygienisch geprägte Politik sollten die Grundlagen für die spätere Integration des Sonnensteins in die Aktion T4 schaffen. Die Einrichtung, die einst als Zufluchtsort für seelisch kranke Menschen gedacht war, wurde 1939 geschlossen und bald in ein tödliches Instrument der NS-Medizin umgewandelt.

Ab 1940 wurden in Pirna-Sonnenstein tausende Menschen ermordet. Die Opfer, die – in gutgläubiger Hoffnung – in die Heilanstalt eingeliefert wurden, wurden in einen versteckten Kellerbereich geführt, wo sich hinter der trügerischen Fassade einer Dusche eine Gaskammer verbarg. Mit perfider Kälte legten die verantwortlichen Ärzte falsche Todesursachen in den Akten fest, während Angehörige mit tröstenden, aber irreführenden Todesbescheinigungen konfrontiert wurden. Insgesamt wurden an diesem Ort mehr als 13.720 Menschen mit psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen sowie über 1.000 Häftlinge aus Konzentrationslagern ermordet – ein erschütterndes Ausmaß an Leid, das lange Zeit zu wenig Beachtung fand.

Das Schicksal einer Frau: Martha Kaspar
Ein besonders bewegendes Beispiel des unvorstellbaren Schmerzes liefert das Schicksal der Martha Kaspar. Bereits in den 1920er-Jahren in eine Heilanstalt eingewiesen, war ihr Leben von persönlichen Tragödien und gesellschaftlicher Ausgrenzung geprägt. Ein einschneidendes Erlebnis am Tag ihrer geplanten Hochzeit führte zu einem unüberwindbaren Trauma, das sie schließlich in die Isolation trieb. Ihre Nichte, Brigitte Wiebelitz, machte sich später auf die Suche nach der Wahrheit – eine Spurensuche, die nicht nur das Schicksal ihrer Tante, sondern auch das Leid tausender anderer Opfer des NS-Regimes ans Licht brachte. Am 2. Juli 1941 wurde Martha Kaspar mit einem Sammeltransport nach Pirna-Sonnenstein gebracht und dort ermordet. Ihr Fall symbolisiert exemplarisch die systematische Vernichtung von Menschen, die vom nationalsozialistischen Regime als „lebensunwert“ eingestuft wurden.

Ein Schweigen, das Jahrzehnte währte
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs herrschte über die Verbrechen am Sonnenstein lange Zeit Stille. Die grausamen Taten und die damit verbundenen Schuldfragen wurden oft verdrängt, sodass eine umfassende öffentliche Aufarbeitung erst in der Wendezeit einsetzte. Engagierte Bürgerinnen und Bürger, die sich dem Schweigen widersetzten, gründeten das Kuratorium Gedenkstätte Sonnenstein. Ihre unermüdliche Arbeit führte 2000 zur Eröffnung einer Gedenkstätte, die heute als Mahnmal an die Opfer der NS-Krankenmorde dient und daran erinnert, dass solche Verbrechen nie wieder geschehen dürfen.

Gedenken als Verantwortung und Mahnung
Die Bedeutung des Erinnerns wird in der Dokumentation eindrucksvoll unterstrichen. Gedenken ist mehr als nur ein Rückblick auf vergangene Grausamkeiten – es ist ein ständiger Appell an die Gesellschaft, wachsam zu bleiben und sich immer wieder mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Die Dokumentation thematisiert nicht nur die Rolle der Ärzte, die in die mörderischen Aktivitäten involviert waren, sondern beleuchtet auch die Verblendung und das Schweigen der Bevölkerung. Viele Menschen in Pirna hatten Kenntnis von den Gräueltaten, doch aus Angst vor dem totalitären Regime wurden diese Informationen verschwiegen. Dieses kollektive Schweigen veranschaulicht eindrücklich, wie Macht und Terror die Gesellschaft in eine Haltung der Resignation und des Mitwissens zwingen können.

Ein Neuanfang auf dem alten Gelände
Heute ist der Pirna-Sonnenstein weit mehr als nur ein Mahnmal für die Verbrechen der Vergangenheit. Neben der Gedenkstätte befindet sich hier auch die Einrichtung der Pirna Werkstätten, die Menschen mit Behinderung ein würdevolles und sinnstiftendes Leben ermöglichen soll. Dieses neue Kapitel auf einem einst von Tod und Leid geprägten Gelände symbolisiert den Versuch, aus der Geschichte zu lernen und eine inklusive Zukunft zu gestalten. Der Sonnenstein ist heute ein Ort, an dem sich Einheimische und Touristen gleichermaßen begegnen, reflektieren und den Wert des menschlichen Lebens feiern.

Ein Appell an die Gesellschaft
Die Dokumentation „Die NS-Krankenmorde – Der lange Schatten von Pirna Sonnenstein“ ist ein eindrucksvoller Beitrag zur historischen Aufarbeitung und dient als Mahnung, dass die Erinnerung an vergangene Gräueltaten niemals verblassen darf. Es ist die Verantwortung einer jeden Generation, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und die Wiederholung solcher Verbrechen anzukämpfen. Die Gedenkstätte und die heutigen Nutzungen des Sonnensteins stehen als lebendiges Zeugnis dafür, dass aus den dunkelsten Kapiteln der Vergangenheit ein neues, humanes und respektvolles Miteinander erwachsen kann.

In einer Zeit, in der gesellschaftlicher Zusammenhalt und Inklusion eine immer größere Bedeutung gewinnen, erinnert uns der Pirna-Sonnenstein daran, dass der Schutz der Menschenwürde und das Engagement für Gerechtigkeit zentrale Werte sind, die es zu bewahren gilt. Die Geschichte dieses Ortes zeigt, wie schnell humanitäre Ideale in ein Instrument der Unterdrückung umschlagen können – und wie wichtig es ist, sich stets gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit zu stellen. Die Dokumentation öffnet damit nicht nur ein Fenster in die Vergangenheit, sondern liefert auch wertvolle Impulse für den gesellschaftlichen Diskurs von heute und morgen.

Die Auseinandersetzung mit dem Erlebten bleibt eine ständige Herausforderung. Nur durch das Bewusstsein um die eigenen Wurzeln und das unermüdliche Gedenken an die Opfer kann verhindert werden, dass sich ähnliche Verbrechen wiederholen. Der Pirna-Sonnenstein lehrt uns: Gedenken heißt, Verantwortung zu übernehmen – für die Vergangenheit, für die Gegenwart und für die Zukunft.

Autor/Redakteur/KI-Journalist: Arne Petrich
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