Ein Rückblick auf den 8. August 2020: Wie ein skurriler Aufmarsch der FDJ die Stadt Jena provozierte und eine seltene politische Einigkeit erzeugte.
Jena. Es war ein heißer Samstag im August 2020, als sich ein surrealer Zug durch die Jenaer Innenstadt schob: Junge Menschen in Blauhemden, rote Fahnen schwenkend, Kampfieder singend. Die „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) war zurück – oder zumindest ein skurriles Abbild davon. Unter dem Slogan „30 Jahre sind genug!“ inszenierten sie ein Schauspiel, das in einer Stadt mit lebendiger Erinnerung an die SED-Diktatur wie ein schlechter Scherz wirkte.
Das Groteske an diesem Aufzug war die Herkunft der Akteure. Viele FDJ-Demonstranten waren eigens aus Westdeutschland angereist, um den Jenaern die DDR als das bessere Deutschland zu erklären – ein bizarres „West-splaining“ der Geschichte. Ein Vertreter der Partei Die Linke bezeichnete den Auftritt treffend als geschmackloses „Reenactment“ und distanzierte sich klar: Mit diesem stalinistischen „Zombie“ wollte die moderne Linke nichts zu tun haben.
Unfreiwillig stiftete die FDJ jedoch Einigkeit. Der Aufmarsch schweißte die Jenaer Stadtgesellschaft zusammen. In einer seltenen Allianz riefen CDU, FDP, Grüne, SPD und Linke gemeinsam dazu auf, der Provokation friedlich zu begegnen. Die Gegenkundgebung auf dem Holzmarkt wurde zum Sammelbecken für Demokraten aller Lager, die sich geschlossen gegen die Verherrlichung der Diktatur stellten.
Für die Opfer der SED-Diktatur war der Tag mehr als nur politisches Theater. Zeitzeugen berichteten unter Tränen von Zwangsarbeit und Kinderheimen. „Das ist kein Spaß“, rief eine Betroffene den Demonstranten entgegen. Was für die angereisten Revolutionäre bloße Ideologie war, war für die Menschen in Jena schmerzhafte Biografie.
Rückblickend bleibt der 8. August 2020 eine bizarre Fußnote. Er zeigte die historische Gefühllosigkeit mancher Gruppen, aber auch die Wehrhaftigkeit der Jenaer Zivilgesellschaft. Jena machte deutlich: Die Geschichte lässt sich nicht von denen umschreiben, die sie nicht erlebt haben.