Es ist ein sonniger Freitagmorgen in Erfurt, als sich die Regierungsspitze den Medien stellt. Das Wetter draußen passt zur Stimmung, die Ministerpräsident Mario Voigt (CDU), seine Stellvertreterin Katja Wolf (BSW) und Innenminister Georg Maier (SPD) drinnen verbreiten wollen. Vor genau einem Jahr trat dieses ungewöhnliche Bündnis, das als „Brombeer-Koalition“ bekannt wurde, mit dem Versprechen an, den politischen Stillstand zu beenden. Was damals viele Beobachter als Experiment mit kurzer Halbwertszeit abtaten, präsentiert sich heute als pragmatische Arbeitsgemeinschaft, die den Fokus auf Sacharbeit statt Ideologie legt.
Die drei Protagonisten machen keinen Hehl daraus, dass der Weg hierher nicht immer geräuschlos verlief. Katja Wolf berichtet offen von nächtlichen Telefonaten und Momenten der Übellaunigkeit, besonders während der intensiven Haushaltsverhandlungen. Doch genau diese Reibung scheint notwendig gewesen zu sein, um drei völlig unterschiedliche Parteikulturen unter einen Hut zu bekommen. Das Ergebnis dieser Mühen ist ein Doppelhaushalt, der nicht nur steht, sondern auch Planungssicherheit für die kommenden zwei Jahre bietet. Man betont das Verbindende: Vertrauen und Verantwortung als Währung in einer Zeit politischer Polarisierung.
Ein zentraler Pfeiler der Bilanz ist das kommunale Investitionsprogramm. Eine Milliarde Euro soll in die Städte und Gemeinden fließen – laut Finanzministerin Wolf die größte Investition dieser Art seit der Wende. Das Geld ist zweckgebunden für Schulen, Straßen und digitale Infrastruktur, soll aber unbürokratisch und mit großem Vertrauen in die kommunale Selbstverwaltung vergeben werden. Es ist der Versuch, den Investitionsstau im Land aufzulösen und gleichzeitig der kriselnden Bauwirtschaft unter die Arme zu greifen, auch wenn der Rechnungshof die Finanzierung über Kredite durchaus kritisch sieht.
Auch beim emotionalen Thema Bildung und Personal sieht die Regierung eine Trendwende. Erstmals seit Langem wurden in Thüringen mehr Lehrkräfte eingestellt, als in den Ruhestand gingen. Der Unterrichtsausfall sei auf rund neun Prozent gesunken. Voigt spricht von einem Ende des Verwaltens und einem Beginn des Gestaltens. Parallel dazu verweist Innenminister Maier auf die innere Sicherheit: Die Zuzugszahlen im Migrationsbereich wurden halbiert, die Abschiebehaft konsequent angewandt und gleichzeitig massiv in die Ausbildung der Polizei und Feuerwehr investiert, etwa am Standort Meiningen.
Die wirtschaftliche Lage dient der Koalition als weiterer Beleg für den Erfolg ihres Kurses. Thüringen finde sich beim Wirtschaftswachstum wieder in der Spitzengruppe der Bundesländer und habe sich vom Bundestrend abgekoppelt. Großansiedlungen wie die von X-Fab werden als Beweis für die wiedergewonnene Attraktivität des Standorts angeführt. Voigt verbindet dies mit einer Erzählung von neuem Stolz: Die Identifikation der Bürger mit ihrem „Grünen Herz“ liege bei 88 Prozent – Werte, die der Ministerpräsident augenzwinkernd mit der Markenbindekraft von Coca-Cola vergleicht.
Doch nicht alles ist eitel Sonnenschein. Die Umfragewerte des Bündnispartners BSW haben sich im letzten Jahr fast halbiert und liegen nur noch bei sieben Prozent. Katja Wolf führt dies auf bundespolitische Turbulenzen zurück, sieht es aber auch als Ansporn, die Regierungsarbeit sichtbarer zu machen. Kritik der Opposition, etwa der Linken, die von einer „Show“ spricht, oder der AfD, die gegen den Haushalt klagen will, wird von der Regierungsbank mit einer Mischung aus Gelassenheit und Angriffslust pariert: Man habe 10 Jahre Stillstand aufzuräumen.
Am Ende dieses ersten Jahres steht der Anspruch, Thüringen von einem Nehmer- zu einem Geberland zu entwickeln. Die Koalitionäre wirken dabei weniger wie eine Zweckgemeinschaft, sondern eher wie Partner, die sich zusammengerauft haben. Ob die Harmonie der Pressekonferenz auch den Stürmen der kommenden Legislaturhälfte standhält, wird sich zeigen müssen. Für den Moment jedoch dominiert das Bild einer Regierung, die – wie Georg Maier es formuliert – nicht per Richtlinienkompetenz, sondern auf Augenhöhe agiert.