Der Kampf um Deutungshoheit: Wie der Runde Tisch im November 1989 entstand

Ende November 1989, nur zwei Wochen nach dem Fall der Mauer, beginnt in der DDR ein politischer Aushandlungsprozess, der später als „Runder Tisch“ zum Markenzeichen des friedlichen Übergangs wird. Doch der Weg dorthin ist weniger harmonisch, als spätere Erinnerungen vermuten lassen. Zwischen Kirchen, Bürgerbewegungen und der alten Staatspartei entbrennt ein subtler Kampf um die Deutungshoheit: Wer hat die Initiative ergriffen – und wer bestimmt die Regeln dieses neuen politischen Raums?

Zunächst setzen die evangelischen Bischöfe Gottfried Forck und Werner Leich ein Signal. Sie begrüßen öffentlich den Vorschlag der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ und regen an, alle gesellschaftlichen Kräfte rasch an einen Tisch zu bringen. Das Dietrich-Bonhoeffer-Haus wird als neutraler Ort genannt – ein bewusster Schritt, der an die friedenspolitische Oppositionsarbeit der 1980er Jahre anknüpft. Die Kirchen wollen moderieren, nicht dominieren. Auch die katholische Bischofskonferenz stimmt zu. Die Atmosphäre: vorsichtige Öffnung, zugleich Wachsamkeit gegenüber parteipolitischer Einflussnahme.

Kurz darauf meldet sich das Politbüro. Es schlägt seinerseits einen Runden Tisch vor – mitsamt Themen: Wahlgesetz, freie Wahlen, Verfassungsreform. Offiziell klingt das nach Reformbereitschaft. Für die Bürgerbewegungen jedoch entsteht der Eindruck einer politischen Umdeutung. Die SED wirkt plötzlich wie Initiator des Prozesses, obwohl der Impuls aus der Opposition kam.

Genau dagegen richtet sich die Erklärung von Konrad Weiß, Sprecher von „Demokratie Jetzt“. Er widerspricht der ADN-Meldung scharf und fordert eine wahrheitsgemäße Darstellung. Die Opposition – bisher ohne feste Strukturen, ohne Zugang zu Rundfunk und Fernsehen – ringt um gleichberechtigte Sichtbarkeit. Medienpräsenz wird zur Voraussetzung politischer Mitbestimmung.

So markieren die Tage zwischen dem 21. und 28. November 1989 nicht nur den Beginn des Runden Tisches, sondern auch den Beginn eines offenen Kampfes um Öffentlichkeit. Es ist der Moment, in dem die DDR eine neue politische Kultur erprobt – tastend, widersprüchlich, aber entschlossen.