Kathrin Schmidts DDR: Zwischen unbedingter Freiheit und gelebter Gleichheit

Kathrin Schmidt, die preisgekrönte Schriftstellerin, die nach kritischen Äußerungen zur Corona-Impfpolitik aus dem etablierten Kulturbetrieb verbannt wurde, blickt auf ihre ersten 30 Lebensjahre in der DDR mit einer bemerkenswerten Mischung aus Sicherheit, Pragmatismus und einer tiefen Prägung zurück. Im Gespräch mit Michael Meyen teilt sie ihre Erfahrungen und Gedanken über ein System, das sie als junge Künstlerin und Mutter formte, ohne ihr ein Gefühl der Bedrohung zu vermitteln.

Die frühen Jahre als „Kind der Poetenbewegung“
Schon als Mädchen begann Kathrin Schmidt, Gedichte zu schreiben. Dieser Weg führte sie über Regionalseminare in Thüringen nach Schwerin, wo sich alljährlich die Schriftstellertalente der DDR trafen. Nach einem Psychologiestudium in Jena hatte sie in den 80ern und frühen 90ern zunächst auch die Optionen einer Kinderpsychologin oder Wissenschaftlerin in Betracht gezogen. Ihr Einstieg in die Literatur war dabei eher zufällig und unkonventionell: Sie wurde von einem Deutschlehrer entdeckt, der ihre Gedichte einschickte – ein Weg, den sie selbst nie gewählt hätte, da das Schreiben für sie etwas sehr Persönliches war. Schmidt, die in der DDR vier Kinder hatte, betonte, dass sie sich nie hätte vorstellen können, vom Schreiben ihren Lebensunterhalt zu bestreiten oder Literatur zu studieren. Dennoch erhielt sie nach ihrem ersten Buch, einem Poesiealbum, die Möglichkeit, einen „Sonderkurs“ am Literaturinstitut Leipzig zu besuchen, der ihr ein monatliches Stipendium von 500 DDR-Mark einbrachte und ihr die finanzielle Überbrückung in einer Übergangszeit ermöglichte.

Die Abwesenheit von existenzieller Angst
Eine zentrale Aussage Schmidts über ihre Zeit in der DDR ist die völlige Abwesenheit von Angst. Sie habe sich dort nicht bedroht gefühlt, selbst als Freunde in Bautzen inhaftiert waren oder sie der Opposition nahestand. Sie beschreibt ihre Haltung als jung und unerfahren, nach dem Motto: „Was wollen die mir, was können die mir?“. Mit vier Kindern habe sie sich nicht einspannen lassen. Ihr Verständnis der DDR war nicht „prinzipiell feindlich“. Diese mangelnde existenzielle Angst sei ein Merkmal der DDR gewesen, das auch für Schriftsteller galt, die ihre Bücher nicht an der Zensur vorbei veröffentlichen konnten und stattdessen als Friedhofsgärtner oder Heizer arbeiteten – materielle Not gab es nicht.

Das Erbe eines „egalitären Aufwachsens“
Kathrin Schmidt ist davon überzeugt, dass ihr „tendenziell egalitäres Aufwachsen“ in der DDR ein anderes Bewusstsein geformt hat, das bis heute bei Ostdeutschen nachwirkt. Das Wissen, dass man „nichts Besonderes“ ist, sondern als Schreibende „eine von vielen“, führte dazu, dass die Literaturszene in der DDR von Anfang an „nicht von Konkurrenz geprägt“ war. Auch ihre familiäre Prägung war stark: Sie wuchs in einer gebundenen Familie auf, die ihr Schutz bot.

Die Erfahrungen ihres Vaters, der als Abiturient in einen Protestkontext geraten und deswegen zehn Jahre Haft in den sowjetischen Speziallagern und später in Bautzen verbracht hatte, erfuhr Schmidt erst mit 17 Jahren. Ihr Vater habe sie gebeten, niemals darüber zu sprechen, was sie auch tat. Diese traumatische Geschichte ihres Vaters erschütterte weder ihr Verhältnis zu ihm noch zur DDR, da sie die Verhaftung nicht direkt mit dem System verband, sondern es als eine Gegebenheit der Zeitläufte interpretierte.

Der Herbst ’89 und die Akzeptanz des Wandels
Im Herbst 1989 erlebte Kathrin Schmidt – wie viele andere auch – die Illusion, „den Laden jetzt zu übernehmen“ und die DDR nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Sie war aktiv in der „Initiative für eine Vereinigte Linke“ und saß am Runden Tisch. Doch als bei den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 die Allianz für Deutschland (CDU/DA/DDU) mit 40% gewann, sah sie sich als Demokratin unterlegen. Sie fügte sich dem Ergebnis und war „relativ froh, dem Grundgesetz der Bundesrepublik zu unterliegen“. Im Nachhinein räumt sie jedoch ein, dass sie damals als 30-Jährige die massiven Kampagnen und Finanzierungen aus dem Westen, die dieses Wahlergebnis mitbeeinflussten, nicht wahrgenommen habe.

Ein tief verwurzeltes Selbstverständnis
Die Erfahrungen in der DDR haben Kathrin Schmidt maßgeblich geprägt. Sie ist stolz darauf, ihre fünf Kinder – die ersten beiden als Alleinerziehende – bekommen zu haben, ohne darüber nachzudenken. Die DDR habe es materiell ermöglicht, dass eine Frau mit Kind alleine zurechtkam, auch durch Maßnahmen wie den Haushaltstag oder die Kinderbetreuung, wenngleich dies auch der Mobilisierung von Frauen für die Wirtschaft diente.

Heute betrachtet Schmidt die Welt mit einer gewissen Resignation, dass sie nach „anderer Leute Gesetzen“ läuft und historische Ereignisse sich wiederholen. Dennoch bleibt ihr ein tief verwurzeltes Selbstverständnis aus der DDR-Zeit, das sie befähigt, zu dem zu stehen, was sie wirklich denkt, ohne Angst vor den Konsequenzen.

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