Im Studio der „maischberger“-Talksendung gab Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), am Mittwochabend einen weiten Überblick über die Aufgaben der EZB, die wirtschaftlichen Herausforderungen in Deutschland und Europa sowie das Verhältnis zur globalen Großwetterlage. Dabei zeigte sie sich kämpferisch – für Preisstabilität, Digitalisierung und eine starke, handlungsfähige EU.
„Hüterin des Euro“ mit klarem Mandat
Lagarde begann mit dem Kernauftrag der EZB: der Sicherung der Preisstabilität. „Wer meine Unterschrift auf dem Geldschein sieht, versteht sofort: Ich bin Hüterin des Euro“, so die Französin. Geld sei mehr als Zahlungsmittel, es sei ein Symbol für Vertrauen und Zusammenhalt. Die EZB stehe in der Pflicht, Inflationserwartungen fest im Zaum zu halten – ein Handlungsauftrag, den sie „jeden Tag, jede Stunde“ ernst nehme.
Der digitale Euro als europäisches Gegengewicht
Ein zentrales Zukunftsprojekt der EZB ist der digitale Euro. Lagarde betonte, man arbeite „sehr hart“ daran, ein sicheres, effizientes Pendant zu schon existierenden Kryptowährungen zu schaffen. Eine Pilotphase sei „für dieses Jahr“ geplant, gefolgt von einem zweijährigen Test in einzelnen Mitgliedstaaten. Zugleich warnte sie vor übereilter Einführung: „Technische Lücken oder rechtliche Hindernisse dürfen unseren Erfolg nicht gefährden.“ Die Zustimmung des EU-Parlaments sei dafür ebenso unverzichtbar wie eine robuste Infrastruktur.
Deutschland: Stagnation im Herzen der Eurozone
Zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland, dem „Hauptakteur in der Mitte Europas“, diagnostizierte Lagarde ein „recht flaches Wachstum“. Das bislang bewährte Modell aus billiger Energie, Exportstärke und China-Partnerschaft sei durch Pandemie und geopolitische Umwälzungen ins Wanken geraten. Zwar sei ein Kollaps ausgeblieben, doch die Wachstumserwartungen hätten sich verändert. Deutschland müsse nun in Infrastruktur und Innovation investieren, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Investitionen ja – aber strukturiert und zukunftsgerichtet
Im Blick auf die jüngste Debatte im Bundestag über höhere Investitionsschulden äußerte Lagarde Zustimmung – unter einer Bedingung: „Die Mittel müssen über einen längeren Zeitraum gestreckt und klar auf Infrastruktur, Ausrüstung, Projekte und Innovation ausgerichtet sein.“ Nur so entstünden tragfähige Impulse, die Unabhängigkeit von Drittstaaten stützten und langfristiges Wachstum förderten. Auch Verteidigungsausgaben nannte sie als notwendige „andere Seite der Medaille“, um Europas Werte und Sicherheit zu verteidigen.
Geopolitische Spannungen: Osten und Westen im Visier
Lagarde warnte vor Bedrohungen aus zwei Richtungen: einem potenziell „militärischen Risiko aus dem Osten“ und protektionistischen Tendenzen in den USA. Sie kritisierte Donald Trumps frühere Drohkulisse gegen die EU-Zölle als „komplett widersinnig“ und erinnerte daran, dass die USA in den Anfängen der europäischen Einigung als Förderer aufgetreten seien. Hinter Trumps Zollpolitik wittert sie nicht nur Stimmungsmache, sondern auch das Bestreben, die eigene Industrie zu stärken oder politische Ablenkung zu inszenieren.
Persönliche Einblicke: Vom Synchronschwimmen ins Zinsgespräch
Abseits des Redepults erzählte Lagarde von ihren Erfahrungen mit mächtigen Staatschefs: Im Gespräch mit Wladimir Putin habe sie dessen minutiöse Vorbereitung und Detailversessenheit erlebt – ganz anders als bei Donald Trump, wo „Zähne zusammenbeißen und lächeln“ gefragt sei. Ihre Synchronschwimmer-Disziplin habe sie gelehrt, Ausdauer zu zeigen und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
Unabhängigkeit und Diversität als Fundament
Unmissverständlich verteidigte Lagarde die institutionelle Unabhängigkeit der EZB gegen politische Eingriffe. Die US-Justiz habe der Regierung unter Trump kürzlich klare Grenzen gesetzt, so Lagarde: „Zentralbanken müssen frei agieren können.“ Gleiches gelte für Diversität und Frauenförderung: Rückschritte bei Quotenprogrammen wie zuletzt bei SAP betrachte sie mit Sorge. Nur vielfältige Teams lieferten die besten Lösungen.
Europa als „fantastische Wirtschaftszone“
Abschließend bekräftigte Lagarde ihre Überzeugung, dass die Eurozone mit 150 Millionen Einwohnern, hoher Beschäftigung und beträchtlichen Ersparnissen „alles hat, um eine fantastische Wirtschaftszone zu sein“. Entscheidend seien Mut zu Investitionen, technische Innovation und ein geeintes Handeln in einem zunehmend unruhigen geopolitischen Umfeld. Dann könne Europa seine Stärken ausspielen – als Hort von Stabilität, Wohlstand und Freiheit.