Wie ein leerstehendes Verwaltungsgebäude zum Öko-Mehrgenerationenhaus wurde

Schwerin. Ein farbenfroher Steinsockel, eine markante Holzfassade und eine leuchtend orange Briefkastenanlage: Vor dem Haus Bornhövedstraße 71 bleiben täglich Passanten stehen und staunen – kaum jemand ahnt, dass es sich dabei um keinen Neubau handelt, sondern um das ehemalige Verwaltungsgebäude der Schweriner Abwasserentsorgung.

Vom Leerstand zum Impulsgeber
Bis 1998 beherbergte das Gebäude am Stadthafen Büros und Kantine des kommunalen Entsorgungsbetriebs. Als dieser in das Industriegebiet Schwerin Süd umzog, verlor das Backsteingebäude in der Werdervorstadt seine Funktion – und stand lange leer. „Längst drohte es dem Verfall preisgegeben zu werden“, erinnert sich Stadtplaner Dr. Martin Lehmann. „Dabei liegt es so zentral, direkt am Ufer des Schweriner Sees.“

Im Zuge der Sanierungsoffensive für die „Wasserkante Bornhövedstraße“ (seit 2008 eines der offiziellen Sanierungsgebiete der Stadt) fiel das Haus 2014 den Architekten Christine und Torsten Rutsch in die Hände. Die beiden studierten an der Technischen Universität Dresden und führten ihr Büro Rutsch & Rutsch seit 2002 in der Landeshauptstadt. „Wir suchten ein Modellprojekt für ökologisches Bauen“, sagt Christine Rutsch. Gemeinsam reichten sie ein Konzept ein und konnten die Stadt im öffentlichen Bieterverfahren überzeugen. Im Frühjahr 2016 ging das Areal in ihren Besitz über.

Nachhaltigkeit trifft Denkmalpflege
Beim Umbau setzten die Rutsches konsequent auf Holz: Tragwerk, Decken und Innenausbau entstanden – wo immer möglich – aus nachhaltig zertifiziertem Brettschichtholz. Dämmung, Fenster und Haustechnik entsprechen höchsten ökologischen Standards. Alle zwölf Wohnungen im neuen Mehrgenerationenhaus sind barrierefrei, verfügen über offene Grundrisse und riesige Fensterelemente, die den Blick auf den See freigeben.

„Wir wollten zeigen, dass man auch in einem Baudenkmal mit modernen, umweltgerechten Baustoffen arbeiten kann“, erklärt Torsten Rutsch. Sein Credo: „Nachhaltigkeit darf kein Nischenprojekt bleiben, sie muss Teil gesellschaftlicher Leitbilder werden.“ Das Konzept überzeugt: Der Energiebedarf des denkmalgeschützten Gebäudes liegt um rund 60 Prozent unter dem eines typischen Mehrfamilienhauses derselben Größe.

Motor für neue Investitionen
Kaum war das Haus fertiggestellt, begannen auch Anwohner und private Investoren mit Renovierungen in der Nachbarschaft. „Das Projekt hat eine Initialzündung ausgelöst“, so Anja Müller, Vorsitzende des ortsansässigen Bürgervereins. Wo früher leerstehende Industriehallen das Bild bestimmten, entstehen nun Cafés, kleine Büros und Lofts.

Die Stadt Schwerin fördert diese Entwicklung: In den kommenden Jahren soll der Uferweg, der derzeit am Stadthafen endet, durch die neu gestalteten Waisengärten bis zur Binnenfischerei weitergeführt werden. Das steigert nicht nur die Attraktivität für Touristen, sondern wertet auch die Wohnlage in der gesamten Werdervorstadt auf.

Ausblick: Kantine und Quartiersentwicklung
Ein letztes Kapitel wartet noch auf seine Fortsetzung: Die ehemalige Kantine der Abwasserentsorgung steht bis heute leer – sie ist nicht Teil des aktuellen Bauprojekts. Die Architekten planen hier eine zweite Etappe, die weiteren Wohnraum und Gemeinschaftseinrichtungen schaffen soll. Gespräche mit Investoren und der Stadt laufen.

Für Bewohner und Besucher bleibt das Haus Bornhövedstraße 71 ein eindrückliches Beispiel dafür, wie behutsame Modernisierung, ökologisches Bauen und Denkmalpflege Hand in Hand gehen können. Und wer in ein paar Jahren den Uferweg entlangspaziert, kann nicht nur den Blick auf den Schweriner See genießen, sondern auch Zeuge einer Stadt im Wandel werden.



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