Magdeburg. Seit dem 10. Oktober 2003 überspannt die Magdeburger Kanalbrücke die Elbe und schließt damit eine Lücke in Deutschlands Binnenwasserstraßennetz, die fast ein ganzes Jahrhundert lang bestanden hatte. Mit einer Länge von 918 Metern und einem Stahlwassertrog von 34 Meter Breite ist sie die längste Schiffskanalbrücke Europas – ein technisches Meisterwerk und zugleich ein Symbol deutscher Einheit.
Eine Vision im Schatten der Geschichte
Bereits in den 1920er Jahren erkannten Ingenieure die Notwendigkeit, den Mittellandkanal ohne Umwege über die Elbe zu führen. 1934 begannen die Arbeiten, doch der Zweite Weltkrieg setzte dem Vorhaben ein jähes Ende. Über sechs Jahrzehnte standen die unfertigen Stützpfeiler verwaist im Flussbett und mahnten an, was hätte sein können. Nach der Wiedervereinigung 1990 rückte das Projekt im Rahmen des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit Nr. 17 erneut in den Fokus – und Deutschland zog 1993 endlich die Reißleine.
Konstruktion nach höchsten Maßstäben
Die Brücke gliedert sich in zwei Bauabschnitte:
- Vorlandbrücke (690 m): Sie führt den Kanal als sanfte Rampe zum Hauptbauwerk.
- Hauptbrücke (227,4 m): Mit einer größten freien Spannweite von 106,2 Metern gewährt sie die nötige Durchfahrtshöhe für Flussschiffe.
Die Stahlkonstruktion aus S-355-Stahl wiegt allein 24.900 Tonnen. Dieser gewaltige Koloss ruht auf 17 Pfeilern, die in bis zu 12 Meter tiefen Betonfundamenten verankert sind. Die sechs Pfeiler im Flussbett wurden als Flachgründungen direkt auf den sedimentreichen Untergrund gebaut und halten jedem Druck von über 13.000 Tonnen stand – mehr als zwei „Titanic“-Schiffen pro Pfeiler.
Ingenieure setzten auf höchste Präzision: Fertigteile bis zu 150 Tonnen wurden am Ufer zusammengefügt, dann mit Hydrauliksystemen von bis zu zwölf 1.000-Tonnen-Pressen millimetergenau eingeschoben. Viertelstundlich verglühte Stahl unter dem Schein der Schweißbrenner, bis im Januar 2002 die letzten Nähte saßen.
Betrieb und wirtschaftliche Bedeutung
Mit Investitionskosten von rund 130 Millionen Euro für die Brücke – knapp 500 Millionen Euro inklusive Schleusen und Nebeneinrichtungen – sollte der Warentransport auf dem Wasser günstiger und klimafreundlicher werden. Tatsächlich verlagerten Logistiker bis zu 7 Millionen Tonnen Fracht pro Jahr von der Autobahn auf die Elbe – eine Einsparung von Millionen Euro Transportkosten und deutlich weniger CO₂-Emissionen.
„Nie wieder zwölf Kilometer Umweg bei Niedrigwasser“, betonte damals Verkehrsminister Manfred Stolper, als er das Wunderwerk feierlich eröffnete. Seither führt die Kanalbrücke den Mittellandkanal nahtlos in den Elbe-Havel-Kanal und verkürzt Fahrzeiten um bis zu 24 Stunden.
Kritik und Herausforderungen
Trotz des Erfolgs blieb Raum für Debatten: Umweltverbände warnten vor Störungen natürlicher Wasserstände und möglichen Folgen für Feuchtgebiete. In den ersten zehn Jahren wurde das prognostizierte Frachtaufkommen von 7 Millionen Tonnen nie ganz erreicht – 2015 lag die Durchsatzmenge bei knapp 6 Millionen Tonnen.
Doch mit der Modernisierung des Magdeburger Hafens, der heute als multimodaler Logistikknoten fungiert, stiegen die Umschlagszahlen kontinuierlich. Touristen und Kanufahrer genießen mittlerweile den Anblick unter den mächtigen Stahlbögen, während Frachtschiffe zuverlässig ihre Ladung transportieren.
Ausblick: 60 Jahre Zukunft
Die Magdeburger Kanalbrücke wurde für eine Lebensdauer von mindestens sechs Jahrzehnten gebaut. Ihre robusten Dehnungsfugen erlauben Temperaturschwankungen von bis zu einem Meter Längenausdehnung, und eine High-Tech-Beschichtung schützt den Stahlwanner vor Korrosion.
„Das ist nicht nur ein Bauwerk, sondern ein Symbol dafür, was erreicht werden kann, wenn technische Vision und politischer Wille zusammentreffen“, resümiert Dr. Ingrid Weber, leitende Bauingenieurin des Projekts.
Auch wenn nicht alle anfänglichen Prognosen vollständig eintrafen, hat sich die Investition langfristig ausgezahlt – für Wirtschaft, Klimaschutz und das gesamtdeutsche Infrastrukturnetz. Mehr noch: Sie steht für die Überwindung historischer Hürden und die Kraft nationaler Einheit.