Berlin. Mit seinen 313 Metern Länge, der silbernen Hülle aus Aluminium und dem monumentalen Erscheinungsbild wirkt das Internationale Congress Centrum (ICC) Berlin wie ein Raumschiff, das in der City West notgelandet ist – ein Relikt aus einer Zukunft, die einmal sehr gegenwärtig war. Seit seiner Schließung im Jahr 2014 steht das einst größte Kongresszentrum Europas leer. Was bleibt, ist ein Denkmal der Nachkriegsmoderne – und eine offene Frage: Was tun mit diesem Giganten?
Ein Bauwerk als Visionsträger
Als West-Berlin in den 1970er Jahren um internationale Sichtbarkeit rang, setzte die Stadt auf ein mutiges Signal. Das ICC, entworfen vom Architektenpaar Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte, war kein Zweckbau, sondern ein Manifest: für technischen Fortschritt, wirtschaftlichen Optimismus und städtebauliche Zukunftsgewandtheit. Der Bau verschlang fast eine Milliarde D-Mark – eine Summe, die schon damals zu heftigen politischen Kontroversen führte.
Trotz aller Kritik wurde das ICC schnell zur Ikone. Mit über 80 Sälen und Platz für 20.000 Besucherinnen und Besucher war es ein Magnet für Kongresse, Messen und Kulturveranstaltungen. Bundespräsident Walter Scheel sprach bei der Eröffnung 1979 mit Stolz – und einer Prise Ironie: Der gute alte Funkturm sehe gegen das neue Kongresszentrum aus „wie eine mittlere Hausantenne“.
Zwischen Denkmal und Sanierungsfall
Doch mit den Jahren verblasste der Glanz. Neue Veranstaltungsstätten wie der CityCube machten dem ICC Konkurrenz. Der bauliche und technische Zustand verschlechterte sich, die Betriebskosten stiegen. Seit 2014 ist das Gebäude geschlossen, ein Sanierungskonzept gibt es bis heute nicht – wohl aber eine Denkmalschutzplakette. Seit 2019 steht das ICC offiziell unter Schutz, was seine Modernisierung nicht gerade einfacher macht.
„Das ICC ist ein Zeitzeugnis, das wir nicht verlieren dürfen“, sagt die Architektin und Mitplanerin Ursulina Schüler-Witte. Für sie ist klar: Das Gebäude muss wieder genutzt werden – idealerweise als Kongresszentrum mit zeitgemäßer Infrastruktur. Andere Stimmen fordern eine Umwidmung: etwa zu einem Technologie-Campus, einem multifunktionalen Veranstaltungsort oder gar zu einem Ort für Kunst und soziale Innovation.
Hohe Kosten, viele Ideen
Einigkeit herrscht einzig über die Hürden. Der Sanierungsbedarf ist enorm – erste Schätzungen sprechen von mehreren hundert Millionen Euro. Ein politisches Kraftprojekt, das bisher niemand wirklich anpacken wollte. Die Berliner Landesregierung steht unter Druck: Einerseits wächst der Ruf nach nachhaltiger Stadtnutzung, andererseits mahnt die Finanzlage zur Vorsicht. Kulturverwaltung, Stadtentwicklung und Messe Berlin verhandeln seit Jahren – ohne Ergebnis.
Dabei birgt das ICC auch heute enormes Potenzial. Seine Größe, seine flexible Raumstruktur und nicht zuletzt seine Symbolkraft machen es zu einem einzigartigen Ort in einer Stadt, die sich ständig neu erfindet. Doch ohne politisches Commitment und ein tragfähiges Konzept droht der Verfall – oder ein Abriss durch die Hintertür.
Was wird aus dem Raumschiff Berlin?
Die Geschichte des ICC ist die Geschichte einer Stadt im Übergang: von der geteilten Metropole zur Hauptstadt, von der Technikgläubigkeit der Siebziger zum Nachhaltigkeitsideal des 21. Jahrhunderts. In dieser Geschichte ist das ICC ein Kapitel, das noch nicht zu Ende geschrieben ist.
Ob es als Veranstaltungsort wiedereröffnet, als Zukunftslabor umgebaut oder als Denkmal konserviert wird – die Entscheidung über seine Zukunft ist zugleich eine Entscheidung über den Umgang mit der Vergangenheit. Und über den Mut, auch heute wieder große architektonische Ideen zuzulassen.