Zwischen den weitläufigen Feldern östlich Berlins ragt ein Relikt der industriellen Vergangenheit empor: Das ehemalige VEB Chemiewerk Coswig, Betriebsteil Rüdersdorf. Einst pulsierendes Herz der europäischen Futterphosphatproduktion, fasziniert die verfallene Anlage heute Filmteams und Graffiti-Künstler gleichermaßen – ein Ort, der von Geschichte und Verfall gleichermaßen erzählt.
Aufstieg und industrieller Erfolg
Im Laufe der DDR-Zeit gelang es dem Chemiewerk, sich als Produzent eines hochwertigen Futterphosphats zu etablieren, das europaweit unter dem Namen RÜKANA gehandelt wurde. Mit einer einzigen, aber hochmodernen Ofenanlage und einem speziell angepassten Verfahren, das in den 1970er Jahren entwickelt wurde, erreichte das Werk 1988 einen beeindruckenden Produktionsausstoß von 180.000 Tonnen. Diese Erfolgsgeschichte war das Ergebnis großer Investitionen und technologischer Innovation – ein leuchtendes Beispiel für industriellen Fortschritt in schwierigen Zeiten.
Historische Wurzeln und wechselvolle Zeiten
Die industrielle Tradition in Rüdersdorf reicht jedoch weit zurück. Bereits im 17. Jahrhundert lieferte der lokale Kalkstein aus dem Tagebau Baumaterial für monumentale Bauwerke wie das Brandenburger Tor und das Schloss Sanssouci. Mit dem Aufkommen des zementgebundenen Betons im 19. Jahrhundert wandelte sich die lokale Industrie, und es entstanden zahlreiche Zement- und Kalksteinwerke. Das Zementwerk von Carl Otto Wegener, das ab 1900 in Betrieb ging, stand sinnbildlich für den Wandel – von traditionellen Baustoffen hin zu modernen industriellen Prozessen. Die wechselnden Besitzverhältnisse und die Umfirmierungen, wie die Transformation in die C. O. Wegener Baustoff-AG und später die Übernahme durch die PREUSSAG, spiegeln die turbulente Geschichte der deutschen Industrie im 20. Jahrhundert wider.
Vom wirtschaftlichen Motor zum verlassenen Monument
Mit der Wende änderte sich das Bild. Obwohl noch bis 1999 in begrenztem Umfang produziert wurde, führte der Niedergang der traditionellen Industriezweige und die zügigen Veränderungen der Marktwirtschaft letztlich zur Insolvenz der Rüdersdorfer Futterphosphat GmbH. Die einst so lebendige Anlage verfiel zusehends – ein Symbol für die Umwälzungen, die nach dem Fall der Mauer die ostdeutsche Industrie prägten.
Neuer Glanz in alter Ruine
Seit dem Jahr 2000 hat die verlassene Anlage jedoch ein unerwartetes neues Leben erhalten. Die imposanten Ruinen dienten als authentische Kulisse für diverse Kriegs- und Actionfilme. Filme wie „Enemy at the Gates“ und „The Monuments Men“ haben hier ihre dramatischen Szenen gedreht. Auch kulturelle Akteure, wie Graffiti-Künstler, haben in den verfallenen Gemäuern ihre Spuren hinterlassen und den Ort zu einer urbanen Kunstlandschaft transformiert. Die Mischung aus Verfall und künstlerischer Ausdruckskraft macht die Anlage zu einem faszinierenden Zeugnis vergangener Zeiten, das heute Besucher und Filmteams gleichermaßen in seinen Bann zieht.
Ein Ort zwischen Vergangenheit und Gegenwart
Die Geschichte des ehemaligen VEB Chemiewerk Coswig, Betriebsteil Rüdersdorf, ist mehr als nur die Chronik industrieller Produktion und des wirtschaftlichen Wandels. Sie erzählt von Innovation und Fortschritt, von den Schatten der politischen Umbrüche und von der Kraft der Transformation – von einem Ort, der in seinen verfallenen Hallen die Spuren der Vergangenheit bewahrt und zugleich Raum für neue Geschichten bietet.
In dieser faszinierenden Lost Place verschmelzen Geschichte und Gegenwart zu einem eindrucksvollen Mosaik, das sowohl die Glanzzeiten der industriellen Moderne als auch die poetische Schönheit des Verfalls einfängt. Besucher, Historiker und Filmschaffende finden hier einen Ort, der weit mehr ist als nur ein verlassenes Industriegebäude – er ist ein lebendiges Denkmal der deutschen Industriegeschichte.