Scheidungen waren in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland nicht nur ein juristisches, sondern auch ein gesellschaftliches Phänomen mit tiefgreifenden Unterschieden. Während im Westen traditionelle Rollenbilder die Ehe lange stabil hielten, entwickelte sich die DDR zu einem Land mit einer der höchsten Scheidungsraten weltweit. Ein Interview mit Dr. Anna Kaminsky, Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, gibt interessante Einblicke in die Ursachen dieser Entwicklung.
Bereits Mitte der 1950er-Jahre schuf die DDR gesetzliche Grundlagen, die den wirtschaftlichen Druck auf Frauen erhöhten, berufstätig zu sein. Ein entscheidender Faktor: Männer waren nach einer Scheidung nicht mehr unterhaltspflichtig für ihre Ex-Frauen. Dies zwang viele Frauen in die Erwerbstätigkeit und förderte ihre finanzielle Unabhängigkeit. „Frauen mussten arbeiten, um wirtschaftlich überleben zu können, und genau das machte sie unabhängiger in ihren Entscheidungen“, erklärt Kaminsky.
Ein markanter gesellschaftlicher Wandel vollzog sich in der DDR Ende der 1960er-Jahre: Während zuvor hauptsächlich Männer die Scheidung einreichten, waren es ab diesem Zeitpunkt mehrheitlich Frauen. Viele gaben in Umfragen an, dass ihre Männer sie nicht ausreichend unterstützten. „Das gewachsene Selbstbewusstsein und die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen spielten eine entscheidende Rolle“, so Kaminsky.
In der Bundesrepublik blieben Scheidungen bis in die 1980er-Jahre deutlich seltener. Ein wesentlicher Grund war die traditionelle Rollenverteilung: Der Mann als Ernährer, die Frau als Hausfrau. Eine Scheidung bedeutete für viele Frauen den finanziellen Absturz. Zudem war die Ehe in Westdeutschland auch stark kirchlich geprägt, was das gesellschaftliche Stigma einer Trennung verstärkte. Doch auch im Westen begann sich das Frauenbild ab den 1960er-Jahren zu wandeln: Zeitschriften ermutigten Frauen zur Berufstätigkeit und zur Selbstständigkeit. „Geschiedene Frauen sind die Besten“, titelten Magazine und betonten deren Lebenserfahrung und neue Chancen.
Ein zentrales Problem für geschiedene Paare in der DDR war der Mangel an Wohnraum. Viele Ex-Partner waren gezwungen, auch nach der Trennung noch Jahre in derselben Wohnung zu leben. In Kontaktanzeigen wurde die „eigene Wohnung“ daher oft als entscheidender Vorteil angepriesen.
Heute, mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, haben sich die Scheidungsraten in Ost und West weitgehend angeglichen. Doch die historische Entwicklung zeigt, wie tief verwurzelt gesellschaftliche Strukturen in das Privatleben eingreifen und welche langfristigen Auswirkungen politische Systeme auf das Familienbild haben.