Zwangsarbeit im Nationalsozialismus: Ein europäisches Verbrechen und seine Erinnerung

Fachgespräch “Zwangsarbeit – Eine NS-Verbrechensgeschichte in Europa”

Im Mai 2024 eröffnete das Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus in Weimar seine Türen und stellt seitdem ein zentrales Element der Erinnerungsarbeit an ein oft verdrängtes Kapitel der NS-Geschichte dar: die Zwangsarbeit. Das Museum widmet sich der umfangreichen und oft vernachlässigten Geschichte der Zwangsarbeit im Dritten Reich, einem der grausamsten Verbrechen des Nationalsozialismus, das Millionen von Menschen aus ganz Europa betraf. Es beleuchtet die brutalen Arbeitsbedingungen, die Ausbeutung und das Leiden der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und stellt dabei nicht nur den deutschen, sondern den gesamten europäischen Kontext in den Mittelpunkt.

Das Thema Zwangsarbeit im Nationalsozialismus ist heute aktueller denn je. Gerade in Zeiten, in denen Revisionismus und Relativierung der NS-Verbrechen wieder salonfähig werden, ist es entscheidend, die Erinnerung an diese Verbrechen wachzuhalten und zu diskutieren, wie man diese Geschichte weitergeben kann. Wie kann die Erinnerung an die Zwangsarbeit im Nationalsozialismus in ihrer europäischen Dimension greifbar gemacht werden, ohne sie zu relativieren oder zu verdrängen? Und vor allem: Was geht uns dieses Thema heute an?

Die Stiftung EVZ und das Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus haben in Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren eine Podiumsdiskussion und eine Keynote zu diesem hochaktuellem Thema veranstaltet, bei der sich Expertinnen und Experten mit diesen Fragen auseinandergesetzt haben.

Keynote von Dr. Daniel Logemann: Erinnerung und Erinnerungskulturen
Die Veranstaltung begann mit einer Keynote von Dr. Daniel Logemann, der sich der Frage widmete, ob erlebte Geschichte und intergenerationelle Aspekte die traditionellen, ritualisierten und oft politisch vereinnahmten Erinnerungskulturen herausfordern könnten. Logemann ging der Frage nach, inwiefern die Erinnerung an die NS-Zwangsarbeit nicht nur die historisch belastete Dimension des Verbrechens berücksichtigen sollte, sondern auch in welchem Maße diese Erinnerung eine neue, innovative Perspektive durch persönliche Geschichten, Erfahrungsberichte und eine stärker europäische Sichtweise gewinnen kann.

Dabei verwies Logemann auf die Entwicklung von Erinnerungskulturen, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben und die sich oft durch ein stark politisches Anliegen definieren. Erinnerung darf jedoch nicht nur als politisches Instrument dienen, sondern muss authentische, individuelle Perspektiven und die europäische Dimension des Verbrechens mit einbeziehen. Die Erinnerung an Zwangsarbeit darf nicht allein als nationale Erinnerung verstanden werden, sondern muss immer auch als europäische Herausforderung begriffen werden.

Dr. Logemann betonte in diesem Zusammenhang, dass Erinnerung nicht nur durch Institutionen und staatliche Akteure organisiert werden sollte, sondern dass sie ein tief verwurzeltes Verständnis in der Gesellschaft finden muss, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Gerade in einer Zeit, in der mit neuen politischen Bewegungen und politischen Entwicklungen in Europa, die den Nationalsozialismus verharmlosen, auch die Erinnerung an die Verbrechen zu erodieren droht, sei es dringend notwendig, dass sich die Gesellschaft immer wieder intensiv mit der Vergangenheit auseinandersetzt und die Verantwortung für die Erinnerung gemeinsam trägt.

Diskussionsrunde: Die europäische Dimension der Zwangsarbeit
Im Anschluss an die Keynote folgte eine Podiumsdiskussion, die von Jens Schley, der als Moderator durch den Abend führte, geleitet wurde. Schley betonte die Bedeutung der europäischen Perspektive auf die NS-Zwangsarbeit und stellte die Frage, wie diese Erinnerung in unterschiedlichen europäischen Ländern wahrgenommen und bewahrt wird. Es war ein ebenso spannender wie aufschlussreicher Dialog über die verschiedenen Formen der Auseinandersetzung mit dem Thema Zwangsarbeit und wie sich diese Formen durchsetzen lassen – gerade dort, wo man diese Erinnerung noch immer verdrängen oder marginalisieren möchte.

Dr. Michael Gander: Erinnerungsarbeit in konkreten Projekten
Einer der Diskutanten war Dr. Michael Gander, Geschäftsführer der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht. Im Rahmen des Projekts „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts“ beschäftigt sich Gander mit der Erinnerung an die Zwangsarbeit und den Orten, an denen Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten. Er erklärte, dass diese Orte oft lange Zeit nicht als Erinnerungsstätten wahrgenommen wurden. Es sei erst in den letzten Jahrzehnten gelungen, die gesellschaftliche Wahrnehmung für die Verbrechen und die damit verbundenen Orte zu schärfen.

Gander machte deutlich, dass Erinnerungsarbeit vor allem in Regionen, die von den Verbrechen betroffen waren, kontinuierlich und lokal verankert sein müsse, um nachhaltig zu wirken. Dabei sei es wichtig, den Menschen zu verdeutlichen, dass Zwangsarbeit nicht nur ein Kapitel der Vergangenheit sei, sondern auch Konsequenzen für die Gegenwart habe. Er erinnerte daran, dass es noch immer europäische Länder gibt, die die Dimension der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus nicht in ausreichendem Maße anerkennen oder die Erinnerung an diese Verbrechen sogar aktiv verhindern.

Anke Heelemann: Kunst als Intervention
Die Künstlerin Anke Heelemann stellte ihre Interventionen im Rahmen des Projekts „Zwangsarbeit in aller Öffentlichkeit“ vor. Sie zeigte, wie Kunst als Werkzeug genutzt werden kann, um Erinnerung in den öffentlichen Raum zu tragen und Menschen dazu zu bewegen, sich mit der Geschichte der Zwangsarbeit auseinanderzusetzen. Heelemann betonte die Bedeutung von Interventionen im urbanen Raum, um die Erinnerung sichtbar zu machen. Sie erklärte, dass Kunst dazu beitragen könne, eine emotionale Verbindung zur Geschichte herzustellen und eine breitere Öffentlichkeit für die Verbrechen des Nationalsozialismus zu sensibilisieren.

Heelemanns Arbeiten, die oft provokativ sind und mit der Öffentlichkeit in den Dialog treten, seien besonders wirksam, weil sie nicht nur eine passive Erinnerung forderten, sondern auch eine aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte. So sei Kunst in der Lage, eine tiefere Reflexion über die Zwangsarbeit und ihre gesellschaftlichen Implikationen zu fördern.

Dr. Nicolas Moll: Historische Perspektiven und Gedenken
Ein weiterer Experte auf dem Podium war Dr. Nicolas Moll, Historiker und Projektleiter von „Wer ist Walter?“, einem Projekt, das sich mit der Geschichte eines Zwangsarbeiters beschäftigt. Moll hob hervor, wie wichtig es ist, in der Erinnerung an die Zwangsarbeit nicht nur auf die Täter und die Verfolgungspolitik zu schauen, sondern auch den Fokus auf die Geschichten der Opfer zu legen. Insbesondere das Projekt „Wer ist Walter?“ solle den persönlichen Schicksalen von Zwangsarbeitern mehr Gewicht verleihen und ihre individuellen Geschichten und Erfahrungen in den Mittelpunkt stellen.

Moll betonte, dass diese Geschichten nicht nur historische Fakten seien, sondern auch als Mahnung für die Zukunft dienen könnten. Die Erinnerung an das Unrecht müsse eine kontinuierliche Aufgabe für alle Generationen bleiben.

Ausblick und Schlussfolgerung
Die Diskussion im Rahmen des Fachgesprächs und der Keynote zeigte einmal mehr, wie wichtig es ist, sich der Geschichte der NS-Zwangsarbeit in ihrer gesamten Komplexität zu stellen. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, die europäische Dimension dieses Verbrechens nicht nur zu berücksichtigen, sondern auch immer wieder in den Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung zu rücken. Denn nur wenn wir uns der Vergangenheit stellen, können wir verhindern, dass sich Geschichte wiederholt.

Es wurde deutlich, dass Erinnerung an Zwangsarbeit heute auch eine Aufgabe für die Kunst, die Gesellschaft und vor allem die jungen Generationen ist. Die Diskussionen und Projekte, die im Rahmen des Fachgesprächs präsentiert wurden, sind ein wichtiger Schritt, um diese Erinnerungsarbeit weiterzuführen und sie als Teil des gesellschaftlichen Diskurses zu etablieren. Es bleibt zu hoffen, dass die europäische Dimension der Zwangsarbeit auch in Zukunft stärker in den Fokus rückt und dass sich weiterhin viele Menschen und Institutionen dieser Aufgabe widmen.

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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