Wolfgang Schnur war eine der schillerndsten Figuren der DDR. Geboren 1944, begann seine Karriere als Anwalt und kirchlicher Berater. In den 1980er Jahren erlangte Schnur Bekanntheit als Rechtsanwalt, der Oppositionelle verteidigte. Gleichzeitig arbeitete er jedoch als inoffizieller Mitarbeiter (IM) für die Staatssicherheit, was ihm mehrfach Auszeichnungen von Erich Mielke, dem Chef des MfS, einbrachte.
Schnur, der über 20 Jahre als Stasi-Spitzel tätig war, führte die Decknamen „Torsten“ und „Dr. Ralf Schirmer“. Seine Tätigkeit als IM bestand darin, Berichte über seine Mandanten und andere oppositionelle Persönlichkeiten an die Stasi zu liefern. Dies geschah oft hinter dem Rücken seiner Klienten, was ihn in den Augen vieler zum Verräter machte. Während dieser Zeit pflegte er jedoch auch gute Beziehungen zu kirchlichen Kreisen und wurde von vielen als vertrauenswürdige Person angesehen.
1989, am Vorabend der Wende, wurde Schnur zum Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruchs (DA) gewählt, einer neuen politischen Bewegung, die sich für demokratische Reformen in der DDR einsetzte. In dieser Position trat er als ein Mann des Wandels auf und wurde zu einer wichtigen Figur in den ersten freien Wahlen der DDR 1990. Sein Aufstieg schien unaufhaltsam, und es wurde erwartet, dass er eine zentrale Rolle in der neu entstehenden politischen Landschaft spielen würde.
Doch kurz vor den Wahlen 1990 wurde Schnurs doppelte Identität öffentlich. Die Stasi, die die Kontrolle über ihre ehemaligen IMs behalten wollte, ließ Informationen über seine langjährige Zusammenarbeit durchsickern. Dies führte zu einem massiven Skandal und zwang Schnur, von allen politischen Ämtern zurückzutreten. Seine Enthüllung als Stasi-Spitzel zerstörte nicht nur seine politische Karriere, sondern auch das Vertrauen, das viele in ihn gesetzt hatten.
Kirchenvertreter wie Ehrhart Neubert, der Mitbegründer des Demokratischen Aufbruchs war, und Ex-Schnur-Mandant Thomas Kretschmer, der mehrere Jahre inhaftiert war, schilderten später ihre Enttäuschung und ihren Verrat durch Schnur. Bürgerrechtler wie Rainer Eppelmann, die ebenfalls von Schnurs Doppelspiel betroffen waren, äußerten sich ebenfalls kritisch zu seinem Verhalten.
Trotz der Kontroversen um seine Person bleibt Wolfgang Schnur eine wichtige Figur in der Geschichte der DDR. Seine Geschichte ist ein Beispiel für die komplexen und oft widersprüchlichen Rollen, die Einzelpersonen in totalitären Systemen spielen können. Sie zeigt, wie die Stasi in der Lage war, Vertrauen zu missbrauchen und wie Menschen gleichzeitig Teil des Widerstands und des Unterdrückungsapparates sein konnten. Schnur lebt heute zurückgezogen und wird oft als Symbol für die moralischen Ambivalenzen und die Zerrissenheit der DDR-Gesellschaft gesehen.