Bereits wenig künstliches Licht gefährdet Ökosysteme

Eine neue Sammlung von Studien über künstliches Licht bei Nacht zeigt, dass die Auswirkungen der Lichtverschmutzung weitreichender sind als gedacht. Selbst geringe Mengen künstlichen Lichts können Artengemeinschaften und ganze Ökosysteme stören. Die in der Fachzeitschrift Philosophical Transactions of the Royal Society B veröffentlichte Sonderausgabe mit 16 wissenschaftlichen Studien befasst sich mit den Auswirkungen der Lichtverschmutzung auf komplexe Ökosysteme, darunter Boden-, Grasland- und Insektengemeinschaften. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena betonen in der Sonderausgabe den Dominoeffekt, den Lichtverschmutzung auf Funktionen und Stabilität von Ökosystemen haben kann.

Weltweit nimmt künstliche Beleuchtung zu – auch der Nachthimmel wird damit immer heller. Die Lichtverschmutzung, die jedes Jahr um bis zu zehn Prozent zunimmt, unterbricht die natürlichen Lichtzyklen, die im Laufe der Erdgeschichte weitgehend konstant waren. Diese Zyklen sind für Organismen, die auf Licht als Energie- und Informationsquelle angewiesen sind, lebenswichtig. Bislang konzentrierten sich Studien, die die Auswirkungen von Lichtverschmutzung untersucht haben, weitgehend auf die menschliche Gesundheit und auf einzelne Arten. Die Untersuchung ganzer Ökosysteme, in denen Arten durch vielfältige Interaktionen miteinander verbunden sind, blieb hingegen meist außen vor. „Arten existieren nicht isoliert, sondern interagieren auf vielfältige Weise“, erklärt Dr. Myriam Hirt von iDiv und der Universität Jena, die gemeinsam mit Dr. Remo Ryser die Herausgabe der Sonderausgabe redaktionell leitete. „Unser Ziel war es, besser zu verstehen, wie sich die Aufhellung des Nachthimmels auf ganze Ökosysteme und die damit verbundenen Ökosystemleistungen auswirkt.“

Mithilfe des iDiv-Ecotrons, das aus mehreren kontrollierbaren Ökosystemen (sogenannten EcoUnits) besteht, simulierten und veränderten die Forscherinnen und Forscher die nächtlichen Lichtverhältnisse. Zu den wichtigsten Ergebnissen in diesem Zusammenhang gehören:

  • Die Auswirkungen von künstlichem Licht erreichen auch unterirdische Bodengemeinschaften und beeinflussen die Bodenatmung sowie die Effizienz der Kohlenstoffnutzung
  • Künstliches Licht beeinflusst die Aktivität von Insekten, was unter anderem zu höheren Prädationsraten in der Nacht führte, es gab also mehr Jagdverhalten
  • Künstliches Licht führt zu einer Verringerung der pflanzlichen Biomasse und Diversität, sowie zu Veränderung von Pflanzenmerkmalen, wie die Behaarung der Blätter
  • Durch künstliches Licht können sich die Zeiträume, in denen Arten aktiv sind, verschieben bzw. angleichen, was zu größeren Überschneidungen in deren Aktivität führt und letztlich den Fortbestand von Arten beeinflussen kann

Die Studien zeigten auch, dass selbst geringe Intensitäten der Lichtverschmutzung – weniger als bei Vollmond – tiefgreifende Auswirkungen haben, nicht nur auf das Verhalten und die physiologischen Reaktionen einzelner Arten, sondern sich auch auf komplexeren Ebenen widerspiegeln, etwa in Gemeinschaften und ökologischen Netzwerken, wie zum Beispiel Nahrungsnetzen. „Wie die einzelnen Arten auf künstliches Licht reagieren und in welcher Beziehung sie zueinander stehen, beeinflusst, wie das gesamte Ökosystem reagiert. So verändert beispielsweise eine Verschiebung der Aktivität von tagaktiven und dämmerungsaktiven Arten in die Nacht die Aussterberisiken in der gesamten Artengemeinschaft“, sagt Dr. Remo Ryser von iDiv und der Universität Jena.

Eine weitere Studie in der Sonderausgabe untersuchte, wie künstliches Licht indirekte Kaskadeneffekte hervorruft, die sich auch auf den Menschen auswirken. So kann künstliches Licht bei Nacht zum Beispiel die Häufigkeit und das Verhalten von Stechmücken beeinflussen. Die Studie zeigt, dass künstliches Licht zu Veränderungen in der zeitlichen Abfolge wichtiger Verhaltensweisen der Mücken führt, wie der Wirtssuche, der Paarung und der Flugaktivität. Dies könnte weitreichende Folgen für die Übertragung von Krankheiten wie Malaria haben. In einer anderen Studie wurde untersucht, wie verschiedene Beleuchtungsstrategien die negativen Auswirkungen von künstlichem Licht abmildern können. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weisen jedoch darauf hin, dass die Eindämmung von Lichtverschmutzung einen nuancierten Ansatz erfordert, da die Auswirkungen auf die verschiedenen Arten sehr unterschiedlich sein können. Entsprechend könnten vorbeugende Maßnahmen möglicherweise nicht universell anwendbar sein.

Aufgrund der stetigen Zunahme der künstlichen Beleuchtung auf der ganzen Welt finden sich immer weniger Regionen, in denen es wirklich dunkel ist – mit möglichen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und auf Ökosysteme. Mit der Sonderausgabe möchten die Autorinnen und Autoren weitere Forschung und Maßnahmen anregen, die nicht nur dazu beitragen, die schädlichen Auswirkungen der Lichtverschmutzung zu mindern, sondern auch die Bedürfnisse von Gesellschaft und Natur zu berücksichtigen. „Natürlich hat künstliches Licht bei Nacht viele Vorteile“, sagt Dr. Myriam Hirt. „Aber wir dürfen auch seine negativen Auswirkungen nicht außer Acht lassen.“

Original-Publikation

Myriam R. Hirt, Darren M. Evans, Colleen R. Miller, Remo Ryser (2023). Light pollution in complex ecological systems. Philosophical Transactions of the Royal Society B, DOI: https://doi.org/10.1098/rstb/378/1892Externer Link

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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