Die deutsch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Ulrike Malmendier, Professorin in Berkeley und Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung, hat in ihrem Impulsvortrag beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum ein schonungsloses Bild der wirtschaftlichen Lage Deutschlands gezeichnet. Ihre Diagnose: Stagnation, Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und strukturelle Wachstumsbremsen.
Stagnation und Wettbewerbsverlust
Deutschland sei wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten – nur 0,1 % Wachstum seit 2019, während die USA um 12 % zulegten. Zwei Hauptursachen benennt Malmendier:
Hohe Energiepreise: Trotz Entspannung auf den Spotmärkten bleibt Energie in Deutschland im internationalen Vergleich teuer.
Hohe Arbeitskosten: Noch gravierender als Energie – durch „Labor Hoarding“ und Fachkräftemangel steigen die Lohnstückkosten deutlich. Die Produktivität leidet.
Demografie als zentrale Wachstumsbremse
Das Arbeitsvolumen sinkt – nicht wegen weniger Arbeitszeit pro Kopf, sondern wegen Überalterung und fehlender Erwerbspersonen. Das Potenzialwachstum liegt bei nur noch 0,5 %, früher waren es 2–3 %. Inländische Arbeitsanreize reichten nicht aus.
Drei zentrale Forderungen für den Neustart
Gezielte Einwanderung erleichtern: Deutschland brauche ein einfaches, marktorientiertes Zuwanderungssystem. Steuerliche Vergünstigungen für Hochqualifizierte sollten kein Tabu sein.
Kapitalmarkt stärken & Investitionen modernisieren: Statt alter Industriepolitik brauche es mehr Risikokapital für Startups und Scaleups. Malmendier fordert eine echte „Aktienkultur“, etwa durch eine Frühstartrente in ETF-Portfolios für Kinder.
EU-Binnenmarkt konsequent nutzen: Noch immer verursache der innereuropäische Handel hohe Zusatzkosten. Ein vollintegrierter Markt mit einheitlicher Regulierung und Kapitalmarktunion könne Europas wirtschaftliches Potenzial entfesseln.
Malmendier ruft zu strukturellen Reformen auf – nicht zu kosmetischen Korrekturen. Deutschland müsse sich aus dem Würgegriff überholter Denkweisen befreien, um wieder wirtschaftlich Tritt zu fassen. Ihr Appell: Es braucht Mut für unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen.
Bad Saarow – Das zehnjährige Jubiläum des Ostdeutschen Wirtschaftsforums (OWF) bot in diesem Jahr nicht nur Anlass zum Feiern, sondern auch ein Podium für Kritik an den großen Gesten und kleinen Inhalten in Manuela Schwesigs Grußwort. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern pries das Forum als „Daos des Ostens“ – Bodenständigkeit und Klarheit seien dessen Markenzeichen. Doch was bleibt, wenn die Symbolkraft verblasst?
Aufbauleistung ja, doch der Blick bleibt zu eng
Schwesig erinnerte an die schweren Anfangsjahre nach 1990 und würdigte die „enorme Kraftanstrengung“ zahlloser Unternehmerinnen und Unternehmer. Doch ihre Rede verfehlte eine differenzierte Auseinandersetzung mit den tiefen Ursachen heutiger Probleme: Abwanderung junger Fachkräfte, Sparzwänge in ländlichen Kommunen und mangelnde Innovationsnetzwerke. Stattdessen malte sie das Bild einer nahezu abgeschlossenen Erfolgsgeschichte – ein Narrativ, das die akutsten Sorgen vieler Mittelständler verkennt.
Ost-Interessen versus Gesamtstrategie
Unbestritten ist, dass Ostdeutschland noch immer bei Löhnen, Vermögen und Wirtschaftsstruktur hinter dem Westen zurückbleibt. Schwesig forderte deshalb eine stärkere „ostdeutsche Perspektive“ im Bundesdiskurs und verglich ihre Region mit dem selbstbewussten Auftreten Bayerns. Doch solche Parallelen riskieren neue Gräben: Eine nachhaltige Wirtschaftspolitik darf nicht in Regionalegoismen erstarren, sondern muss Brücken zu anderen strukturschwachen Regionen schlagen.
Die „drei 100-Tage-Forderungen“ – viel Pathos, wenig Plan
Im Zentrum von Schwesigs Appell standen drei Forderungen an die künftige Bundesregierung:
Energiekosten senken: Sie plädierte für Investitionen in Netzausbau und eine Entkopplung des Strompreises vom Gas. Doch bleibt offen, wie internationale Marktregeln oder EU-Vorgaben in Einklang gebracht werden sollen.
Bürokratie abbauen: Am Beispiel des Lieferkettengesetzes kritisierte sie Überforderung selbst kleiner Firmen. Konkrete Alternativmodelle für eine sozial-ökologische Unternehmensverantwortung blieben jedoch aus.
Sondervermögen für Investitionen: Schwesig lobte das geplante Infrastruktur-Sondervermögen. Doch ohne klare Prioritäten – etwa zwischen digitaler Netzausbau, Schulen oder Gesundheitswesen – droht die Verzettelung der Mittel.
Chancen im Ostseeraum – realistische Perspektive oder wohlfeiles Schlagwort?
Positiv bewertete Schwesig die Wirtschaftsoptionen im demokratischen Ostseeraum, der bereits heute mehr Handelsvolumen mit Deutschland aufweise als China. Doch auch hier fehlte eine Roadmap: Welche Branchen sollen gefördert werden? Welche Logistikinvestitionen sind nötig? Ohne konkrete Strategiepapiere bleibt der Blick nach Norden vielmehr ein wohlfeiles Schlagwort.
Forderungspakete statt Fahrplan
Ministerpräsidentin Schwesig hat am Podium des OWF wichtige Themen angesprochen und ostdeutschen Mittelständlern eine starke Bühne geboten. Doch entgegen der Hoffnung auf handfeste Reformen bleiben Forderungen und Appelle überwiegend symbolisch. Die Wirtschaftswende in Ostdeutschland braucht keinen leeren Pathos, sondern einen präzisen Fahrplan – mit klar definierten Maßnahmen, Zeitplänen und Verantwortlichkeiten. Bis dahin droht das Jubiläum des Forums eine Feier leerer Versprechen zu bleiben.
Die Verehrung von Persönlichkeiten aus der DDR ist ein Spiegelbild vielfältiger individueller und kollektiver Erinnerungen, die sich nicht auf offizielle Heldenbilder beschränken. Eine Diskussionsrunde auf dem YouTube-Kanal „DDR-Box“ beleuchtet diese Vielfalt eindrücklich: Hier kommen Menschen zu Wort, die jenseits von Parteirhetorik oder staatlicher Propaganda von ihren Vorbildern berichten – oft aus dem persönlichen Umfeld.
Alltagshelden im eigenen Umfeld
Im Mittelpunkt vieler Erzählungen stehen nicht Politiker oder Prominente, sondern Großmütter, Väter oder Nachbarn – Menschen, die im Alltag mit Anstand, Freundlichkeit und Widerstandskraft auffielen. Eine Großmutter, die selbst in schwieriger Versorgungslage stets freundlich zu ihren Mitarbeitern blieb, wird als „perfekter Mensch“ beschrieben. Eine andere, proletarischer Herkunft, beeindruckte durch Herz, Stolz und Berliner Schnauze. Solche Erinnerungen zeigen, dass es vor allem die kleinen, moralischen Standhaftigkeiten im DDR-Alltag sind, die noch heute respektvoll erinnert werden.
Künstler, Sportler, Lehrer – Gesichter der Kultur
Auch bekannte Namen aus Kultur, Musik und Wissenschaft haben bleibenden Eindruck hinterlassen:
Stefan Krawczyk, Liedermacher, wird ebenso geschätzt wie engagierte Schauspiellehrer,
Toni Krahl, Sänger von City, gilt als musikalisches Vorbild,
Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All, bleibt eine Ikone des Machbaren
Diese Persönlichkeiten stehen für Kreativität, Aufbruch und den Wunsch, über die Grenzen des Systems hinaus zu wirken.
Respekt für Mut und Widerstand
Besonders hervorgehoben werden Menschen, die sich in der DDR gegen Unrecht stellten – oft unter großem persönlichem Risiko:
Die Oppositionellen der 1980er Jahre, motiviert durch Umweltfragen und politische Erstarrung, Künstler wie Wolf Biermann, die durch ihre kompromisslose Haltung beeindruckten, Namenlose Helfer und stille Dissidenten, die sich menschlich anständig verhielten, auch wenn sie keine Bühne hatten.
Besonders eindringlich ist die Erinnerung an die Widerstandskämpfer der frühen 1950er Jahre, die für minimale Aktionen – etwa das Verteilen von Flugblättern – mit mehrjährigen Haftstrafen oder gar mit dem Tod bestraft wurden. Ihre Geschichten seien oft noch nicht erzählt, ihr Mut aber unvergessen.
Übergangsfiguren und Versöhner
Hoch geachtet sind auch jene, die nach der Wende Verantwortung übernahmen und halfen, die Transformation friedlich und demokratisch zu gestalten. In einer Zeit, in der persönliche Verletzungen und politische Brüche allgegenwärtig waren, gelang es diesen Menschen, ohne Hass oder Rache neue Wege zu ebnen. Sie werden als unverzichtbare Brückenbauer gesehen.
Die Frage, wer aus der DDR verehrt wird, führt zu einer vielstimmigen Antwort: Nicht Funktionäre, sondern Menschen mit Haltung, Herz und Rückgrat – egal ob im Rampenlicht oder im Schatten – genießen bis heute tiefen Respekt. Diese Erinnerungskultur verweigert sich einfachen Klischees. Sie ehrt das Menschliche in einer unmenschlichen Ordnung – leise, differenziert, aber nachhaltig.
Kaum ein Ort verkörpert die Härten der deutschen Teilung so eindrücklich wie der ehemalige Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße. Für Westbesucher das Tor in die DDR, für Ostdeutsche das letzte letzte Stückchen Freiheit vor der Abreise: Hier, in der gläsernen Halle am Nordende des Bahnhofs, flossen von 1962 bis 1989 unzählige Tränen. Ein Ort der Hoffnung, der Trauer und des endgültigen Abschieds – vielfach schlicht „Tränenpalast“ genannt.
Ein moderner Pavillon mit bedrückender Funktion
Schon beim Entwurf setzten die Planer auf Transparenz und Weite: freitragende Stahl-Glas-Fassaden, helle Tageslichträume, eine schlanke Stahlkonstruktion – eine „visuelle Leichtigkeit“, so beschreibt es das Deutsche Architekturmuseum. Tatsächlich jedoch war der Pavillon eine streng bewachte Schleuse zwischen zwei Welten. Volkspolizisten kontrollierten Pässe, Zollbeamte tasteten Wertsachen ab, während jenseits der Scheiben West-Berliner Polizisten auf ihre Kollegen warteten.
Abschied auf Zeit – und für immer
Für genehmigte Besuchsreisen bedeutete der Tränenpalast einen schmerzlichen Moment der Trennung: Verwandte und Freunde begleiteten ihre Gäste bis zur gläsernen Grenzkontrolle. Dann die Umarmung, der letzte Blick zurück – und die Angst davor, dass es ein ganzes Jahr dauern könnte, bis man sich wiedersieht. Ein Zeitzeuge erinnert sich: „Meine Tante drückte mich, weinte – ich habe mich noch nie so verlassen gefühlt.“
Doch mit dem großen Auswanderungsschub in den 1970er- und 1980er-Jahren wurde der Abschied oft endgültig. Ausgereiste durften ihre Heimat nie wieder betreten, Gebliebenen blieb nur die Gewissheit, dass sie einander vielleicht nie wiederfinden würden. Die Bezeichnung „Palast der Tränen“ drückte dieses staatlich verordnete Schicksal aus: eine Abschiedshalle, in der Träume starben und Familien auseinandergerissen wurden.
Vom Grenzübergang zum Gedenkort
Nach 1990 verfiel die Halle zunächst, diente als Clublocation, war Tanzfläche und Partylocation. Erst 2011 griff die Stiftung Haus der Geschichte ein und eröffnete den „Tränenpalast“ als Dauerausstellung „Alltag der deutschen Teilung“. Heute können Besucher das original erhaltene Bauensemble begehen, Aktendokumente studieren und in multimedialen Inszenierungen die Geschichten der Abschiede nachempfinden.
Ein Mahnmal für die Gegenwart
Über 35 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer wirkt der Tränenpalast noch immer nah und intensiv. Er erinnert uns daran, dass Grenzen nicht nur Linien auf Karten sind, sondern Räume, in denen Menschen um Freiheit, Liebe und Wiedersehenshoffnung ringen. Gerade in Zeiten wachsender Abschottung weltweit mahnt dieser Ort: wo Mauern gebaut werden, leiden Menschen. Und dort, wo sie fallen, fließt manchmal Tränensalz – vor Erleichterung, nach Jahren der Sehnsucht.
Der Tränenpalast bleibt ein Ort des Lernens und Gedenkens. Hier vergegenwärtigt sich, was Teilung anrichtet – und welche Kraft in der Hoffnung auf ein wieder vereintes Leben liegt. Besucher aus aller Welt verlassen die Halle oft mit nassen Augen, aber auch mit dem Gefühl, Zeugnis einer Zeit abgelegt zu haben, die Erinnerung verpflichtet.
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Was ließ sich in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) mit 10 Mark wirklich kaufen? Eine Spurensuche führt von den Lebensmittelkarten der 1950er Jahre über Rationierungen in den 1960ern bis hin zu den prall gefüllten Regalen der Kaufhallen in den 1980ern. Drei Stationen – Drebkau, Lauchhammer und Ost‑Berlin – erzählen von Alltagsstrategien, Planwirtschaft und dem schmalen Grat zwischen Bedürfnis und Verfügbarkeit.
Drebkau in den 1950ern: Rationierung als Alltag
In Drebkau, einer Kleinstadt in der Niederlausitz, prägten bis Mai 1958 Lebensmittelkarten den Einkauf. Zucker, Butter und Milch gehörten zu den Gütern, die nur in begrenzten Mengen abgegeben wurden. Wer mehr brauchte, musste auf den Freiverkauf hoffen – zu fast doppelt so hohen Preisen. Eine kleine Preisakte:
1 Kilogramm Zucker: 2,80 Mark
250 Gramm Butter: 5,00 Mark
100 Gramm Honig: 2,00 Mark
1 Ei: 0,45 Mark
Schon dieses Bündel kostete 10,25 Mark – und sprengte damit das knappe Wochenbudget vieler Haushalte. „Man musste jeden Pfennig zweimal umdrehen“, erinnert sich Zeitzeugin Ingrid Müller (Name geändert). „Einmal kein Eintrag auf der Karte, und es ging nichts mehr.“
Für Waren jenseits der Grundversorgung – Kosmetika, Waschmittel, Zeitschriften – reichten die 10 Mark eher. Doch sobald es um Fleisch, frisches Obst im Winter oder ein Radio ging (rund 600 Mark), waren selbst monatelange Ersparnisse rasch aufgebraucht.
Im örtlichen Konsum-Laden steckten die Bürger ihre Umsatzmarken in Sammelalben. Am Jahresende gab es einen Rabatt von bis zu 3 Prozent auf den Jahresumsatz – für viele die einzige Möglichkeit, etwas zurückzubekommen.
Lauchhammer in den 1960ern: Die ersten Freiräume
Mit dem steigenden Durchschnittslohn (1965: etwa 633 Mark brutto) entspannte sich die Versorgungslage nur partiell. In Lauchhammer, einer Industriestadt südlich von Dresden, blieb die Auswahl überschaubar, aber Rationierungen fielen zunehmend weg.
Ein typischer Wocheneinkauf für 9,96 Mark 1965:
5 kg Kartoffeln
1 kg Zucker
1 kg Roggenbrot
1 kg Äpfel
2 Liter Milch
100 g Vollmilchschokolade
Für den Freizeitgenuss reichte es ebenfalls: Eine Kugel Eis kostete 1,05 Mark, ein Getränke‑Rezeptbuch 1,50 Mark. Der Restaurantbesuch im Leipziger Auerbacher Keller avancierte zum sozialen Highlight: Für 9,30 Mark bekam man Cordon Bleu, Apfelsaft und Schokoladeneis – eine Erfahrung, die noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar war.
Dennoch blieben hochwertige Fleischsorten und Butter weiter knapp. Wer Kleidung für Jugendweihe oder festliche Anlässe brauchte, fuhr notgedrungen nach Ost‑Berlin, wo die Warteschlangen an den Konsum-Theken lang, aber die Regalreihen breiter waren.
Ost‑Berlin in den 1980ern: Kommodifizierung des Alltags
In den 1980ern hatte sich der durchschnittliche Bruttolohn auf rund 1 130 Mark verdoppelt, und die Kaufhallen ersetzten vielerorts die alten Konsum-Läden. Zwei typische 10‑Mark‑Einkäufe dokumentieren die neue Warenfülle:
Ein Deospray (11,60 Mark) oder ein Doppelkorn (17,60 Mark) lagen aber weiter in einer eigenen Preisliga. Große Anschaffungen wie Farbfernseher (ca. 4 900 Mark) blieben für die meisten unerreichbar – und wurden zum Symbol der Grenzen, die Planwirtschaft selbst in Zeiten steigender Löhne setzte.
Ein Ausflug auf die Aussichtsplattform des Fernsehturms kostete mit 3 Mark nur einen Bruchteil des Budgets. Hier, so die Erfahrung vieler Ost-Berliner, wurde der Blick weit — während die Einkäufe weiterhin nur einen begrenzten Ausschnitt des Plansortiments zeigten.
Mehr als nur Zahlen: Währung, Politik und Alltag
Die Währung selbst wandelte sich: Bis 1964 sprach man offiziell noch von „Deutscher Mark“, ehe zunächst die Mark der Deutschen Notenbank (MDN) und ab 1968 die „Mark der Deutschen Demokratischen Republik (M)“ eingeführt wurden. Neue Scheine und Münzen seit 1973 begleiteten den Wandel – doch hinter jeder Münze steckte ein System, das Verfügbarkeit oft über Preis stellte.
Für die Menschen bedeutete das: Wer Zeit hatte, sammelte Marken, stellte sich an, tauschte untereinander oder plante Einkäufe mit Nachbarn. Alltagsstrategien wurden zum Gemeinschaftserlebnis. Und obwohl 10 Mark nominell wenig wert waren, spiegeln sie doch in jeder Dekade die sozialen und wirtschaftlichen Bruchlinien der DDR wider.
10 Mark – ein kleiner Betrag, der große Geschichten erzählt. Von Warteschlangen und Rationierung in den 1950ern über vorsichtige Lockerungen in den 1960ern bis zu vollen Regalen und zugleich unerfüllbaren Luxuswünschen in den 1980ern. Die Planwirtschaft prägte nicht nur Preise, sondern auch das Miteinander und den Alltag einer ganzen Generation.
Dresden. Mit dem offiziellen Spatenstich beginnt in Dresden der Neubau eines der ambitioniertesten Gesundheitsprojekte Europas: Auf rund 18 000 m² entsteht das moderne Herzzentrum Dresden, das künftig als Leuchtturmprojekt für Kardiologie und Herzchirurgie fungieren soll.
Ein Hotspot für Herz‑Kreislauf‑Versorgung
Gerade für die ältere Bevölkerung Sachsens, die überdurchschnittlich häufig an Herz‑ und Kreislauferkrankungen leidet, ist das neue Zentrum „der Hotspot für eine Versorgung – und vor allem auch ein Ankerpunkt für telemedizinische Angebote“, betonte Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping. Die Hälfte der Investitionssumme von 300 Millionen Euro trägt der Freistaat. Für Köpping ist die Förderung mit 150 Millionen Euro „eines unserer größten Förderprojekte“, da Herz‑Kreislauf-Leiden zu den häufigsten Todesursachen zählen und Sachsen bei den Herz‑Kreislauf-bedingten Sterbefällen zuletzt auf dem drittletzten Platz aller Bundesländer rangierte.
Modernste Technik und überregionale Anbindung
Geplant sind hochmoderne Operationssäle, High‑Care-Pflegeplätze, Labore und eine umfassende telemedizinische Infrastruktur. „Wir bauen nicht nur für Dresden, sondern für die gesamte überregionale Versorgung“, erklärte der Projektleiter. Kooperationen mit kommunalen und privaten Partnern – etwa dem Sana-Klinikverbund und dem Universitätsklinikum – sollen eine nahtlose Versorgungskette bis in ländliche Gebiete garantieren.
Politisches Signal und regionale Vernetzung
Ministerpräsident Michael Kretschmer würdigte das Projekt als „große Chance“ für Sachsen. Er verwies auf die 30-jährige Erfolgsgeschichte des bestehenden Herzzentrums und betonte: „Moderne Medizin braucht moderne Strukturen. Mit unserem neuen Zentrum setzen wir ein starkes Signal für Spitzenmedizin im Freistaat.“ Gleichzeitig unterstrich er die Bedeutung regionaler Netzwerke. Wie bereits in Chemnitz, wo ein Maximalversorger mit 19 Häusern kooperiert, sollen spezialisierte Versorgungsangebote künftig allen Sachsen gleichermaßen zugutekommen.
Prävention im Fokus
Neben dem Neubau legt das Projekt ein besonderes Augenmerk auf Prävention. Herzprobleme ließen sich oft schon durch frühzeitiges Erkennen von Symptomen und eine gesunde Lebensweise vermeiden, so Köpping. „Warnzeichen ernst nehmen, zeitig zum Arzt gehen und auf ausgewogene Ernährung sowie Bewegung achten“, appellierte sie insbesondere an die Männer, bei denen noch Nachholbedarf bestehe.
Ausblick bis 2029
Der Fertigstellungstermin ist auf 2029 angesetzt. Dann wird Dresden nicht nur über eines der größten Herzzentren Europas verfügen, sondern auch einen wegweisenden Leuchtturm für eine flächendeckende, hochqualitative Herz‑Kreislauf-Versorgung im Freistaat senden.
Nach fast einem Jahrhundert Stille kehrt die Siemensbahn zurück in den Berliner S-Bahn-Takt. Die historische Strecke, 1929 von Siemens errichtet, um Siemensstadt an den innerstädtischen Schienenverkehr anzubinden, erlebt derzeit eine umfassende Wiederbelebung – und zwar nicht nur kulturell, sondern auch technologisch wegweisend.
Aufbruch in die Zukunft mit Blick in die Vergangenheit
Auf einer Länge von 4,5 Kilometern schlängelt sich die alte Siemensbahn von Siemensstadt über Wernerwerk bis zum Endbahnhof Gartenfeld. An vier Stationen – darunter die denkmalgeschützten Haltepunkte Siemensstadt und Wernerwerk – und entlang eines imposanten Stahlviadukts haben Ingenieurinnen und Ingenieure in den vergangenen zwei Jahren akribisch gearbeitet. Ziel: Erhalt der historischen Bausubstanz und gleichzeitiger barrierefreier Ausbau für den modernen S-Bahn-Betrieb.
„Ein echtes Leuchtturmprojekt für Berlin – hier trifft Industriedenkmal auf Cutting‑Edge‑Technologie“, erklärt Projektleiterin Dr. Claudia Kramer von der Ingenieurgemeinschaft Krebs & Kiefer.
Digitale Präzision per BIM
Im Zentrum der Baumaßnahmen steht Building Information Modeling (BIM): eine digitale Planungsmethodik, die weit über klassische 3D‑Modelle hinausgeht, indem sie semantische Informationen in jedes Bauelement integriert. Um den historischen Bestand millimetergenau abzubilden, setzten die Vermessungsteams von GI Consult Laserscan-Verfahren ein. Die erzeugten Punktwolken ergänzten sie durch Detailvermessungen mit Messschiebern – bis in feinste Ritzen und Fugen.
Level of Detail 300–400: Diese Detailtiefe erlaubte es Statik‑ und Denkmalpflegerteams, Entscheidungen auf einer belastbaren Datengrundlage zu treffen.
IFC‑Standard & BCF‑Schnittstelle: Durch die Nutzung offener Austauschformate wurde eine „Single Source of Truth“ geschaffen, die alle Projektbeteiligten – von Allplan- über Revit- bis Desite‑Nutzern – auf eine gemeinsame Datengrundlage bringt.
„BIM ist für uns keine Luxusoption, sondern essenziell, um frühzeitig Konflikte wie Kollisionen zwischen Gleisbett und Bahnsteigkante zu erkennen“, so BIM‑Koordinator Markus Hennecke von Sveco.
Praxisbeispiel Wernerwerk
An der denkmalgeschützten Bahnsteigkante des Wernerwerks zeigte sich der Mehrwert: Abweichungen in Länge, Abstand zum Gleis und Höhenlage wurden im digitalen Modell sichtbar, noch bevor der erste Spatenstich erfolgte. Die Folge: eine präzise Nachkorrektur der Pläne – mit deutlich geringerem Aufwand und Kosten.
„Solche Anpassungen wären ohne BIM erst beim realen Bau aufgefallen. Dann stünden wir vor echten Herausforderungen – und Mehrkosten in Millionenhöhe“, betont Hennecke.
Ein „Marathon“ für Beteiligte und Umwelt
Der offizielle Baustart datiert auf Herbst 2022; seitdem arbeiten Ingenieure, Denkmalpfleger und Ämter im Dauerlauf, um das Projekt rechtzeitig an den Start zu bringen. Dafür wurden lokale Nachunternehmer eingebunden, Planungsbüros kooperieren länderübergreifend, und die Berliner Senatsverwaltung steuert das Vorhaben als Teil des I 2030‑Programms zur Stärkung der Hauptstadtinfrastruktur.
Neben dem technischen Prestige winkt ein handfester Umweltnutzen: Die Reaktivierung nutzt vorhandene Schienenkapazitäten, verlagert Pendlerströme zurück auf die Schiene und verringert den Autoverkehr in Siemensstadt und Umgebung. Ein Beitrag zur Mobilitätswende, der auch an Klima- und Flächenverbrauchszielen anschließt. Für die Projektpartner ist die Siemensbahn mehr als eine Bauaufgabe – sie ist eine Blaupause für künftige Sanierungen denkmalgeschützter Bahnanlagen in Deutschland:
„Dieses Projekt ist unsere neue Best‑Practice‑Methode. Hier lernen unsere Teams, wie moderne Infrastrukturentwicklung funktioniert: digital, kollaborativ, ressourcenschonend“, resümiert Dr. Kramer.
Wenn im kommenden Jahr die ersten S‑Bahnzüge über das historische Viadukt rollen, wird Berlin nicht nur ein Stück Industriegeschichte wiederbeleben, sondern auch demonstrieren, wie digitale Spitzentechnologie und Denkmalschutz Hand in Hand gehen können. Die Siemensbahn erwacht neu – und weist zugleich den Weg in ein vernetztes, nachhaltiges Bahnzeitalter.
Zwickau, einst Wiege des deutschen Automobilbaus, prägte ab 1956 im ehemaligen Horch-Werk als VEB Sachsenring den Trabant – das Kultauto der DDR. Als „Antwort auf Isolation und Rohstoffknappheit“ setzten die Ingenieure auf eine bewährte Gemischtbauweise und entwickelten die weltweit einzige Großserie mit Kunststoffkarosserie: Duroplast, gefertigt aus Baumwollabfällen aus der UdSSR und heimischem Phenolharz aus Braunkohle, ersetzte Stahl.
Im Werk arbeiteten zuletzt rund 12.000 Beschäftigte – darunter Gastarbeiter aus Vietnam, Kuba und Mosambik – in zwei Schichten, um bis zu 580 Fahrzeuge täglich herzustellen. Jede Rohkarosse wurde mit stolzen 4.620 Schweißpunkten verbunden, mehr als doppelt so viele wie im Westen. Die Duroplast-Teile entstanden in aufwendigen Heißpressen bei 188 °C, die Baumwollfasern und Harz in achtminütiger Taktung formten.
Der luftgekühlte Zweitaktmotor (600 cm³, 26 PS) lief in Chemnitz vom Band und bestand – ungewöhnlich – eine vierminütige Prüfstandserprobung samt subjektiver Geräuschkontrolle. Die Endmontage in Zwickau auf einem einzigen Fließband begrenzte die Jahreskapazität auf 150.000 Exemplare. Die individuell angepassten Türen, das Aufkleben und Verschrauben der Plastikhaut sowie das halbautomatisierte Lackieren in fünf Farbvarianten verliehen jedem Trabant seinen eigenen Charakter. Besonderheit: der über dem Motor platzierte Tank, der ohne Benzinpumpe auskam, und die „Autohochzeit“ – das Verschrauben von Antriebsblock und Vorderachse mit nur vier Schrauben.
Trotz der täglichen Fertigungszahl mussten Interessenten im Schnitt 15 Jahre auf ihr Fahrzeug warten. Zwischen 1958 und dem 30. April 1991 verließen 3.098.000 Trabant das Band – das Ende einer Ära, bevor wenige Kilometer entfernt VW die Automobiltradition im sächsischen Mosel fortsetzte.
In der DDR stand Arbeit im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Das System garantierte jedem Bürger einen Arbeitsplatz, zugleich war Arbeiten rechtliche Pflicht. Mit der Wiedervereinigung endete dieses Modell abrupt – Anlass, Rückblick zu halten.
Arbeitspflicht und garantierte Anstellung
Das Recht auf Arbeit war in der Verfassung verankert, die Arbeitsverweigerung galt als „asozial“ und konnte mit Geldstrafe oder Haft geahndet werden. Nach Abschluss einer Berufsausbildung oder eines Studiums erhielt jede und jeder eine feste Planstelle. Arbeitslosigkeit war offiziell nicht vorgesehen und für die meisten Beschäftigten kein Begriff.
Eingeschränkte Berufs- und Studienwahl
Die freie Entscheidung für Ausbildung und Studium war an Voraussetzungen geknüpft: Neben Leistungen in Schule und Berufsschule spielten politische Zuverlässigkeit und Engagement in Massenorganisationen eine Rolle. Gute Schulnoten allein reichten nicht aus, um auf die Erweiterte Oberschule oder an die Hochschule zu gelangen. Dadurch war der Zugang zu bestimmten Berufen und akademischen Laufbahnen für manche Jugendlichen beschränkt.
Betrieb als sozialer Mikrokosmos
Betriebe übernahmen in großer Breite soziale Aufgaben: Werkspolikliniken versorgten Gesundheitsfragen, Betriebskindergärten entlasteten Familien, und Betriebssportgemeinschaften organisierten Freizeit und Wettkämpfe. In Brigaden organisierten sich die Kolleginnen und Kollegen, um Produktionsziele gemeinsam zu erreichen und soziale Bindungen zu stärken.
Arbeitsbedingungen und Produktivität
Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit lag 1989 bei rund 43,5 Stunden – im Vergleich zur 40‑Stunden‑Woche, für die westdeutsche Gewerkschaften eintraten. Planwirtschaftliche Vorgaben trafen auf Materialengpässe und zum Teil veraltete Maschinen, was zu Leerlaufzeiten und geringer Produktivität führte. Häufig waren mehr Beschäftigte in einem Betrieb als zur Erfüllung der Planvorgaben nötig, ein Phänomen, das als „arbeitslos am Arbeitsplatz“ beschrieben wurde.
Übergang nach der Wiedervereinigung
Am 1. März 1990 nahm die Treuhandanstalt ihre Arbeit auf und meldete über 8.000 volkseigene Betriebe sowie 20.000 Kombinate zur Privatisierung an. Viele Unternehmen, darunter bekannte Marken wie der Kamerabetrieb in Dresden, konnten nicht saniert werden und stellten binnen kurzer Zeit den Betrieb ein. Dies führte zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit im Osten, die für viele Beschäftigte nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und emotionale Einschnitte bedeutete.
Die DDR-Arbeitswelt war durch verbindliche Beschäftigung, kollektive Strukturen und ein umfassendes Betriebssystem geprägt. Gleichzeitig schränkten zentrale Planung und politische Vorgaben individuelle Freiheiten ein und wirkten sich auf Effizienz und Produktivität aus. Der Bruch mit dem System nach 1990 leitet bis heute Diskussionen über Arbeitssicherheit, Marktwirtschaft und soziale Verantwortung ein.
Nach monatelanger Unsicherheit kehrt am Spreewerk in Lübben wieder Aufbruchstimmung ein: Das traditionsreiche Munitionsunternehmen, das im vergangenen Jahr kurz vor dem Aus stand, plant die Wiederaufnahme der Munitionsteileproduktion. Für die rund 60 verbliebenen Beschäftigten am Standort ist dies längst überfällig – nicht nur wegen der geplanten Expansion auf über 200 Arbeitsplätze in den kommenden zwei Jahren, sondern auch wegen der kurzen Wege nach Hause und des positiven Arbeitsumfelds, das sie in Lübben schätzen.
Historische Wurzeln und schwere Zwischenfälle
Das Spreewerk blickt auf eine wechselhafte Geschichte zurück. Nach dem Ende des Kalten Krieges diente der Standort vor allem der Entsorgung alter Munition – eine Aufgabe, die durch zwei folgenschwere Explosionen zum Tod von insgesamt fünf Mitarbeitern führte und den Betrieb schwer belastete. In der Folge musste das Werk mehrfach die Besitzer wechseln, bis schließlich ein neuer Betreiber das Gelände übernahm und die Genehmigungsverfahren für Produktion und Vernichtung erfolgreich konsolidierte.
Infrastruktur und Technik auf dem Prüfstand
Der jetzige Betreiber will die vorhandene Infrastruktur reaktivieren und dafür rund 60 Millionen Euro investieren. Geplant ist zunächst die Herstellung einzelner Munitionsteile – fertige Geschosse sollen dabei nicht aus Lübben kommen. Selbst der einstige Verbrennungsofen soll künftig Produktionsabfälle sicher vernichten. Dank der jahrelangen Expertise in der Delaborierung gilt die Genehmigungslage als besonders gut, sodass die technische Neuausrichtung zügig beginnen kann.
Befürworter und Kritiker im Dialog
Unter den Beschäftigten herrscht Erleichterung: Die Risiken der neuen Produktion werden als geringer eingeschätzt als die Gefahren bei der alten Entsorgungstätigkeit. „Wir fühlen uns gut geschützt“, sagt eine Mitarbeiterin, „Delaborierung war deutlich gefährlicher.“ Doch nicht alle in Lübben teilen diese Einschätzung. Eine von 1 600 Anwohnern unterzeichnete Petition protestiert gegen die Rückkehr der Rüstungsindustrie in die Region. Kritiker mahnen, dass Frieden nicht allein mit Waffen gesichert werden könne. Gleichzeitig zeigt sich in der Stadtverordnetenversammlung große Mehrheit für das Projekt – nicht zuletzt wegen der angekündigten Investitionen und der versprochenen Arbeitsplätze.
Zwischen ökonomischer Notwendigkeit und ethischer Debatte
Die Debatte um das Spreewerk spiegelt die Zerrissenheit wider, in der sich viele Industriestandorte heute befinden: Einerseits sichert die Munitionsproduktion dringend benötigte Arbeitsplätze und stärkt die Verteidigungsfähigkeit von Staaten wie der Ukraine; andererseits bleibt die Frage, inwieweit lokale Gemeinschaften moralische Bedenken gegenüber der Waffenproduktion überwinden können. In Lübben jedenfalls richten sich nun alle Blicke nach vorn – in der Hoffnung, dass Technik, Sicherheit und soziale Verantwortung künftig Hand in Hand gehen.