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Hermannsbad Bad Muskau: Ein Historisches Kleinod der Gesundheitskultur

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Das Hermannsbad in Bad Muskau, gelegen in der malerischen Landschaft des Muskauer Parks, ist ein bedeutendes Beispiel für die traditionsreiche Bade- und Kurkultur Deutschlands. Ursprünglich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erbaut, entwickelte sich das Bad schnell zu einem Anziehungspunkt für Erholungssuchende und Gesundheitsbewusste aus nah und fern.

Das Hermannsbad wurde 1823 vom Fürsten Hermann von Pückler-Muskau gegründet, einem visionären Landschaftsarchitekten, der auch den Muskauer Park gestaltete. Das Bad war Teil seines umfassenden Plans, den Park nicht nur als ästhetisches, sondern auch als funktionales Erholungsgebiet zu entwickeln. Die Architektur des Bades, mit ihrer eleganten Gestaltung und den harmonischen Proportionen, spiegelte Pücklers Bestreben wider, eine Symbiose von Natur und menschlicher Gesundheit zu schaffen.

In den folgenden Jahrzehnten erlebte das Hermannsbad mehrere Phasen des Aufschwungs und Niedergangs. Besonders im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde das Bad umfangreich modernisiert und erweitert, um den wachsenden Ansprüchen der Gäste gerecht zu werden. Die Heilwasserquellen, die für ihre therapeutischen Eigenschaften bekannt waren, zogen zahlreiche Kurgäste an, die Linderung für verschiedenste Beschwerden suchten.

Während des Zweiten Weltkriegs und der anschließenden DDR-Zeit geriet das Hermannsbad in eine Phase des Verfalls. Die politische und wirtschaftliche Lage führte dazu, dass viele historische Gebäude und Einrichtungen vernachlässigt wurden. Erst nach der Wende 1989 begann eine schrittweise Restaurierung und Wiederbelebung des Bades.

Heute steht das Hermannsbad als denkmalgeschütztes Gebäude wieder im Mittelpunkt des kulturellen und gesundheitlichen Lebens von Bad Muskau. Dank umfassender Renovierungsarbeiten konnte das historische Ambiente erhalten und modernste Einrichtungen integriert werden. Das Bad bietet heute ein breites Spektrum an Wellness- und Gesundheitsangeboten, die auf den traditionsreichen Heilquellen basieren. Besucher können hier entspannen, sich regenerieren und die besondere Atmosphäre des historischen Bades genießen.

Die Bedeutung des Hermannsbad geht über seine medizinischen Angebote hinaus. Es ist auch ein kulturelles Zentrum, das regelmäßig Veranstaltungen, Ausstellungen und Konzerte beherbergt. Dies fördert nicht nur das kulturelle Leben in Bad Muskau, sondern zieht auch Touristen aus aller Welt an, die die einzigartige Verbindung von Geschichte, Kultur und Gesundheit erleben möchten.

Das Hermannsbad in Bad Muskau bleibt ein lebendiges Zeugnis der deutschen Kur- und Bädertradition. Es steht exemplarisch für die gelungene Verbindung von historischen Werten und modernen Ansprüchen und wird weiterhin als Ort der Heilung, Erholung und kulturellen Begegnung geschätzt.

Exklusive Aktenfunde: Das Netzwerk, das Mengele vor der Justiz schützte

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Eine seit mehr als 20 Jahren als verschollen geltende Polizeiakte aus Argentinien gewährt erstmals detaillierte Einblicke in die Fluchtwege und die politischen Verstrickungen von Josef Mengele – dem „Todesengel von Auschwitz“. Sie dokumentiert nicht nur seine Aufenthaltsorte und Tarnidentitäten, sondern legt auch offen, wie argentinische und deutsche Stellen ihn bis Ende der 1950er-Jahre faktisch unbehelligt ließen.

Flucht und Leben in Argentinien
Nach Kriegsende entwanden sich zahlreiche NS-Täter der Strafverfolgung, indem sie über das „Ratlines“-Netzwerk nach Südamerika entflohen. Josef Mengele, 1911 geboren und berüchtigt für seine menschenverachtenden Experimente im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, tauchte in Buenos Aires unter dem Decknamen „Gregor Helmut“ unter. Laut der neu aufgefundenen Akte lebte er in privilegierten Verhältnissen: finanziell abgesichert durch familiäre Hintergründe, frequentierte er das gehobene Viertel Belgrano und bewegte sich in Kreisen ehemaliger Kameraden wie Adolf Eichmann. Anders als Eichmann – dessen bescheidene Unterkunft ihn kaum vor Entdeckung schützte – empfing Mengele mehrmals seinen Sohn aus Deutschland und genoss offenbar einen gewissen Rückhalt im argentinischen Establishment.

Das Netzwerk ehemaliger Nazis
Die Dokumente belegen, dass Mengele Teil eines weit verzweigten Netzwerks war, das sich gegenseitig bei Flucht und Unterkunft unterstützte. Spätestens ab 1956 existierten enge Kontakte zwischen ehemaligen SS‑Offizieren und Teilen der argentinischen Polizei sowie des Militärs. Historiker weisen darauf hin, dass ehemalige NS‑Täter in Argentinien nicht nur Zuflucht fanden, sondern auch ihr Fachwissen – etwa in Foltertechniken – weitergaben und so das spätere Pinochet-ähnliche Regime mitprägten.

Versäumnisse und Komplizenschaft der Behörden
Erst­­­­Ende 1959 stellte die Bundesrepublik Deutschland einen offiziellen Auslieferungsantrag – überraschenderweise erst nach einer privaten Anzeige, nicht auf Betreiben der Justiz. In die Akte eingeschobene Berichte offenbaren, dass Mengele bereits kurz zuvor von argentinischen Fahndern vernommen und mehrfach gewarnt wurde. Soziologe Daniel Feierstein, der sich seit Jahren mit der Nachkriegs-Aufarbeitung in Südamerika beschäftigt, wertet dies als Hinweis auf systemische Sabotage:

„Die Polizei schützte offenbar eigene Informanten, indem sie entscheidende Hinweise entfernte und interne Untersuchungen vertuschte.“

Die wiederaufgetauchte Polizeiakte
Die rund 100 Seiten umfassende Akte war nach Beginn einer ersten Berichterstattung um 2002/2003 spurlos verschwunden. Nun in der Hand eines ehemaligen argentinischen Sicherheitsbeamten, enthält sie:

  • Tarnidentitäten und Reisebewegungen Mengeles zwischen Argentinien, Paraguay und Brasilien
  • Polizeiberichte zur Vernehmung und den zwei Warnungen vor einer nahenden Festnahme
  • Korrespondenz des argentinischen Außenministeriums mit der deutschen Botschaft, die den Auslieferungsantrag dokumentiert
  • Interne Notizen, die auf eine gezielte Behinderung der Ermittlungen hindeuten

Historiker Bogdan Musial, einer der anerkannten Mengele-Experten, hebt besonders hervor, dass die Akte belegt, wie sicher sich der „Todesengel“ fühlte. So stellte er im Februar 1959 unter seinem echten Namen bei der deutschen Botschaft in Buenos Aires einen Passantrag – offenbar ohne Konsequenzen.

Suche in Brasilien und Brasilianische Ermittlungen
Laut den Dokumenten war die argentinische Polizei bereits im Januar 1960 darüber informiert, dass Mengele nach Paraguay geflohen sei. Ab 1963 forderte dann die brasilianische Polizei detaillierte Informationen an, da die Fährten dort endeten. Wie intensiv die brasilianischen Stellen ihn verfolgten, bleibt bis heute unklar. Erst 1979 starb Mengele im brasilianischen Exil – sein Grab wurde 1985 entdeckt und 1992 per DNA-Analyse identifiziert.

Die Rolle des BND und der Bundesrepublik
Zeitgleich gerät der Bundesnachrichtendienst (BND) in die Kritik: Akten deuten an, dass er nach der Aufnahme von DDR-Flüchtlingen auch Verbindungen zu Mengeles Unterstützern pflegte. Historiker bemängeln bis heute die dürftige Aufarbeitung dieser Verflechtungen und sprechen von einem „Erfolg des Nichtermittelns“. Offenbar habe man in Bonn das Thema „Nazi-Fluchtwege“ aus Furcht vor politischen Turbulenzen bewusst heruntergespielt.

Druck auf die Archive und die offene Aufarbeitung
Der Fund der argentinischen Polizeiakte löst Forderungen nach vollständiger Transparenz aus. Menschenrechtsorganisationen und Historiker fordern:

  • Internationale Öffnung aller relevanten Archive in Argentinien, Brasilien und Deutschland
  • Veröffentlichung noch unter Verschluss gehaltener Akten über Mengele und sein Netzwerk
  • Unabhängige Untersuchungskommissionen, die mögliche Staatsverstrickungen aufklären

Nur durch eine lückenlose Dokumentation lasse sich das „System des Wegschauens“ historisch verurteilen und künftigen Generationen als Mahnung dienen.

Mit der Wiederentdeckung der argentinischen Akte beginnt eine neue Phase der Aufarbeitung. Sie verdeutlicht, dass das Überleben eines der berüchtigtsten NS‑Verbrecher kein Zufall war, sondern das Ergebnis eines Geflechts aus politischem Desinteresse, institutionellem Versagen und aktiver Komplizenschaft.

Heinz-Florian Oertel – Zwischen Sport, Politik und Identität

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Heinz-Florian Oertel verkörpert in den Erinnerungen vieler Ostdeutscher eine Ära, in der Sport weit mehr war als nur Wettkampf – er war ein politisches Schlachtfeld. Der kürzlich erschienene Beitrag über Oertel zeichnet das Bild eines Mannes, der sich mit unerschütterlicher Loyalität und einem tief verwurzelten Sinn für seine nationale Identität der DDR verschrieben hat. Die Schilderung seines Werdegangs bietet dabei nicht nur eine biografische Chronik, sondern auch eine kritische Analyse der politisch aufgeladenen Sportberichterstattung jener Zeit.

Der Reporter als Chronist einer politischen Sportära
Im Mittelpunkt des Artikels steht Oertel als Symbolfigur für den DDR-Sportjournalismus. Die Rede wird von ihm als jemand erzählt, der das Gründungsjahr der DDR – 1949 – quasi zum Beginn seiner eigenen journalistischen Karriere erklärte. Damit wird unmissverständlich klar, dass für Oertel Sport und Staat untrennbar miteinander verknüpft waren. In einer Zeit, in der der Kalte Krieg nicht nur die internationale Politik, sondern auch die Sportwelt durchdrang, verstand er es, mit „harten Bandagen“ zu berichten und sein Land bis zum Schluss zu verteidigen. Seine Positionierung als unerschütterlicher Verteidiger der DDR spiegelt dabei auch den Kampf der beiden deutschen Staaten um Anerkennung und Legitimität wider.

Zwischen politischem Engagement und persönlicher Integrität
Der Beitrag stellt zugleich heraus, wie der Sport in der DDR immer als Instrument der politischen Selbstinszenierung genutzt wurde. Oertel wird hier als Reporter beschrieben, der den Druck und die politischen Erwartungen nicht scheute, jedoch auch nie den persönlichen Bezug verlor. Die polemischen Untertöne – etwa die kritische Betrachtung der BRD-Sportführer, die als „Nazi-Sportführer“ tituliert werden – zeigen, wie stark die politischen Fronten auch im Bereich des Sports gezogen waren. Dabei wird Oertels Entscheidung, zu seinen Überzeugungen zu stehen, als authentisch und unbeirrbar porträtiert, selbst wenn ihm dadurch nach der Wende gesondert der Zugang zu gesamtdeutschen Sportreporteraufträgen verwehrt blieb.

Die Ambivalenz eines Lebenswerks
Der Text öffnet auch ein Fenster zu den persönlichen Schicksalsschlägen des Reporters: Neben seinem beruflichen Erfolg und seinem politisch motivierten Engagement muss Oertel den Verlust seiner Tochter verkraften und dennoch den Weg der Selbstbehauptung fortsetzen. Die Reflexion über zentrale Begriffe wie „Liebe“, „Geld“ oder „Erfolg“ offenbart dabei eine gewisse philosophische Tiefe. Es entsteht das Bild eines Mannes, der nicht nur in seinem Beruf, sondern auch im Leben stets darum kämpfte, die Widersprüche zwischen persönlichen Idealen und den politischen Realitäten zu überbrücken.

Die Herausforderung der Erinnerungskultur
In der abschließenden Betrachtung wird deutlich, dass die Debatten um die DDR und deren Sportreporting auch heute noch hochaktuell sind. Oertels Standhaftigkeit und sein Weitblick im Umgang mit seiner Geschichte werden als wichtige Zeugnisse einer vergangenen Ära gewürdigt. Zugleich kritisiert der Beitrag den Umgang mit DDR-Vergangenheitsbewältigung, der oft einseitig auf Stasi-Vorwürfe reduziert. Stattdessen plädiert er für ein differenziertes Erinnern, das die vielfältigen Lebensleistungen – wie die von Oertel – in den Vordergrund rückt.

Heinz-Florian Oertel steht sinnbildlich für einen Journalismus, der sich in den Wirren politischer Umbrüche behauptet hat. Seine Karriere, die von der politischen Instrumentalisierung des Sports geprägt war, zeigt sowohl die Schatten als auch die Glanzlichter einer bewegten Geschichte. Der Beitrag liefert eine eindrucksvolle Analyse, die aufzeigt, wie eng Sport, Politik und persönliche Integrität miteinander verwoben sein können – und wie wichtig es ist, diese Verflechtungen auch heute noch kritisch zu hinterfragen.

Oertels Lebensweg erinnert uns daran, dass die Erinnerung an vergangene Zeiten stets im Spannungsfeld zwischen politischem Kalkül und menschlicher Authentizität stehen muss – eine Lektion, die weit über den Sport hinausreicht.

Der Leipziger Hauptbahnhof – Eine Kathedrale des Wandels

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Leipzig. Wer den Leipziger Hauptbahnhof betritt, spürt sofort die Dimension des Ortes: Mit rund 83 640 m² überdachter Fläche ist er Europas größter Kopfbahnhof und seit seiner Eröffnung 1915 das pulsierende Herz der Stadt. Doch die „Kathedrale des Verkehrs“, wie man ihn einst nannte, ist weit mehr als ein Verkehrsknotenpunkt – er ist Spiegel historischer Umbrüche, Einkaufszentrum und sozialer Treffpunkt in einem.

Geschichte zwischen Trümmern und Neubeginn
Am 7. Juli 1944 fielen Bomben auf Leipzig: Gro­ße Teile der Stahlkonstruktion und des Daches stürzten ein, dennoch hielt die Hanisch-Familie, deren Blumen­läden seit der Eröffnung 1915 Bestand haben, mit improvisierten Verkaufskarren tapfer dagegen. Unter Alfred Hanisch wurden Blumen nach dem Krieg erstmals für jedermann erschwinglich – ein Zeichen neuer Aufbruchs­stimmung in einer schwer gezeichneten Stadt.

Die Wiedervereinigung machte 1990 den Weg frei für einen radikalen Umbau: 1997 eröffneten die „Promenaden“ als erstes innerstädtisches Shopping-Center Deutschlands in historischem Gewand. Centermanager Thomas Oehme beschreibt seine tägliche Herausforderung so:

„Wir müssen die Balance finden zwischen wirtschaftlichem Betrieb und dem Erhalt der denkmalgeschützten Räume – vom Preußischen Wartesaal bis zum historischen Wartesaal der Sächsischen Staatseisenbahn.“

Von der „Stadt in der Stadt“ zum Drehscheiben-Modell
Schon zu DDR‑Zeiten war der Bahnhof weit mehr als reine Verkehrsinfrastruktur: Mit Sporthalle, Kino und sogar 14 Wohnungen war er eine eigenständige „Stadt in der Stadt“. Siegfried Hülle, der als Lehrling begann und bis zum Schichtleiter aufstieg, erinnert sich:

„Der historische Speisesaal der Metropa mit 160 Plätzen lieferte täglich bis zu 3 000 frisch zubereitete Mahlzeiten – eine der größten Gaststätten der DDR.“

Nach der Wende wurde der Bahnhof zum Modellprojekt „Reise trifft Konsum“. Die 250 Millionen Mark teure Sanierung war 1997 „Initialzündung“ für die belebte Innenstadt. Mit dem City-Tunnel (Eröffnung 2003) wandelte er sich zudem zu einem Durchgangsbahnhof, der schnelle Verbindungen in Mitteldeutschland sicherstellt.

Soziales Engagement und Sicherheitsnetz
Trotz glänzender Fassaden ist vor dem Bahnhof die „harte Realität“ sichtbar: Obdachlose und Drogenabhängige suchen hier Unterschlupf. Die Bahnhofsmission an der Westseite, lange geleitet von Carlo Arena, versteht sich als „brennender sozialer Punkt“: Sie bietet Obdachlosenunterkünfte, Mobilitätshilfen und Notversorgung. Wöchentlich verwöhnt die Hanisch-Familie die Räume mit Blumenspenden – ein lebendiges Beispiel lokaler Solidarität.

Für Bundespolizisten wie Candy Förster und Robert Nuck ist der Bahnhof zugleich Arbeitsplatz und Seismograf gesellschaftlicher Veränderungen. Sie patrouillieren zwischen Reisenden, Einkaufsmeile und den sozialen Spannungsfeldern draußen.

Blick in die Zukunft
Heute ist der Leipziger Hauptbahnhof gleichermaßen Denkmal und Dienstleister – und bleibt ein Ort permanenten Wandels. Ob als Drehort, historisches Ensemble oder logistisches Rückgrat: Er spiegelt die Dynamik Leipzigs wider. Für alle, die hier arbeiten und leben, ist er mehr als nur ein Bahnhof – er ist Teil ihrer Geschichte und Zukunft gleichermaßen.

Exempel ohne Profis: Der verschleierte Skandal um Eisenhüttenstadt 1970

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Eisenhüttenstadt/DDR. Im Sommer 1970 erschütterte ein bislang in Vergessenheit geratenes Sporturteil den DDR-Fußball: Die BSG Stahl Eisenhüttenstadt und die BSG Aktivist Schwarze Pumpe wurden aus der Oberliga zwangsexpediert. Im Schatten angeblicher Regelverstöße gegen das offiziell geltende „Amateurprinzip“ entpuppte sich der Skandal als politisch motiviertes Exempel – und rückte die Doppelmoral des sozialistischen Sportsystems ins grelle Licht.

Ein Exempel für alle – oder doch nur Bauernopfer?
Offizieller Vorwurf: „Profitum“. Den beiden Klubleitungen wurde vorgeworfen, finanzielle Mittel ihrer Trägerbetriebe zweckentfremdet, ungerechtfertigte Zuwendungen gezahlt und Arbeitszeitregelungen missachtet zu haben. Im Ursprungsurteil, das bis heute unter Verschluss gehalten wird, soll es vor allem um „kapitalistische Anwendung“ gegangen sein. Inoffiziell jedoch diente der Schlag gegen zwei vergleichsweise unbedeutende Vereine einer höheren Zielsetzung: den dringend benötigten außenpolitischen Imageschaden abzuwenden.

Hintergrund war eine Intervention des niederländischen Fußballverbands, der den Amateurstatus der DDR-Kicker öffentlich infrage stellte – ausgerechnet während der EM-Qualifikation 1970 gegen die Oranje­elf. Sportobere und SED-Funktionäre fürchteten um die Teilnahmechancen an den Olympischen Spielen 1972 in München. Eine Breiten­entscheidung, die alle Spitzenklubs hätte treffen müssen, erschien undenkbar. Die Degradierung zweier kleinerer Teams war das kalkulierte Minimum, um das „System DDR“ vor einem internationalen Eklat zu schützen.

Zwischen Fernwärmewohnung und Trainingsspionage
In Eisenhüttenstadt – bis 1961 noch Stalinstadt – ging es nie nur um Tore. Als beschauliche Wohnstadt für die 16.000 Belegschaft des Eisenhüttenkombinats Ost war sie von Beginn an eng verknüpft mit dem Werkssport. Sektionsleiter Siegfried Nowka, zugleich Chefeinkäufer im Kombinat, bot umworbene Spieler mit Aufmerksamkeiten wie ferngeheizten Wohnungen, Garagen oder neuen Gardinen – selbstverständlich nur „im Rahmen sozialistischer Wohnungs­vergabeverfahren“, wie er später betonte. Handgelder seien ihm hingegen „strengstens verboten“ gewesen.

Doch wer in der Oberliga mithalten wollte, musste mit vergleichsweise üppigen Extras rechnen. Immerhin brachte allein der Status als Leistungsfußballer Freistellungen von bis zu 20 Stunden pro Woche – weit mehr als die üblichen fünf Stunden für Ligaspieler. Aufmerksame Beobachter wie DTSB-Funktionär Willi Bolt dokumentierten penibel, wenn Spieler während der regulären Arbeitszeit trainierten. Seine Berichte lieferten schließlich die Grundlage für das Urteil, das am zweiten Spieltag der Saison 1970/71 vollzogen wurde: Eisenhüttenstadt und Schwarze Pumpe mussten eine Klasse tiefer antreten.

Selektive Ahndung und Doppelmoral
Während die beiden kleinen Betriebssportgemeinschaften büßten, blieben Traditionsvereine wie Dynamo Dresden oder der 1. FC Magdeburg unangetastet – trotz ähnlicher Praktiken. Dort spielten Nationalspieler wie Hans-Jürgen Kreische, dessen Anwerbeversuche in Eisenhüttenstadt akribisch dokumentiert wurden: „Da wurden Summen genannt, da kam man ins Grübeln“, erinnert sich Kreische heute. Ein klarer Fall von Profitum? Oder doch nur der letzte Ausweg, um die DDR-Führung nicht öffentlich blamiert dastehen zu lassen?

Historiker verweisen auf die Strategie dahinter: Ein generelles Vorgehen gegen alle Topklubs hätte den gesamten DDR-Fußball lahmgelegt und die medaillenambitionierten Olympia-Akteure gefährdet. Das politisch gewünschte Bild „wir sind eine Sportnation ohne Profis“ musste um jeden Preis bewahrt werden. Zwei „Bauernopfer“ reichten dabei aus, um den Schein zu wahren.

Langfristige Folgen für Eisenhüttenstadt
Der Fall hinterließ in der brandenburgischen Stadt tiefe Spuren. Wo einst ambitionierte Fußballwirtschaft blühte, kämpft der heutige FC Eisenhüttenstadt in der siebten Liga gegen den Abstieg. Die einstige Hoffnung auf sportlichen Aufstieg und materielle Anreize löste sich in Ernüchterung auf. Ehemalige Spieler wie Harro Miller, der damals von Wismut Aue kam, erinnern sich noch gut: „Man wusste, wo das Geld herkommt – aber wer geht schon freiwillig in die Provinz?“

Für die Stadt war der Fußball mehr als Sport: Er war sozialer Kitt, Identifikationspunkt und Propaganda­instrument zugleich. Nach der Wende verschwanden die meisten infrastrukturellen Fördermittel, das Stadion verfiel, Sponsoren zogen sich zurück. Die Erinnerung an den 1970er-Skandal blieb Teil einer kollektiven Erinnerung an staatliche Willkür und halbherzige Reformen.

Lehren aus einem Systemversagen
Der Eisenhüttenstädter Skandal zeigt exemplarisch, wie eng Sport und Politik in autoritären Systemen verknüpft sein können. Offiziell galt das sozialistische Sportmodell als Hort des Amateurgedankens. Praktisch jedoch galt: Wer Leistungen erbrachte, erhielt Privilegien – intransparent, selektiv und politisch motiviert. Die Degradierung zweier Klubs mag heute wie ein Relikt wirken, doch sie wirft Fragen auf, die weit über die DDR hinausreichen: Welche Spielregeln gelten tatsächlich, wenn Staat und Sport im Schulterschluss agieren? Wie viel Leistung darf honoriert, wie viel Privileg vergeben werden, ohne den Gleichheitsgedanken zu untergraben?

Ein journalistischer Blick zurück zeigt nicht nur sporthistorische Brüche, sondern offenbart auch den Mechanismus politischer Machterhaltung. Eisenhüttenstadt war damals ein Bauernopfer – heute ist es Mahnmal einer gescheiterten Doppelmoral.

Bitterfeld-Wolfen: Vom Umweltproblem zum Wirtschaftsstandort

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Die Region Bitterfeld-Wolfen: Ein Schauplatz des Wandels. Einst ein Symbol für Umweltverschmutzung durch jahrzehntelangen Braunkohleabbau und intensive Chemieproduktion, steht sie heute als Beispiel für erfolgreichen Strukturwandel. Im Mitteldeutschen Chemiedreieck hat sich Bitterfeld-Wolfen zu einem bedeutenden Wirtschaftsstandort entwickelt, geprägt von internationalen Konzernen wie Bayer, Linde und Evonik.

Doch die Altlasten der Vergangenheit sind noch immer präsent. Über 100 Millionen Kubikmeter Grundwasser sind durch historische Schadstoffe schwer kontaminiert – eine Bedrohung für angrenzende Naturräume, Siedlungen und die Mulde. Um diese Gefahren nachhaltig zu minimieren, wird eines der größten ökologischen Projekte Deutschlands umgesetzt: das Ökologische Großprojekt Bitterfeld-Wolfen (ÖGP).

Finanziert mit rund 12 bis 15 Millionen Euro jährlich aus dem Sondervermögen „Altlastensanierung“ des Landes Sachsen-Anhalt, zielt das Projekt darauf ab, den ökologischen und wirtschaftlichen Schaden zu beheben. Abstromsicherungen und Grundwasserreinigungsanlagen verhindern die Ausbreitung belasteter Wassermassen. Jährlich werden etwa 2,5 Millionen Kubikmeter Wasser gesäubert, wobei über 100 Tonnen Schadstoffe entfernt werden. Seit Beginn des Projekts konnte die Schadstoffmenge im Grundwasser bereits um 2.000 Tonnen reduziert werden.

Der Erfolg zeigt sich nicht nur in der Verbesserung der Umwelt. Die Lebensqualität der Menschen in der Region steigt, und der Standort profitiert wirtschaftlich: Über 360 neue Unternehmen und mehr als 12.000 Arbeitsplätze im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen belegen die zukunftsweisende Entwicklung.

Das ÖGP Bitterfeld-Wolfen ist ein Vorbild dafür, wie eine Balance zwischen Wirtschaft, Umwelt und Lebensqualität erreicht werden kann – ein Musterbeispiel für den Wandel einer ganzen Region.

Reportage aus den 90er-Jahren: Ostkreuz – Ein Berliner Quartier im steten Wandel

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Knapp hundert Jahre nach seiner Umbenennung hat sich der Bahnhof Ostkreuz längst zum größten Verkehrsknoten Berlins entwickelt: An einem durchschnittlichen Werktag steigen hier mehr als 100.000 Fahrgäste um, 1.517 Züge halten an seinen vier Bahnsteigen und verknüpfen acht von zehn S‑Bahn-Linien vom Stadtrand bis ins Zentrum. Doch Ostkreuz ist weit mehr als eine verkehrstechnische Schaltstelle – es ist das Herzstück eines Quartiers, das seine Industrie­vergangenheit, soziale Brüche und Aufbruchs­stimmung in jedem Pflasterstein trägt.

Vom Strahler-Rummelsburg zur S‑Bahn-Drehscheibe
Alles beginnt 1842 mit der Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke nach Frankfurt (Oder), die das spätere Ostkreuz durch die Königliche Ostbahn mit der Garnisonsstadt Küstrin verband. Bereits 1871 folgte die Anbindung an die Ringbahn. Die kleine Station „Strahler-Rummelsburg“ wuchs bis 1903 auf sechs Bahnsteige an – ein Labyrinth, das bis zur Jahrtausendwende viele Reisende noch orientierungslos ließ. Seit 1933 firmiert der Bahnhof als „Ostkreuz“; ein Ausbau auf nur vier Plattformen ab 1970 dämpfte jedoch nicht seine Bedeutung: Heute ist Ostkreuz das pulsierende Drehkreuz der östlichen Bezirke und eine wichtige Brücke zwischen Innenstadt und Peripherie.

Zwingen, Ziegel, Zement: Industriegeschichte und Arbeiterwohnen
Rund um das Ostkreuz zeugen unübersehbare Relikte von vergangener Schwerindustrie: Auf dem Gelände der ehemaligen Knorrbremse-Fabrik entstanden ab 1890 nach Plänen von U‑Bahn-Architekt Alfred Grenander repräsentative Produktions‑ und Verwaltungsbauten. Hier wurden die Druckluftbremsen gefertigt, die Georg Knorr revolutionär entwickelt hatte. Nach 1945 als Volkseigentum weitergeführt, gehörten Qualitäts­mängel bei Bremszylindern zu den ungelösten Problemen der DDR-Industrie. Heute beherbergen die sanierten Hallen einen modernen Bürokomplex für rund 5.000 Mitarbeiter, während die Produktion längst ins entstehende Gewerbegebiet Marzahn verlagert wurde.

Parallel dazu wuchs ab 1872 die Viktoriastadt – benannt nach der britischen Königin – als Arbeiterwohnsiedlung: Portweinrote Schlacken­beton‑Häuser sollten schnell und kostengünstig entstehen, erwiesen sich aber durch feuchtes Mikroklima und enge Grundrisse als unpraktisch und weitgehend unbeliebt. Noch heute enden viele Straßen wie Zubringer am Bahndamm, ein Sinnbild für die einstige Ausgrenzung der weniger Begüterten. In direkter Nachbarschaft entstand das Arbeitshaus am Rummelsburger See, das Waisen und „soziale Problemfälle“ aufzunehmen hatte und bis zu seiner Schließung 1992 Teil einer der größten Gefängnis­anlagen Berlins war.

Kirche, Jugendarbeit und soziale Schieflagen
Den sozialen Brennpunkt lenkten im Kaiserreich Einrichtungen der Diakonie: Ab 1890 errichtete man unter der Schirmherrschaft von Kaiserin Auguste Victoria die neugotische Rummelsburger Erlöserkirche samt dazugehörigem Gemeinde‑ und Krankenhaus­komplex. Bis heute ist das Diakonische Jugendwerk aktiv und betreut gefährdete Jugendliche im Kiez. Denn die Abwanderung industrieller Arbeitsplätze nach der Wende ließ Einkommen im Viertel weit unter den Berliner Durchschnitt sinken. Gezielte Sanierungs‑ und Mietpreis­bindungs­programme sollen bezahlbaren Wohnraum sichern, doch Handel und Kultur­räume bleiben rar.

Zwischen Schrotkugelturm und Puppentheater: Kulturelle Inseln
Denkmalgeschützte Bauten bewahren den industriellen Charme: Der Schrotkugelturm, in dem einst flüssiges Blei zu Jagdmunition geformt wurde, ragt noch heute am Rande des Viertels empor. Die Marktstraße erinnert an den historischen Gänsemarkt, und der einstige „Gänsebahnhof“ war lange ein alternativer Name für Ostkreuz. In den letzten Jahren entstehen kleine kulturelle Leuchttürme: Zwei Puppenspieler eröffneten das Puppentheater Ostkreuz – für sie war die Nähe zum Bahnhof und erschwingliche Mieten entscheidend. Eine restaurierte Kutschenremise aus dem Jahr 1893 an der Boxhagener Straße beherbergt heute eine Antiquitätengalerie.

Vom Rostkreuz zur grünen Bucht
Während entlang der Boxhagener Straße Sanierungs­anstrengungen gerade erst sichtbar werden, erlebt die Rummelsburger Bucht eine Verwandlung: Wo einst Industrieabwässer den See belasteten, lassen neu angelegte Uferpromenaden und Wasserlagen-Gärten grünes Leben zu. Alte Glasmanufaktur‑Gebäude und Fabrikschornsteine bleiben als Denkmäler erhalten und verleihen dem Quartier seine markante Skyline.

Kiezkultur zwischen Kneipenmeile und Genossenschaftswohnen
Simon-Dach-Straße und Boxhagener Platz sind Magneten für Nachtschwärmer und Wochenmarkt-Besucher. Das Studio Otto Nagel dient als Begegnungsort für Hobbykünstler, und kleine Kneipen locken ein bunt gemischtes Publikum. Im Helenenhof, einer 1906 entstandenen Wohnanlage für kinderreiche Beamtenfamilien, sichert ein Wohnungsverein günstige Mieten – heute an Genossen­schaftsmitglieder vergeben, unabhängig vom früheren Beamten­status.

Ostkreuz bleibt ein Ort der Kontraste: Industrie trifft auf Kultur, Sanierungs­gebiete auf Kleingewerbe, sozialer Förderbedarf auf kreative Aufbruchsstimmung. Zwischen historischen Relikten und modernen Visionen schlägt das Herz des Viertels weiter – unübersehbar und unerschöpflich im Wandel.

Karl-Marx-Stadt 1983: Eine sozialistische Großstadt im Fokus des Amateurfilms

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Der 16-mm-Farbfilm, der 1983 durch die Bezirksarbeitsgemeinschaft Amateurfilm Karl-Marx-Stadt entstand, ist ein eindrucksvolles Zeugnis seiner Zeit. Er zeigt die sozialistische Großstadt Karl-Marx-Stadt – das heutige Chemnitz – aus der Perspektive von Hobbyfilmern, die mit beeindruckender Hingabe ihre Umgebung dokumentierten. Der Film, der ein faszinierendes Porträt des Alltags in der DDR vermittelt, richtet seinen Blick sowohl auf die architektonischen und industriellen Facetten der Stadt als auch auf die landschaftlichen Schönheiten des Erzgebirges.

Stadtansichten: Ein Bild des sozialistischen Aufbruchs
Die Stadtaufnahmen vermitteln ein Gefühl der Monumentalität und des Fortschritts, wie er im sozialistischen Städtebau angestrebt wurde. Im Mittelpunkt stehen vor allem die markanten Bauten der Innenstadt, darunter der Karl-Marx-Kopf, das Wahrzeichen der Stadt, das auf den damaligen Stolz auf das sozialistische Erbe verweist. Auch die ausgedehnten Plattenbausiedlungen, die den Charakter der Stadt maßgeblich prägen, werden in ihrer ganzen Dimension gezeigt. Sie spiegeln nicht nur die Wohnraumplanung der DDR wider, sondern auch die Vision einer Gesellschaft, in der jeder Zugang zu modernem Wohnraum haben sollte.

Neben der Architektur wird die Lebendigkeit der Stadt eingefangen. Szenen von Marktplätzen, Fußgängerzonen und Parks zeigen das Alltagsleben der Menschen: Familien, die spazieren gehen, Kinder, die auf Spielplätzen toben, oder Arbeiter, die auf dem Weg zur Schicht sind. Es entsteht ein Bild von Gemeinschaft, aber auch von einem geregelten Alltag, in dem jeder seinen Platz hat.

Die Industrie: Herz der Stadt und Symbol der DDR
Besonderen Raum nimmt die Darstellung der Karl-Marx-Städter Industrie ein, die 1983 noch immer das Rückgrat der regionalen Wirtschaft war. Der Film zeigt die Produktionsanlagen großer Betriebe wie des Werkzeugmaschinenkombinats „Fritz Heckert“, das als Vorzeigeunternehmen galt. In faszinierenden Aufnahmen werden die Arbeitsabläufe in den Fabriken dargestellt: Männer und Frauen an den Maschinen, Schweißfunken, die durch die Luft fliegen, und Förderbänder, die in Bewegung sind.

Diese Szenen verdeutlichen nicht nur die Bedeutung der Schwerindustrie für die DDR-Wirtschaft, sondern auch den Stolz, den viele Arbeiter auf ihre Tätigkeit empfanden. Der Film lässt dabei nicht außer Acht, wie stark das Leben der Menschen mit der Industrie verwoben war. Ob in Gesprächen mit Arbeitern oder in Aufnahmen von Wohngebieten, die direkt neben Fabriken liegen – die Nähe zwischen Arbeit und Alltag wird spürbar.

Das Erzgebirge: Natur und Tradition im Wechselspiel
Neben der urbanen Perspektive widmet sich der Film auch der Natur und den Traditionen des Erzgebirges. Sanfte Hügel, dichte Wälder und pittoreske Dörfer bilden einen Kontrast zu den industriellen Szenen. Dabei wird deutlich, wie sehr die Region von ihrer kulturellen Identität geprägt ist.

Die Kamera verweilt auf Details: geschnitzte Schwibbögen, Räuchermännchen und kunstvolle Pyramiden in den Werkstätten der Handwerker. Diese Traditionen, die tief in der Geschichte des Erzgebirges verwurzelt sind, wurden auch in der DDR gepflegt und als Teil der nationalen Identität gefördert.

Die Bergbautradition der Region wird ebenfalls thematisiert. Szenen aus einem Schaubergwerk erinnern an die historische Bedeutung des Erzbergbaus, der die Region über Jahrhunderte geprägt hat. Gleichzeitig wird gezeigt, wie das Erzgebirge als Erholungsgebiet für die Karl-Marx-Städter dient: Wanderer auf den Höhenwegen, Skifahrer im Winter und Urlauber in den Ferienheimen.

Eine Zeitkapsel des sozialistischen Alltags
Der 16-mm-Farbfilm ist mehr als nur eine visuelle Dokumentation; er ist eine Zeitkapsel, die uns in die Atmosphäre des Jahres 1983 zurückversetzt. Die sorgfältig komponierten Bilder vermitteln ein Gefühl von Stolz und Zuversicht, wie es für die Propaganda der DDR typisch war, lassen aber auch Raum für die stille Beobachtung von Alltagsszenen.

Für die Bezirksarbeitsgemeinschaft Amateurfilm war die Produktion dieses Films eine Möglichkeit, ihre Stadt und ihre Region aus einem persönlichen Blickwinkel zu zeigen – abseits der professionellen, oft standardisierten Dokumentarfilme, die in den DEFA-Studios entstanden. Die Kameraführung, teils experimentell, teils von klassischer Schönheit geprägt, spiegelt die individuelle Handschrift der Filmemacher wider.

Heute bietet der Film wertvolle Einblicke in eine Ära, die mit dem Ende der DDR 1990 zu einem abgeschlossenen Kapitel wurde. Die gezeigten Stadtansichten und Szenen aus dem Leben der Menschen dokumentieren nicht nur den Alltag, sondern auch die Visionen, die hinter dem sozialistischen Städtebau und der Industriepolitik standen. Zugleich erinnert er an die Traditionen und die Schönheit des Erzgebirges, die bis heute Bestand haben.

In seiner Gesamtheit ist der Film ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Amateurfilmer dazu beitrugen, die Geschichte ihrer Zeit festzuhalten – mit einer Leidenschaft, die in jeder Aufnahme spürbar ist.

Wo sowjetische Klänge auf DDR‑Schulbänke trafen: Der Musikunterricht der POS

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Ein ungewöhnliches Stück Schulgeschichte wird wiederentdeckt: Ein Mitschnitt aus dem Musikunterricht einer siebten Klasse an einer Polytechnischen Oberschule (POS) der DDR. Das Unterrichtsthema? Aram Khachaturyans Ballett Gayane, genauer: der berühmte Säbeltanz.

Bereits beim Einstieg in den Klassenraum drangen die kraftvollen Paukenschläge und wuchtigen Triolen des Komponisten aus dem Kaukasus durch die Lautsprecher. Die Lehrkraft erläuterte, wie Khachaturyan die „wilde Kraft von Pferdeherden“ und das „purpurne Licht der Abendsonne über den kaukasischen Steppen“ in seine Musik zu übertragen wusste. Zugleich verband die Pädagogin diesen Kunstgriff mit dem politischen Auftrag: Musik sollte nicht nur ästhetische Form üben, sondern soziale Tugenden stärken.

Im Zentrum der Stunde standen Tanztechnik und Ausdruck: Die Schüler übten Haltung („langer Hals, Schultern runter“) und Dynamik („Accelerando spürbar machen“) und lernten, dass im Pas de Deux die Liebe zweier Menschen tänzerisch symbolisiert wird. Besonders intensiv widmete sich die Klasse der Lesginka – einem russischen Kriegstanz, der mit Nachstellschritten und kriegerischer Gestik das Gemeinschaftsgefühl stärken sollte. „Hier muss ich das Ängstliche spüren, wenn jemand die Schulter hochzieht“, kommentierte die Lehrerin und demonstrierte die korrekte Spannung.

Doch hinter den technischen Übungen verbarg sich mehr: Khachaturyans Ballett erzählt die Geschichte einer armenischen Baumwollpflückerin, die sich von ihrem egoistischen Ehemann befreit und im Kampf um Wahrheit und Gemeinwohl entsagt. In der DDR‑Didaktik war diese Parabel auf emanzipatorische Selbstfindung und solidarische Verantwortung hochwillkommen. Die Lehrkraft stellte heraus, wie die „realen Menschen unserer Zeit“ auf der Bühne statt mythischer Gestalten den sozialistischen Realismus verkörperten.

Teilnehmende Schüler erinnern sich noch Jahrzehnte später an das dröhnende Ostinato der kleinen Trommel und das trommelnde Tempo, das sie zu einem „Tanz mit Atem und Gesicht“ animierte. Ehemalige Tänzerinnen berichten von einem Gemeinschaftsgefühl, das weit über die Turnhalle hinaus Wirkung entfaltete – ein typischer Lehransatz der POS, in der Sport, Musik und Tanz gleichberechtigte Bausteine einer „sozialistischen Persönlichkeitsbildung“ bildeten.

Die Wiederentdeckung dieses Unterrichtsmitschnitts wirft ein Schlaglicht auf ein Stück Schulalltag, das heute verblüffend modern anmutet: intensive Körperarbeit, interkulturelle Musikpraxis und ein narratives Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Kollektivismus. Es bleibt spannend, welche Impulse von damals in der zeitgenössischen Musikpädagogik wiederaufleben könnten.

Zwischen Paradies und Preisschock – Prenzlauer Berg auf der Suche nach Identität

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Berlin-Prenzlauer Berg. Ein Blick aus dem Fenster auf die schmucken Altbauten gibt kaum einen Hinweis darauf, dass hier einst Kohleöfen glühten und die Toiletten noch draußen standen. Prenzlauer Berg, das ehemalige Arbeiterquartier und spätere Rückzugsort für Künstler und Oppositionelle, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vom Geheimtipp zum Synonym für Gentrifizierung gewandelt.

Vom Montmartre Ostberlins zum Hotspot der Mitte
In den 1970er- und 1980er-Jahren zogen Studierende, Maler und Regimekritiker in die günstigen, aber oft maroden Altbauwohnungen. Die „Prenzelberger“, wie man die Alteingesessenen heute nennt, flüchteten in neuere Plattenbausiedlungen am Stadtrand. Ihre verlassene Substanz erwies sich als fruchtbarer Boden für ein kreatives Milieu: Hinterhöfe verwandelten sich in Proberäume, Ateliers und Kneipen, in denen die Opposition heimlich tagen konnte. Die Hochbahntrasse von 1913, von den Berlinern liebevoll „Magistratsschirm“ genannt, wurde zur Lebensader dieses Viertels.

Mit der Wiedervereinigung begann der Run aufs Prenzlauer Berg. Die Nähe zum Alexanderplatz – nur zwei U‑Bahnhaltestellen entfernt – und die intakte Gründerzeitarchitektur entfachten die Fantasie von Investoren. Jahr für Jahr stiegen die Quadratmeterpreise. Wo einst Schrauber und Sozialkritiker wohnten, residieren heute wohlhabende Familien und Singles mit gut dotierten Bürojobs.

Sanierung trifft Verdrängung
Moderne Dachausbauten und luxuriöse Lofts im Hinterhaus haben aus manchem Altbau den Charme einer Grünen Wiese hinter Glasfassaden gemacht. Mieterhöhungen von 30 oder 50 Prozent sind längst keine Seltenheit mehr. Wer sich den neuen Standard nicht leisten kann, zieht jenseits der Ringbahn weiter – oft in zuvor ungeliebte Bezirke wie Marzahn oder Hellersdorf. Punkmusiker Aljoscha Rompe, einst ein Symbol der DDR-Subkultur, fand sein Zuhause plötzlich zum Luxusobjekt erklärt: „Der Eigentümer drohte mit Abriss, weil ich mich weigerte, ohne Entschädigung zu gehen“, berichtet Rompe. Sein Fall zeigt, wie eng hier sozialer Zusammenhalt und Renditedruck beieinanderliegen.

Doch Verdrängung ist nicht das ganze Bild. In Hinterhöfen wie dem Hirschhof, einst hart umkämpft gegen staatliche Abrisspläne, trifft man noch auf dieselben Gesichter von Initiatoren, die nach der Wende zurückgekehrt sind. Werkstätten, die sich auf DDR-Motorradoldtimer spezialisiert haben, und die Schlosserei in der Oderberger Straße mit Fred Mullens Fundgrube für AWO, MZ und Simson bilden einen Kontrast zu hochmodernen Start‑up-Büros.

Kollwitzplatz: Bühne der Vielfalt
Auf dem gepflasterten Platz vor dem Bronzeabguss von Käthe Kollwitz trifft man Politiker, Markthändler und Trendsetter gleichermaßen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Anwohner seit 1972, schätzt hier „die urbane Qualität und die soziale Mischung“. Straßenmusiker stimmen bis 22 Uhr an, Marktstände verkaufen Biogemüse und Kunsthandwerk, und in den umliegenden Cafés herrscht internationales Flair. Zugleich mahnt eine Vereinbarung zur Einhaltung von Ruhezeiten, die Balance zwischen Lebensfreude und Nachbarschaftsruhe zu wahren.

Industriekultur und Zukunftsvisionen
Ehemalige Industrieanlagen wie der historische Wasserturm von 1875 haben sich in „Reservoire der Künste“ verwandelt. Die Multimediaagentur „Im Stall“ nutzt rustikale Hinterhofräume, um zeitgenössische Technik in historischen Mauern zu inszenieren. Die Estradenhaus-Siedlung nahe der Schönhauser Allee experimentiert mit variablen Raumkonzepten und findet nur in Prenzlauer Berg eine Audience, die sich darauf einlässt.

Dennoch fehlt manch jungem Ballettschüler der Kontakt zu Grünflächen – die Karl-Legien-Siedlung von Bruno Taut aus dem Jahr 1930 und der Prater Garten als Relikte früherer Freiräume können das nicht ganz kompensieren. Der künftige Masterplan für den Bezirk sieht daher ausgewogene Nachverdichtung vor, um bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und zugleich neue Impulse für die lokale Wirtschaft zu setzen.

Ein Kiez zwischen Kontinuität und Umbruch
Prenzlauer Berg bleibt ein Stadtteil voller Widersprüche: Die Dächer schweben über prächtigen Fassaden, während in den Hinterhöfen handwerkliche Traditionen weiterleben. Der Mythos vom rebellischen Freiraum droht unter dem Druck des Marktes zu verblassen – und doch finden sich immer wieder Ecken, in denen der ursprüngliche Geist spürbar bleibt. Ob es gelingt, diesen lebendigen Kiez trotz hoher Mieten sozial durchmischt zu halten, wird nicht zuletzt von politischer Weitsicht und lokalem Engagement abhängen. Bis dahin bietet Prenzlauer Berg einen spannenden Mikrokosmos für den städtischen Wandel – ein Porträt Berlins in Echtzeit.