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Die Treuhand und der Ausverkauf der DDR – Eine kritische Bilanz der Wiedervereinigung

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Als im Juli 1990 die D-Mark in den Osten Deutschlands eingeführt wurde, begann ein Transformationsprozess, der nicht nur die Wirtschaftsstrukturen, sondern auch das Leben von Millionen Menschen grundlegend veränderte. Innerhalb weniger Wochen wurde eine ganze Volkswirtschaft dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt – und damit begann, wie viele kritisieren, ein systematischer „Ausverkauf“ der DDR. Dieser Beitrag widmet sich der Rolle der Treuhandanstalt, den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Währungsumstellung und den fragwürdigen Entscheidungen, die bis heute für hitzige Debatten sorgen.

Ein historischer Einschnitt: Die D-Mark und die neue Realität
Im Sommer 1990 war die Einführung der D-Mark in der DDR mehr als nur ein monetärer Wechsel – sie war ein politisches Signal und ein symbolischer Akt der Wiedervereinigung. Die DDR-Bürger erhielten plötzlich eine international anerkannte Währung, mit der sie weltweit Handel treiben konnten. Doch dieser Schritt hatte weitreichende wirtschaftliche Folgen: Der festgesetzte Umrechnungskurs stellte die ostdeutsche Planwirtschaft abrupt den Regeln der Marktwirtschaft gegenüber.

Zahlreiche Unternehmen, die bislang in einem sozialistischen System operiert hatten, waren plötzlich mit Preisen, Produktionskosten und einer neuen Wettbewerbsfähigkeit konfrontiert, die sie nicht zu stemmen wussten. Ein Kühlschrank, der in der DDR noch kostendeckend produziert werden konnte, war nach der Währungsumstellung plötzlich überteuert – nicht nur für den heimischen, sondern auch für den internationalen Markt. Dieses Missverhältnis zwischen Produktionskosten und Verkaufspreisen legte den Grundstein für eine dramatische wirtschaftliche Krise in der ehemaligen DDR.

Die Gründung der Treuhandanstalt: Von der Transformation zur Deindustrialisierung
Um die DDR-Wirtschaft an die Marktwirtschaft anzupassen, wurde die Treuhandanstalt ins Leben gerufen. Ihr ursprüngliches Ziel sollte es sein, das volkseigene Vermögen zu privatisieren, zu sanieren und – wo nicht mehr sinnvoll – abzuwickeln. Noch nie in der deutschen Wirtschaftsgeschichte wurden derart viele Unternehmen gleichzeitig auf den Markt gebracht. Über 8000 Betriebe an mehr als 32000 Standorten wurden in den Verkauf gegeben.

Doch die Realität sah anders aus: Anstatt einer schrittweisen Transformation kam es in vielen Fällen zu einem abrupten und oftmals einseitigen Verkauf der ostdeutschen Wirtschaftseinheiten. Die Transformation von einer Plan- in eine Marktwirtschaft hätte einen behutsamen, strukturierten Umbau erfordert, doch was folgte, war eine rasche Liquidation und Deindustrialisierung – und damit auch ein massiver Verlust an industrieller Identität und Arbeitsplätzen.

Fallbeispiele: DKK und WBB als Symbolfiguren eines gescheiterten Transformationsprozesses

Das Kühlschrankwerk DKK
Ein Beispiel, das exemplarisch für die Probleme der Transformation steht, ist das Kühlschrankwerk DKK in Scharfenstein im sächsischen Erzgebirge. Jahrzehntelang war das Werk ein Symbol für ostdeutsche Ingenieurskunst und industriellen Erfolg. Täglich wurden hunderte Verdichter und Kühlschränke produziert, und die Produkte fanden auch im Westen ihren Absatz – etwa unter dem Namen „Privileg“.

Mit der Einführung der D-Mark änderte sich das Bild jedoch dramatisch. Die Herstellungskosten, die in der DDR noch in DDR-Mark kalkuliert wurden, stiegen infolge des Umrechnungskurses sprunghaft an. Was früher noch ein Gewinn von 58 D-Mark pro Kühlschrank einbrachte, führte nach der Währungsumstellung zu Verlusten von mehreren Hundert D-Mark pro Stück. Trotz innovativer Ansätze – wie der Entwicklung eines umweltfreundlichen Öko-Kühlschranks in Zusammenarbeit mit Greenpeace – konnte das Unternehmen den neuen Marktbedingungen nicht standhalten. Schließlich entschied die Treuhand, dass der Betrieb wirtschaftlich nicht mehr tragfähig sei, und es folgte die Schließung des Werkes, was tausende Arbeitsplätze kostete.

Wärmeanlagenbau Berlin (WBB)
Ein weiteres eindrückliches Beispiel ist der Wärmeanlagenbau Berlin (WBB), einst der größte DDR-Betrieb für Heizkraftwerke und Fernwärmeversorgung. Auf dem Papier besaß WBB einen soliden Substanzwert: Immobilien im Wert von 38 Millionen D-Mark, Barvermögen in Höhe von 153 Millionen D-Mark sowie lukrative Altaufträge im dreistelligen Millionenbereich. Doch die Treuhand bewertete das Unternehmen systematisch niedriger als sein tatsächlicher Wert.

Durch eine Reihe fragwürdiger Bewertungspraktiken und den Verkauf an westdeutsche bzw. ausländische Investoren – häufig über sogenannte „Schnäppchen“ – wurde das wirtschaftliche Potenzial von WBB massiv untergraben. Ein prominenter Fall war der Verkauf an den westdeutschen Geschäftsmann Michael Rottmann, der über eine unscheinbare Schweizer Firma die Übernahme abwickelte. Mit Methoden, die den eigentlichen Unternehmenswert verschleierten, wurde WBB zu einem Ziel der Spekulation. Kredite in Millionenhöhe wurden vergeben, Immobilien in bester Lage verkauft und das Unternehmen schließlich ausgegliedert – und damit ein wesentlicher Teil des ostdeutschen Industriestandorts zerstört.

Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen: Haftungsfreistellungen und undurchsichtige Strukturen
Die Rahmenbedingungen, unter denen die Treuhandanstalt operierte, waren von Anfang an umstritten. Um schnell handeln zu können, wurden den Treuhandmanagern Sonderzahlungen gewährt und sie wurden von der Haftung für grobe Fahrlässigkeit freigestellt – von Referenten bis hin zu den Vorstandsebene. Diese Maßnahmen sollten eigentlich den schnellen Verkauf der Betriebe erleichtern, führten aber in der Praxis dazu, dass Fehlentscheidungen selten hinterfragt wurden.

Die Prüfmechanismen zur Überwachung der Kaufinteressenten und der tatsächlichen Substanzwerte der Betriebe waren häufig unzureichend. In zahlreichen Fällen, wie bei der Übernahme ostdeutscher Kreditinstitute durch westdeutsche Banken, ließ die mangelnde Kontrolle zu, dass immense Vermögenswerte – in manchen Fällen sogar Altkredite im Milliardenbereich – quasi unter Wert verkauft wurden. Die Konsequenz: Während westdeutsche und internationale Investoren einen enormen Reibach machten, blieb der wahre Wert des ostdeutschen Vermögens oft verborgen und ging letztlich zu Lasten der Steuerzahler und der ostdeutschen Bevölkerung.

Der politische Schatten der Treuhand: Arbeitslosigkeit, Misstrauen und ein geteiltes Erbe
Die wirtschaftlichen Umbrüche, die durch die Treuhandpolitik ausgelöst wurden, hatten gravierende soziale Konsequenzen. Innerhalb weniger Monate nach der D-Mark-Einführung schrumpfte die Zahl der arbeitenden Menschen in Ostdeutschland dramatisch – von rund sechs Millionen auf zweieinhalb Millionen. Die schnelle Privatisierung führte zu massiven Arbeitsplatzverlusten, und viele ehemalige DDR-Bürger fühlten sich als Verlierer der Einheit.

Die Kritik an der Treuhandpolitik ließ nicht lange auf sich warten. Politiker, Wirtschaftsexperten und ehemalige DDR-Bürger werfen dem Westen vor, den Reichtum und das industrielle Erbe der DDR systematisch ausgebeutet zu haben. Die Frage, ob der wirtschaftliche Ruin der DDR unvermeidbar war oder ob ein behutsamerer Übergang in die Marktwirtschaft möglich gewesen wäre, wird auch heute noch kontrovers diskutiert.

Auch die politischen Ereignisse rund um die Treuhandanstalt werfen lange Schatten: Der erste Treuhandchef, Detlev Rohwedder, wurde 1991 ermordet – ein Ereignis, das symbolisch für die tiefen Risse in der Gesellschaft und den politischen Spannungen jener Zeit steht. Obwohl sein Tod vermutlich von RAF-Terroristen verübt wurde, blieb die genaue Aufklärung des Falls bis heute aus. Mit dem Wechsel an der Spitze der Treuhand – zunächst übernahm Birgit Breul die Führung – wurde der Privatisierungsprozess noch weiter beschleunigt, ohne dass sich dadurch die grundlegenden Probleme der mangelnden Kontrolle und der systematischen Unterbewertung des ostdeutschen Vermögens abänderten.

Die langfristigen Folgen dieser Entscheidungen sind bis heute spürbar: Eine Wirtschaft, in der die führenden Unternehmen in den neuen Bundesländern vorwiegend in westdeutsche und ausländische Hände gefallen sind, und ein tiefes Misstrauen in der ostdeutschen Bevölkerung gegenüber dem als „verkauften“ Erbe der Einheit. Viele Ostdeutsche empfinden, dass sie nicht nur ihre wirtschaftliche Basis, sondern auch einen Teil ihrer Identität verloren haben.

Die Schattenbilanz: Schulden, Steuergelder und ein umstrittenes Erbe
Die Bilanz der Treuhandanstalt ist ambivalent. Auf der einen Seite wurden einige Betriebe gerettet und in die westdeutsche Marktwirtschaft integriert. Auf der anderen Seite hinterließ die Treuhand einen Schuldenberg von über 250 Milliarden D-Mark – ein Erblastentilgungsfonds, der bis heute die öffentlichen Haushalte belastet. Zwei Drittel dieser Schulden sind auch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung noch nicht getilgt.

Die hohen Kosten des Privatisierungsprozesses und die dabei entstandenen Fehlbewertungen belasten nicht nur den Staat, sondern auch die Menschen in Ostdeutschland, die immer noch das Gefühl haben, dass ihre wirtschaftliche Identität und ihr Erbe systematisch zerstört wurden. Die Kritik richtet sich dabei auch an die politische Führung jener Zeit, die – getrieben von dem Drang, den Übergang zur Marktwirtschaft schnell abzuschließen – alternative Modelle zur Wahrung des Volksvermögens kaum in Betracht zog.

Es wird argumentiert, dass eine stärkere Beteiligung der ostdeutschen Bevölkerung und eine Alternative zur reinen Privatisierung, wie sie von Bürgerrechtlern und Aktivisten vorgeschlagen wurde, zu einem gerechteren Übergang hätte führen können. So wurde an vielen Stellen das Potenzial übersehen, das in einer langsameren Transformation und in der Bewahrung von Schlüsselindustrien gelegen hätte. Stattdessen war es ein Erbe, das zu einem beispiellosen Beutezug wurde – in dem Westdeutsche, unterstützt von einflussreichen Wirtschaftsverbänden, systematisch das Potenzial der DDR-Wirtschaft unter Wert verkauften.

Die Debatte: War der Ruin der DDR unvermeidbar?
Die Frage, ob der wirtschaftliche Zusammenbruch der DDR und der damit einhergehende Ausverkauf der Volkswirtschaft unvermeidbar waren, spaltet Experten bis heute. Befürworter der damaligen Maßnahmen argumentieren, dass eine umfassende Transformation der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft immer schmerzhaft sei und dass die schnellen Entscheidungen der Treuhand zumindest notwendig waren, um die ökonomische Integration in die Bundesrepublik voranzutreiben. Ohne die rasche Einführung der D-Mark und den gleichzeitigen Abverkauf der Betriebe wäre es ihrer Meinung nach kaum möglich gewesen, die ostdeutsche Wirtschaft in die globale Marktwirtschaft zu integrieren.

Kritiker hingegen verweisen darauf, dass alternative Modelle möglich gewesen wären – Modelle, die eine schrittweise Transformation und die Wahrung des Volksvermögens vorsahen. Am berühmten „Rundentisch“ im Schloss Schönhausen diskutierten Bürgerrechtler wie Gerd Gebhardt und Matthias Arzt über eine Treuhand, die das Vermögen in die Hände der DDR-Bürger überführen sollte. Ein Modell, bei dem jeder Einwohner einen Anteil am staatlichen Eigentum hätte erhalten sollen, anstatt dass die Schlüsselindustrien in die Hände von Investoren aus dem Westen fielen. Diese alternative Vision wurde jedoch politisch nicht durchgesetzt – und so blieb am Ende nur der Weg der schnellen Privatisierung und der oft fragwürdigen Bewertungssysteme.

Die Folgen dieser Entscheidungen sind vielfältig: Neben der massiven Deindustrialisierung und der hohen Arbeitslosigkeit entstand ein tiefes Gefühl der Ungerechtigkeit und des Misstrauens gegenüber der Politik. Noch immer fühlt sich etwa jeder vierte Ostdeutsche als Verlierer der Einheit, da sie das Gefühl haben, dass ihre wirtschaftliche und kulturelle Identität systematisch ausgehöhlt wurde.

Wirtschaftliche Spekulation und internationale Verflechtungen
Die Privatisierung der DDR-Wirtschaft öffnete auch den Weg für internationale Spekulationen. Westdeutsche Manager und ausländische Investoren erkannten schnell die Möglichkeit, DDR-Unternehmen zu Schnäppchenpreisen zu erwerben. Dabei wurden nicht selten komplexe Finanzstrukturen geschaffen, die den tatsächlichen Wert der Betriebe verschleierten und es ermöglichten, Unternehmen mit erheblichen Altlasten und Schulden zu übernehmen.

Beispielsweise führte der Verkauf der ostdeutschen Kreditinstitute zu einem enormen Transfer von Altkrediten – teils in Milliardenhöhe – an die neuen Eigentümer. Banken wie die Deutsche Handelsbank und die Berliner Bank wechselten den Besitzer zu Preisen, die den eigentlichen Substanzwert der Institute nicht annähernd widerspiegelten. Die Folge war, dass der Bund letztlich für die Absicherung dieser Altlasten eintrat, während die Investoren von einem schnellen Reibach profitierten. Dieser Umstand unterstreicht, wie eng wirtschaftliche und politische Interessen miteinander verknüpft waren – und wie stark der Übergang zur Marktwirtschaft durch kurzfristige Gewinnmaximierung geprägt wurde.

Die mangelnde Kontrolle über diese Prozesse war ein wesentlicher Kritikpunkt. Die Treuhand, die eigentlich dazu da war, den Transformationsprozess zu organisieren, hatte oft nicht die Kapazitäten, jeden einzelnen Kaufinteressenten und jede Transaktion gründlich zu prüfen. Die daraus resultierenden Fehlbewertungen und undurchsichtigen Deals sind ein wesentlicher Bestandteil der Kritik an der Treuhandpolitik – und ein Grund, warum der Prozess bis heute als exemplarisches Beispiel für wirtschaftliche Ungerechtigkeit in der Wiedervereinigung gilt.

Ein Erbe der Zweideutigkeit
Die Transformation der DDR-Wirtschaft durch die Treuhandanstalt bleibt eines der umstrittensten Kapitel der deutschen Wiedervereinigung. Die Einführung der D-Mark und die damit verbundene Privatisierung des ostdeutschen Volksvermögens führten zu einem dramatischen Strukturwandel – zu massiven Arbeitsplatzverlusten, zur Deindustrialisierung und zu einer tiefen Spaltung in der Wahrnehmung der Einheit. Während manche argumentieren, dass der radikale Umbau notwendig war, um Ostdeutschland in die globalisierte Marktwirtschaft zu integrieren, zeigen die Erfahrungen, dass dabei auch fundamentale Ressourcen und Potenziale verloren gingen.

Die Fälle des Kühlschrankwerks DKK und des Wärmeanlagenbaus Berlin stehen sinnbildlich für die Folgen dieser Politik. In beiden Fällen wurden einst erfolgreiche und wettbewerbsfähige Betriebe durch die Umstellung auf die Marktwirtschaft und die einseitige Privatisierung in ihrer Existenz bedroht – und letztlich zerstört. Diese Prozesse führten nicht nur zu einer systematischen Ausgliederung des ostdeutschen Industriekapitals in westdeutsche und internationale Hände, sondern auch zu einer anhaltenden wirtschaftlichen Benachteiligung und einem tiefen Vertrauensverlust in der ostdeutschen Bevölkerung.

Heute, Jahrzehnte nach der Währungsunion, sind die Schatten dieser Entscheidungen noch immer spürbar: Der Schuldenberg, den die Treuhand hinterlassen hat, belastet die öffentlichen Haushalte, und die Frage, ob der Ruin der DDR-Wirtschaft alternativlos war, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Die Erinnerung an einen schnellen, oft undurchsichtigen Übergang erinnert uns daran, dass wirtschaftliche Transformation immer auch menschliche Schicksale beeinflusst – und dass die Suche nach Gerechtigkeit und Transparenz in solchen Prozessen niemals enden darf.

Der Ausverkauf der DDR ist somit nicht nur ein Kapitel wirtschaftlicher Umstrukturierung, sondern auch ein Mahnmal für den Verlust von Identität und Vertrauen in einer Zeit des tiefgreifenden Wandels. Es bleibt die Frage: Hätte ein behutsamerer Übergang, der die Rechte und das Erbe der DDR-Bürger stärker berücksichtigt hätte, zu einem gerechten und nachhaltigen Wandel führen können? Die Diskussion darüber wird auch in Zukunft anhalten – als Erinnerung an eine Zeit, in der ein ganzer Teil Deutschlands zu einem Preis verkauft wurde, der weit über wirtschaftliche Zahlen hinausgeht.

Die Ereignisse rund um die Treuhand und den Ausverkauf der DDR sind ein komplexes Geflecht aus wirtschaftlichen, politischen und sozialen Faktoren. Der schnelle Umbau in eine Marktwirtschaft brachte einerseits Fortschritt und Integration in die globale Wirtschaft, andererseits aber auch den Verlust eines bedeutenden Teils der ostdeutschen Industriekultur und erhebliche soziale Verwerfungen. Die zahlreichen Fehlbewertungen, fragwürdigen Verkaufsstrategien und der massive Transfer von Vermögenswerten in westdeutsche Hände haben nicht nur das wirtschaftliche Gesicht Ostdeutschlands verändert, sondern auch zu einem nachhaltigen Gefühl der Entfremdung geführt.

Für die heutige Generation ist es wichtig, diese Geschichte zu reflektieren und Lehren daraus zu ziehen – sowohl für die Bewertung vergangener Fehlentscheidungen als auch für die Gestaltung zukünftiger Transformationsprozesse in Zeiten von Umbrüchen. Die Bilanz der Treuhand bleibt ein ambivalentes Erbe: Einerseits ein Symbol für den Übergang zur Marktwirtschaft und die Integration in einen globalisierten Markt, andererseits ein Mahnmal für den Verlust von Arbeitsplätzen, industrieller Identität und gesellschaftlichem Vertrauen.

Die Diskussion über den „Ausverkauf“ der DDR geht somit weit über wirtschaftliche Zahlen hinaus. Sie ist ein Aufruf, die Vergangenheit kritisch zu hinterfragen und dafür zu sorgen, dass bei zukünftigen wirtschaftlichen Transformationen nicht nur ökonomische, sondern auch soziale und kulturelle Aspekte angemessen berücksichtigt werden. Nur so kann verhindert werden, dass ein ganzer Volkskörper – wie einst in der DDR – erneut zum Opfer eines undurchsichtigen und einseitigen Transformationsprozesses wird.

Der Rostocker „Porno-Brunnen“ wird 45

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Rostock. Wer sich in Rostock verabredet, sagt selten „Neuer Markt“, noch seltener „Universitätsplatz“. Stattdessen heißt es ganz selbstverständlich: „Wir treffen uns am Brunnen der Lebensfreude.“ Seit 45 Sommern plätschert er mitten im Herzen der Hansestadt – skulptural, verspielt, sinnlich. Und ja: ein bisschen freizügig. Ein Ort, an dem sich Kunst, Alltag und ein Hauch Ostgeschichte berühren.

Eingeweiht wurde der Brunnen am 27. Juni 1980 – doch es war keine stille Geburt. Die 17 lebensgroßen, teilweise nackten Bronze-Figuren, gestaltet vom Bildhauer-Duo Jo Jastram und Reinhard Dietrich, sorgten für kontroverse Diskussionen in einer Zeit, die mit Freikörperkultur zwar vertraut, mit erotischer Kunst im öffentlichen Raum aber keineswegs souverän umging.

„Damals hieß es mehr Contra als Pro“, erinnert sich Bildhauer-Kollege Wolfgang Friedrich. „Aber das hat sich schnell aufgelöst. Die Künstler haben die Menschen mit ihrem Werk in den Bann gezogen.“ Was zunächst verstörte, wurde zur Identifikationsfigur einer Stadt.

Vom Klo zur Kunst
Dabei war der Standort alles andere als attraktiv. An jener Stelle, wo heute Kinder durch Wasserläufe tollen und Paare sich bei lauen Sommerabenden verabreden, roch es einst streng: Eine öffentliche Toilette dominierte den Platz – samt der Gerüche, die je nach Windrichtung über den Universitätsplatz zogen. Der Brunnen ersetzte sie nicht nur baulich, sondern verwandelte den Ort symbolisch: von der Notdurft zur Lebensfreude.

Wolfgang Friedrich erinnert sich lebhaft an die letzten Schliffe am Kunstwerk: „Ich stand damals in der Wohnung des Architekten Peter Baumach und konnte von oben zusehen, wie Jo und Reinhard unten an den Figuren arbeiteten.“

Was sie schufen, ist mehr als ein Brunnen – es ist eine Bühne des Menschlichen: Menschen in Bewegung, in Berührung, in Freude. Kinder klettern, Verliebte posieren für Fotos, Touristen staunen, und für viele Rostocker ist es schlicht der „Porno-Brunnen“ – liebevoll-ironisch, keineswegs abwertend.

Vom Skandal zur Seele der Stadt
Was als kulturelle Provokation begann, ist heute gelebte Stadtkultur. Der Universitätsplatz hat sich seit den 1980ern vom geschichtlich aufgeladenen Ort – Marktplatz des 13. Jahrhunderts, Kreuzung mittelalterlicher Handelswege – zum Treffpunkt Nummer eins entwickelt. Wer heute „Zentrum von Rostock“ sagt, meint nicht mehr den Neuen Markt, sondern den Brunnen der Lebensfreude.

Damit er auch weiterhin sprudelt, übernimmt die städtische Wohnungsgesellschaft WIRO die Patenschaft. Pünktlich zum Osterfest wird das Wasser traditionell feierlich mit der Oberbürgermeisterin angedreht – ein symbolischer Start in die Brunnensaison, die bis Oktober täglich von 10 bis 20 Uhr dauert.

Ein Denkmal der Alltagspoesie
Der Brunnen der Lebensfreude ist 45 Jahre alt – und dabei kein bisschen leise geworden. Er spricht durch Wasser, durch Bewegung, durch Körper. Er erzählt vom Mut, Kunst Raum zu geben, auch wenn sie aneckt. Von Transformation – aus stinkendem Platz wird sozialer Raum. Und vom langen Atem der Kunst im öffentlichen Raum, der manchmal Jahrzehnte braucht, um verstanden und geliebt zu werden.

Vielleicht liegt gerade darin seine Kraft: Er ist nicht nur ein Kunstwerk. Er ist ein Stück Rostock.

Kommunalpolitik zum Anfassen: Wie junge Menschen die Demokratie vor Ort stärken

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Erfurt/Nordhorn/Schweigen-Rechtenbach – Während vielerorts über Politikverdrossenheit geklagt wird, zeigen einige junge Menschen, dass es auch anders geht. Sie engagieren sich in Stadt- und Gemeinderäten, setzen sich für ihre Mitbürger ein – und beweisen, dass politische Teilhabe vor allem eines ist: konkret, lokal und wirksam.

Eine von ihnen ist Lilly Fischer, 25 Jahre alt, Stadträtin in Erfurt. Ihr politisches Engagement begann schon früh – im Schülerparlament. „Damals wollten wir eine Möglichkeit schaffen, wie Jugendliche bei Entscheidungen eingebunden werden“, erinnert sie sich. Heute kämpft sie im Stadtrat für die Belange junger Menschen in ihrer Heimatstadt. Ihr Antrieb: Politik nicht nur kritisieren, sondern mitgestalten.

Auch Kai Schmidt aus Nordhorn hat klare Ziele. Der Ratsherr des Bürgerforums möchte „die Kommunalpolitik aus dem Rathaus herausholen“. Für ihn gehört der direkte Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern zur politischen Grundausstattung. Sitzungen allein reichten nicht aus, um die Lebensrealität der Menschen zu verstehen.

Mohammed Sami Augustin, Gemeinderat in Schweigen-Rechtenbach, betont die Rolle des Ehrenamts. „Ich will meinen Beitrag zur Weiterentwicklung der Kommune leisten“, sagt er. Für ihn ist kommunale Politik mehr als trockene Verwaltung – sie ist ein Ausdruck von Heimatverbundenheit.

Demokratie beginnt vor der Haustür
Was alle drei eint: das tiefe Verständnis für die Bedeutung der kommunalen Ebene. Entscheidungen im Stadtrat oder Gemeinderat haben unmittelbare Auswirkungen auf das Leben der Menschen – ob es um Schulen, Verkehr, Vereinsförderung oder Jugendprojekte geht. „Man merkt die Entscheidungen direkt vor der eigenen Haustür“, sagt Fischer.

Doch nicht nur Entscheidungen, auch die Art und Weise, wie Politik kommuniziert wird, ist entscheidend. Viele Mandatsträger setzen auf niedrigschwellige Formate: Videos, kurze Erklärtexte, einfache Sprache. „Wir wollen zeigen, warum wir wie abgestimmt haben“, erklärt Fischer. Es gehe darum, politische Arbeit transparent und verständlich zu machen – besonders für junge Menschen.

Politik zum Mitmachen
„Machen ist besser als Motzen“ – so bringt es Lilly Fischer auf den Punkt. Wer unzufrieden mit der Politik ist, solle nicht nur kritisieren, sondern überlegen, wie er oder sie selbst Teil der Lösung sein kann. Doch sie macht auch klar: Kommunalpolitik ist kein Selbstläufer. Zeit, Geduld, die Bereitschaft zum Zuhören – all das braucht es.

Der Schlüssel: ein Thema finden, für das man brennt. „Nicht alles ein bisschen, sondern eines richtig“, rät Fischer. Denn nur so könne man wirklich etwas bewegen – und auch langfristig motiviert bleiben.

„Schule der Demokratie“
Für viele ist die kommunale Ebene der erste Berührungspunkt mit politischem Engagement – und damit ein idealer Ort, um Demokratie zu lernen. Kai Schmidt sieht darin sogar einen Bildungsauftrag: „Kommunale Politik ist die direkteste Form, politische Zusammenhänge zu verstehen.“

Die Beteiligung junger Menschen sei dabei essenziell. Sie bringen neue Perspektiven ein – und helfen, eingefahrene Strukturen aufzubrechen. „Ein Rad funktioniert nur, wenn man es von allen Seiten betrachtet“, so Schmidt.

Politik lebt vom Mitmachen
In einer Zeit, in der viele das Vertrauen in politische Prozesse verlieren, setzen engagierte Stadt- und Gemeinderäte ein starkes Zeichen: Demokratie lebt – und zwar vor Ort. Sie braucht Menschen, die zuhören, erklären, handeln. Junge, motivierte Engagierte wie Fischer, Schmidt und Augustin zeigen: Es gibt Alternativen zur Resignation. Man muss sie nur ergreifen.

35 Jahre nach der Einheit: Ostdeutsche Wut, westdeutsche Eliten!

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35 Jahre nach dem Mauerfall sind Führungspositionen im Osten Deutschlands fest in westdeutscher Hand. Die Gründe liegen tief – und die Folgen reichen bis ins demokratische Fundament des Landes.

Als Angela Merkel 2005 zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, war das für viele Ostdeutsche ein Symbol der Hoffnung. Eine von ihnen hatte es geschafft. Doch auch fast zwei Jahrzehnte später bleibt sie eine Ausnahme. In den Führungsetagen von Wirtschaft, Justiz und Verwaltung in Ostdeutschland sind Menschen mit DDR-Biografie selten – zu selten, wie viele sagen. Der Elitenmonitor zeigt: Noch immer stammen rund drei Viertel der ostdeutschen Führungskräfte aus dem Westen.

Ein Elitenwechsel mit Ansage
Die Antwort beginnt in den Umbrüchen nach 1989. Damals brach das DDR-System über Nacht zusammen. In den Behörden, Gerichten und Staatsbetrieben wurde ein komplettes Personal- und Systemupdate vollzogen – mit westdeutschem Know-how. „Die Justiz musste neu aufgebaut werden. Es gab kaum Richter, die ohne SED-Vergangenheit oder linientreue Urteile durch die Wende kamen“, sagt Iris Goerke-Berzau, eine Richterin aus Westdeutschland, die 1990 nach Sachsen-Anhalt kam. Sie blieb – wie viele ihrer Kollegen.

Ein vergleichbares Bild zeigt sich in der Wirtschaft. Ludwig Koehne, Oxford-Absolvent aus Westdeutschland, kam 1992 in den Osten, arbeitete für die Treuhandanstalt – und übernahm später den VEB „Schwermaschinenbau S.M. Kirow“ in Leipzig. Heute exportiert das Unternehmen Eisenbahnkrane in alle Welt. Ohne westliches Kapital und Wissen, so Koehne, wäre das unmöglich gewesen.

Ein Gefühl der Fremdbestimmung
Doch was für die einen Aufbauhilfe war, empfanden andere als Übernahme. Viele Ostdeutsche sahen sich nicht nur wirtschaftlich abgehängt, sondern gesellschaftlich entmündigt. Von rund 14.000 Treuhand-Verkäufen gingen nur 5 Prozent an ostdeutsche Investoren – oft aus Kapitalmangel. Die Führungsrollen übernahmen in der Regel Westdeutsche. Und sie blieben.

„Wenn man heute einen Polizeipräsidenten oder Richter in Ostdeutschland trifft, ist der Dialekt oft westdeutsch“, sagt Dirk Oschmann, Literaturprofessor aus Leipzig und Autor des Bucherfolgs „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“. Sein Werk, das sich 2023 über 170.000 Mal verkaufte, brachte ein lange unterdrücktes Gefühl auf den Punkt: Ostdeutsche erleben sich nicht als gleichberechtigte Bürger, sondern als Menschen zweiter Klasse – und das auf Basis realer Benachteiligungen.

Strukturelle Schieflage
Zahlen belegen diese Wahrnehmung: Kein einziger General der Bundeswehr stammt aus Ostdeutschland. Unter den über 300 Bundesrichtern finden sich gerade einmal 15 Ostdeutsche. Der einzige ostdeutsche Milliardär – Holger Leclerc – steht auf Platz 337 der reichsten Deutschen. Selbst in ostdeutschen Landesgerichten urteilen in letzter Instanz häufig westdeutsche Richter.

Warum ist das so geblieben? Ein Grund liegt in der Reproduktion von Eliten über Netzwerke. Wer aus dem Westen kam, hatte oft die richtigen Kontakte, das Kapital und das Selbstbewusstsein. Wer aus dem Osten kam, fehlte oft in genau diesen Kategorien – eine Folge der systematischen Diskreditierung ostdeutscher Biografien nach der Wende.

„Viele Ostdeutsche trauen sich gar nicht erst, sich für Laufbahnen wie meine zu bewerben“, sagt Manja Kliese, die im Auswärtigen Amt das Krisenreaktionszentrum leitet. Auch dort seien Ostdeutsche unterrepräsentiert – ein Phänomen, das sich durch Ministerien, Medien, Hochschulen und Unternehmen zieht.

Folgen für Demokratie und Zusammenhalt
Die gesellschaftlichen Folgen sind spürbar. In den Wahlergebnissen vieler ostdeutscher Bundesländer spiegeln sich Wut und Enttäuschung. Populistische Parteien wie die AfD oder das Bündnis Sahra Wagenknecht gewinnen an Zustimmung – auch, weil sie das Thema der westdeutschen Dominanz offen ansprechen. Wagenknecht fordert sogar eine Ostquote im öffentlichen Dienst.

Ob solche Quoten rechtlich möglich oder gesellschaftlich klug sind, ist umstritten. Doch das Problem bleibt: Wenn sich ein erheblicher Teil der Bevölkerung dauerhaft unterrepräsentiert fühlt, droht eine Entfremdung von demokratischen Institutionen.

Ein gesamtdeutscher Auftrag
Ludwig Koehne, der westdeutsche Unternehmer im Osten, warnt vor Schuldzuweisungen allein Richtung Westen. „Auch die Ostdeutschen müssen bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.“ Es brauche mehr Selbstbewusstsein, mehr Beteiligung, mehr Mut.

Gleichzeitig aber sind gezielte Förderprogramme gefragt: Stipendien, Mentoring-Initiativen, Sichtbarkeit ostdeutscher Vorbilder. Nur wenn Ostdeutsche ihre Erfahrungen und Perspektiven in die Eliten einbringen können, entsteht ein wirklich vereintes Land – nicht nur auf der Landkarte, sondern auch in den Köpfen.

Denn was einmal als Übergang gedacht war, droht zum Dauerzustand zu werden.

DDR-Offiziere in Moskau: Zwischen politischer Schulung und Gefechtsausbildung

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Wenn DDR-Offiziere in Moskau eintreffen, ist es kein gewöhnlicher Besuch – es ist ein Auftrag im Sinne des Bündnisses zweier Staaten, das sich nicht nur als militärische Kooperation, sondern als weltanschauliche Schicksalsgemeinschaft versteht. In den 1980er-Jahren war es fast alltäglich, dass Angehörige der Nationalen Volksarmee (NVA) über den Flughafen Sheremetyevo in die sowjetische Hauptstadt reisten – und doch war jeder Aufenthalt ein Baustein in der Festigung eines Systems, das militärisches Denken, ideologische Schulung und politische Loyalität eng miteinander verzahnte.

Rund 3.000 DDR-Offiziere haben bis zum Ende der DDR an sowjetischen Militärakademien studiert – ein Studium, das mehr bedeutete als den Erwerb strategischer Fähigkeiten. „Wir sind hier, um das Bündnis unserer Völker zu stärken und uns zu erarbeiten, was friedliche Arbeit heute mehr denn je braucht: den sicheren Weltschutz“, hieß es in einem zeitgenössischen Beitrag über das Leben an der Moskauer Militärakademie Frunze.

Vom Fallschirmjäger zum Diplomierten Kommandeur
Einer von ihnen war Klaus-Dieter Krug. Als junger Hauptmann kam er an die Akademie Frunze, wo vor allem zukünftige Truppenkommandeure ausgebildet wurden. Heute erinnert er sich als Major an die besondere Atmosphäre der Lehranstalt: „Das riesengroße Glück war, an der ältesten Militärakademie der Sowjetunion zu studieren – und direkt an der Praxis zu lernen.“ Gemeint war die Praxis des Gefechts, der Führung unter realitätsnahen Bedingungen, stets unter dem Primat der sowjetischen Militärdoktrin.

Für Krug bedeutete das Studium nicht nur Taktik und Technik, sondern auch den ideologischen Schulterschluss: „Ich kann einschätzen, dass das, was wir an Theorie dort gelehrt bekommen haben, ausreichend war, um die Aufgaben zu erfüllen.“ Doch auch er räumt ein: Die eigentliche Herausforderung wartete in der Heimat, „insbesondere in der Menschenführung im Truppenteil“.

Militär, Politik und persönliche Netzwerke
Ein zentraler Aspekt der Ausbildung in Moskau war die politische Erziehung. Ziel war es, nicht nur Fachleute heranzubilden, sondern „charakterlich und politisch gefestigte Persönlichkeiten“. In einer Welt, in der das Militär stets auch Träger der sozialistischen Idee war, musste jeder Kommandeur auch ideologischer Vorbild sein.

Diese Schulung hinterließ Spuren – auch im persönlichen Verhältnis zu sowjetischen Offizieren. Krug beschreibt die Freude, nach seiner Rückkehr in DDR-Kasernen auf Kameraden aus der Studienzeit zu treffen: „Das Verständnis bei der Ausbildung im Leben und – wenn es sein muss – auch im Gefechtsfeld ist dadurch gegeben.“

Rituale der Zugehörigkeit
Den Abschluss dieser engen Verbindung zwischen Militär und Staat bildeten symbolische Akte wie die alljährliche Parade am 7. Oktober, dem Tag der Republik. „Diese 24 Sekunden der Vorbeifahrt entschädigen für die viele Arbeit“, so Krug, der mehrfach an der Parade teilnahm – als Offizierschüler, als Leutnant, als Oberleutnant. „Es ist ein Gefühl der Freude, aber auch des Stolzes, dort mit den anderen Truppenteilen die Geschlossenheit unserer Armee zu demonstrieren.“

Rückblick auf eine vergangene Welt
Heute, im Rückblick, erscheint diese Welt fern – nicht nur räumlich, sondern auch geistig. Die Sprache, die Bilder und das Pathos solcher Berichte wirken wie aus einer anderen Zeit. Und doch erlauben sie einen tiefen Einblick in das Selbstverständnis einer Armee, die sich als Teil eines größeren Ganzen verstand – des Weltsozialismus unter sowjetischer Führung.

Das Beispiel von Major Krug steht stellvertretend für ein Kapitel deutsch-sowjetischer Militärgeschichte, das – fernab von Manövern und Marschmusik – auch eine Erzählung von Loyalität, Ausbildung und gegenseitigem Vertrauen war. Und von einem Anspruch, der weit über das Gefechtsfeld hinausging.

Karl May in der DDR: Zwischen Verbannung und heimlicher Verehrung

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In einer Gesellschaft, in der Literatur nicht selten als ideologisches Instrument galt, spielte der Schriftsteller Karl May – trotz oder gerade wegen der Zensur – eine überraschend ambivalente Rolle. Trotz der ablehnenden Haltungsgrundsätze der DDR gegenüber scheinbar „trivialer“ Unterhaltung blieb der Mythos um Winnetou und Old Shatterhand lebendig, wenn auch im Verborgenen.

Ein ambivalentes Kulturerbe
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann in der sowjetischen Besatzungszone eine Phase, in der Karl May als „Unperson“ galt. Zwar wurden seine Werke nicht explizit verboten, doch passten sie nicht in das streng reglementierte Kulturprogramm einer sozialistischen Gesellschaft. Während sich offizielle Institutionen und Kulturpolitiker vehement gegen die westliche Abenteuerliteratur stellten, fand der Autor auf inoffiziellen Pfaden und im privaten Kreis seinen heimlichen Kreis von Bewunderern.

Das Ringen um Anerkennung
Ein erster Versuch, Karl Mays Erzählungen einem neuen Publikum zugänglich zu machen, gelang 1958. Der Verlag der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft veröffentlichte eine May-Erzählung in der Jugendreihe, die allerdings bald zum isolierten Einzelfall wurde. Die Reaktionen – von scharfem Tadel in Fachkreisen bis zu hitzigen Debatten in der Literaturszene – zeigten, wie gespalten die Meinung über den „Lügenbold aus Erzgebirge“ war.

Obwohl offizielle Zensur und ideologische Bedenken Karl Mays Ruf beeinträchtigten, konnte sich sein Kult fortsetzen. Altbestände, oft aus Radebeul, wurden zu begehrten Sammlerobjekten. Familien hüteten ihre Exemplare in staubigen Regalen, um bei Gelegenheit ein Stück „freiheitlicher“ Literaturgeschichte zu bewahren.

Unerwartete Renaissance: Von Comics bis Rennpferde
Trotz – oder gerade wegen – der offiziellen Skepsis fanden sich immer wieder kreative Umwege, um den Namen Karl May lebendig zu halten. Die Erfolgsgeschichte der DDR-Comicreihe „Mosaik“ beweist, dass sich das Interesse an der Abenteuerwelt von Winnetou und seinen Gefährten nicht unterdrücken ließ. So dienten gezeichnete Adaptionen der May-Welt als ein lockeres Ventil in einer Zeit strenger ideologischer Vorgaben.

Auch in anderen Bereichen kam es zu amüsanten Begebenheiten: So trug ein Rennpferd in den 1970er Jahren den Namen Winnetou, und selbst Hobbygärtner ließen sich vom Kulturphänomen inspirieren und kreierten essbare Varianten unter diesem Namen. Diese Beispiele zeigen eindrücklich, wie tief Karl Mays Faszination in das Alltagsleben der DDR-Einwohner eingedrungen war.

Wissenschaftliche Neubewertung und offizielle Öffnung
Erst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre setzte eine schrittweise Wende ein: Offizielle wissenschaftliche Auseinandersetzungen und die erste positive literaturkritische Bewertung durch Experten – exemplarisch zu nennen ist Heiner Plauls Beitrag im Jahre 1979 – legten den Grundstein für eine allmähliche Rehabilitierung des Autors.

Der eigentliche Wendepunkt kam in den frühen 1980er Jahren: Mit verstärkten medientechnischen Aktivitäten im Fernsehen und Hörfunk kam es zu einer heimlichen, aber spürbaren Wiederbelebung der Karl-May-Kultur. Die Öffnung und damit die Liberalisierung der Kulturpolitik gipfelte letztlich in der Wiedererrichtung des Geburtshauses Karl Mays in Hohenstein-Ernstthal, das 1985 als Museum seine Tore öffnete und somit ein dauerhaftes Zeugnis des ambivalenten Erbes des Autors darstellt.

Schatten der Staatssicherheit
Selbst in dieser Phase der Öffnung ließ sich Karl May nicht gänzlich der ideologischen Bevormundung entziehen. Die Stasi, das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit, nahm die Faszination um den Autor zum Anlass, auch die literarische Szene zu überwachen. Spitzel mit Decknamen wie „Karl“, „Harald“ oder „Landgraf“ infiltrierten die Szene, um jeden Hinweis auf unerwünschte Einflüsse im Keim zu ersticken. Diese Überwachung unterstreicht den Grad, in dem selbst die scheinbar unpolitische Literatur der DDR zu einem Spiegelbild der gesellschaftlichen Kontrolle wurde.

Der Weg Karl Mays in der DDR war von Widersprüchen geprägt: Offizieller Verdrängung und ideologischer Ablehnung standen eine tiefe, beinahe subversive Begeisterung und heimliche Verehrung gegenüber. Während die Kulturpolitik der DDR versuchte, den Einfluss westlicher Literatur auf die sozialistische Gesellschaft zu minimieren, bewahrten sich die Bürger – ob durch das Sammeln alter Ausgaben, in Comics oder humorvollen Vergleichen – ein Stück Freiheit und Identität. Heute steht die Geschichte Karl Mays in der DDR als eindrückliches Beispiel für den oft schmalen Grat zwischen staatlicher Ideologie und der unbezähmbaren Kraft der Literatur.

Metallgießerei in der DDR: Ein Blick in die Vergangenheit der Stahlproduktion

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In den 1970er Jahren erlebte die Stahlindustrie der DDR einen bedeutenden technologischen Wandel. Die Metallgießerei, eine der ältesten Fertigungstechniken der Menschheit, war auch damals ein zentraler Bestandteil der industriellen Produktion. Der Prozess, flüssiges Metall in eine vorbereitete Gießform zu gießen, hat sich über Jahrtausende kaum verändert. Doch in der DDR wurde dieser uralte Vorgang durch Mechanisierung und technische Innovationen revolutioniert.

Bereits im antiken Ägypten wurde Metall gegossen, und auch im Feudalismus blieb das Verfahren ein wesentlicher Bestandteil der Produktion. Über Jahrhunderte hinweg wurden Waffen, Schmuck und alltägliche Gebrauchsgegenstände aus Gussstücken hergestellt. Auch im Frühkapitalismus entwickelten sich die Techniken weiter, wie die kunstvoll gestaltete gusseiserne Treppe aus jener Zeit zeigt. Diese Entwicklung setzte sich bis in die industrielle Revolution fort.

In den 1970er Jahren, in einer Stahlgießerei der DDR, lief der Prozess jedoch nicht mehr ausschließlich von Hand. Der Arbeitsalltag der Gießereiarbeiter war von traditioneller Handarbeit geprägt, doch die mechanisierte Produktion hielt Einzug. Maschinen, die das Füllen der Formkästen und das Verdichten des Formsandes übernahmen, erleichterten die körperlich schwere Arbeit. Die Gießereifacharbeiter mussten nicht nur mit den traditionellen Methoden vertraut sein, sondern auch zunehmend die neuen Maschinen bedienen und steuern.

Der Arbeitsablauf in der Stahlgießerei war präzise und methodisch. Zunächst wurde ein Modell des Gussstücks erstellt, das dann in Formsand eingebettet und verdichtet wurde. Nachdem das Modell entfernt wurde, wurde die flüssige Metallmasse in die vorbereitete Form gegossen. Die Schmelze füllte die Gießform, während die Gase durch die Steigeröffnung entweichen konnten. Nach dem Erkalten des Metalls wurde das fertige Gussstück entnommen und bearbeitet.

Ein weiterer technischer Schritt war die Einführung von mechanisierten Fertigungsstrecken. Maschinen übernahmen das Wenden und Zulegen der Formkästen, wodurch die Fertigung effizienter und weniger arbeitsintensiv wurde. Trotz dieser Mechanisierung blieb das Wissen des Gießereifacharbeiters entscheidend. In der Zukunft, so hieß es in der Dokumentation von 1972, sollten Gießereispezialisten vollautomatisierte Fertigungsstraßen überwachen und steuern können.

Die Entwicklungen in der DDR-Metallgießerei waren nicht nur ein Spiegelbild der industriellen Fortschritte der damaligen Zeit, sondern auch ein Indiz für den gesellschaftlichen Wandel. Die Arbeit der Gießereifacharbeiter wurde zunehmend durch Technik unterstützt, doch der Mensch blieb ein zentraler Faktor. Die Verbindung von Tradition und Moderne, Handwerk und Technologie, prägte die metallurgische Landschaft der DDR und zeigte auf, wie sehr die industrielle Fertigung von einem ständigen Wechsel zwischen althergebrachten Methoden und innovativen Ansätzen lebte.

Dieser Blick auf die Stahlgießerei in der DDR verdeutlicht nicht nur die Technologiefortschritte, sondern auch die bedeutende Rolle der Arbeiter in der Umsetzung und Weiterentwicklung dieser Prozesse – eine Rolle, die oft im Schatten der Maschinen steht, aber ohne die Expertise und das Wissen der Fachkräfte nicht denkbar wäre.

Alexanderplatz 1989 – Der letzte Ruf zur Freiheit

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Am 4. November 1989 versammelten sich in der Mitte von Ost-Berlin ca. 500.000 Menschen zum bislang größten, nicht staatlich gelenkten Demonstrationszug in der Geschichte der DDR. Unter dem Titel „Demonstration gegen Gewalt und für verfassungsmäßige Rechte“ forderte das Volk – initiiert vom Neuen Forum und verschiedenen Künstlerverbänden – Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Achtung verfassungsmäßiger Rechte.

Ein Meilenstein der friedlichen Revolution
Die Alexanderplatz-Demonstration war ein entscheidender Moment in der Geschichte der DDR. Als erste offiziell genehmigte, aber vom Volk ausgerichtete Demonstration, setzte sie ein kraftvolles Zeichen gegen die jahrzehntelange staatliche Repression. Unter dem wachsamen Auge eines live im DDR-Fernsehen übertragenen Ereignisses zeigte sich, dass der Ruf nach Freiheit und Demokratie nicht länger ignoriert werden konnte.

Der Ablauf und die Route der Demonstration
Der Demonstrationszug startete um 10 Uhr vor dem ADN-Gebäude an der Mollstraße Ecke Prenzlauer Allee. Von dort zog die Menschenmenge über die Karl-Liebknecht-Straße bis zum Palast der Republik, umrundete diesen über den Marx-Engels-Platz und führte schließlich über die Rathausstraße zum Alexanderplatz – dem Ort der dreistündigen Abschlusskundgebung. Die beeindruckende Route spiegelte den entschlossenen Marsch der Bevölkerung wider, die sich von den Fesseln der alten Ordnung befreien wollte.

Stimmen des Aufbruchs
Über 20 Rednerinnen und Redner – darunter namhafte Politiker, Intellektuelle, Künstler und Aktivisten – ergriff das Wort. Unter ihnen waren:

  • Manfred Gerlach und Günter Schabowski als Vertreter der etablierten Ordnung, deren Beiträge immer wieder von Sprechchören und Pfeifkonzerten unterbrochen wurden.
  • Friedrich Schorlemmer, Theologe und Pfarrer, der mit eindringlichen Appellen zu Solidarität und Toleranz aufrief.
  • Gregor Gysi, Rechtsanwalt, Lothar Bisky, Hochschulrektor, Christoph Hein und Stefan Heym als Vertreter des intellektuellen Widerstands.
  • Christa Wolf, Heiner Müller und Jens Reich vom Neuen Forum, die den kulturellen und politischen Wandel mitgestalteten.
  • Vertreter der Initiative Frieden und Menschenrechte wie Marianne Birthler sowie Schauspieler wie Steffie Spira, Ulrich Mühe und Jan Josef Liefers.
  • Auch Liedermacher wie Kurt Demmler und Gerhard Schöne sorgten für musikalische Untermalung.

Besonders bemerkenswert war, dass Angehörige der Volkspolizei kaum sichtbar blieben. Freiwillige Ordner, gekennzeichnet durch farbige Schärpen mit der Aufschrift „Keine Gewalt“, übernahmen diese Rolle, während die Ost-Berliner Grenztruppen in erhöhter Alarmbereitschaft waren – ein Spiegelbild der Furcht der DDR-Führung vor einem möglichen Durchbruch der Demonstranten zur Berliner Mauer.

Ein bleibendes Erbe
Die Alexanderplatz-Demonstration markierte einen Wendepunkt in der DDR. Sie bewies, dass echte politische Veränderung von unten kommen kann – durch den gemeinsamen, friedlichen Widerstand einer Bevölkerung, die genug von staatlicher Unterdrückung und Repression hatte. Der unerschütterliche Ruf nach Freiheit, wie er an diesem Tag laut wurde, trug maßgeblich dazu bei, den Weg für den Mauerfall und den Beginn eines neuen Kapitels in der deutschen Geschichte zu ebnen.

Heute, mehr als drei Jahrzehnte später, erinnert uns der Geist dieses Tages daran, wie wichtig es ist, für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte einzustehen. Die Ereignisse am Alexanderplatz sind ein Mahnmal für die Kraft des friedlichen Protests und für die unerschütterliche Überzeugung, dass der Wille des Volkes letztlich jede autoritäre Macht überwinden kann.

Feuer, Form und Fortschritt – Alltag in der DDR-Gießerei 1972

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In den Stahlgießereien der DDR formten Arbeiter nicht nur Metall – sie prägten auch das Selbstverständnis des sozialistischen Produktionsalltags. Ein Rückblick auf eine vergangene Arbeitswelt, die auf Wissen, Disziplin und Gemeinschaft setzte.

Der Geruch von heißem Metall, das rhythmische Stampfen der Verdichtungsmaschinen und die konzentrierten Bewegungen der Former – in einer DDR-Gießerei im Jahr 1972 herrschte ein Takt aus Präzision, Kraft und kollektivem Bewusstsein. Metallgießen, eines der ältesten Urformverfahren der Menschheit, war in der Deutschen Demokratischen Republik nicht nur ein technischer Prozess, sondern ein Symbol für die Verbindung von Tradition und sozialistischer Industriepolitik.

In einem Filmbeitrag aus jenem Jahr wird der gesamte Ablauf der Herstellung eines Gussteils – konkret einer Flanschbuchse – dokumentiert. Vom hölzernen Modellbau über das Einformen in Sandkästen bis zum Gussvorgang selbst entfaltet sich ein minutiös geplanter Arbeitsprozess, bei dem menschliches Geschick und maschinelle Unterstützung Hand in Hand gehen. Dabei wird deutlich: Auch wenn sich das Grundprinzip des Gießens seit Tausenden von Jahren nicht verändert hat, so strebte die DDR-Wirtschaft nach stetiger Verbesserung – und nach der umfassenden Mechanisierung der Produktion.

Die Stahlgießerei war ein Ort, an dem der „Gießereifacharbeiter“ nicht nur seine körperliche Belastbarkeit unter Beweis stellen musste, sondern auch technisches Verständnis und Präzision. Schon in den 1970er-Jahren zeichnete sich der Übergang zur automatisierten Fertigung ab: Maschinen übernahmen immer mehr Schritte – von der Sandverdichtung bis zum Wenden der Formkästen. Dennoch blieb das Know-how der Facharbeiter unverzichtbar. Der Film betont: „An das Wissen des Gießereifacharbeiters müssen jedoch immer höhere Anforderungen gestellt werden.“

Im Einklang mit der sozialistischen Ideologie der Zeit wird nicht nur die Technik, sondern auch der Mensch in den Mittelpunkt gestellt – als Träger des Fortschritts. Der Arbeitsplatz in der Gießerei war hart, aber er bedeutete auch Stolz, Verantwortung und Teilhabe am Aufbau des Sozialismus. Die Dokumentation schließt mit einem optimistischen Blick in die Zukunft: Gießereispezialisten sollen bald saubere, vollautomatisierte Fertigungsstraßen „mit wenigen Handgriffen vom Schaltpult aus steuern und überwachen“.

Heute wirkt diese Vision wie ein Echo aus einer untergegangenen Welt. Doch der Blick zurück zeigt nicht nur die Entwicklung der Technik – er erinnert auch an eine Zeit, in der Arbeit und Ideologie eng verwoben waren. In den glühenden Formen der Gießerei spiegelte sich mehr als nur geschmolzenes Metall: Sie standen für einen gesellschaftlichen Entwurf, der Arbeit als Motor der Geschichte verstand.

Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: Kommunen schlagen Alarm

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Berlin. Der Tarifkompromiss für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen sorgt für scharfe Kritik aus den Reihen der kommunalen Spitzenverbände. Besonders die Landkreise sehen sich durch die finanziellen Folgen des Abschlusses erheblich belastet. Der Präsident des Deutschen Landkreistages (DLT), Landrat Dr. Achim Brötel, spricht von einem „schmerzhaften Kompromiss“, der die Kommunalhaushalte an den Rand der Belastbarkeit bringe.

„Die Kommunen, die wesentlich mehr Beschäftigte als der Bund haben, müssen den Löwenanteil dieses Abschlusses schultern“, so Brötel. Allein für die Tarifbeschäftigten entstünden dauerhaft jährliche Mehrkosten von bis zu 10,6 Milliarden Euro. Sollte der Abschluss auf die Beamtinnen und Beamten übertragen werden, könnten die Kosten noch deutlich steigen.

Brötel zeichnet ein dramatisches Bild der finanziellen Lage vieler Kommunen. „Man kann ohne Übertreibung sagen: Die Hütte brennt, und zwar lichterloh. Überall sind momentan die Haushalte im freien Fall.“ Vor diesem Hintergrund hält er den Tarifabschluss für nicht tragbar. „So etwas überschreitet die kommunale Schmerzgrenze.“

Obwohl die ursprünglichen Forderungen der Gewerkschaften ver.di und dbb beamtenbund und tarifunion nach Ansicht Brötels noch deutlich höher ausgefallen seien, ändere das nichts an der grundsätzlichen Problematik: „Wir können uns diesen Abschluss im Grunde nicht leisten. Er vertieft unsere bestehenden Probleme nur weiter.“

Besonders kritisch sieht der DLT-Präsident auch den vereinbarten zusätzlichen Urlaubstag. Angesichts des bestehenden Fachkräftemangels im öffentlichen Dienst sei dieser kaum zu kompensieren.

Die Gewerkschaften hingegen begrüßen den Abschluss als notwendigen Ausgleich für die Belastungen durch Inflation und gestiegene Lebenshaltungskosten. Für die Beschäftigten bedeutet die Einigung unter anderem eine spürbare Einkommenserhöhung sowie soziale Komponenten wie Einmalzahlungen und Sonderurlaub.

Die Debatte um die Finanzierung bleibt jedoch offen. Viele Kommunen stehen bereits vor der Aufgabe, Pflichtaufgaben zu sichern und gleichzeitig Investitionen in Schulen, Infrastruktur und soziale Leistungen nicht gänzlich zurückzufahren. Brötel mahnt: „Wieder einmal interessiert es niemand, wie das alles noch bezahlt werden soll.“