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Wenzel & Band “Lebensreise” – Gemeinschaft, Kreativität und Engagement am Hafen von Kamp

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Am frühen Morgen, immer jedes Jahr zum Sommerbeginn, öffnet sich an der mecklenburgischen Küste ein Tor zu einer fast utopischen Welt: Der kleine Hafen von Kamp, unweit der Insel Usedom, erwacht zum Klang von Gitarren, Trompeten und Schlagzeug. Hier, zwischen knarrenden Bootskufen und Möwenschreien, hat Wenzel, einer der profiliertesten Liedermacher Deutschlands, gemeinsam mit seiner Band und dem lokalen Hafenverein ein Festival geschaffen, das weit mehr ist als nur ein Konzert – es ist ein lebendiges Beispiel für gelebte Gemeinschaft.

Musik als soziale Utopie
„Eine Band ist für mich eine soziale Utopie“, erklärt Wenzel im Film von Lutz Kretschmann. Aufnahmen im heimischen Tonstudio in Berlin-Prenzlauer Berg, die gemeinsame Arbeit an über 30 Alben mit seinem Produzenten Tommi und das intensive Proben am Lagerfeuer in Kamp verdeutlichen, wie sehr er Musik als kollektiven Prozess versteht. „Nur in so einer Gruppe… erlebt man, wie Zuhören und Verstehen funktionieren“, so Wenzel – und gerade in einer Zeit, in der gesellschaftlicher Zusammenhalt oft brüchig erscheint, wirkt dieses Ideal umso kraftvoller.

Der Hafenverein: Herzstück des Festivals
Hinter dem Festival steckt kein kommerzielles Großprojekt, sondern ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder seit einem Vierteljahrhundert unermüdlich arbeiten. „Wir haben den Hafen gekauft, Benefizkonzerte organisiert und ein Dach für unser Vereinshaus geschaffen“, berichtet Wenzel. Bis zu 400 freiwillige Helferinnen und Helfer mähen Wiesen, spülen Gläser und bauen Bühnen auf. Ihre Motivation: Den schlechten Ruf der Region in ein positives Licht zu rücken und einen kulturellen Treffpunkt zu etablieren.

Neun Stunden Musik und hundert Songs
Die Jahresbilanz des Festivals ist beeindruckend: neun Stunden Live-Musik an einem Abend, Sets mit rund 108 Liedern und eine treue Fangemeinde, die Jahr für Jahr wiederkehrt. Wenzel selbst bricht scheinbar mühelos jeden Abend den physischen Rekord – und zeigt damit eine künstlerische Ausdauer, die nur wenige erreichen. „Früher reichte der Sonntag zur Erholung, heute brauche ich bis Dienstag“, gibt er augenzwinkernd zu.

Zwischen Poesie und Sozialkritik
Wenzels Liedtexte pendeln zwischen zarter Naturlyrik und scharfer Gesellschaftsanalyse. Zeilen wie „Wer immer auch die guten Freunde sagen, ist auch das Leben leichter zu ertragen“ oder die surreal-ironischen Bilder in „Der Irren und Idioten“ spiegeln die Ambivalenz unserer Gegenwart. Im Film lassen sie den Zuschauer eintauchen in eine Welt, in der Kunst und Realität untrennbar sind.

Heimat und Freiheit
Abseits der Bühne gewährt der Film intime Einblicke in Wenzels Alltag auf dem Land: der Blick von der Terrasse bei Sonnenuntergang, das spontane Recording bis in die frühen Morgenstunden, Spaziergänge mit Wein und Loop-Playback im Wald. Dieser Rückzugsort dient ihm als Quelle kreativer Freiheit und als Gegenpol zum Großstadttrubel. „Wenn ich deprimiert bin, setze ich mich hier hin und denke: Die Welt ist schön“, sagt er.

Mit “Lebensreise” ist Lutz Kretschmann ein Porträt gelungen, das weit über ein reines Konzert- bzw. Bandportrait hinausgeht. Es zeigt, wie viel Kraft in lokalem Engagement, in künstlerischer Verbundenheit und in der Beharrlichkeit einer kleinen Gemeinschaft an der mecklenburgischen Ostseeküste stecken kann – selbst in stürmischen Zeiten.

Der einzige Spielabbruch in 40 Jahren DDR-Oberliga am 29. September 1990

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Der einzige Spielabbruch in der DDR-Oberliga ereignete sich am 29. September 1990 beim Spiel zwischen Sachsen Leipzig und Carl Zeiss Jena. Dieses denkwürdige Ereignis markierte einen einzigartigen und turbulenten Moment in der Geschichte des ostdeutschen Fußballs und spiegelte die sozialen und politischen Umbrüche wider, die die DDR kurz vor ihrer Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland erlebte.

Der Hintergrund
Im Jahr 1990 befand sich die DDR in einer Phase des dramatischen Wandels. Der politische Umbruch und die bevorstehende Wiedervereinigung Deutschlands hatten auch tiefgreifende Auswirkungen auf den Sport, insbesondere den Fußball. Die DDR-Oberliga, einst eine der führenden Fußballligen des Landes, erlebte eine Saison, die von Unsicherheit und Spannung geprägt war. Vereine und Spieler standen vor einer ungewissen Zukunft, da die Liga in das gesamtdeutsche Fußballsystem integriert werden sollte.

Das Spiel und der Abbruch
Das Spiel zwischen Sachsen Leipzig und Carl Zeiss Jena am 29. September 1990 begann wie jedes andere Oberliga-Spiel. Es war ein hart umkämpftes Match, geprägt von intensiver Stimmung auf und neben dem Platz. Die Fans beider Mannschaften waren zahlreich erschienen, und die Atmosphäre war elektrisierend.

Doch im Verlauf des Spiels spitzte sich die Lage zu. Schon früh kam es zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen den Spielern, die sich in rüden Fouls und hitzigen Wortgefechten äußerten. Die Schiedsrichter hatten alle Hände voll zu tun, um die Kontrolle über das Spiel zu behalten.

Der Moment des Abbruchs
In der zweiten Halbzeit eskalierte die Situation. Ein umstrittenes Foul führte zu heftigen Protesten seitens der Spieler und des Trainerstabs von Carl Zeiss Jena. Die Fans, ohnehin schon angespannt, begannen, auf das Spielfeld zu stürmen. Die Sicherheitskräfte konnten die Massen nicht mehr zurückhalten, und es kam zu Tumulten auf dem Spielfeld.

Schiedsrichter Manfred Roßner sah sich gezwungen, das Spiel abzubrechen, um die Sicherheit der Spieler und der Zuschauer zu gewährleisten. Es war eine dramatische und beispiellose Entscheidung, die das Ende einer Ära im DDR-Fußball markierte.

Die Folgen
Der Spielabbruch führte zu heftigen Diskussionen und Nachwirkungen. Der Deutsche Fußball-Verband der DDR (DFV) musste sich mit den Konsequenzen dieses Ereignisses auseinandersetzen. Es wurde beschlossen, dass das Spiel nicht wiederholt wird und keine Punkte vergeben werden. Dies war ein symbolischer Akt, der die chaotische und instabile Situation im Land widerspiegelte.

Für die beteiligten Vereine und Spieler war der Abbruch ein einschneidendes Erlebnis. Viele Spieler wechselten später in westdeutsche Vereine oder beendeten ihre Karrieren. Die Fans erinnerten sich noch lange an diesen denkwürdigen Tag, der die Unruhe und den Wandel der Wendezeit einfing.

Fazit
Der Spielabbruch am 29. September 1990 zwischen Sachsen Leipzig und Carl Zeiss Jena bleibt ein markantes Kapitel in der Geschichte des DDR-Fußballs. Er symbolisiert die tiefen Umbrüche und Unsicherheiten einer Zeit, die von politischem Wandel und sozialer Unruhe geprägt war. Dieser einzige Spielabbruch in der Geschichte der DDR-Oberliga ist ein Zeugnis dafür, wie der Sport oft die größeren gesellschaftlichen und politischen Dynamiken widerspiegelt, die sich um ihn herum abspielen.

Lothar Tautz über Aufbruch, Ernüchterung und Verantwortung

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Am 15. April 1950 wurde Lothar Tautz in Erfurt geboren. Seine Erfahrungen als Jugendlicher in der DDR, die traumatischen Eindrücke des Prager Frühlings 1968 und die unverhoffte Begegnung mit dem Mauerfall machen ihn zu einem lebendigen Zeugnis für die Umbrüche der deutschen Zeitgeschichte.

Bereits Mitte der 1960er‑Jahre verspürte Tautz eine starke Unlust gegenüber der staatlich verordneten Einheitskultur. Die FDJ-Propaganda und das Pioniersystem wurden von ihm und seinen Mitschülern als Repression empfunden, westliche Musik‑Bands galten als übermächtiges Symbol individueller Freiheit – und waren in der DDR offiziell verboten. Entgegen dem gängigen Bild des linientreuen SED‑Jugendlichen trat Tautz mit 18 Jahren in die Partei ein – voller Idealismus und in der Hoffnung auf einen „Sozialismus mit Menschenrechten“, der Rede‑ und Reisefreiheit zuliese.

Der emotionalste Einschnitt erfolgte jedoch im Spätsommer 1968. Tautz reiste wiederholt nach Prag, um dort das Lebensgefühl der Reformkommunisten zu teilen. In den Tagen rund um den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts erlebte er hautnah den Zusammenbruch dieser Hoffnung. „Seitdem war mir klar: Sozialismus mit Menschenrechten passt nicht zusammen“, erinnert er sich. Dieser Bruch war für ihn kein rein intellektueller Prozess, sondern eine zutiefst emotionale Erfahrung, die ihn für immer desillusionierte.

Mehr als zwei Jahrzehnte später folgte ein zweiter Wendepunkt: der 9. November 1989. Tautz spielte in einer Rockband, als er erfuhr, dass der Schlagzeuger über die Grenze geflüchtet war – nur um wenig später von einem Bandkollegen zu hören: „Diesen Umweg hätte er sich sparen können. Die Mauer ist auf.“ Dieses fast komödiantisch anmutende Ereignis verknüpfte sich in seinem Bewusstsein mit einer tiefen Ambivalenz: Überwältigende Erleichterung über die gewonnenen Freiheiten – und traurige Einsicht, dass viele Reformträume nun im Sog der deutschen Wiedervereinigung untergehen würden.

In den Jahren nach 1990 engagierte sich Tautz leidenschaftlich für einen behutsamen demokratischen Neuanfang. Ab Mitte der 1990er‑Jahre beobachtete er mit Sorge, wie sich in Ost und West ein verfälschtes, nostalgisch verklärt­es Bild der DDR verbreitete. Die wachsende Ostalgie führte seiner Ansicht nach zu einer einseitigen Erinnerungskultur, die weder den Zwängen noch den Grausamkeiten des Staatssozialismus gerecht wurde.

Um dem entgegenzuwirken, beteiligt sich Lothar Tautz seit vielen Jahren an Schulprojekten der Stiftung Aufarbeitung. Bei Workshops und Zeitzeugen­gesprächen vermittelt er Jugendlichen ein vielschichtiges, auf persönlichen Erlebnissen beruhendes Bild der DDR: „Es gibt nicht DIE eine Geschichte“, betont er. Sein Ziel ist es, jungen Menschen die Ambivalenz jener Epoche nahe­zubringen – mit all ihren Hoffnungen, Enttäuschungen und Zwängen.

Lothar Tautz steht damit beispielhaft für die Generation jener Ostdeutschen, die als Jugendliche idealistisch in das Regime einstiegen, durch persönliche Brüche radikal desillusioniert wurden und sich nach 1990 nachhaltig darum bemühten, eine kritische und verantwortungsbewusste Aufarbeitung ihrer Vergangenheit zu fördern. Seine Erfahrungen sind Mahnung und Ansporn zugleich: Die Bewahrung einer offenen, differenzierten Erinnerungskultur bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Gera 1990: Ein einzigartiges Zeitzeugnis in der ersten Phase der Währungsumstellung

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Gera, die Metropole Ostthüringens mit ihren etwa 140.000 Einwohnern, erstreckt sich malerisch in einem Talkessel entlang der Weißen Elster, umgeben von einer bergigen Landschaft. Diese geographische Lage prägte die Stadt ebenso wie ihre wechselvolle Geschichte, die von wirtschaftlichem Aufschwung, Krieg, sozialistischem Wandel und postsozialistischer Transformation gezeichnet ist.

Ursprünge und industrielle Blütezeit
Bereits im Mittelalter entwickelte sich Gera zu einem bedeutenden Zentrum des Handwerks und Handels. Tuchmacher und Bierbrauer bildeten einflussreiche Zünfte, die über Jahrhunderte das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben der Stadt bestimmten. Mit der Industrialisierung erlebte Gera im 19. Jahrhundert einen erneuten Aufschwung. Die Textilindustrie, später ergänzt durch Werkzeugmaschinenbau und optische Technologien, machte die Stadt zu einem der wirtschaftlichen Motoren der Region.

Die Zeit der DDR: Wirtschaft und Stadtbild im Sozialismus
Während der DDR-Zeit wandelte sich Gera zu einer typischen Arbeiterstadt. Betriebe wie der VEB Modedruck, Unternehmen der optischen Industrie und der Werkzeugmaschinenbau prägten die Wirtschaft. Zudem spielte der Uranbergbau, betrieben von der Wismut, eine entscheidende Rolle. Der Uranabbau diente hauptsächlich den sowjetischen Atomprogrammen und hinterließ sowohl wirtschaftliche als auch ökologische Spuren.

Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und die sozialistische Baupolitik formten das Stadtbild nachhaltig. Ganze Straßenzüge wurden abgerissen, um Platz für Neubauten in Plattenbauweise zu schaffen. Besonders die Neubausiedlung Lausanne galt als Vorzeigeprojekt des sozialistischen Wohnungsbaus. Hier lebte ein Drittel der Einwohner Geras, doch die technokratische Gestaltung der Plattenbauten ließ wenig Raum für soziales und kulturelles Zusammenleben. Erst in den 1970er Jahren begann man, historische Bauten wiederzuentdecken und zu rekonstruieren.

Die Wende: Wirtschaftlicher und sozialer Umbruch
Mit der politischen Wende 1989/90 stand Gera wie die gesamte DDR vor einer radikalen Transformation. Die Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 markierte den Beginn der wirtschaftlichen Neuordnung. Betriebe, die jahrzehntelang in einem planwirtschaftlichen System operiert hatten, mussten sich nun auf die Marktwirtschaft umstellen. Viele von ihnen, darunter die Wismut und das Zeisswerk, sahen sich mit drastischen Einschnitten konfrontiert. Die Schließung von Unternehmen und der damit verbundene Verlust von Arbeitsplätzen führten zu einer hohen Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Frauen und älteren Arbeitnehmern.

Der Wandel brachte auch tiefgreifende soziale Veränderungen mit sich. Die Preise für Grundnahrungsmittel stiegen rapide, während die Einkommen vieler Bürger hinter den Lebenshaltungskosten zurückblieben. Die Menschen mussten sich an eine neue Realität anpassen, in der sie nun eigenverantwortlich für Versicherungen und die Zukunft ihrer Kinder sorgen mussten.

Gesellschaftliche Spannungen und politische Neuordnung
Die politischen Veränderungen spiegelten sich in den Wahlergebnissen der Kommunalwahl wider: CDU, SPD und PDS etablierten sich als dominierende Parteien. Doch die neue Parteienlandschaft brachte nicht nur Hoffnungen, sondern auch Unzufriedenheit. Finanzielle Probleme zwangen die Stadtverwaltung, Kredite aufzunehmen, während soziale Sicherungsmaßnahmen wie die Kinderbetreuung in Gefahr gerieten.

Die gesellschaftliche Unsicherheit führte zu Spannungen. Hausbesetzungen durch alternative Gruppen und die Zunahme rechter Gewalt verdeutlichten die Polarisierung. Rechtsradikale Skinheads nutzten die Instabilität, um ihre nationalistischen und ausländerfeindlichen Einstellungen zu propagieren. Die Polizei, die sich im Umbruch befand, hatte Schwierigkeiten, der wachsenden Gewaltbereitschaft Herr zu werden.

Ein Blick auf die Zukunft
Die Jahre nach der Wiedervereinigung waren für Gera von Herausforderungen und Hoffnungen geprägt. Während viele Menschen von der neuen Reisefreiheit und den Möglichkeiten der Marktwirtschaft begeistert waren, blieb die Unsicherheit über die Zukunft ein ständiger Begleiter. Dennoch zeigten der ungebrochene Wille zur Anpassung und die Suche nach neuen Perspektiven, dass Gera auch in schwierigen Zeiten resilient bleibt.

Geras Geschichte ist ein Spiegelbild der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert: Von der Blütezeit der Industrialisierung über die Zäsur des Zweiten Weltkriegs und die sozialistische Transformation bis hin zum Umbruch der Wiedervereinigung. Die Stadt hat stets gezeigt, dass sie in der Lage ist, sich neu zu erfinden. Heute steht Gera vor der Herausforderung, die Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden und sich als lebenswerte Stadt in Ostthüringen neu zu positionieren.

Die grausamen Verbrechen des Henkers von Buchenwald

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Buchenwald – ein Name, der untrennbar mit den dunkelsten Kapiteln der Menschheitsgeschichte verknüpft ist. Auf dem malerischen Ettersberg bei Weimar verbarg sich ein Ort, an dem unerträgliches Leid, systematische Unterdrückung und unfassbare Grausamkeiten den Alltag bestimmten. Unter den vielen Akteuren dieses Schreckensregimes ragt ein Name besonders hervor: Martin Sommer, bekannt als „der Henker von Buchenwald“. Sein Leben und Wirken verkörpern den extremeren Wahnsinn und Sadismus, der das NS-Regime prägte.

Ein unscheinbarer Anfang – Der Weg in die Finsternis
Martin Sommer wurde am 8. Februar 1915 in einer kleinen thüringischen Gemeinde als Sohn einfacher Bauern geboren. Bereits in jungen Jahren war sein Charakter von einer rauen Strenge geprägt. Der Bauernhof, die harten körperlichen Arbeiten und der disziplinierte Erziehungsstil seines Vaters hinterließen ihre Spuren. In einer Zeit politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen offenbarte sich bald seine Verbannung in die Ideologien, die damals Deutschland erfassten.

Mit 16 Jahren trat er 1931 in die NSDAP ein – ein Schritt, der sein gesamtes Leben radikal verändern sollte. Zwei Jahre später folgte der Eintritt in die SS. Die nationalsozialistische Propaganda, die in Organisationen wie der Hitlerjugend und später der NSDAP allgegenwärtig war, formte nicht nur seine politischen Überzeugungen, sondern auch die brutalen Neigungen, die Sommer in den folgenden Jahrzehnten ausleben sollte.

Vom Bauernsohn zum sadistischen Vollstrecker
Die SS-Totenkopfverbände, zu denen Sommer 1935 kam, wurden zum Synonym für skrupellose Brutalität. Diese Eliteeinheiten, deren Hauptaufgabe es war, Konzentrationslager zu bewachen, boten ihm nicht nur Aufstiegschancen, sondern auch den Freiraum, seine bereits vorhandene Neigung zur Gewalt in schockierender Intensität auszuleben.

Innerhalb kürzester Zeit entwickelte er sich vom unauffälligen Bauernsohn zu einem gefürchteten Blockführer in Buchenwald. In dieser Position war er verantwortlich für die Überwachung und Bestrafung von Häftlingen – eine Aufgabe, in der er immer wieder neue, grausame Methoden der physischen und psychischen Folter einsetzte. Berichten zufolge zählte sein Repertoire unter anderem das Einfrieren von Menschen in Eiswasser sowie die sogenannte „Fahlhängefolter“, bei der Gefangene furchtbare Schmerzen durch gewaltsame Aufhängungen erlitten.

Buchenwald – Zwischen Kultur und Horror
Der Bau des Konzentrationslagers Buchenwald, der im Juli 1937 begann, stand in einem makabren Kontrast zur Kultur der Region. Der Ettersberg, ein Symbol der natürlichen Schönheit und der Nähe zur historischen Stadt Weimar, wurde zur Kulisse eines Grauens, das weit über die Landesgrenzen hinaus Schlagzeilen machte. Hier, inmitten des idyllischen Thuringens, entwickelte sich ein grausamer Ort der Vernichtung und Unterdrückung.

Sommer stieg in den Rängen weiter auf, erhielt 1937 die Leitung des sogenannten Bunkers – eines Arresttrakts, der zur systematischen Isolation und Demütigung der Häftlinge diente. In den 26 kleinen Zellen des Bunkers wurden körperliche und seelische Qualen zur täglichen Kost. Trotz regelmäßiger interner Untersuchungen wegen Korruption und Machtmissbrauch blieb sein sadistisches Handeln lange Zeit ungebremst.

Justiz und die späte Abrechnung
Gegen Ende der Kriegsjahre geriet Martin Sommer vermehrt ins Visier interner Ermittlungen. Vorwürfe der geheimen, eigenmächtigen Ermordungen und massenhaften Menschenrechtsverletzungen wurden laut, als auch aus der SS-Führung selbst Schritte zur Aufklärung eingeleitet wurden. 1943 endete zunächst sein Wirken in den Lagern, als er nach frontnahen Verwundungen und einer Gefangennahme der amerikanischen Streitkräfte in die Kriegsgefangenschaft gelangte.

Doch die Abrechnung mit seinen Taten verzögerte sich nicht – in den 1950er Jahren wurde er von einem ehemaligen Häftling in Berlin wiedererkannt, und ein neues Ermittlungsverfahren leitete letztlich den Prozess in Bayreuth ein. 1957 fand das Urteil statt: Sommer wurde wegen der Ermordung von mindestens 25 Häftlingen zu lebenslanger Haft verurteilt und verlor seine bürgerlichen Rechte.

Nach über drei Jahrzehnten in Haft endete sein Leben am 17. Juni 1988. Sein Name blieb ein Synonym für das Ausmaß menschlicher Grausamkeit, das in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches zur Tagesordnung wurde, und erinnert eindrücklich daran, wohin ungezügelter Sadismus und Machtmissbrauch führen können.

Ein Mahnmal an die Menschlichkeit
Die Geschichte von Martin Sommer, dem Henker von Buchenwald, illustriert eindrucksvoll die Abgründe, in die der menschliche Geist zu sinken fähig ist. Sie mahnt uns, nie zu vergessen, dass das Versäumnis von Gerechtigkeit und das Verharmlosen totalitärer Systeme den Nährboden für derart unfassbare Verbrechen bereiten können.

Buchenwald und die damit verbundenen Grausamkeiten sind nicht nur Kapitel in Geschichtsbüchern, sondern ein immerwährender Appell an die Verantwortung einer jeden Generation, sich für die Bewahrung der Menschenwürde und Freiheit einzusetzen.

Dieser Beitrag wurde im Rahmen einer Dokumentation erstellt, die sich der umfassenden Aufarbeitung der Verbrechen des NS-Regimes widmet. Die Erinnerung an die Opfer und das kritische Innehalten vor den Taten der Vergangenheit sollen als ewige Mahnung dienen: Wir müssen verhindern, dass sich solche Schatten wieder über unsere Geschichte legen.

Der Große Zapfenstreich der NVA zum 40. DDR‑Jubiläum

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Am 7. Mai 1989 versammelten sich Hunderte Berliner und Gäste der Hauptstadt auf der Prachtallee Unter den Linden, um dem Großen Zapfenstreich der Nationalen Volksarmee (NVA) 1989 zum 40. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik beizuwohnen. Der Schauplatz, die Neue Wache von Karl Friedrich Schinkel, diente seit Jahrzehnten als Mahnmal für die Opfer von Faschismus und Militarismus und bildete den würdigen Rahmen für eine Zeremonie, die in ihrer pathetischen Strenge und ritualisierten Ästhetik die Geschichte und Selbstinszenierung der DDR widerspiegelt.

Pünktlich um 20:00 Uhr ertönte der erste Hornstoß, als das Ehrenbataillon des Wachregiments „Friedrich Engels“ in makelloser Formation auf den Vorplatz trat. Gewehrschulter, Marsch! Die Schritte klangen präzise auf dem Kopfsteinpflaster, während das zentrale Orchester der NVA gemeinsam mit dem Stabsmusikkorps und dem Spielmannszug der Stadtkommandantur den Abend eröffnete. Im Scheinwerferlicht traten Armeegeneral Heinz Kessler und weitere hochrangige Repräsentanten der SED sowie Vertreter der Sowjetarmee hervor, um die Soldaten zu begrüßen.

In einer knappen Ansprache würdigte Kessler die Verdienste der Truppe: „Genossen Soldaten und Matrosen, Unteroffiziere und Fähnriche, ich beglückwünsche Sie zum 40. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik.“ Die Worte hallten in der stillen Fassade der Neuen Wache wider, bevor das Gewehr abgelegt und die Musik erneut ansetzte. Mit einem feierlichen Fanfarenstoß begann der traditionelle Teil der Gedenkzeremonie: Präsentiert das Gewehr! Augen rechts! Fahnenkommando, im Exerzierschritt Marsch!

Die akustische Dramaturgie wogte zwischen Militärmarsch und sinfonischer Elegie. Mal steigerte sich das Tempo zu aufrüttelnden Rhythmen, mal senkten sich die Töne zu getragenen Trauermusiken, die den Opfern des Faschismus und Militarismus gedenken sollten. Ein Glockenschlag markierte den Übergang zum stillen Teil, in dem die Flaggen gesenkt und die Gewehre zum Salut emporgehoben wurden.

Den Höhepunkt bildete der Vorbeimarsch des Ehrenbataillons: In strengem Takt rückten die Uniformierten an den Ehrengästen vorbei, deren Blicke von Würde und Staatsraison zeugten. Unter ihnen sah man Günter Schabowski, Inge Lange und Berlins Oberbürgermeister Erhard Krack. Die sowjetischen Militärdelegierten, angeführt von Generaloberst Meussier, erinnerten an die enge Bündnistreue zur UdSSR.

Gegen 20:45 Uhr endete das Zeremoniell mit dem letzten klangvollen Takt des Musikkorps. Applaus erfüllte den Platz, ehe sich die Reihen lösten und die Besucher in die Abendluft strömten. Der Große Zapfenstreich der NVA 1989 zum 40. Jahrestag der DDR wurde so zum historischen Schauspiel: Ein Ritual aus Disziplin und Symbolik, das an die Glanzzeiten der DDR erinnerte und zugleich die Widersprüche eines Systems vor Augen führte, das nur wenige Monate später politisch ins Wanken geriet.

Bau und Fall der Berliner Mauer (1961-1989)

Die Berliner Mauer, ein Symbol der Teilung Deutschlands und des Kalten Krieges, wurde am 13. August 1961 errichtet und fiel am 9. November 1989. Ihre Geschichte markiert eine Ära der politischen Spannungen und letztlich den Triumph des Freiheitsstrebens der Menschen.

Der Bau der Mauer (1961)
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt, verwaltet von den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion. Berlin, inmitten der sowjetischen Zone gelegen, wurde ebenfalls in vier Sektoren geteilt. Die Spannungen zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion führten 1949 zur Gründung zweier deutscher Staaten: der Bundesrepublik Deutschland (BRD) im Westen und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Osten.

Die DDR litt unter massiven Abwanderungen. Zwischen 1949 und 1961 flohen etwa 2,7 Millionen Menschen aus der DDR, viele davon über Berlin. Diese Fluchtwelle schwächte die DDR wirtschaftlich und politisch erheblich.

Um diesen Exodus zu stoppen, beschloss die DDR-Führung unter Walter Ulbricht, unterstützt von der Sowjetunion, eine drastische Maßnahme. In der Nacht zum 13. August 1961 begann der Bau der Berliner Mauer. Soldaten und Arbeiter riegelten die Grenze ab, errichteten Stacheldrahtzäune und später eine Betonmauer. West-Berlin war nun vollständig vom Osten abgeschnitten.

Das Leben mit der Mauer
Die Berliner Mauer war mehr als eine physische Barriere. Sie war ein tödliches Hindernis für diejenigen, die versuchten, aus der DDR zu fliehen. Die Mauer umfasste Betonwände, Wachtürme, Panzersperren und einen Todesstreifen, der von bewaffneten Grenzsoldaten patrouilliert wurde. Schätzungen zufolge kamen zwischen 1961 und 1989 etwa 140 bis 245 Menschen bei Fluchtversuchen ums Leben.

Für die Menschen in Berlin bedeutete die Mauer eine brutale Trennung von Familien, Freunden und Arbeitsplätzen. Während der Westen relativ frei blieb, herrschte im Osten ein repressives Regime, das Dissens mit harten Mitteln unterdrückte.

Der Fall der Mauer (1989)
In den 1980er Jahren begann die Sowjetunion unter der Führung von Michail Gorbatschow, politische und wirtschaftliche Reformen einzuführen. Diese „Perestroika“ und „Glasnost“ genannten Reformen beeinflussten auch die osteuropäischen Staaten, einschließlich der DDR.

In der DDR führte ein wachsender Unmut über das Regime zu Massendemonstrationen, insbesondere in Leipzig und Berlin. Diese „Montagsdemonstrationen“ forderten Freiheit und Reformen. Am 9. November 1989, nach wochenlangen Protesten und zunehmendem Druck auf die DDR-Führung, verkündete der SED-Funktionär Günter Schabowski in einer Pressekonferenz überraschend, dass die Grenzen geöffnet würden. Noch am selben Abend strömten Tausende von Ost- und West-Berlinern zu den Grenzübergängen, und die Mauer fiel.

Nachwirkungen
Der Fall der Berliner Mauer leitete das Ende der DDR und die Wiedervereinigung Deutschlands ein, die am 3. Oktober 1990 offiziell vollzogen wurde. Die Mauer bleibt ein starkes Symbol für die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands sowie für den Triumph des Freiheitswillens über autoritäre Regime. Heute erinnern zahlreiche Denkmäler und Gedenkstätten in Berlin an die Mauer und ihre Opfer, während Teile der Mauer als Mahnmale und touristische Attraktionen erhalten geblieben sind.

„Friedensstüchtig statt kriegstüchtig“ – Kundgebung zum 80. Jahrestag der Befreiung

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Berlin. Mehrere hunderte Menschen versammelten sich am frühen Abend im Berliner Tiergarten nahe dem Ehrenmal der Sowjetarmee, um gemeinsam den 80. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus zu begehen. Die Organisatoren der Kundgebung setzten dabei auf einen klaren Appell für Frieden, Diplomatie und deutsch-russische Verständigung – und positionierten sich deutlich gegen eine als „Kriegshysterie“ kritisierte Politik.

Bereits in seiner Eröffnungsrede zeichnete ein Sprecher in roten, weißen und blauen Farbtönen das Bild einer solidarischen Haltung. Mit einem Zitat Otto von Bismarcks – „Ewigen Frieden erreiche man nur, wenn man die Interessen aller berücksichtigt“ – prangerte er die Ausgrenzung russischer Diplomaten bei offiziellen Gedenkveranstaltungen an und lobte das besonnene Auftreten des russischen Botschafters. „Es ist unerträglich, russische Stimmen vom Mahnmal fernzuhalten“, so der Redner, der sich stattdessen für einen „Bismarckdialog“ einsetzte, der Deutsche und Russen im Gespräch zusammenbringt.

Im weiteren Verlauf kritisierten Redebeiträge eine zunehmende „geistige Aufrüstung“ in Europa: Das „Säbelrasseln“ westlicher Politiker und das Fehlen diplomatischer Initiative wurden als Symptome einer gefährlichen Politik bezeichnet. „Europa hat sich von einem Friedensprojekt zu einem Kriegsprojekt gewandelt“, warnte eine Rednerin und rief die Anwesenden auf, in ihren Wahlkreisen Druck auf Abgeordnete auszuüben: „Wir wollen nicht diese Kriegshysterie, wir wollen Frieden. Die Russen sind nicht unsere Feinde, sie sind unsere Freunde.“

Zeitzeugen als Mahnung
Ein zentraler Moment der Kundgebung war die Videobotschaft der 95‑jährigen Ludmilla Sirotta, einer Überlebenden der Leningrader Blockade. Sirotta schilderte eindringlich die Qualen des Winters 1941/42, die Hungersnot und den ungebrochenen Überlebenswillen der Bevölkerung. „Wir träumten täglich von der Öffnung einer zweiten Front“, berichtete sie. Ihr bewegter Appell endete mit einem Dank an die sowjetischen Soldaten und dem Wunsch nach andauernder Freundschaft zwischen den Völkern.

Musikalisch untermalte ein Ensemble aus vier Sängerinnen und Sängern den Abend mit dem Klassiker „Sag mir, wo die Blumen sind“, bevor der Berliner Sänger Vlad Meer russische Kriegsballaden von Wladimir Wyssozki interpretierte.

Brückenbauer zwischen den Nationen
Historikerin und Autorin Dr. Inge Pardon gab im Gespräch mit Alisa Tulpanova, Urenkelin des sowjetischen Militärwissenschaftlers Sergei Tulpanov, Einblicke in Leben und Werk des Familienpatriarchen. Tulpanov, der bereits als Jugendlicher an den Schlachten von Leningrad und Stalingrad teilgenommen hatte, zeichnete sich später in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands als Leiter für Presse, Rundfunk und politische Bildung aus. „Er war Brückenbauer im wahrsten Sinne des Wortes – halb Deutsch, halb Russe, zutiefst Humanist und Kommunist“, beschrieb Tulpanova.

Abschließend sendete Yuri Starovaczik, ehemaliger Bürgermeister von Wolgograd und Ehrenbürger von Hiroshima, eine Videobotschaft aus Russland. Er erinnerte an die historische Wende in der Schlacht um Stalingrad 1943 und zitierte Willy Brandt: „Versöhnung ist der Grundstein für dauerhaften Frieden.“ Auch er warb dafür, den Blick weg von Konfrontation und hin zu Verständigung zu richten.

Ausblick und Spendenaufruf
Die Organisatoren betonten, die Kundgebung sei unabhängig von staatlicher oder finanzieller Förderung aus Moskau organisiert worden. Mit Blick auf künftige Veranstaltungen riefen sie zu Spenden auf, um den Dialog zwischen Deutschen und Russen weiterzuführen. Unter dem Motto „Mehr Dialog als jede Waffe“ soll der „Bismarckdialog“ in den kommenden Monaten fortgesetzt werden.

Mit ihrem pazifistischen Programm und der Einbettung in persönliche Zeitzeugenerfahrungen hat die Berliner Kundgebung am russischen Denkmal den 80. Jahrestag der Befreiung zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für Verständigung und Versöhnung gemacht – gerade in einer Zeit, in der internationale Spannungen erneut zunehmen.

Soziologe Steffen Mau über die (gefühlte) Spaltung der Gesellschaft

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Zu Gast im Studio: Steffen Mau, Soziologe und Professor für Makrosoziologie am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Mau gehört seit 2021 zum Sachverständigenrat für Integration und Migration.

Steffen Mau ist ein renommierter deutscher Soziologe und Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Geboren 1968, hat Mau eine beeindruckende akademische Karriere hinter sich, die ihn zu einem der führenden Köpfe in der deutschen Soziologie gemacht hat. Seine Forschung konzentriert sich auf soziale Ungleichheit, Wohlfahrtsstaaten, Sozialstruktur und soziale Wandlungsprozesse, insbesondere im Kontext der Globalisierung und Digitalisierung.

Mau studierte zunächst Soziologie an der Universität Bremen und promovierte dort 2000 mit einer Arbeit über die Transformation des Wohlfahrtsstaates. Nach seiner Promotion setzte er seine akademische Laufbahn in Bremen fort und erhielt 2004 eine Professur für Politische Soziologie an der Universität Bremen. Im Jahr 2010 wechselte er an die Universität Flensburg, bevor er 2015 den Ruf an die Humboldt-Universität zu Berlin annahm.

In seinen zahlreichen Publikationen setzt sich Mau mit den Auswirkungen globaler und europäischer Integrationsprozesse auf nationale Gesellschaften auseinander. Er untersucht, wie soziale Ungleichheiten und soziale Mobilität durch wirtschaftliche, politische und technologische Veränderungen beeinflusst werden. Ein zentrales Thema seiner Arbeit ist die Erosion sozialer Kohäsion und die Zunahme von Ungleichheiten in der modernen Gesellschaft.

Mau ist bekannt für seine kritische Analyse der neoliberalen Politik und ihrer Auswirkungen auf den Sozialstaat. In seinem Buch „Das metrische Wir: Über die Quantifizierung des Sozialen“ (2017) diskutiert er, wie die zunehmende Erfassung und Quantifizierung sozialer Phänomene durch Big Data und digitale Technologien unsere Gesellschaft verändern. Dieses Werk hat breite Beachtung gefunden und gilt als bedeutender Beitrag zur Soziologie der Digitalisierung.

Neben seiner akademischen Tätigkeit ist Steffen Mau auch in der Politikberatung aktiv und beteiligt sich an öffentlichen Debatten über soziale Gerechtigkeit und die Zukunft des Wohlfahrtsstaates. Er ist ein gefragter Redner und Kommentator in den Medien und trägt mit seinen Analysen und Vorschlägen zur Gestaltung einer sozial gerechteren Gesellschaft bei.

Mau hat für seine Arbeit mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter den renommierten Leibniz-Preis 2021, der ihm für seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen verliehen wurde. Dieser Preis unterstreicht seine Bedeutung und den Einfluss seiner Forschung auf die zeitgenössische Soziologie und die öffentliche Diskussion in Deutschland und darüber hinaus.

Sein Engagement und seine Forschung haben Steffen Mau zu einer einflussreichen Stimme in der deutschen Soziologie gemacht. Er wird weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Analyse und Lösung sozialer Probleme in einer sich rasch verändernden Welt leisten.

BSG Aktivist Schwarze „Pumpe“ – Ein Denkmal der DDR-Fußballkultur

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In der facettenreichen Geschichte des DDR-Sports gibt es Namen, die über die reine Bezeichnung eines Vereins hinausgehen – Namen, die Geschichten von Identität, Leidenschaft und Wandel erzählen. Die BSG Aktivist Schwarze Pumpe gehört zu diesen Ausnahmen. Schon allein der klangvolle, fast mystische Name „Pumpe“ weckt Erinnerungen an glorreiche Tage, an emotionale Erlebnisse im Jahnstadion und an eine ganz besondere Ära des regionalen Fußballs.

Zwischen Industrie und Leidenschaft
Die Geschichte der „Pumpe“ ist untrennbar mit der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung der Region Hoyerswerda verbunden. Im DDR-System stand der Betriebssport oft in enger Verknüpfung mit den heimischen Industriekonzernen. Beim Gaskombinat Schwarze Pumpe, dessen wirtschaftlicher Erfolg auf der Veredelung von Braunkohle beruhte, floss nicht nur Geld in die Produktionshallen, sondern auch in die Sportanlagen und in den Fußballverein. So wurde der Verein zu einem Symbol: Er war mehr als nur ein Team – er war Ausdruck des industriellen Fortschritts und zugleich ein Hort der regionalen Identität.

Glanzmomente und dramatische Wendepunkte
Erinnerungen an legendäre Trainer wie Peter Prell und Helden des Spiels wie Hartmut Jank prägen das kollektive Gedächtnis. Unter Prells zwölfjähriger Amtszeit erlebte die Mannschaft nicht nur sportliche Höhenflüge, sondern auch nervenaufreibende Momente, die in den Annalen des DDR-Fußballs unvergessen bleiben. Ein Highlight war der dramatische Pokalkrimi von 1984: Ein Treffer von Jank zwang den favorisierten Gegner in die Verlängerung – ein Moment, der für die Fans und den Verein gleichermaßen zum Symbol des unerschütterlichen Kampfgeistes wurde.

Doch nicht alles war Sonnenschein. Die Vereinsgeschichte kennt auch dunklere Kapitel, wie die Zwangsrückstufung in die Bezirksliga, die den Spielern als Mahnmal der damaligen politischen und wirtschaftlichen Zwänge diente. Solche Tiefpunkte waren Teil des Systems, in dem Leistung und Loyalität manchmal durch bürokratische Eingriffe und wirtschaftliche Kalküle überschattet wurden.

Der Wandel nach der Wende
Mit dem Wendeherbst 1989 begann für den Verein – wie für so viele andere auch – eine bewegte Übergangsphase. Die Zeiten, in denen Braunkohle und staatliche Unterstützung den Sport beflügelten, waren vorbei. Der Verein musste sich neu definieren, kämpfte um seine Existenz und wandelte sich von der Betriebssportgemeinschaft Aktivist zu einem modernen Fußballklub. Heute, unter dem Namen Hoyerswerda FC, findet man die einstigen Giganten des Spielfelds in den bescheidenen Gefilden der Kreis-Oberliga wieder – ein Spiegelbild des tiefgreifenden Wandels, den die Gesellschaft und der Sport in den vergangenen Jahrzehnten durchlebt haben.

Erinnerung und Identität – Das Erbe der Pumpe
Trotz der Veränderungen bleibt das Erbe der „Pumpe“ lebendig. In den Erinnerungen der Fans, in den Geschichten der ehemaligen Spieler und in den Chroniken der Region schwingt der Geist jener glorreichen Zeiten mit. Der Verein mag sich in den unteren Ligen behaupten müssen, aber sein Name – ebenso markant wie symbolträchtig – ruft Erinnerungen wach. Er steht für eine Ära, in der Fußball mehr war als nur ein Spiel: Er war ein Ausdruck des Zusammenhalts, ein Spiegelbild der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen einer ganzen Generation.

Heute bleibt nur der Wunsch, dass auch in den neuen Zeiten wieder ein wenig der Glanz vergangener Tage auflebt – vielleicht nicht in Form von großen Siegen und Jubelmeilen, sondern als stille Hommage an eine Ära, in der der Verein und seine Anhänger im Gleichklang mit der Geschichte einer Region schlugen. Denn am Ende ist es dieser unvergessliche Mix aus industrieller Kraft, sportlichem Ehrgeiz und gelebter Gemeinschaft, der die BSG Aktivist Schwarze Pumpe zu einem wahren Denkmal der DDR-Fußballkultur macht.