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Andreas Schönfelder – Ein unbeugsamer Geist aus Großhennersdorf

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Oberschlema/Großhennersdorf. Inmitten ländlicher Ruhe im sächsischen Großhennersdorf sitzt ein Mann in seinem behutsam eingerichteten Arbeitszimmer und blättert in alten Notizheften. Andreas Schönfelder, Jahrgang 1958, war einer der ersten mutigen Köpfe der DDR-Opposition im Erzgebirge. Heute erzählt er im Zeitzeugenbüro auf www.zeitzeugenbuero.de von seinem Kampf gegen gesellschaftliche Engstirnigkeit, von heimlichen Lesekreisen und subkulturellen Treffpunkten – und vom unerschütterlichen Glauben daran, dass Widerstand erst beginnt, wenn man das Unaussprechliche ausspricht.

Jugend zwischen Kalkstein und Klassenfeindschaft
Geboren in Oberschlema und aufgewachsen in Aue, erlebte Schönfelder seine ersten 13 Jahre „weitgehend schön“, wie er sagt. Die Kleinstadt bot ihm ein weitgehend unpolitisiertes Aufwachsen, in dem man „Zugang zu jedem Menschen hatte, den man interessant fand.“ Doch hinter dieser Idylle brodelte schon in den 1970ern ein geheimes Leben der Jugendlichen: Punkmusik, heimlich überspielte Kassetten, Konzerte im Hinterzimmer. Schönfelder war „untercover als Kind“, fand seine Freude „an dem, was eigentlich verboten war.“

Mit Beginn der Berufsausbildung zum Baufacharbeiter mit Abitur verschärfte sich der Ton: Im Staatsbürgerkundeunterricht widersprach er 1974 einer Lehreraussage über den Eurokommunismus. Als er die im Neues Deutschland abgedruckte Rede von Georges Marché in Frage stellte, stellte die Schule ihn vor die Wahl: öffentlich abschwören oder fortan als Klassenfeind gelten. „Ich habe niemals die Sache zurückgenommen“, erinnert sich Schönfelder. Das trieb ihn irgendwann zur Erkenntnis: „Entweder ich finde hier noch irgendetwas oder ich muss raus.“

Flucht ins Unbekannte – Ankunft in Großhennersdorf
1977 brach Schönfelder mit dem Eisenerz-Konzern Wismut, verließ Oberschlema und suchte Zuflucht in Großhennersdorf. Dort fand er Anschluss an jene kirchlichen und friedenspolitischen Netzwerke, die im ländlichen Raum der DDR wie verborgene Oasen wirkten. „Ich hatte den Fünfer im Lotto in Sachen Opposition gewonnen“, beschreibt er im Rückblick jene Begegnungen mit Gleichgesinnten. Schnell engagierte er sich im „sozialen Friedensdienst“ – einer Gegenbewegung zum neuen Wehrkundeunterricht –, organisierte Lesekreise, tauschte heimlich Flugblätter und begann, sein politisches Bewusstsein in die Tat umzusetzen.

Die Umweltbibliothek als Hort des Ungehorsams
1986 begegnete ihm in Berlin das Modell, das sein Leben nachhaltig verändern würde: die unabhängige Umweltbibliothek. Inspiriert von diesen leuchtenden Punkten der Freiheit, gründete Schönfelder mit Freunden in Großhennersdorf eine eigene Ausleihe verbotener Schriften und ökologischer Zeitschriften – „zunächst ohne Dach, dann mit Regalen“. Innerhalb kurzer Zeit wuchs die Sammlung, bald fanden in bundesweit 120 Subkultur-Zeitschriften Berichte über Umweltzerstörung, DDR-Repression und Alternativentwürfe ihren Weg in entlegene Dörfer.

Die Bibliotheken wurden zu „Knotenpunkten der Opposition“: Sie lieferten nicht nur Informationen, sondern vernetzten junge Menschen, die ihre Stimme erheben wollten. „Wir wussten, in einer Diktatur gibt es Möglichkeiten, sich zu artikulieren“, sagt Schönfelder.

9. November 1989 – Zittau im Lichtermeer
Den historischen Abend des Mauerfalls erlebte Schönfelder nicht in Berlin, sondern auf einer Demonstration in Zittau: Zehntausende junger Menschen zogen mit Kerzen zum Haus der Staatssicherheit. „Die Angst war weg, und die richtigen Forderungen kamen auf den Tisch“, erinnert er sich. Erst spät erfuhr er, dass auch die Mauer geöffnet worden sei. Einen Tag später war er in Berlin, im Haus der Initiativgruppe Neues Forum bei Bärbel Bohler. Die Euphorie der friedlichen Revolution war groß – doch bereits am 10. November ahnte Schönfelder: „Die neue Gesellschaft ist übermächtig, unsere Oppositionsprojekte laufen aus.“

Einheit: Utopie, Bruch oder Neubeginn?
Heute, über 35 Jahre später, blickt Andreas Schönfelder kritisch auf das vereinte Deutschland. Der Osten sei „bis weit in die Mitte hinein sowjetisiert“ geblieben und habe nie gelernt, voll aktiv am demokratischen Gemeinwesen teilzuhaben. Zugleich vermisst er im zusammenwachsenden Land den Willen zum gemeinsamen Reflektieren: „Es kann nur nach vorn gehen – oder es geht schief.“ Eine „Läuterung in Ost und West“ hält er für möglich, wenn das ungelöste Ost-West-Gefälle ernsthaft angesprochen werde.

Zeitzeuge aus Überzeugung
Im Zeitzeugenbüro der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wirkt Schönfelder mit, um seine Erinnerungen zu bewahren. Er ist sich bewusst, dass sein Einsatz für viele junge Menschen heute nur noch historisches Interesse weckt. Doch der 65-Jährige bleibt überzeugt: „Man kann nicht einfach zusehen, wie Diktatur ungesühnt bleibt.“ Sein Vermächtnis ist nicht der Mythos des Helden, sondern die Mahnung, bei Ungerechtigkeit nicht wegzusehen.

Andreas Schönfelders Lebensweg vom widerspenstigen Lehrling in Aue zum unerschrockenen Bibliothekar der Umweltbewegung exemplifiziert jene leisen Widerstände, die letztlich die DDR erschütterten. Sein Beispiel zeigt: Schon ein kleiner Kreis unbeugsamer Menschen kann große Wirkung entfalten – ein Denkanstoß in Zeiten, da politisches Engagement oft nur online stattfindet.

Die vergessenen Schalenbauten des DDR-Architekten Ulrich Müther

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An einem sonnigen Morgen in Binz sticht ein ungewöhnlicher Bau aus der Küstenlandschaft hervor: Ein Strandwachtturm, der – fast wie ein außerirdisches Objekt – am Sandstrand thront. Dieses architektonische Wunder ist das Werk von Ulrich Müther, einem visionären Bauingenieur der DDR, der mit seinen innovativen Schalenbauten eine eigene, faszinierende Ära der Architektur einläutete.

Ulrich Müther, der 1934 auf Rügen geboren wurde und seiner Heimat bis zu seinem Tod im Jahr 2007 treu blieb, entwickelte eine besondere Bauweise, die in der DDR ihresgleichen suchte. Mit der sogenannten Hipparschale schuf er filigrane, jedoch außerordentlich tragfähige Konstruktionen: Zunächst entsteht ein leerer Gerüstbau, in dem dann sorgfältig verlegte Ammierungseisen Platz finden. Im Anschluss wird Beton gegossen, sodass eine dünnwandige, stützfreie Bauform entsteht, die selbst den Belastungen des Alltags mühelos standhält. Die Konstruktionen wurden sogar mehrfach „getestet“ – nicht zuletzt, weil Passanten ihre Stabilität unter Beweis stellen wollten.

Die Bandbreite von Müthers Schalenbauten ist beeindruckend. Auf Rügen allein realisierte er 16 Werke, die von kleinen Testbauten wie der Buswartehalle in Buschwitz über pavillonartige Konstruktionen in Sassnitz bis hin zu multifunktionalen Gebäuden wie Restaurants reichen. Dabei diente die Insel Rügen nicht nur als Standort, sondern als echtes architektonisches Experimentierlabor. Hier wurde immer wieder das Neue gewagt, und so entstanden Bauten, die heute als Kulturgüter wiederentdeckt werden.

Nach der Wende gerieten viele dieser visionären Projekte zunächst in Vergessenheit – bis vor einigen Monaten ein neues Buch des Schweizer Niedli Verlags, verfasst von Rahel Lemler und Michael Wagner, das Interesse erneut entfachte. Unter dem Titel „Müthers Schalenbauten in Mecklenburg-Vorpommern“ wird erstmals ein vollständiges Inventar dieser einzigartigen Bauten präsentiert. Das Werk zeigt nicht nur die architektonische Vielfalt, sondern auch, wie Müther es schaffte, traditionelle Materialien in neuartige, fast futuristische Formen zu überführen.

Doch Ulrich Müthers Einfluss blieb nicht auf Rügen und die DDR beschränkt. Dank eines weitreichenden internationalen Netzwerks wurden seine Ideen weltweit rezipiert. So entstand etwa in Kooperation mit dem westdeutschen Ingenieur Stefan Polony ein Trichterschalenbau, der heute als charmanter Buchkiosk in Baabe fungiert. Auch Projekte wie das Planetarium in Wolfsburg zeugen von seiner internationalen Arbeit – ein Tauschgeschäft, bei dem Volkswagen im Gegenzug 10.000 VW Golf an die DDR lieferte, rundet das Bild eines kreativen und vernetzten Ingenieurs ab.

Nicht alle Schalenbauten sind leicht zu entdecken. So liegt etwa der Speisesaal des ehemaligen Pionierlagers Ernst Thälmann bei Borchtitz, verborgen im Wald am Jasmunder Bodden, fast wie ein Geheimtipp für passionierte Architekturliebhaber. Forscher und Interessierte verbrachten unzählige Stunden auf Google Earth, um diese und weitere Bauten aufzuspüren – ein Beleg dafür, dass Müthers Werk weit mehr ist als bloße Bausubstanz: Es ist ein architektonisches Erbe, das immer wieder neu entdeckt werden muss.

In einer Zeit, in der konventionelle Bauweisen dominieren, bietet die Wiederentdeckung von Ulrich Müthers Schalenbauten einen erfrischenden Blick in eine Ära, in der Architektur noch experimentell, mutig und zukunftsweisend war. Die restaurierten Werke, ob als Inselparadies mit einem sternenhimmelartigen Lampenarrangement oder als innovativ umgestaltete Schwimmbadüberdachung, laden dazu ein, die Grenzen zwischen Vergangenheit und Zukunft neu zu überdenken.

Ulrich Müthers Schalenbauten sind mehr als nur Zeugnisse einer vergangenen Zeit – sie sind lebendige Beispiele für kreatives Bauen, das auch heute noch zum Staunen anregt und Inspiration für die Zukunft bietet.

Neun Jahre Bauzeit – Das Bollwerk Niederpöbel schützt das Osterzgebirge

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Im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge entstand nach verheerenden Hochwasserereignissen ein beeindruckendes Schutzprojekt: Das Hochwasserrückhaltebecken Niederpöbel. Neun Jahre Bauzeit und rund 50 Millionen Euro Investition von Freistaat Sachsen und Bund haben nun zu einem zuverlässigen Bollwerk geführt, das das Osterzgebirge – von Schmiedeberg bis Dippoldiswalde – vor den zerstörerischen Kräften der Natur schützt.

„Am 30. April 2020 wurde der Straßendurchlass freigegeben – die Staatsstraße S183 ist wieder durchgängig befahrbar“, berichtet ein Sprecher der Verantwortlichen. Dieser Durchbruch markiert nicht nur die Wiederherstellung des Verkehrs, sondern auch den erfolgreichen Abschluss eines Projekts, das mit höchster Präzision und modernster Technik umgesetzt wurde.

Ein Projekt mit Weitblick
Das Rückhaltebecken verfügt über eine Speicherkapazität von mehr als einer Million Kubikmeter Wasser. Diese beeindruckende Kapazität wirkt bis zur Talsperre Malter und bietet Schutz bis nach Freital und Dresden. Die Standortwahl fiel bewusst auf das Pöbeltal, wo bei einem 100-jährigen Hochwasser bis zu 70 Prozent der Wassermassen zurückgehalten werden können. „Die Wahl dieses Standorts war essenziell, um die größtmögliche Schutzwirkung zu erzielen“, so ein Projektleiter.

Technik trifft Natur
Das als „grünes Becken“ bezeichnete Bauwerk bleibt im Normalbetrieb trocken. Der Steinschüttdamm, der hier errichtet wurde, erreicht eine Höhe von 28 Metern und weist eine Kronbreite von fünf Metern auf. Besonders bemerkenswert sind die zwei integrierten Durchlässe: ein Straßendurchlass, der durch den Damm führt, und ein Ökodurchlass, der auch den natürlichen Wasserhaushalt berücksichtigt. Die Installation der schweren Verschlüsse – einzelne Bauteile, die bis zu 40 Tonnen wiegen – erforderte den Einsatz eines 400-Tonnen-Krans und sorgte für beeindruckende logistische Herausforderungen.

Erprobung unter Extrembedingungen
Bereits im Februar 2020 wurden höhere Zuflüsse genutzt, um unter realen Wasserlastbedingungen die Funktion der Betriebseinrichtungen zu testen. Unter Einsatz modernster Prozessleitsysteme können die Betreiber aus der Ferne – von der Talsperre Malter aus – alle relevanten Messdaten überwachen und so jederzeit den Überblick behalten. Dennoch betonten die Verantwortlichen, dass im Ernstfall auch vor Ort entschieden eingegriffen werden müsse.

Ein Schutz, der Erinnerungen wachruft
Die Erfahrungen aus dem verheerenden Hochwasser im August 2002 prägen das Handeln der Verantwortlichen bis heute. „Man hat in den verheerenden Zeiten oft zu lange gezögert – das möchte ich nie wieder erleben“, betont Birgit Lange, die den Betrieb Oberes Elbtal leitet. Auch Oberbürgermeisterin Kerstin Körner und weitere Experten weisen darauf hin, dass der Bau des Rückhaltebeckens ein zukunftsweisendes und lebenswichtiges Projekt sei, das die regionale Infrastruktur nachhaltig stärkt.

Mit seiner innovativen Technik und der strategischen Lage im Pöbeltal setzt das Hochwasserrückhaltebecken Niederpöbel ein deutliches Zeichen: In Zeiten des Klimawandels und immer extremer werdender Wetterlagen ist die Investition in moderne Hochwasserschutzanlagen ein entscheidender Schritt zum Schutz von Mensch und Natur.

Die verschollene V2: Ein mysteriöser Raketenstart im Thüringer Wald

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Am 16. März 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ereignete sich in den dichten Wäldern des Jonastals ein mysteriöser Vorfall, dessen Bedeutung bis heute Fragen aufwirft. Der Bericht eines geheimen Raketenstarts einer geflügelten V2-Rakete, der von Zeugen in DDR-Archiven dokumentiert wurde, taucht immer wieder in Spekulationen und Verschwörungstheorien auf. Doch was steckt hinter dieser Geschichte, und warum wurde sie so lange im Verborgenen gehalten?

Die Legende des Jonastals
Das Jonastal, ein abgelegener und schwer zugänglicher Waldabschnitt in Thüringen, war während des Krieges Schauplatz von geheimen militärischen Aktivitäten. In der Nähe befand sich ein unterirdischer Komplex, der als Projekt S3 bekannt war – ein Geheimbau, der als letzter Widerstandsbunker für die Nazis gedacht war, um sich gegen die herannahenden Alliierten zu verteidigen. Der Komplex, der unter Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen errichtet wurde, sollte nach der Kapitulation Berlins eine letzte Verteidigungslinie bilden. Doch das Projekt wurde nie vollendet, und die Historie des Jonastals geriet weitgehend in Vergessenheit.

In den 1990er Jahren, mit der Wiedervereinigung Deutschlands, kamen jedoch Dokumente ans Licht, die von Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs berichteten, dass in der Region am 16. März 1945 eine geflügelte A4-Rakete von einer mobilen Abschussrampe gestartet worden sei. Vier Zeugen bestätigten den Start, einer von ihnen soll die Rakete sogar im Flug gesehen haben. Doch trotz dieser Zeugenaussagen wurde die Geschichte nie vollständig überprüft – und aus unbekannten Gründen wurden die betreffenden Dokumente später von den USA klassifiziert.

Ein verschlossenes Kapitel der Geschichte
Warum wurden diese Berichte geheim gehalten? Und warum verschwanden die Informationen sogar aus der englischen Wikipedia-Seite zur Stadt Ordruf, die ursprünglich von der Verbindung des Jonastals zu geheimen Raketenprojekten sprach? Einige Historiker vermuten, dass die Alliierten nach dem Krieg versuchten, das Wissen über die fortgeschrittenen Raketenprogramme der Nazis zu unterdrücken, um keinen Vorteil daraus zu ziehen. Andere glauben, dass es sich bei der Geschichte um einen Mythos handelt – eine Mischung aus Spekulationen und Legenden, die sich im Laufe der Jahre verselbstständigt haben.

Doch der Glaube an eine mögliche Wahrheit hinter den Berichten bleibt hartnäckig. Tatsächlich gibt es Aufzeichnungen über die Entwicklung einer geflügelten und bemannten V2-Rakete in der Region Erfurt, was die Theorie weiter untermauert. Ebenso gibt es Berichte von KZ-Häftlingen, die angaben, an der Errichtung von Raketenstartrampen im Rahmen des Projekts S3-Olga beteiligt gewesen zu sein. Ob jedoch tatsächlich ein bemannter Raketenstart am 16. März 1945 stattgefunden hat, bleibt unklar.

Die Suche nach der Wahrheit
Die Skepsis gegenüber den Berichten ist verständlich. Einige Historiker und Forscher stellen infrage, ob diese Dokumente tatsächlich authentisch sind oder ob sie nur eine Spinnerei aus der Nachkriegszeit darstellen. Doch gerade in einer Zeit, in der viele Raketenentwicklungen in den 1940er Jahren noch im Dunkeln lagen, bleibt die Möglichkeit bestehen, dass es unbekannte Aspekte der V2-Entwicklung gab, die von der Geschichte verschwiegen wurden.

Was bleibt, ist die Frage, ob die Wahrheit je ans Licht kommen wird. Werden wir jemals erfahren, ob tatsächlich eine geflügelte V2-Rakete in Thüringen gestartet wurde? Oder wird das Jonastal weiterhin ein geheimnisvoller Ort bleiben, dessen Geschichte in den Schatten der Kriegswirren verborgen ist?

Die Diskussion über den Raketenstart und die geheimen Aktivitäten im Jonastal bleibt ein faszinierendes und ungelöstes Rätsel der Geschichte. Doch eines ist sicher: Die Geschichte der V2-Raketen und der Nazi-Rüstungsprojekte wird auch weiterhin die Fantasie und das Interesse von Historikern, Archäologen und Geschichtsinteressierten auf der ganzen Welt anregen.

Jena-Paradies – Ein Blick hinter die Kulissen der DDR-Geschichte

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In einer Welt, in der offizielle Narrative den Zugang zu alternativen Lebensentwürfen zu blockieren versuchten, eröffnet Peter Wensierski in „Jena-Paradies“ ein vielschichtiges Bild einer bewegten Zeit. Der Autor führt uns tief hinein in die tragischen Ereignisse rund um Matthias Domaschk und seinen Freund Peter Rösch, deren Schicksal exemplarisch für den Konflikt zwischen individueller Freiheit und staatlicher Repression in der DDR steht.

Zwischen Rebellion und Repression
Am 10. April 1981 reisten Matthias Domaschk und Peter Rösch nach Ostberlin, um an einer Geburtstagsparty teilzunehmen – ein scheinbar unschuldiger Anlass, der jedoch schnell in ein politisches Minenfeld abdriftete. Inmitten des 10. Parteitags der SED herrschte eine Atmosphäre der Angst: Die Sicherheitsorgane waren alarmiert und versuchten, „negativ-dekadente Jugendliche“ aus der Hauptstadt fernzuhalten. Kurz vor Erreichen Berlins wurden die beiden verhaftet – ein Ereignis, das sich als Wendepunkt erweisen sollte.

Ein Koffer, der mehr enthielt als nur Habseligkeiten
Der Fall nahm eine dramatische Wendung, als ein damals leitender MFS-Mann in Jena auf einen mysteriösen Koffer hinwies – dessen Inhalt unklar blieb. War es ein Transparent, das auf dem Alexanderplatz entrollt werden sollte? Oder gar Sprengstoff? Die ungewisse Bedrohung, die von diesem unscheinbaren Gepäckstück ausging, veranschaulicht eindrücklich den paranoiden Blick des Staates auf alternative Lebensentwürfe und abweichende gesellschaftliche Modelle.

Zwischen den Zeilen der Macht
Wensierski gelingt es, den internen Machtapparat der DDR zu entlarven: Bürokraten und ambitionierte Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, die ihre Karriere vorantreiben wollten, verarbeiteten den Vorfall in ein administratives Gutachten – ein „Erstangriff“ im Stasi-Jargon, der vor allem dazu diente, abweichende Lebensweisen zu kriminalisieren. Die Interviews mit ehemaligen MfS-Mitarbeitern, die erstmals offen über den Fall berichteten, offenbaren dabei eine überraschende Distanz: Trotz der offiziellen Rhetorik begegneten sie dem tragischen Schicksal Domaschks nicht mit Mitgefühl, sondern rein als bürokratische Aufgabe.

Ein tragisches Symbol der Sehnsucht nach Freiheit
Matthias Domaschk, der mutmaßlich Selbstmord beging, wird im Buch zu einem Symbol des Widerstands – nicht nur gegen die repressiven Strukturen der DDR, sondern auch als Mahnmal für den Preis, den junge Menschen für den Wunsch nach Selbstbestimmung zahlen mussten. Sein Tod regt bis heute die öffentliche Diskussion an: Es geht um mehr als nur um ein einzelnes Schicksal. Es ist der Ruf nach Freiheit, nach einem selbstbestimmten Leben ohne die Einmischung staatlicher Machthaber, der Generationen überdauert.

Ein Blick in die Vergangenheit als Wegweiser in die Zukunft
Die Erzählung von Wensierski ist zugleich ein Appell an jede Generation, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Der permanente Perspektivwechsel – zwischen den Augen der Oppositionellen und den einstigen MfS-Mitarbeitern – öffnet einen Raum für Reflexion über den Umgang mit Macht und die Bedeutung von Zivilcourage. Es wird deutlich: Jede Generation muss ihren eigenen Weg finden, um für Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen.

„Jena-Paradies“ ist mehr als nur eine historische Abhandlung – es ist ein lebendiger Bericht, der den Leser in die Tiefen einer bewegten Zeit entführt. Peter Wensierski gelingt es, die Komplexität der DDR-Geschichte in einem packenden Narrativ darzustellen, das die Frage nach dem wahren Wesen von Freiheit und dem Preis des Protests immer wieder neu stellt. So bleibt der Fall Domaschk nicht nur ein Relikt vergangener Tage, sondern ein Mahnmal für die Unveränderlichkeit menschlicher Sehnsüchte nach Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Offenheit.

Jan und Tini unterwegs mit der Silberhummel: Ein Ausflug ins Automobilwerk

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Die Reise von Jan und Tini begann mit einer unerwarteten Panne: Ein geplatzter Reifen an ihrer geliebten „Silberhummel“, ihrem kleinen Auto, das sie durch die Gegend chauffierte. Doch statt sich von der Misere entmutigen zu lassen, hatten die beiden ein Ziel vor Augen: den alten Freund Eddie im Automobilwerk zu finden, um die nötige Hilfe zu erhalten.

Der Weg zu Eddie führte sie zunächst in einen Automobil-Ausstellungspavillon. Hier zeigten die Besucher, wie sich die Fahrzeugtechnik im Laufe der letzten 70 Jahre entwickelt hatte – von den ersten Modellen bis zu modernen Maschinen wie dem Wartburg. Jan und Tini staunten über die Motoren und die beeindruckende Technik hinter den Fahrzeugen. Doch die Frage, die sie am meisten beschäftigte, war die nach Eddie – dem Autobauer, der ihnen bei ihrem Problem mit dem Reifen helfen sollte.

Zunächst entpuppt sich der Pavillon als nichts anderes als eine Ausstellung, und auch in einem Automobilwerk, in das sie schließlich gelangten, waren sie an der falschen Adresse – stattdessen fanden sie einen Koch. Doch das Missverständnis führte sie schließlich direkt zum richtigen Ziel. Bei Eddie, einem Spezialisten im Bremsenwerk, erhielten sie die unerwartete Nachricht, dass sie einen neuen Reifen benötigen würden. Eddie erklärte, dass seine Werkstatt keine Reifen produziert, sondern lediglich montiert. Doch er zeigte ihnen nicht nur die Produktionsstraße, sondern führte sie durch das Werk, wo die Motoren und Fahrgestelle der berühmten Wartburgs und Barkas produziert werden.

Mit einem Auge auf die beeindruckende Technik und dem anderen auf ihrem Ziel – den neuen Reifen für ihre Silberhummel – ging es weiter. Tini, voller Begeisterung, dachte an die Zukunft als Autobauerin oder sogar als Kraftfahrerin. Jan zeigte sich weniger interessiert an der Theorie und eher auf der Suche nach dem praktischen Teil des Abenteuers: dem Ersatzreifen.

Schließlich fanden sie einen Ersatzreifen für ihre „Silberhummel“ und machten sich auf den Weg zurück. Doch die Reise brachte ihnen mehr als nur ein simples Abenteuer. Sie erhielten einen faszinierenden Einblick in die Automobiltechnik, die Entwicklung des Automobilbaus und die Bedeutung der Arbeit im Hintergrund – in einem der Werke, das Fahrzeuge für ganz Europa und sogar für den internationalen Markt produzierte.

Am Ende des Tages kehrten Jan und Tini mit einem erfolgreichen Reifenwechsel zurück, doch ihre Abenteuerlust und ihre Entdeckungen gingen weiter.

Kohle, Licht und Wärme: Im Herz der Lausitzer Braunkohle

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Wenn die ersten Nebelschwaden über den Tagebau Welzow‑Süd ziehen, beginnt ein modernes Schauspiel aus Mensch und Maschine: Gigantische Abraum­bagger legen die bis zu 16 Meter mächtigen Braunkohlen­flöze frei, Förderbrücken transportieren Erdschollen ab, und Förderrinnen geben den Blick frei auf das braune Gold, das seit rund 300 Jahren Licht und Wärme in deutsche Haushalte bringt.

Vom tropischen Urwald zur Energiereserve
Vor etwa 17 Millionen Jahren bedeckten dichte Sumpfwälder die heutige Lausitz. Unter dem Druck von Meerwasser und Sandmassen wandelte sich die pflanzliche Biomasse in Braunkohle um. Noch heute finden Geologen in den Flözen versteinerte Baumstrünke, Nadeln japanischer Schirmtannen oder Reste von Kiefernwurzeln. „Diese organischen Strukturen sind Beleg für die Jugend unserer Braunkohle“, erklärt Dr. Markus Fleischer von der geologischen Abteilung.

Vom Handhaspel zum Baggerriesen
Die ersten Schächte am Butterberg in Bockwitz waren noch manuell: Körbe und Handhaspeln förderten das Brennmaterial ans Tageslicht. Heute beherrschen gigantische Schaufelrad­bagger das Bild. Sie arbeiten im Hoch‑ und Tiefschnitt, tragen pro Hub tausende Tonnen Abraum ab und geben die Rohbraunkohle frei.

Qualitätskontrolle für Millionen Tonnen
Unmittelbar nach dem Abbau werden Flözproben entnommen und ins Labor transportiert. In zwei spezialisierten Einrichtungen ermitteln Chemiker Wasser‑, Asche‑ und Schwefelgehalt sowie Heizwert und Spurenelemente; Petrographen analysieren unter dem Mikroskop die mikroskopischen Bestandteile. Die Daten fließen in ein digitales Flözmodell und steuern später die Aufbereitung: Welcher Bagger liefert welche Qualität, und wie soll der Mischer im Zwischenlager die Kohle beschicken?

Schwarze Pumpe: Herzstück der Energieerzeugung
Täglich fressen sich 36 Züge mit insgesamt 36.000 Tonnen Rohkohle in das Kraftwerk Schwarze Pumpe, das mit 1.000‑Grad‑Flammen Wasserdampf erzeugt. Turbinen drehen sich bis zu 3.000 Mal pro Minute und speisen Energie für bis zu drei Millionen Haushalte ins Netz. Gleichzeitig puffert der Kraftwerk­verbund Schwankungen aus Wind- und Solar­energie: Als Regelenergiepartner sichert er das deutsche Stromnetz ab.

Mehr als nur Strom: Wärme und Baustoffe
Neben Elektrizität liefert das Kraftwerk Heißwasser für Fernwärmenetze und Dampf für industrielle Prozesswärme. Aus dem bei der Rauch­gas­entschwefelung anfallenden Gips entstehen in benachbarten Hallen hochwertige Gipsplatten. Fünf Prozent der gewonnenen Rohbraunkohle werden zu Briketts und Brennstaub veredelt – ohne zusätzliche Bindemittel, aber unter hohem Druck, um Heizkraftwerke im Winter effizient zu versorgen.

Rekultivierung: Neues Leben auf Kippflächen
Kaum jemand ahnt, dass hinter den gewaltigen Grubenlandschaften der Lausitz ein grünes Netzwerk entsteht: Fast 30 Millionen Bäume und Sträucher wurden auf ehemaligen Abraum­kippen gepflanzt. Wo einst Kohlebagger tobten, entstehen heute Mischwälder, Biotope für bedrohte Arten und Naherholungsgebiete für Besucher.

Ausblick: Wandel im Revier
Die Lausitzer Braunkohle steht weiterhin für Versorgungssicherheit und Jobs in der Region. Doch der Druck wächst: Klimaschutzziele, CO₂-Bepreisung und der Ausbau erneuerbarer Energien stellen die Branche vor neue Herausforderungen. In Welzow‑Süd wird deshalb intensiv an CO₂-Abscheidung und -Speicherung geforscht, und die Brikettfabriken erweitern ihr Angebot an umweltfreundlichem Brennstaub.

Die Geschichte der Lausitzer Braunkohle ist mehr als eine Erzählung von Kohle, Licht und Wärme. Sie ist ein lebendiges Beispiel für den Balanceakt zwischen industrieller Tradition und ökologischer Verantwortung. Und sie zeigt: Auch im größten Tagebau Europas kann aus schwarzer Vergangenheit grüüne Zukunft wachsen.

Hermannsbad Bad Muskau: Ein Historisches Kleinod der Gesundheitskultur

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Das Hermannsbad in Bad Muskau, gelegen in der malerischen Landschaft des Muskauer Parks, ist ein bedeutendes Beispiel für die traditionsreiche Bade- und Kurkultur Deutschlands. Ursprünglich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erbaut, entwickelte sich das Bad schnell zu einem Anziehungspunkt für Erholungssuchende und Gesundheitsbewusste aus nah und fern.

Das Hermannsbad wurde 1823 vom Fürsten Hermann von Pückler-Muskau gegründet, einem visionären Landschaftsarchitekten, der auch den Muskauer Park gestaltete. Das Bad war Teil seines umfassenden Plans, den Park nicht nur als ästhetisches, sondern auch als funktionales Erholungsgebiet zu entwickeln. Die Architektur des Bades, mit ihrer eleganten Gestaltung und den harmonischen Proportionen, spiegelte Pücklers Bestreben wider, eine Symbiose von Natur und menschlicher Gesundheit zu schaffen.

In den folgenden Jahrzehnten erlebte das Hermannsbad mehrere Phasen des Aufschwungs und Niedergangs. Besonders im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde das Bad umfangreich modernisiert und erweitert, um den wachsenden Ansprüchen der Gäste gerecht zu werden. Die Heilwasserquellen, die für ihre therapeutischen Eigenschaften bekannt waren, zogen zahlreiche Kurgäste an, die Linderung für verschiedenste Beschwerden suchten.

Während des Zweiten Weltkriegs und der anschließenden DDR-Zeit geriet das Hermannsbad in eine Phase des Verfalls. Die politische und wirtschaftliche Lage führte dazu, dass viele historische Gebäude und Einrichtungen vernachlässigt wurden. Erst nach der Wende 1989 begann eine schrittweise Restaurierung und Wiederbelebung des Bades.

Heute steht das Hermannsbad als denkmalgeschütztes Gebäude wieder im Mittelpunkt des kulturellen und gesundheitlichen Lebens von Bad Muskau. Dank umfassender Renovierungsarbeiten konnte das historische Ambiente erhalten und modernste Einrichtungen integriert werden. Das Bad bietet heute ein breites Spektrum an Wellness- und Gesundheitsangeboten, die auf den traditionsreichen Heilquellen basieren. Besucher können hier entspannen, sich regenerieren und die besondere Atmosphäre des historischen Bades genießen.

Die Bedeutung des Hermannsbad geht über seine medizinischen Angebote hinaus. Es ist auch ein kulturelles Zentrum, das regelmäßig Veranstaltungen, Ausstellungen und Konzerte beherbergt. Dies fördert nicht nur das kulturelle Leben in Bad Muskau, sondern zieht auch Touristen aus aller Welt an, die die einzigartige Verbindung von Geschichte, Kultur und Gesundheit erleben möchten.

Das Hermannsbad in Bad Muskau bleibt ein lebendiges Zeugnis der deutschen Kur- und Bädertradition. Es steht exemplarisch für die gelungene Verbindung von historischen Werten und modernen Ansprüchen und wird weiterhin als Ort der Heilung, Erholung und kulturellen Begegnung geschätzt.

Exklusive Aktenfunde: Das Netzwerk, das Mengele vor der Justiz schützte

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Eine seit mehr als 20 Jahren als verschollen geltende Polizeiakte aus Argentinien gewährt erstmals detaillierte Einblicke in die Fluchtwege und die politischen Verstrickungen von Josef Mengele – dem „Todesengel von Auschwitz“. Sie dokumentiert nicht nur seine Aufenthaltsorte und Tarnidentitäten, sondern legt auch offen, wie argentinische und deutsche Stellen ihn bis Ende der 1950er-Jahre faktisch unbehelligt ließen.

Flucht und Leben in Argentinien
Nach Kriegsende entwanden sich zahlreiche NS-Täter der Strafverfolgung, indem sie über das „Ratlines“-Netzwerk nach Südamerika entflohen. Josef Mengele, 1911 geboren und berüchtigt für seine menschenverachtenden Experimente im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, tauchte in Buenos Aires unter dem Decknamen „Gregor Helmut“ unter. Laut der neu aufgefundenen Akte lebte er in privilegierten Verhältnissen: finanziell abgesichert durch familiäre Hintergründe, frequentierte er das gehobene Viertel Belgrano und bewegte sich in Kreisen ehemaliger Kameraden wie Adolf Eichmann. Anders als Eichmann – dessen bescheidene Unterkunft ihn kaum vor Entdeckung schützte – empfing Mengele mehrmals seinen Sohn aus Deutschland und genoss offenbar einen gewissen Rückhalt im argentinischen Establishment.

Das Netzwerk ehemaliger Nazis
Die Dokumente belegen, dass Mengele Teil eines weit verzweigten Netzwerks war, das sich gegenseitig bei Flucht und Unterkunft unterstützte. Spätestens ab 1956 existierten enge Kontakte zwischen ehemaligen SS‑Offizieren und Teilen der argentinischen Polizei sowie des Militärs. Historiker weisen darauf hin, dass ehemalige NS‑Täter in Argentinien nicht nur Zuflucht fanden, sondern auch ihr Fachwissen – etwa in Foltertechniken – weitergaben und so das spätere Pinochet-ähnliche Regime mitprägten.

Versäumnisse und Komplizenschaft der Behörden
Erst­­­­Ende 1959 stellte die Bundesrepublik Deutschland einen offiziellen Auslieferungsantrag – überraschenderweise erst nach einer privaten Anzeige, nicht auf Betreiben der Justiz. In die Akte eingeschobene Berichte offenbaren, dass Mengele bereits kurz zuvor von argentinischen Fahndern vernommen und mehrfach gewarnt wurde. Soziologe Daniel Feierstein, der sich seit Jahren mit der Nachkriegs-Aufarbeitung in Südamerika beschäftigt, wertet dies als Hinweis auf systemische Sabotage:

„Die Polizei schützte offenbar eigene Informanten, indem sie entscheidende Hinweise entfernte und interne Untersuchungen vertuschte.“

Die wiederaufgetauchte Polizeiakte
Die rund 100 Seiten umfassende Akte war nach Beginn einer ersten Berichterstattung um 2002/2003 spurlos verschwunden. Nun in der Hand eines ehemaligen argentinischen Sicherheitsbeamten, enthält sie:

  • Tarnidentitäten und Reisebewegungen Mengeles zwischen Argentinien, Paraguay und Brasilien
  • Polizeiberichte zur Vernehmung und den zwei Warnungen vor einer nahenden Festnahme
  • Korrespondenz des argentinischen Außenministeriums mit der deutschen Botschaft, die den Auslieferungsantrag dokumentiert
  • Interne Notizen, die auf eine gezielte Behinderung der Ermittlungen hindeuten

Historiker Bogdan Musial, einer der anerkannten Mengele-Experten, hebt besonders hervor, dass die Akte belegt, wie sicher sich der „Todesengel“ fühlte. So stellte er im Februar 1959 unter seinem echten Namen bei der deutschen Botschaft in Buenos Aires einen Passantrag – offenbar ohne Konsequenzen.

Suche in Brasilien und Brasilianische Ermittlungen
Laut den Dokumenten war die argentinische Polizei bereits im Januar 1960 darüber informiert, dass Mengele nach Paraguay geflohen sei. Ab 1963 forderte dann die brasilianische Polizei detaillierte Informationen an, da die Fährten dort endeten. Wie intensiv die brasilianischen Stellen ihn verfolgten, bleibt bis heute unklar. Erst 1979 starb Mengele im brasilianischen Exil – sein Grab wurde 1985 entdeckt und 1992 per DNA-Analyse identifiziert.

Die Rolle des BND und der Bundesrepublik
Zeitgleich gerät der Bundesnachrichtendienst (BND) in die Kritik: Akten deuten an, dass er nach der Aufnahme von DDR-Flüchtlingen auch Verbindungen zu Mengeles Unterstützern pflegte. Historiker bemängeln bis heute die dürftige Aufarbeitung dieser Verflechtungen und sprechen von einem „Erfolg des Nichtermittelns“. Offenbar habe man in Bonn das Thema „Nazi-Fluchtwege“ aus Furcht vor politischen Turbulenzen bewusst heruntergespielt.

Druck auf die Archive und die offene Aufarbeitung
Der Fund der argentinischen Polizeiakte löst Forderungen nach vollständiger Transparenz aus. Menschenrechtsorganisationen und Historiker fordern:

  • Internationale Öffnung aller relevanten Archive in Argentinien, Brasilien und Deutschland
  • Veröffentlichung noch unter Verschluss gehaltener Akten über Mengele und sein Netzwerk
  • Unabhängige Untersuchungskommissionen, die mögliche Staatsverstrickungen aufklären

Nur durch eine lückenlose Dokumentation lasse sich das „System des Wegschauens“ historisch verurteilen und künftigen Generationen als Mahnung dienen.

Mit der Wiederentdeckung der argentinischen Akte beginnt eine neue Phase der Aufarbeitung. Sie verdeutlicht, dass das Überleben eines der berüchtigtsten NS‑Verbrecher kein Zufall war, sondern das Ergebnis eines Geflechts aus politischem Desinteresse, institutionellem Versagen und aktiver Komplizenschaft.

Heinz-Florian Oertel – Zwischen Sport, Politik und Identität

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Heinz-Florian Oertel verkörpert in den Erinnerungen vieler Ostdeutscher eine Ära, in der Sport weit mehr war als nur Wettkampf – er war ein politisches Schlachtfeld. Der kürzlich erschienene Beitrag über Oertel zeichnet das Bild eines Mannes, der sich mit unerschütterlicher Loyalität und einem tief verwurzelten Sinn für seine nationale Identität der DDR verschrieben hat. Die Schilderung seines Werdegangs bietet dabei nicht nur eine biografische Chronik, sondern auch eine kritische Analyse der politisch aufgeladenen Sportberichterstattung jener Zeit.

Der Reporter als Chronist einer politischen Sportära
Im Mittelpunkt des Artikels steht Oertel als Symbolfigur für den DDR-Sportjournalismus. Die Rede wird von ihm als jemand erzählt, der das Gründungsjahr der DDR – 1949 – quasi zum Beginn seiner eigenen journalistischen Karriere erklärte. Damit wird unmissverständlich klar, dass für Oertel Sport und Staat untrennbar miteinander verknüpft waren. In einer Zeit, in der der Kalte Krieg nicht nur die internationale Politik, sondern auch die Sportwelt durchdrang, verstand er es, mit „harten Bandagen“ zu berichten und sein Land bis zum Schluss zu verteidigen. Seine Positionierung als unerschütterlicher Verteidiger der DDR spiegelt dabei auch den Kampf der beiden deutschen Staaten um Anerkennung und Legitimität wider.

Zwischen politischem Engagement und persönlicher Integrität
Der Beitrag stellt zugleich heraus, wie der Sport in der DDR immer als Instrument der politischen Selbstinszenierung genutzt wurde. Oertel wird hier als Reporter beschrieben, der den Druck und die politischen Erwartungen nicht scheute, jedoch auch nie den persönlichen Bezug verlor. Die polemischen Untertöne – etwa die kritische Betrachtung der BRD-Sportführer, die als „Nazi-Sportführer“ tituliert werden – zeigen, wie stark die politischen Fronten auch im Bereich des Sports gezogen waren. Dabei wird Oertels Entscheidung, zu seinen Überzeugungen zu stehen, als authentisch und unbeirrbar porträtiert, selbst wenn ihm dadurch nach der Wende gesondert der Zugang zu gesamtdeutschen Sportreporteraufträgen verwehrt blieb.

Die Ambivalenz eines Lebenswerks
Der Text öffnet auch ein Fenster zu den persönlichen Schicksalsschlägen des Reporters: Neben seinem beruflichen Erfolg und seinem politisch motivierten Engagement muss Oertel den Verlust seiner Tochter verkraften und dennoch den Weg der Selbstbehauptung fortsetzen. Die Reflexion über zentrale Begriffe wie „Liebe“, „Geld“ oder „Erfolg“ offenbart dabei eine gewisse philosophische Tiefe. Es entsteht das Bild eines Mannes, der nicht nur in seinem Beruf, sondern auch im Leben stets darum kämpfte, die Widersprüche zwischen persönlichen Idealen und den politischen Realitäten zu überbrücken.

Die Herausforderung der Erinnerungskultur
In der abschließenden Betrachtung wird deutlich, dass die Debatten um die DDR und deren Sportreporting auch heute noch hochaktuell sind. Oertels Standhaftigkeit und sein Weitblick im Umgang mit seiner Geschichte werden als wichtige Zeugnisse einer vergangenen Ära gewürdigt. Zugleich kritisiert der Beitrag den Umgang mit DDR-Vergangenheitsbewältigung, der oft einseitig auf Stasi-Vorwürfe reduziert. Stattdessen plädiert er für ein differenziertes Erinnern, das die vielfältigen Lebensleistungen – wie die von Oertel – in den Vordergrund rückt.

Heinz-Florian Oertel steht sinnbildlich für einen Journalismus, der sich in den Wirren politischer Umbrüche behauptet hat. Seine Karriere, die von der politischen Instrumentalisierung des Sports geprägt war, zeigt sowohl die Schatten als auch die Glanzlichter einer bewegten Geschichte. Der Beitrag liefert eine eindrucksvolle Analyse, die aufzeigt, wie eng Sport, Politik und persönliche Integrität miteinander verwoben sein können – und wie wichtig es ist, diese Verflechtungen auch heute noch kritisch zu hinterfragen.

Oertels Lebensweg erinnert uns daran, dass die Erinnerung an vergangene Zeiten stets im Spannungsfeld zwischen politischem Kalkül und menschlicher Authentizität stehen muss – eine Lektion, die weit über den Sport hinausreicht.