„Ich bereue nichts“ – Eine Spionin „lebenslänglich verurteilt“ in der Hölle von Bautzen

Sie zählte Panzer, beobachtete Grenzen und riskierte alles für ein wiedervereintes Deutschland. Sigurd Weber spionierte im Auftrag des BND, bis sie verraten wurde. Was folgte, war ein Schauprozess, ein lebenslanges Urteil und die Isolation im berüchtigten Stasi-Gefängnis Bautzen II. Ein Porträt über Mut, Verrat und den hohen Preis der Freiheit.

„Für mich ist das höchste Gut meine Freiheit heute.“ Wenn Sigurd Weber diesen Satz sagt, ist es keine Floskel. Es ist die Bilanz eines Lebens, das 1979 abrupt aus der Bahn geworfen wurde. Die Hamburgerin war keine zufällige politische Gefangene, sie war eine Akteurin im Schattenkrieg der Systeme. Ihr Auftraggeber: der Bundesnachrichtendienst (BND). Ihr Ziel: die SED-Diktatur zu schwächen.

Im Fadenkreuz der Staatssicherheit Alles begann mit dem Wunsch nach einem einigen Deutschland. Sigurd Weber wollte nicht tatenlos zusehen, wie sich der Eiserne Vorhang verfestigte. Auf ihren Reisen in die DDR wurde sie zum Auge und Ohr des Westens. Sie beobachtete Grenzkontrollen, fing Stimmungen in der Bevölkerung auf und spähte militärische Bewegungen aus. „Ich kannte jeden Panzer“, erinnert sie sich heute. Jedes Detail, ob modernes Gerät oder veraltete Technik der sowjetischen Truppen, prägte sie sich ein, um es nach ihrer Rückkehr zu protokollieren.

Unterstützung erhielt sie aus dem Inneren des Systems: Ihr Bruder, ein in der DDR lebender Sanitäter, nutzte seinen Zugang zu Kasernen, um Informationen zu sammeln und per Kurzwelle weiterzugeben. Doch das riskante Doppelleben endete durch Verrat. Eine undichte Stelle führte die Staatssicherheit auf ihre Spur.

Das Urteil: Lebenslänglich Die Verhaftung in Magdeburg markierte den Beginn eines Albtraums. Es folgten zermürbende Verhöre und monatelange Einzelhaft in der Untersuchungshaft, die Weber als „noch leidvoller“ beschreibt als die spätere Strafhaft. Die Stasi wollte sie brechen, doch Weber blieb standhaft.

Vor dem Obersten Militärgericht wurde ihr der Prozess gemacht – ein klassischer Schauprozess. Die Anklage lautete auf Spionage im besonders schweren Fall. Als der Richter ihr das letzte Wort gewährte und nach Reue fragte, antwortete Weber mit einem Satz, der im Gerichtssaal wie ein Paukenschlag hallte: „Ich bereue nichts, ich würde es immer wieder tun.“

Das Urteil war gnadenlos: lebenslange Freiheitsstrafe.

Hinter den Mauern von Bautzen II 1979 verschwanden Sigurd Webers Hoffnungen hinter den gelben Klinkersteinmauern von Bautzen II, dem Sonderhaftlager der Stasi für Staatsfeinde und Spione. Der Alltag war geprägt von militärischem Drill und totaler Überwachung. Um 5 Uhr morgens begann der Tag mit der Meldung „Keine besonderen Vorkommnisse“.

Weber musste Zwangsarbeit leisten, am Fließband in der Produktion – ironischerweise wurden hier Teile für die westdeutschen Opel-Werke gefertigt. Doch schlimmer als die Arbeit war die Stille. „Man hört mehr, als dass man sieht“, beschreibt sie die Schärfung der Sinne in der Isolation. Selbst im Hofgang wurde jedes Lachen, jede Abweichung von der Norm über Lautsprecher gemaßregelt.

Der lange Weg zurück Die Rettung kam schließlich durch die Diplomatie. Im Rahmen eines Agentenaustausches, eingefädelt durch den bekannten DDR-Anwalt Wolfgang Vogel, kam Sigurd Weber frei. Doch die Freiheit fühlte sich zunächst fremd an. Die psychischen Wunden der Isolation saßen tief. Weber berichtet, dass sie sich monatelang in den kleinsten Räumen ihrer Wohnung aufhielt, weil sie die Weite nicht ertragen konnte.

„Zehn Jahre habe ich gebraucht, um wieder ein normaler Mensch zu sein“, gesteht sie. Vier Jahre Therapie waren nötig, um das Trauma der Haft zu verarbeiten.

Heute kehrt Sigurd Weber regelmäßig an den Ort ihres Leidens zurück. Nicht als Opfer, sondern als Mahnerin. In der Gedenkstätte Bautzen berichtet sie als Zeitzeugin von ihrer Geschichte. Es ist ihr Beitrag gegen das Vergessen – und ein Plädoyer für den Wert der Freiheit, den sie so schmerzhaft neu lernen musste.