Manchmal wirkt dieses Land, als lebte es in zwei Zeitzonen zugleich. Draußen, auf den Straßen von Marzahn oder Prenzlauer Berg, brennt die Luft. Drinnen, an den Schreibtischen der Verwaltungen, werden Reformideen produziert, die so realitätsfern sind, dass man sich fragt, ob beide Seiten überhaupt noch dieselbe Sprache sprechen.
Der jüngste Vorschlag der „Zentralen Arbeitsgemeinschaft Jugendklubs“ ist dafür ein exemplarisches Beispiel. Hauptamtlich geleitete Klubs sollen in ehrenamtliche Einrichtungen umgewandelt werden. Im Klartext: Fachkräfte raus, Feierabend-Enthusiasmus rein. Ein Sparmodell, das klingt, als sei es in einem isolierten Sitzungsraum entworfen worden – und nicht im Wissen um die Lage auf der Straße.
Gegen diesen Plan protestieren jetzt acht erfahrene Leiter Berliner Jugendklubs in einem offenen Brief an Kulturminister Dr. Dietmar Keller. Dieser Brief ist nicht irgendein Anliegen aus der Fachverwaltung. Er ist ein Alarmruf aus der Wirklichkeit.
Denn die Realität in den Klubs hat längst nichts mehr mit dem geordneten Freizeitbetrieb der vergangenen Jahre zu tun. Die Unterzeichner beschreiben eine Situation im Ausnahmezustand: wachsender Rechtsradikalismus, eine Drogenflut, die über die offenen Grenzen kommt, zunehmende Beschaffungskriminalität, erste Formen der Prostitution – und eine Jugend, die den Halt verliert.
Ein gesellschaftliches Vakuum hat sich aufgetan. Das alte System ist weggebrochen, das neue noch nicht sichtbar. Die Jugendlichen suchen Orientierung – und sie suchen sie dort, wo man ihnen zuhört: bei den Sozialarbeitern und Klubleitern, die ihre Lebenslagen kennen. Sie vertrauen nicht abstrakten Strukturen, sondern Menschen mit Kompetenz.
Genau in diesem Moment die Fachkräfte abzuziehen, wäre ein Fehler mit historischen Dimensionen. Internationale Studien zeigen: Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten ist hochqualifizierte Sozialarbeit. Neonazis, Dealern oder gefährdeten Jugendlichen lässt sich nicht mit gutem Willen begegnen. Man braucht Erfahrung, pädagogische Stabilität und professionelle Präsenz.
Die Forderung der Klubleiter ist daher zwingend: keine Kürzungen, sondern ein Sofortprogramm für Qualifizierung. Mehr geschultes Personal, nicht weniger. Denn Jugendklubs sind derzeit häufig der letzte Damm gegen ein Abrutschen ganzer Milieus.
Herr Minister Keller, dieser Brief liegt nun auf Ihrem Tisch. Er ist ein Stück Zeitdiagnose – und eine Handlungsaufforderung. Ein Zurückfahren der Professionalität wäre ein sozialpolitischer Bankrott. Die Jugend braucht jetzt Orientierung, nicht ehrenamtliche Symptombehandlung. Es geht um nicht weniger als die Zukunft einer Generation.