Die Seele der Demokratie steht auf dem Spiel

Ich bin 1989 auf die Straße gegangen. Für mich war das Entscheidende nicht, dass es freie Wahlen geben sollte, nicht, dass man endlich reisen durfte. Der eigentliche Durchbruch war die Meinungsfreiheit. Der Moment, in dem man seine Meinung sagen konnte, ohne Angst vor Repressionen haben zu müssen. Und jetzt, 35 Jahre später, stehen wir wieder an demselben Punkt. Mit einem bitteren Unterschied: Heute haben wir die Gesetze, die uns Meinungsfreiheit nach Grundgesetz zusichern – und doch müssen wir wieder darum kämpfen. Denn was nützen die schönsten Verfassungsartikel, wenn das Klima so ist, dass man für das Äußern einer abweichenden Meinung mit Konsequenzen rechnen muss? Ich weiß, wovon ich rede. Und genau darin liegt das eigentliche Problem.

Der Hauptgrund sind die Medien. In jeder Gesellschaftsordnung ist Macht gefährlich, auch in der Demokratie. Denn auch demokratisch verliehene Macht verformt den Charakter: Sie macht überheblich, sie weckt den Größenwahn, sie lässt Menschen glauben, über anderen zu stehen. Macht ist nur dann konstruktiv, wenn sie kontrolliert wird.

Die wahre Stärke der Demokratie liegt nicht allein in der Gewaltenteilung, sondern in Artikel 5: freie Medien, freie Meinungsäußerung, die Kraft des Widerstreits. Genau darin liegt das Korrektiv. Doch wenn diese Stärke erodiert – und das geschieht heute, weil viele Journalisten lieber Teil der Macht sind, statt sie zu kontrollieren – verliert die Demokratie ihre schärfste Waffe. Dann endet die konstruktive Macht.

Wenn wir die Meinungsfreiheit verlieren, verlieren wir nicht nur ein Recht – wir verlieren die Seele der Demokratie. Doch noch haben wir die Chance, sie zu bewahren. Meinungsfreiheit ist kein Geschenk, das man einmal bekommt. Sie ist ein Schatz, den jede Generation neu verteidigen muss – und sie ist es wert, ihn zu verteidigen.