Der Straßenverkehr der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wird oft als grau und eintönig wahrgenommen, dominiert von den bekannten Trabanten und Wartburgs. Doch die Realität war weitaus vielfältiger und faszinierender, wie ein Blick auf die Fahrzeuggeschichte zeigt. Von heimischen Kleinwagen über Importe aus befreundeten sozialistischen Staaten bis hin zu westlichen Luxuslimousinen – die DDR-Bürger und ihre Funktionäre bewegten sich in einem erstaunlich breiten Spektrum von Fahrzeugen.
Die Ikonen aus heimischer Produktion: Trabant und Wartburg
Das wohl bekannteste Geräusch des DDR-Straßenverkehrs war das Knattern des Trabant 601 mit seinem 26 PS starken Zweitaktmotor. Der Trabant, liebevoll auch „Kugelporsche“ genannt, entwickelte sich über die Jahre zum wohl bekanntesten DDR-Pkw. Seine Geschichte begann mit Übergangslösungen wie dem P70, der bereits Mitte der 50er Jahre bis zu 100 km/h schnell war und als Coupé, Kombi oder Limousine erhältlich war. Nachfolgemodelle wie der P50 (anfänglich 18 PS, später 20 PS) und der P60 (23 PS) ebneten den Weg für den kantigeren und moderner aussehenden Trabant 601, der ab Juli 1964 in Serie ging. Obwohl die Produktion 1991 mit dem Trabant 1.1 mit Viertaktmotor eingestellt wurde, sind die robusten Zweitakter dank zahlreicher Liebhaber und sparsamer Gemeinden wie Lohmen immer noch auf den Straßen unterwegs. Eine Besonderheit war der „Hycomat“, eine elektrohydraulische Kupplung, die seit 1965 vor allem für Behinderte produziert wurde.
Der Wartburg, benannt nach dem Eisenacher Wahrzeichen, stand im DDR-Fahrzeugbau für „etwas mehr Luxus“. Die Produktion des Wartburg 311 startete 1956 in den Automobilwerken Eisenach, wo zuvor BMW- und F9-Modelle gefertigt wurden. Der Dreizylinder-Zweitaktmotor des 311 erzeugte 37 PS und erreichte Höchstgeschwindigkeiten jenseits der 100 km/h. Besonders bekannt ist der geräumige Wartburg 311 Camping, auch „Schneewittchen Sarg“ genannt. Bis Mitte der 60er Jahre wurde der 311 stetig weiterentwickelt, wobei überarbeitete Motoren bis zu 50 PS leisteten. Ein praktischer Trick zur Schonung der Kupplung war der Freilauf. Ab den frühen 60er Jahren wurden Wartburgs, einschließlich der Nachfolger 353er, auch nach England exportiert und erfreuten sich großer Beliebtheit. Der Wartburg 353 kam ab 1967 mit einer völlig neuen, kantigeren Karosserie und vollsynchronisiertem Getriebe daher, spätere Modelle verfügten über Knüppelschaltung und Scheibenbremsen.
Ein wahres Universalgenie im DDR-Fahrzeugbau war der Barkas B1000. Angetrieben vom Wartburg-Motor, musste dieser jedoch wesentlich höhere Lasten bewegen (bis zu 750 kg erlaubte Nutzlast). Der Motor war so nah am Fahrer platziert, dass sogar während der Fahrt Feinheiten der Zündungseinstellung vorgenommen werden konnten. Auch die Produktion des Barkas endete 1991, da ein Viertaktmotor (B1000-1) das Überleben auf dem gesamtdeutschen Automarkt nicht sichern konnte.
Importe aus dem „Bruderstaat“: Vielfalt aus Osteuropa
Neben den heimischen Produktionen prägten zahlreiche Importfahrzeuge aus anderen sozialistischen Ländern das Straßenbild der DDR:
• Skoda (Tschechoslowakei): Ab 1964 begann in Mladá Boleslav die Ära der Heckmotor-Modelle von Skoda. Der Skoda 1000 MB war der erste, der serienmäßig in die DDR exportiert wurde, insgesamt etwa 60.000 Stück. Er galt als zuverlässiger Reisebegleiter mit leichtgängiger Lenkung. Nachfolger wie der S100 (ab 1969) und später die Modelle S105 und S120 (bis Ende der DDR importiert) behielten den Heckmotor bei, wodurch der Kofferraum vorn platziert war. Ein Unterschied bei den späteren Modellen war die links angeschlagene Kofferraumklappe, die ein Hochschlagen während der Fahrt verhinderte.
• Lada (Sowjetunion): Der russische Lada, ein Lizenzbau des Fiat 124, wurde zum heimlichen Star der DDR-Kriminalserie „Polizeiruf 110“ und kam größtenteils „von der Stange“. Für die harten russischen Winter wurde die Konstruktion modifiziert, unter anderem mit einer besseren Heizung. Ab 1972 wurden Ladas in die DDR exportiert und waren sehr begehrt, da sie westlichem Standard nahe kamen. Ab 1976 punktete Lada auch mit dem Geländewagen Niva, der jedoch Privatpersonen vorenthalten blieb und vor allem in der Forstwirtschaft und bei der Volkspolizei zum Einsatz kam.
• Polski Fiat 125 P (Polen): Ebenfalls eine Fiat-Lizenzproduktion, teilte er viele Gemeinsamkeiten mit dem Lada 1500, zeigte aber auch Unterschiede in Front, Heck und Motor.
• Zastava (Jugoslawien): Basierend auf dem Fiat 128, galt der jugoslawische Fiat als Geheimtipp in Sachen Verarbeitungsqualität. Aufgrund geringer Importzahlen war er jedoch sehr selten auf den Straßen der DDR anzutreffen und dementsprechend begehrt.
• Dacia (Rumänien): Seit Mitte der 70er Jahre wurde der rumänische Dacia 1300 in die DDR exportiert. Die Fabrik in Pitești wurde in Kooperation mit Renault ausgebaut. Der Dacia 1300 war spartanisch ausgestattet, aber dennoch ein Oberklasse-Auto. Er galt als sehr reparaturanfällig, mit Schwächen wie müden Hinterfedern und Vergaservereisung, was zu kreativen Bastellösungen wie Bierdeckeln als Kälteschutz führte. Der Nachfolger Dacia 1310 bot etwas mehr Komfort und ein moderneres Aussehen.
• Moskwitsch (Sowjetunion): Der „Moskauer Pkw“, dessen Produktion 1947 startete, fand 1963 seinen Weg in die DDR und war vor allem als Firmenwagen oder Taxi unterwegs. Sein 1500 Kubikzentimeter Motor mit 75 PS machte ihn attraktiv. Ein großer Nachteil war jedoch die „minderere Blech Qualität“, die schnell zu Rost führte. Trotz seiner Beliebtheit wurde der Export in die DDR ab 1979 eingestellt.
• Zaporozhets (Ukraine): Der winzige Ukrainer, nur 3,70 m lang und 1,30 m breit, war extrem preiswert, bot aber kaum Komfort. Er bekam zahlreiche Spitznamen wie „Russenpanzer“, „Taiga Trommel“ oder „Zappelfrosch“. Sein luftgekühlter V4-Motor wurde stetig weiterentwickelt und erreichte 45 PS. Eine kuriose Besonderheit war die Möglichkeit, ihn mit einer Kurbel zu starten. Der Kofferraum befand sich vorn und war meist mit Werkzeug statt Gepäck gefüllt.
• Tatra (Tschechoslowakei): Die luxuriösen Pkw von Tatra, benannt nach dem höchsten slowakischen Gebirge, gehörten zu den ältesten Automarken der Welt. Modelle wie der kantige Tatra 613 und sein Vorgänger 603 waren mit luftgekühlten V8-Heckmotoren ausgestattet, die 160 PS leisteten. Nur knapp 3000 Stück des Modells 603 wurden in die DDR exportiert, weshalb der Tatra fast ausschließlich der sozialistischen Elite aus Politik und Wirtschaft vorbehalten war – ein wahrer „Funktionärsschlitten“. Er wird nicht umsonst als „Ferrari des Ostens“ bezeichnet.
• Wolga (Sowjetunion): Seit 1932 wurden in Nischni Nowgorod Autos unter dem Namen GAS gebaut, später ergänzt um den Zusatz Wolga. Der erste echte Wolga, der M21, war bekannt für seine Dreigang-Lenkradschaltung, durchgehende vordere Sitzbank und viel Chrom. Trotz seines Gewichts von 1,4 Tonnen erreichte er bis zu 135 km/h. Er galt als „Spritfresser“ (12-14 Liter/100km). Später wurde der Wolga GAS 24 eingeführt, der bis zu 150 km/h schnell war und einen noch höheren Benzinverbrauch hatte, weshalb einige Modelle auf Gasbetrieb umgerüstet wurden. Wolgas wurden in der DDR hauptsächlich als Taxis, Behördenfahrzeuge und Einsatzfahrzeuge der Volkspolizei eingesetzt.
• Chaika (Sowjetunion): Der Chaika, was auf Russisch „Möwe“ bedeutet, war das chromblitzende Regierungsfahrzeug der DDR. Diese Luxuskarossen waren extrem selten (nur sehr wenige Exemplare in der DDR) und den Normalbürgern nur bei offiziellen Anlässen zu Gesicht. Mit über zwei Tonnen Leergewicht und einem kräftigen 5,8-Liter-V8-Motor (195 PS) war der Chaika eine imposante Erscheinung, aber auch extrem durstig (geschätzte 20-25 Liter/100km). Es gab ihn in verschiedenen Varianten, darunter als Limousine, gepanzertes Fahrzeug, Kombi und Krankenwagen.
Exoten aus dem Westen: Wenn der Klassenfeind chauffiert
Die Rohstoffknappheit und neue Bedürfnisse führten dazu, dass ab den 80er Jahren auch Fahrzeuge des „Klassenfeindes“ ihren Weg in die DDR-Führungsriege fanden. Ein Beispiel hierfür ist der Volvo 760 GLE, der im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) als Regierungsfahrzeug eingesetzt wurde. Diese Volvos waren für die besonderen Bedürfnisse der Funktionäre umgebaut und 30 cm länger als die Serienmodelle, ausgestattet mit Features wie einer Klimatronic (im Jahr 1984 eine Seltenheit) und Sonderbeschleunigung. Die abenteuerliche Erklärung für diesen Import war, dass der Kauf von Tatras aus der Tschechoslowakei aufgrund hoher Entwicklungskosten zu teuer gewesen wäre, während die Volvos aus Schweden wesentlich günstiger zu erwerben waren. Neben Volvo fanden auch andere westliche Importfahrzeuge wie einige Tausend Citroën, VW Busse (für Selbstständige), Mazda (im Rahmen eines Joint Ventures mit Japan) und wenige Peugeot ihren Weg in die DDR.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der DDR-Straßenverkehr keineswegs nur „grau und trist“ war. Unzählige Sammler sind auch heute noch von der Vielfalt und der Geschichte des Pkw-Baus in den ehemaligen sozialistischen Bruderländern begeistert. Und so mancher Trabant, Wartburg oder Lada rollt auch heute noch, ein lebendiges Zeugnis einer vergangenen Ära.