
Im historischen Paul-Löbe-Haus wurde am 8. April 2025 eine außergewöhnliche Ausstellung eröffnet, die ein düsteres Kapitel der deutschen Geschichte in den Fokus rückt: „Staatssicherheitsinhaftierung: 100 Porträtaufnahmen 2023 – 2024“. Unter der patronierenden Hand der Bundestagspräsidentin Julia Klöckner präsentiert die Ausstellung eindrucksvolle, radikal schwarz-weiße Porträts von ehemaligen politischen Häftlingen der DDR, welche die brutalen Repressionen und unmenschlichen Haftbedingungen jener Zeit dokumentieren.
Ein Fenster zur Vergangenheit
Die Ausstellung, kuratiert von dem renommierten Berliner Fotografen André Wagenzig, stellt 100 Augenpaare in den Mittelpunkt – jeder Blick ein direkter Appell, der den Betrachter unweigerlich fesselt. Die Porträts, die lediglich mit Namen, Geburtsdaten, Geburtsort, Haftgrund, Haftort und Haftdauer untertitelt sind, sprechen Bände über das individuelle Leid und die oftmals brechenden Erfahrungen der Zeit. Sie rufen eindrucksvoll das Bild eines repressiven Systems hervor, das nicht nur anonym Aktenordner füllte, sondern konkrete Schicksale zerstörte.
Systematische Repression in der DDR
In der vierzigjährigen Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) von 1949 bis 1989 inhaftierten die Sicherheitsorgane etwa 250.000 Menschen aus politischen Gründen. Die massenhafte Verfolgung von vermeintlichen und tatsächlichen Gegnern der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sowie politisch unliebsamen Personen war ein häufig angewendetes Mittel, mit dem die Partei die sozialistische Diktatur gegen Widerstände durchsetzte, stabilisierte und sicherte. Dieses düstere Kapitel der deutschen Geschichte bildet den Hintergrund der Ausstellung und verleiht den radikal inszenierten Bildern ihren erschütternden historischen Kontext.
Porträts als stille Zeugen
Wagenzigs künstlerisches Konzept, die Existenz der Zeitzeugen so minimalistisch darzustellen, setzt auf die pure Kraft des direkten Blicks. Das schlichte, kontrastreiche Schwarz-Weiß der Fotografien entzieht sich jeder romantisierenden Ästhetik und verstärkt die Präsenz der oft schmerzlichen Realität. „100 Augenpaare, direkte Blicke in die Kamera“ – diese knappe Formulierung bringt das Anliegen der Ausstellung auf den Punkt: Es geht darum, nicht nur visuell zu dokumentieren, sondern den Menschen hinter den Aktenordnern wieder ein Gesicht und einen Namen zu geben.
Die Stimme der Zeitzeugen
Die Ausstellung gewährt auch Einblicke in das persönliche Erleben der Repression. Einer der Zeitzeugen schildert bewegend seine 10 Tage im Dunkelarrest – Tage, die geprägt waren von erdrückender Isolation, dem Schlafen auf dem harten Boden und einer entmenschlichenden Behandlung. „Ich lasse mich nicht brechen, obwohl mein Vernehmer sagte: ‚Wir werden psychisch sprechen‘“, berichtet er mit trotzigem Stolz. Diese individuelle Erzählung steht sinnbildlich für den unbeugsamen Widerstandsgeist, der in unzähligen Schicksalen der DDR-Häftlinge mitschwingt und der in den Augen der Betrachter weiterlebt.
Historische Dimension und politische Mahnung
Die Ausstellung macht unmissverständlich deutlich, wie das autoritäre Regime der DDR seine Macht sichern wollte. Die systematische Inhaftierung von etwa 250.000 Menschen ist ein Mahnmal, das daran erinnert, mit welchen Mitteln die SED ihre diktatorische Ordnung durchsetzte. Diese gezielte Verfolgung politischer Gegner und unerwünschter Persönlichkeiten diente nicht nur der Machterhaltung, sondern auch der Unterdrückung von abweichenden Meinungen und dem Widerstand gegen das System. Die Ausstellung zeigt, dass die Grundlagen unserer heutigen Demokratie – Freiheit und Menschenwürde – auf dem Widerstand und der Beharrlichkeit jener aufgebaut sind, die sich der Repression nicht beugen ließen.
Ein Ort des Erinnerns und der Aufklärung
Der Veranstaltungsort, das Paul-Löbe-Haus im Deutschen Bundestag, ist symbolisch gewählt. Als Sitz des politischen Herzens der Bundesrepublik steht es im starken Kontrast zu den düsteren Bildern und der autoritären Vergangenheit der DDR. Hier wird die Auseinandersetzung mit der Geschichte zum lebendigen Akt der Erinnerung und Aufklärung. Neben den beeindruckenden Bildern bietet die Ausstellung auch Raum für öffentliche Führungen mit Zeitzeugen, die den Dialog fördern und den Betrachtern die Möglichkeit geben, die bewegenden Hintergründe aus erster Hand zu erfahren.
Nachhaltige Wirkung und persönliche Aufarbeitung
Nicht nur politisch, sondern auch persönlich wirkt die Ausstellung. Viele ehemalige Opfer der DDR-Staatssicherheit finden in diesem Projekt die Möglichkeit, ihre Erlebnisse zu verarbeiten und sich öffentlich Gehör zu verschaffen. Der Austausch über erlebte Grausamkeiten und die individuelle Überwindung der repressive Erfahrungen bieten Hoffnung und Trost. Für den Fotografen André Wagenzig, der selbst zu den politischen Häftlingen gehörte, ist dieses Projekt auch ein persönlicher Akt der Aufarbeitung und ein Zeugnis darüber, wie sich das eigene Schicksal in den Bildern widerspiegelt.
Ein eindrucksvoller Appell gegen das Vergessen
„Staatssicherheitsinhaftierung: 100 Porträtaufnahmen 2023 – 2024“ ist weit mehr als eine fotografische Ausstellung: Sie ist ein eindringlicher Appell, das Leid und die Unmenschlichkeit der Vergangenheit niemals vergessen zu lassen. Die intensiven Blicke, die knappen, aber aussagekräftigen Untertitel und die bewegenden persönlichen Berichte ziehen den Betrachter in einen Dialog mit der Geschichte hinein, der weit über eine rein ästhetische Erfahrung hinausgeht. Die Ausstellung erinnert daran, dass Freiheit und Menschenwürde niemals als selbstverständlich angesehen werden dürfen und dass das Gedenken an die Verfolgten ein unverzichtbarer Teil der demokratischen Gegenwart und Zukunft ist.