Der pragmatische Bürgermeister von der AfD für Raguhn-Jeßnitz

Ein Bürgermeister von der AfD | ARTE Re:

Die kleine Stadt Raguhn-Jeßnitz im Landkreis Anhalt-Bitterfeld hat sich unverhofft ins Zentrum der deutschen Politik gerückt. Mit der Wahl von Hannes Loth zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister der AfD hat die Gemeinde ein politisches Erdbeben ausgelöst. Die Wahl eines Vertreters einer Partei, deren Landesverband in Sachsen-Anhalt vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird, hat die ohnehin fragile Gemeinschaft der 9.000 Einwohner*innen gespalten. Während einige auf pragmatische Kommunalpolitik hoffen, fürchten andere eine schleichende Radikalisierung.

Ein Pragmatiker mit AfD-Parteibuch
Hannes Loth selbst gibt sich betont bodenständig und abwägend. „Meine Mitgliedschaft in der AfD ist auf kommunaler Ebene unwichtig“, sagt er in einem Interview. Seine Schwerpunkte seien Themen, die die Menschen vor Ort direkt betreffen: die Sanierung von Straßen, die Unterstützung des lokalen Mittelstands und die Verbesserung der kommunalen Infrastruktur. Loth möchte beweisen, dass er auch als AfD-Politiker „ganz normale“ Politik machen kann.

Doch seine Zugehörigkeit zur Partei bleibt nicht ohne Konsequenzen. Die AfD Sachsen-Anhalt wird vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus geführt. Kritiker werfen Loth vor, die politische Normalisierung einer Partei voranzutreiben, die sich öffentlich gegen demokratische Grundwerte positioniert hat.

Lokale Herausforderungen – und politische Spannungen
Die Stadt Raguhn-Jeßnitz steht vor erheblichen Herausforderungen. Die kommunalen Finanzen sind angespannt, viele Projekte stagnieren seit Jahren. Vor diesem Hintergrund sahen viele Wähler*innen offenbar in Loth eine Alternative zu bisherigen Verwaltungspraktiken.

Für Gudrun Dietsch, eine ehemalige SPD-Politikerin und Mitglied der Freien Wählergruppe, ist die Wahl jedoch ein schwerer Schlag. Sie kennt Loth seit seiner Kindheit und versteht nicht, warum er sich einer Partei wie der AfD angeschlossen hat. Dennoch sieht sie sich gezwungen, im Interesse der Gemeinde mit ihm zusammenzuarbeiten. „Wir müssen miteinander reden, denn die Probleme der Stadt verschwinden nicht von allein,“ sagt sie. Doch die Zusammenarbeit fällt ihr schwer: „Es bleibt immer dieses ungute Gefühl, dass man jemandem hilft, dessen Partei demokratiefeindliche Ziele verfolgt.“

Polarisierung im Stadtrat
Die Wahl Loths hat den Stadtrat gespalten. Während einige Ratsmitglieder seine Wahl als Chance für einen Neuanfang sehen, kämpfen andere gegen die Symbolik an, die mit einem AfD-Bürgermeister einhergeht. Besonders fürchten sie, dass die Stadt zu einem Testfeld für rechtspopulistische Kommunalpolitik werden könnte. In der ersten Stadtratssitzung nach Loths Amtsantritt war die Anspannung deutlich spürbar. Viele Entscheidungen werden kontrovers diskutiert, und das gegenseitige Vertrauen scheint zu fehlen.

Die Perspektive der Einwohner*innen
Unter den Bürgerinnen der Stadt sind die Meinungen über die Wahl gespalten. Eine Gruppe von Anwohnerinnen hat eine Petition gestartet, die sich gegen die Zusammenarbeit mit Loth richtet. Sie fordern, dass die demokratischen Parteien im Stadtrat klare Grenzen ziehen und keinen Beschlüssen zustimmen, die aus seiner Feder stammen. Andere, wie der lokale Unternehmer Michael H., verteidigen die Wahl: „Hannes Loth will, dass hier endlich etwas vorangeht. Ob er AfD-Mitglied ist oder nicht, spielt für mich keine Rolle, solange er die Arbeit macht.“

Doch diese Haltung stößt auf Widerspruch. Lisa K., eine Lehrerin an der ortsansässigen Grundschule, sieht die Wahl als Zeichen einer bedenklichen Entwicklung: „Die Menschen hier haben vielleicht aus Protest gegen die etablierten Parteien gewählt, aber sie ignorieren, welche Signale sie damit senden. Das macht mir Angst.“

Kommunalpolitik unter Beobachtung
Loth versucht, sich auf pragmatische Politik zu konzentrieren, doch die politische Großwetterlage holt ihn immer wieder ein. Sein Amtsantritt wird nicht nur lokal, sondern bundesweit beobachtet. Vertreter der etablierten Parteien betonen, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben dürfe. Gleichzeitig führt Loths Wahl zu internen Debatten darüber, wie demokratische Parteien in ähnlichen Situationen handeln sollten.

Die nächsten Monate werden zeigen, ob Hannes Loth tatsächlich in der Lage ist, die Stadt voranzubringen, oder ob die Spaltungen in der Gemeinschaft weiter vertieft werden. Sicher ist jedoch, dass Raguhn-Jeßnitz bereits jetzt zu einem Symbol für die wachsende Bedeutung der AfD auf kommunaler Ebene geworden ist. Für viele stellt sich die Frage: Ist dies ein Einzelfall oder ein Vorbote für eine breitere Akzeptanz der Partei in der Provinz?

Ein Riss, der bleibt
Obwohl die Wahl in Raguhn-Jeßnitz auf lokaler Ebene entschieden wurde, zeigt sie, wie stark nationale und regionale Entwicklungen das Leben in kleinen Gemeinden beeinflussen können. Für Gudrun Dietsch und viele andere in der Stadt bleibt die Hoffnung, dass die demokratischen Prinzipien auch in schwierigen Zeiten gewahrt bleiben. Doch die Risse in der Gemeinschaft werden wohl noch lange sichtbar bleiben.

Redakteur/Blogger/Journalist/Chronist: Arne Petrich

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