Die Vieldeutigkeit des Kommunismus: Eine Analyse der kommunistischen Parteien in Deutschland“

Wie kommunistisch war die DDR? Fünf Fragen an Dr. Stefan Wolle

In einer tiefgreifenden Analyse beleuchtet der Historiker und Politikwissenschaftler Dr. Stefan Wolle, Wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums, die verschiedenen Facetten des Begriffs „Kommunismus“ in Bezug auf die politischen Strukturen in der DDR sowie in anderen sozialistischen Ländern wie Polen, Ungarn, Rumänien und Albanien. Der Aufstieg und die Gestaltung der sozialistischen Parteien in diesen Ländern waren stark von historischen, politischen und kulturellen Kontexten geprägt, was zu unterschiedlichen Ausprägungen und Wahrnehmungen des Kommunismus führte.

1. Unterschiedliche Benennung der Parteien
Ein zentrales Argument ist, dass in vielen osteuropäischen Ländern, einschließlich der DDR, der Begriff „kommunistisch“ bewusst vermieden wurde. So schlossen sich in der sowjetischen Besatzungszone die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) im Jahr 1946 zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zusammen. Diese Fusion sollte die Interessen beider Seiten wahren, und daher wurde der Begriff „Kommunismus“ in offiziellen Zusammenhängen weitgehend ausgeklammert. Dies spiegelte die Notwendigkeit wider, eine breitere politische Basis zu schaffen, um die Macht der neuen Partei zu legitimieren und um die Zustimmung der Bevölkerung zu gewinnen.

Die SED war ein Zusammenschluss, der die sozialistischen und kommunistischen Ideale vereinen wollte, jedoch ohne den Begriff „kommunistisch“ zu verwenden. Diese politische Strategie wurde bis zur Umbenennung der SED in „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS) im Januar 1990 beibehalten. Der Historiker merkt an, dass dies dazu beitrug, eine Distanz zu dem negativ besetzten Begriff „Kommunismus“ aufrechtzuerhalten, der insbesondere nach dem Fall des Sozialismus in der DDR stark diskreditiert war.

2. Der Stellenwert von KPD und DKP
In Bezug auf die KPD und die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) stellt der Historiker fest, dass diese Parteien zwar in der Tradition des Kommunismus standen, jedoch in der politischen Realität Deutschlands kaum Einfluss hatten. Die KPD war in der sowjetischen Besatzungszone aktiv, während die DKP in Westdeutschland agierte. Beide Parteien hatten jedoch nicht die politische Relevanz und den Einfluss, den die SED in der DDR hatte. Die KPD wurde 1956 vom Bundesverfassungsgericht verboten, und die DKP, die 1968 wieder ins Leben gerufen wurde, hatte ebenfalls keinen nennenswerten Einfluss auf die politische Landschaft in Westdeutschland.

Die Unterscheidung zwischen diesen Parteien und der SED zeigt, wie der Begriff „kommunistisch“ in der politischen Debatte verwendet wurde. Es wurde argumentiert, dass die KPD und die DKP nicht kommunistischer als die SED waren, was die Schwierigkeiten verdeutlicht, den Begriff im deutschen politischen Diskurs zu definieren und zu bewerten.

3. Die Komplexität des Begriffs „Kommunismus“
Der Historiker thematisiert die Mehrdeutigkeit des Begriffs „Kommunismus“ und seine Verwendung in verschiedenen Kontexten. Einerseits bezieht sich der Begriff auf die politische Bewegung und die Parteien, die sich dem Kommunismus verschrieben haben, wie die Kommunistische Partei der Sowjetunion oder die SED. Andererseits bezeichnet er auch die utopische Vision einer klassenlosen Gesellschaft, die nach marxistisch-leninistischer Auffassung nach dem Sozialismus kommen sollte.

Es wird deutlich, dass der tatsächliche Kommunismus, wie er in der Praxis existierte, nie die in der Theorie postulierte ideale Gesellschaft erreicht hat. Dennoch bleibt der Begriff im Diskurs um die politische Vergangenheit stark aufgeladen und wird in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Die Komplexität des Begriffs spiegelt sich auch in der Wahrnehmung des Kommunismus in der Öffentlichkeit wider, wo er oft synonym mit der praktischen Umsetzung durch die bestehenden sozialistischen Regierungen verwendet wird.

4. Wahrnehmung in Osteuropa
Im Vergleich dazu haben Länder wie Polen, Ungarn und die Tschechische Republik wenig Hemmungen, von „kommunistischen Diktaturen“ zu sprechen. In diesen Ländern ist der Sprachgebrauch klarer und unmissverständlicher, was die Rolle der kommunistischen Parteien angeht. Die Parteien, die dort an der Macht waren, nannten sich oft „Arbeiterparteien“, aber die historische Bewertung dieser Regime ist eindeutig als kommunistisch gekennzeichnet. Dies verdeutlicht eine andere kulturelle und historische Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in diesen Ländern.

In Deutschland hingegen gibt es eine gewisse Zurückhaltung, den Begriff „kommunistische Diktatur“ zu verwenden, was auch mit der komplizierten Identität der SED und ihrer Nachfolgepartei zusammenhängt. Der Historiker erklärt, dass die Menschen in Deutschland oft lieber von der „SED-Diktatur“ sprechen, da die SED sich selbst nie als kommunistisch bezeichnet hat. Diese Differenzierung hat dazu geführt, dass der Begriff „Kommunismus“ in Deutschland nach wie vor positiv besetzt ist, was die Diskussion um die kommunistische Vergangenheit erschwert.

5. Psychologische und gesellschaftliche Aspekte
Abschließend verweist der Historiker auf psychologische Aspekte, die das Verhältnis zu dem Begriff „Kommunismus“ in Deutschland prägen. Der Begriff wird von vielen als positiv und mit fortschrittlichen Idealen assoziiert, was die Akzeptanz von Formulierungen wie „kommunistische Diktatur“ behindert. Diese Wahrnehmung führt dazu, dass die deutsche Gesellschaft sich schwer tut, die eigene Geschichte und die Rolle der SED in einem klaren Licht zu betrachten.

Die Reflexion über die Begriffe und ihre Bedeutung im politischen Diskurs ist also nicht nur eine Frage der Sprachwissenschaft, sondern hat auch tiefere gesellschaftliche und historische Implikationen. Diese Debatten sind entscheidend für das Verständnis der Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Geschichte in Deutschland und darüber hinaus.

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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