Es ist eine Geschichte von Stahl, Schweiß und Schnaps bei minus 50 Grad. Während die Welt im Kalten Krieg den Atem anhielt, bauten tausende junge DDR-Bürger an einem Projekt, das die geopolitische Landkarte für immer verändern sollte: der „Druschba-Trasse“. Sie verlegten Rohre durch die lebensfeindlichen Weiten der Sowjetunion, getrieben von einer Mischung aus sozialistischer Propaganda, Abenteuerlust und dem pragmatischen Wunsch nach einem besseren Leben im Mangelstaat.
Für die DDR-Führung war es das „Zentrale Jugendobjekt“, ein Prestigeerfolg der Freundschaft zur Sowjetunion. Für die Arbeiter vor Ort, die „Trassniks“, war es der Ausbruch aus der Enge der Republik. Wer nicht in den Westen reisen durfte, suchte seine Freiheit eben im Osten. „Wer an Jack Londons Klondike River nicht darf, der nimmt gerne den Dnjepr“, erinnert sich ein Zeitzeuge. Es war der Wilde Westen für die, die auf der falschen Seite der Mauer geboren waren.
Doch die Freiheit hatte ihren Preis. Die Dokumentation des MDR zeigt ungeschönt, was es bedeutete, fern der Heimat zu funktionieren. Die Versorgung war paradox: Während in Dresden oder Leipzig die Regale oft leer blieben, wurden die Trassenbauer mit „West-Niveau“ verköstigt. Ananas, Mandarinen und vor allem Alkohol flossen in Strömen. Der Alkohol wurde zur Währung gegen die Einsamkeit und die brutale Kälte, in der selbst 40-prozentiger Wodka im Schnee gefror. „Wir waren alle Alkoholiker“, gesteht ein ehemaliger Arbeiter brutal ehrlich. Es war ein Leben im Exzess, in dem Depressionen und tödliche Unfälle oft totgeschwiegen wurden, um das Bild des heldenhaften Aufbaus nicht zu beschädigen.
Die Stasi war dabei stets ein unsichtbarer Polier. Unter dem Codenamen „Operation Jugendbanner“ überwachte das Ministerium für Staatssicherheit die Moral der Truppe. Wer politisch wackelte oder moralisch „ungefestigt“ schien, geriet ins Visier. Das Misstrauen war ein ständiger Begleiter im 4-Bett-Zimmer.
Historisch besonders pikant ist die wirtschaftliche Dimension: Die DDR bezahlte ihre Rohstoffrechnungen bei der Sowjetunion quasi mit Menschenmaterial und Infrastruktur. Gleichzeitig bauten diese ostdeutschen Hände die Energieversorgung für den Klassenfeind. 1985 erreichte das sowjetische Gas West-Berlin – ein „Loch in der Mauer“, Jahre bevor die echte Mauer fiel. Es war Willy Brandts „Wandel durch Handel“, betoniert und geschweißt von FDJlern, die von Jeans und Autos träumten.
Heute, Jahrzehnte später, blicken die ehemaligen Trassenbauer mit einer Mischung aus Stolz und Wehmut zurück. Sie haben „Jahrhundertbauwerke“ hinterlassen, vergleichbar mit Pyramiden, wie einer sagt. Sie haben unter unmenschlichen Bedingungen funktioniert und dabei ihre eigene kleine Welt erschaffen, fernab der SED-Doktrin, aber doch gefangen in deren System. Die Röhren liegen noch immer. Das Gas fließt (oder floss). Und die Geschichten der Trassniks bleiben ein faszinierendes, oft übersehenes Kapitel ostdeutscher Identität – eine Geschichte von Maloche statt Mauerfall, von Solidarität im Schlamm und der Sehnsucht nach Welt, wo die Welt eigentlich zu Ende war.